Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 2866/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 705/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 12.02.2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung über den 30.04.2013 hinaus.
Der am 28.04.1960 geborene Kläger erlernte nach seinen Angaben den Beruf des Kfz-Mechanikers und war im Zeitraum 1978 bis 2000 mit Unterbrechungen als Kfz-Mechaniker, Fahrer, Vorarbeiter, Wohnwagenbauer, Platzwart und zuletzt als Friedhofsgärtner beschäftigt. Seither ist er arbeitslos und bezieht Leistungen nach dem SGB II.
Ein erster Rentenantrag des Klägers aus November 1997 blieb erfolglos (Bescheid der Landesversicherungsanstalt Württemberg vom 19.11.1998, Widerspruchsbescheid vom 24.09.1999, Klagerücknahme im April 2000 im Verfahren S 8 RJ 1898/99 vor dem Sozialgericht Konstanz). Am 03.05.2006 beantragte der Kläger wiederum die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2007 ab. Im nachfolgenden Klageverfahren S 8 R 497/07 beim SG Konstanz anerkannte die Beklagte den Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit aufgrund eines Leistungsfalles bei Rentenantragstellung vom 01.12.2006 bis 30.04.2010. Das Anerkenntnis wurde angenommen und der Rechtsstreit für erledigt erklärt.
Grundlage für das Anerkenntnis war das Gutachten des Internisten und Rheumatologen Dr. M. aufgrund einer persönlichen Untersuchung des Klägers am einen 30.10.2008. Der Gutachter stellte ua eine entzündliche Wirbelsäulenerkrankung und chronische Schmerzerkrankung fest und attestierte ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen auch für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Die Beklagte gewährte dem Kläger die Rente nachfolgend weiter bis 30.04.2013. Im März 2013 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Rente. Der Beklagten wurde unter anderem der Befundbericht der Fachärzte für Allgemeinmedizin K. vom 02.03.2013 vorgelegt. Darin bescheinigten diese eine schleichende Verschlechterung seit einem Jahr. Der Kläger habe Schmerzen im gesamten Bewegungsapparat bei Morbus Bechterew und leide an depressiven Verstimmungszuständen mit Panikattacken und sozialen Rückzugsphasen.
Die Beklagte holte ein Gutachten des Orthopäden Dr. M. ein, der den Kläger am 18.04.2013 untersuchte und folgende Gesundheitsstörungen feststellte: &61485; nicht röntgenologische Spondylarthritis mit peripherer Gelenkbeteiligung &61485; Omalgie beidseits mit Teilsteife &61485; Zustand nach Schultereckgelenks-Sprengung links, &61485; grenzwertige Hypertonie, Schlafstörungen, Allergien (Lebensmittel, Waschmittel) &61485; Nikotinkonsum
Der Gutachter hielt leichte Tätigkeiten in Tagesschicht sowie die letzte Tätigkeit mit Aufschließarbeiten und Kundenberatung ohne Zwangshaltungen, ohne ständiges Beugen und Anheben von Lasten, ohne Überkopfarbeiten, ohne Arbeiten bei Kälte, Nässe und Zugluft, ohne Tätigkeiten im Akkord vollschichtig für möglich.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15.05.2013 den Weitergewährungsantrag ab. Im anschließenden Widerspruchsverfahren veranlasste die Beklagte eine weitere Begutachtung durch den Facharzt für Innere Medizin Dr. L ... Dieser beschrieb aufgrund einer Untersuchung am 09.09.2013 folgende Gesundheitsstörungen: &61485; langjährig bekannte entzündliche Wirbelsäulenerkrankung (Spondylarthritis) mit peripherer Gelenkbeteiligung und aktuell geringer Beweglichkeitseinschränkung &61485; Beweglichkeitseinschränkung des linken Schultergelenks bei Zustand nach konservativ behandelter Schultereckgelenkssprengung links &61485; vorbeschriebenes Asthma bronchiale, aktuell ohne klinische Relevanz und mit normalem Lungenfunktionsbefund &61485; operativ (osteosynthetisch) versorgte Weber-B-Fraktur des rechten oberen Sprunggelenks 2005 ohne verbleibende funktionelle Beeinträchtigungen &61485; gutachterlich vorbeschriebene Fibromyalgie (2008) &61485; vorbeschriebene degenerative Wirbelsäulenveränderungen sowie Bandscheibenverlagerungen der Lendenwirbelsäule &61485; behandelte Varikosis beidseits Der Gutachter hielt körperlich durchgängig leichte Arbeiten sowie die letzte Tätigkeit in vorzugsweise wechselnden Arbeitshaltungen in über sechsstündigem Umfang für zumutbar. Nicht mehr möglich seien Arbeiten, die länger anhaltende Zwangshaltungen, häufiges Bücken, Heben/Tragen und Bewegen von Lasten sowie Überkopfarbeiten beinhalteten sowie Arbeiten in Nachtschicht. Nässe, Kälte und Zugluft am Arbeitsplatz sollten vermieden werden. Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2013 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 18.11.2013 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Das SG hat die Fachärzte für Allgemeinmedizin K. und den Internisten und Rheumatologen Dr. B. schriftlich als sachverständige Zeugen gehört sowie den Orthopäden und Sozialmediziner Dr. H. gemäß § 106 SGG und den Neurologen und Psychiater Dr. H. auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG mit der Erstellung von Gutachten beauftragt.
Die Fachärzte für Allgemeinmedizin K. haben ausgeführt, dass eine nicht regelmäßige hausärztliche Behandlung seit 2005 stattgefunden habe. Aktuelle Befunde seien nicht vorhanden. Der Kläger versuche mit Diclofenac und Omep selber klar zu kommen, andere Medikamente würden anamnestisch nicht helfen. Nach letztem Kenntnisstand könne der Kläger leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht verrichten. Dr. B. hat mit Schreiben vom 19.03.2014 mitgeteilt, dass der Kläger letztmals im Februar 2013 in Behandlung gewesen sei. Ein vorliegender M. Bechterew mit zunehmender Einsteifung der gesamten Wirbelsäule führe zu deutlichen Behinderungen bei allen Tätigkeiten, die mit einer Bewegung des Rumpfes und des Kopfes verbunden seien. Leichte Tätigkeiten in wechselnder Position ohne Zwangshaltungen des Kopfes und ohne das Erfordernis einer größeren Beweglichkeit des Rumpfes könnten wahrscheinlich noch zwei bis vier Stunden täglich verrichtet werden.
Dr. H. hat den Kläger am 06.05.2014 untersucht und folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: &61485; schmerzhaftes Funktions- und Belastungsdefizit der Halswirbelsäule bei Fehlstatik, muskulärer Dysbalance und degenerativen Veränderungen &61485; Syndrom der ersten Rippe links &61485; Funktions- und Belastungsdefizit beider Schultern, rechts mehr als links bei Sehnenreizungen mit Tendinosen Musculus bizeps und Supraspinatus mit Impingementsyndrom &61485; Golferellenbogen rechts mehr als links &61485; Kiefergelenksdysfunktion links &61485; schmerzhaftes Bewegungs- und Belastungsdefizit der Lendenwirbelsäule mit degenerativen Veränderungen, Bandscheibenschäden L4 bis Sl, Arthrose der Wirbelgelenke L3-S1, relativer Foramenstenose L5/S1 mehr als L4/5, muskulärer Dysbalance und Fehlstatik &61485; Kreuzarmbeingelenksblockierung links &61485; verkürzte lumbosacrale und pelvitrochantäre Muskulatur links mehr als rechts &61485; Tractussyndrom links &61485; Blockierung paroximales Tibiofibulargelenk rechts &61485; Pedes vari, Senk-Spreizfußdeformität beidseits
Leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung qualitativer Einschränkungen seien sechsstündig und länger täglich zumutbar. Tätigkeiten im erlernten Beruf seien nur für unter drei Stunden arbeitstäglich leidensgerecht. Die Wegefähigkeit sei erhalten.
Dr. H. hat den Kläger am 19.11.2014 untersucht und auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eine somatoforme Schmerzstörung sowie eine Persönlichkeitsstörung festgestellt. Der Gutachter hat ausgeführt, dass der Kläger aufgrund der Erkrankungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet weiterhin in der Lage sei, sowohl die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Friedhofsgärtner als auch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten. Die Wegefähigkeit sei gegeben.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12.02.2015 abgewiesen und sich bei der Begründung auf das Gutachten von Dr. H. gestützt. Das Leistungsvermögen sei lediglich qualitativ, nicht aber quantitativ eingeschränkt. Der Kläger sei auch nicht berufsunfähig, da er breit verweisbar sei.
Hiergegen richtet sich die am 26.02.2015 eingelegte Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg. Der Kläger ist der Ansicht, dass er aufgrund der vorliegenden Beschwerden erwerbsgemindert sei. Die Leistungseinschätzungen der gerichtlichen Sachverständigen könnten im Vergleich zu den Leistungseinschätzungen der behandelnden Ärzte K. und Dr. B. sowie des Sachverständigen Dr. M. im Gutachten vom 31.10.2008 nicht nachvollzogen werden.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 12.02.2015 sowie den Bescheid vom 15.05.2013 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 29.10.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 30.04.2013 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehungsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Akte des Verfahrens S 8 R 497/07 beim SG Konstanz verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Gegenstand der Berufung ist der Bescheid der Beklagten vom 15.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2013, mit dem der Weitergewährungsantrag des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung über den 30.04.2013 hinaus abgelehnt worden ist.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat über den 30.04.2013 hinaus keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung und auch nicht auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
Der Senat sieht von einer weiteren eingehenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs 2 SGG). Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
Der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige kommt nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 18.06.2013, L 11 R 506/12; 17.01.2012, L 11 R 4953) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens in der Regel keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen. Dieser Grundsatz gilt grundsätzlich auch in den Fällen, in denen der Eintritt des Leistungsfalls in der Vergangenheit umstritten ist. Dies gilt umso mehr, wenn in zeitlich unmittelbarer Nähe zum letztmöglichen Zeitpunkt eines relevanten Leistungsfalls eine Untersuchung nach Begutachtungskriterien durch einen Sachverständigen stattgefunden hat. Aus diesen Gründen folgt der Senat auch nicht den Leistungseinschätzungen der behandelnden Ärzte K. und Dr. B ... Fachärztliche Befunde über den 30.04.2013 hinaus liegen nicht vor.
Die Annahme einer rentenrechtlich relevanten Erwerbsminderung lässt sich auch nicht aus dem Gutachten von Dr. M. aus dem Jahr 2008 ableiten. Dessen Begutachtung liegt mehr als vier Jahre vor dem hier zu beurteilenden Zeitraum und ist deshalb nicht mehr aktuell und für den hier zu beurteilenden Zeitraum nicht mehr maßgeblich. Der Senat schließt sich der Auffassung von Dr. H. an, dass zumindest im jetzt maßgeblichen Zeitraum ab 01.05.2013 eine tiefergründige depressive Verstimmung und das Fortbestehen von Angststörungen und Panikattacken nicht mehr vorliegen. Zudem ist aufgrund der geringen therapeutischen Bemühungen seitens des Klägers in den letzten Jahren, was sich auch in den von den Allgemeinmedizinern K. bestätigten nicht regelmäßig stattfindenden ärztlichen Behandlungen und der ausschließlichen Medikation mit Diclofenac und Omep wiederspiegelt, nur von einem gering ausgeprägte Leidensdruck bezüglich der chronischen Schmerzerkrankung auszugehen.
Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person des Klägers eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre bestehen nicht, ein Teil der qualitativen Beschränkungen wird bereits durch den Umstand, dass nur leichte Arbeiten zumutbar sind, mitberücksichtigt. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5). Es war im Übrigen im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag unter Berücksichtigung nicht arbeitsmarktunüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen zu der Frage, inwieweit welche konkrete Tätigkeit dem Kläger noch leidensgerecht und zumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich und mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs 3 letzter Halbsatz SGB VI).
Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Das vorliegende Gutachten von Dr. H. hat dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Das Gutachten geht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthält keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und gibt auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung über den 30.04.2013 hinaus.
Der am 28.04.1960 geborene Kläger erlernte nach seinen Angaben den Beruf des Kfz-Mechanikers und war im Zeitraum 1978 bis 2000 mit Unterbrechungen als Kfz-Mechaniker, Fahrer, Vorarbeiter, Wohnwagenbauer, Platzwart und zuletzt als Friedhofsgärtner beschäftigt. Seither ist er arbeitslos und bezieht Leistungen nach dem SGB II.
Ein erster Rentenantrag des Klägers aus November 1997 blieb erfolglos (Bescheid der Landesversicherungsanstalt Württemberg vom 19.11.1998, Widerspruchsbescheid vom 24.09.1999, Klagerücknahme im April 2000 im Verfahren S 8 RJ 1898/99 vor dem Sozialgericht Konstanz). Am 03.05.2006 beantragte der Kläger wiederum die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2007 ab. Im nachfolgenden Klageverfahren S 8 R 497/07 beim SG Konstanz anerkannte die Beklagte den Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit aufgrund eines Leistungsfalles bei Rentenantragstellung vom 01.12.2006 bis 30.04.2010. Das Anerkenntnis wurde angenommen und der Rechtsstreit für erledigt erklärt.
Grundlage für das Anerkenntnis war das Gutachten des Internisten und Rheumatologen Dr. M. aufgrund einer persönlichen Untersuchung des Klägers am einen 30.10.2008. Der Gutachter stellte ua eine entzündliche Wirbelsäulenerkrankung und chronische Schmerzerkrankung fest und attestierte ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen auch für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Die Beklagte gewährte dem Kläger die Rente nachfolgend weiter bis 30.04.2013. Im März 2013 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Rente. Der Beklagten wurde unter anderem der Befundbericht der Fachärzte für Allgemeinmedizin K. vom 02.03.2013 vorgelegt. Darin bescheinigten diese eine schleichende Verschlechterung seit einem Jahr. Der Kläger habe Schmerzen im gesamten Bewegungsapparat bei Morbus Bechterew und leide an depressiven Verstimmungszuständen mit Panikattacken und sozialen Rückzugsphasen.
Die Beklagte holte ein Gutachten des Orthopäden Dr. M. ein, der den Kläger am 18.04.2013 untersuchte und folgende Gesundheitsstörungen feststellte: &61485; nicht röntgenologische Spondylarthritis mit peripherer Gelenkbeteiligung &61485; Omalgie beidseits mit Teilsteife &61485; Zustand nach Schultereckgelenks-Sprengung links, &61485; grenzwertige Hypertonie, Schlafstörungen, Allergien (Lebensmittel, Waschmittel) &61485; Nikotinkonsum
Der Gutachter hielt leichte Tätigkeiten in Tagesschicht sowie die letzte Tätigkeit mit Aufschließarbeiten und Kundenberatung ohne Zwangshaltungen, ohne ständiges Beugen und Anheben von Lasten, ohne Überkopfarbeiten, ohne Arbeiten bei Kälte, Nässe und Zugluft, ohne Tätigkeiten im Akkord vollschichtig für möglich.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15.05.2013 den Weitergewährungsantrag ab. Im anschließenden Widerspruchsverfahren veranlasste die Beklagte eine weitere Begutachtung durch den Facharzt für Innere Medizin Dr. L ... Dieser beschrieb aufgrund einer Untersuchung am 09.09.2013 folgende Gesundheitsstörungen: &61485; langjährig bekannte entzündliche Wirbelsäulenerkrankung (Spondylarthritis) mit peripherer Gelenkbeteiligung und aktuell geringer Beweglichkeitseinschränkung &61485; Beweglichkeitseinschränkung des linken Schultergelenks bei Zustand nach konservativ behandelter Schultereckgelenkssprengung links &61485; vorbeschriebenes Asthma bronchiale, aktuell ohne klinische Relevanz und mit normalem Lungenfunktionsbefund &61485; operativ (osteosynthetisch) versorgte Weber-B-Fraktur des rechten oberen Sprunggelenks 2005 ohne verbleibende funktionelle Beeinträchtigungen &61485; gutachterlich vorbeschriebene Fibromyalgie (2008) &61485; vorbeschriebene degenerative Wirbelsäulenveränderungen sowie Bandscheibenverlagerungen der Lendenwirbelsäule &61485; behandelte Varikosis beidseits Der Gutachter hielt körperlich durchgängig leichte Arbeiten sowie die letzte Tätigkeit in vorzugsweise wechselnden Arbeitshaltungen in über sechsstündigem Umfang für zumutbar. Nicht mehr möglich seien Arbeiten, die länger anhaltende Zwangshaltungen, häufiges Bücken, Heben/Tragen und Bewegen von Lasten sowie Überkopfarbeiten beinhalteten sowie Arbeiten in Nachtschicht. Nässe, Kälte und Zugluft am Arbeitsplatz sollten vermieden werden. Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2013 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 18.11.2013 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Das SG hat die Fachärzte für Allgemeinmedizin K. und den Internisten und Rheumatologen Dr. B. schriftlich als sachverständige Zeugen gehört sowie den Orthopäden und Sozialmediziner Dr. H. gemäß § 106 SGG und den Neurologen und Psychiater Dr. H. auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG mit der Erstellung von Gutachten beauftragt.
Die Fachärzte für Allgemeinmedizin K. haben ausgeführt, dass eine nicht regelmäßige hausärztliche Behandlung seit 2005 stattgefunden habe. Aktuelle Befunde seien nicht vorhanden. Der Kläger versuche mit Diclofenac und Omep selber klar zu kommen, andere Medikamente würden anamnestisch nicht helfen. Nach letztem Kenntnisstand könne der Kläger leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht verrichten. Dr. B. hat mit Schreiben vom 19.03.2014 mitgeteilt, dass der Kläger letztmals im Februar 2013 in Behandlung gewesen sei. Ein vorliegender M. Bechterew mit zunehmender Einsteifung der gesamten Wirbelsäule führe zu deutlichen Behinderungen bei allen Tätigkeiten, die mit einer Bewegung des Rumpfes und des Kopfes verbunden seien. Leichte Tätigkeiten in wechselnder Position ohne Zwangshaltungen des Kopfes und ohne das Erfordernis einer größeren Beweglichkeit des Rumpfes könnten wahrscheinlich noch zwei bis vier Stunden täglich verrichtet werden.
Dr. H. hat den Kläger am 06.05.2014 untersucht und folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: &61485; schmerzhaftes Funktions- und Belastungsdefizit der Halswirbelsäule bei Fehlstatik, muskulärer Dysbalance und degenerativen Veränderungen &61485; Syndrom der ersten Rippe links &61485; Funktions- und Belastungsdefizit beider Schultern, rechts mehr als links bei Sehnenreizungen mit Tendinosen Musculus bizeps und Supraspinatus mit Impingementsyndrom &61485; Golferellenbogen rechts mehr als links &61485; Kiefergelenksdysfunktion links &61485; schmerzhaftes Bewegungs- und Belastungsdefizit der Lendenwirbelsäule mit degenerativen Veränderungen, Bandscheibenschäden L4 bis Sl, Arthrose der Wirbelgelenke L3-S1, relativer Foramenstenose L5/S1 mehr als L4/5, muskulärer Dysbalance und Fehlstatik &61485; Kreuzarmbeingelenksblockierung links &61485; verkürzte lumbosacrale und pelvitrochantäre Muskulatur links mehr als rechts &61485; Tractussyndrom links &61485; Blockierung paroximales Tibiofibulargelenk rechts &61485; Pedes vari, Senk-Spreizfußdeformität beidseits
Leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung qualitativer Einschränkungen seien sechsstündig und länger täglich zumutbar. Tätigkeiten im erlernten Beruf seien nur für unter drei Stunden arbeitstäglich leidensgerecht. Die Wegefähigkeit sei erhalten.
Dr. H. hat den Kläger am 19.11.2014 untersucht und auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eine somatoforme Schmerzstörung sowie eine Persönlichkeitsstörung festgestellt. Der Gutachter hat ausgeführt, dass der Kläger aufgrund der Erkrankungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet weiterhin in der Lage sei, sowohl die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Friedhofsgärtner als auch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten. Die Wegefähigkeit sei gegeben.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12.02.2015 abgewiesen und sich bei der Begründung auf das Gutachten von Dr. H. gestützt. Das Leistungsvermögen sei lediglich qualitativ, nicht aber quantitativ eingeschränkt. Der Kläger sei auch nicht berufsunfähig, da er breit verweisbar sei.
Hiergegen richtet sich die am 26.02.2015 eingelegte Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg. Der Kläger ist der Ansicht, dass er aufgrund der vorliegenden Beschwerden erwerbsgemindert sei. Die Leistungseinschätzungen der gerichtlichen Sachverständigen könnten im Vergleich zu den Leistungseinschätzungen der behandelnden Ärzte K. und Dr. B. sowie des Sachverständigen Dr. M. im Gutachten vom 31.10.2008 nicht nachvollzogen werden.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 12.02.2015 sowie den Bescheid vom 15.05.2013 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 29.10.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 30.04.2013 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehungsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Akte des Verfahrens S 8 R 497/07 beim SG Konstanz verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Gegenstand der Berufung ist der Bescheid der Beklagten vom 15.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2013, mit dem der Weitergewährungsantrag des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung über den 30.04.2013 hinaus abgelehnt worden ist.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat über den 30.04.2013 hinaus keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung und auch nicht auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
Der Senat sieht von einer weiteren eingehenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs 2 SGG). Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
Der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige kommt nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 18.06.2013, L 11 R 506/12; 17.01.2012, L 11 R 4953) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens in der Regel keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen. Dieser Grundsatz gilt grundsätzlich auch in den Fällen, in denen der Eintritt des Leistungsfalls in der Vergangenheit umstritten ist. Dies gilt umso mehr, wenn in zeitlich unmittelbarer Nähe zum letztmöglichen Zeitpunkt eines relevanten Leistungsfalls eine Untersuchung nach Begutachtungskriterien durch einen Sachverständigen stattgefunden hat. Aus diesen Gründen folgt der Senat auch nicht den Leistungseinschätzungen der behandelnden Ärzte K. und Dr. B ... Fachärztliche Befunde über den 30.04.2013 hinaus liegen nicht vor.
Die Annahme einer rentenrechtlich relevanten Erwerbsminderung lässt sich auch nicht aus dem Gutachten von Dr. M. aus dem Jahr 2008 ableiten. Dessen Begutachtung liegt mehr als vier Jahre vor dem hier zu beurteilenden Zeitraum und ist deshalb nicht mehr aktuell und für den hier zu beurteilenden Zeitraum nicht mehr maßgeblich. Der Senat schließt sich der Auffassung von Dr. H. an, dass zumindest im jetzt maßgeblichen Zeitraum ab 01.05.2013 eine tiefergründige depressive Verstimmung und das Fortbestehen von Angststörungen und Panikattacken nicht mehr vorliegen. Zudem ist aufgrund der geringen therapeutischen Bemühungen seitens des Klägers in den letzten Jahren, was sich auch in den von den Allgemeinmedizinern K. bestätigten nicht regelmäßig stattfindenden ärztlichen Behandlungen und der ausschließlichen Medikation mit Diclofenac und Omep wiederspiegelt, nur von einem gering ausgeprägte Leidensdruck bezüglich der chronischen Schmerzerkrankung auszugehen.
Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person des Klägers eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre bestehen nicht, ein Teil der qualitativen Beschränkungen wird bereits durch den Umstand, dass nur leichte Arbeiten zumutbar sind, mitberücksichtigt. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5). Es war im Übrigen im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag unter Berücksichtigung nicht arbeitsmarktunüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen zu der Frage, inwieweit welche konkrete Tätigkeit dem Kläger noch leidensgerecht und zumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich und mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs 3 letzter Halbsatz SGB VI).
Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Das vorliegende Gutachten von Dr. H. hat dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Das Gutachten geht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthält keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und gibt auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
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