Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 969/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2179/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 05.05.2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Korrektur eines Gutachtens und wendet sich gegen die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1971 geborene Kläger ist Diplom-Mineraloge. Nach einer vollschichtigen Tätigkeit als Mineraloge bei einem Dachziegelwerk von Januar 1999 bis April 2000 war er mit kurzen Unterbrechungen durch Beschäftigungszeiten durchgehend arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld bzw –hilfe und ab 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Im Januar 2013 bat das Sozialamt B.-B. die Beklagte um Begutachtung des Klägers zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte holte ein Gutachten bei Dr. B. ein, der unter dem 08.04.2013 eine Psychose feststellte und bei völlig fehlender Krankheitseinsicht von einem unter dreistündigen Leistungsvermögen ausging. Auf Veranlassung des Jobcenters beantragte der Kläger die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Mit Bescheid vom 22.08.2013 gewährte die Beklagte daraufhin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.06.2013 bis 31.03.2014. Der Kläger wandte sich in der Folgezeit wiederholt gegen die Rentengewährung, da er nicht erwerbsgemindert sei. Er bezog ergänzend Sozialhilfe.
Am 22.04.2014 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Rente, nachdem das Jobcenter B.-B. ihn auf seinen Antrag auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufgefordert hatte, einen vorrangigen Rentenanspruch durch den Rentenversicherungsträger prüfen zu lassen. Mit Gutachten vom 03.06.2014 diagnostizierte Dr. N. bei dem Kläger eine schizophrene Psychose und nahm ein unter dreistündiges Leistungsvermögen an. Mit Bescheid vom 04.06.2014 gewährte die Beklagte die Rente wegen voller Erwerbsminderung daraufhin weiter bis 31.03.2017.
Telefonisch bat der Kläger am 11.06.2014 sowie am 01.07.2014 bei der Beklagten um Übersendung des Gutachtens, mit E-Mail vom 10.07.2014 beschwerte er sich über den Gutachter und den Inhalt des Gutachtens. Mit einem am 06.10.2014 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben erhob der Kläger schließlich Widerspruch gegen das Gutachten von Dr. N., die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung und die Rentengewährung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2014 wies die Beklagte den Widerspruch gegen das Gutachten als unzulässig zurück, weil ein Verwaltungsakt nicht vorliege. Mit Widerspruchsbescheid vom gleichen Tag wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Rentengewährung als unzulässig zurück, da die Widerspruchsfrist nicht eingehalten sei. Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 21.12.2014 "Einspruch". Auf Nachfrage der Beklagten teilte er mit Schreiben vom 02.02.2015 und telefonisch am 23.02.2015 mit, sein Schreiben solle als Überprüfungsantrag gewertet werden, von einem Klageverfahren verspreche er sich nichts.
Am 23.03.2015 hat der Kläger sodann Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Dr. N. habe eine Fehldiagnose gestellt. Er sei sehr wohl in der Lage, mehr als drei Stunden zu arbeiten, so sei er im Dezember 2013 ua als Paketpacker arbeitstäglich vier Stunden beschäftigt gewesen. Er hat beantragt, die benannten Unstimmigkeiten im Gutachten von Dr. N. zu revidieren, die Fehldiagnose aufzuheben und die Leistungsbeurteilung auf volle Erwerbsfähigkeit heraufzustufen sowie die Gewährung der Rente abzuweisen.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 05.05.2015 die Klage abgewiesen. Soweit sich der Kläger gegen die Rentengewährung an sich richte, sei die Klagefrist von einem Monat nicht eingehalten, die am 19.01.2015 abgelaufen sei. Soweit sich die Klage gegen die im Gutachten enthaltenen Feststellungen richte, sei sie unbegründet, denn ein Anspruch auf Änderung bzw Korrektur eines im Rahmen der Amtsermittlung eingeholten ärztlichen Gutachtens sei gesetzlich nicht vorgesehen. Der Kläger werde darauf hingewiesen, dass es ihm trotz des Bezugs der Erwerbsminderungsrente freistehe, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Bei Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen werde die Rente ggf in verminderter Höhe geleistet.
Gegen den ihm am 09.05.2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15.05.2015 zunächst durch einen nicht unterschriebenen Schriftsatz beim SG und sodann nochmals am 08.06.2015 per Fax beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Er führt aus, die drei Punkte in seiner Klageschrift hätten zusammengenommen den Sinn der Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsakts der Rentengewährung. Die Klage sei nach § 89 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an keine Frist gebunden, weshalb die Klage nicht wegen der Nichteinhaltung von Fristen abgewiesen werden könne. Soweit das SG argumentiere, ein Anspruch auf Abänderung bzw Korrektur des Gutachtens sei gesetzlich nicht vorgesehen, ergebe sich ein solcher Anspruch aus dem Dienstvertrag, speziell Behandlungsvertrag nach § 630a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Dr. N. sei seiner Pflicht zur sorgfältigen Diagnose nicht nachgekommen und sei deshalb zum Schadenersatz nach § 823 BGB verpflichtet. Der Schadenersatz halte sich auf dem absoluten Minimum, einzig werde die Beseitigung der unzutreffenden Feststellungen verlangt. Zivilrecht stehe in seiner Priorität über Verwaltungsrecht. Aus unerlaubter Handlung bestehe zudem ein Unterlassungsanspruch, der mittels Unterlassungsklage geltend gemacht werden könne. Ergänzend hat der Kläger einen Erlebnisbericht vom 06.11.2005 vorgelegt, welcher die beängstigenden Erlebnisse aus dem Zeitraum 01.01.1999 bis 31.03.2000 näher darstelle. Sein damaliger Vorgesetzter, R. S., habe ihm immer wieder zu erkennen gegeben, dass er seinen privaten Telefonanschluss belausche bzw Bescheid gewusst habe. Zur Aufhellung, inwieweit dies mit weiteren Erlebnissen zusammenhänge (ua merkwürdige Begegnung mit einem rumänischen Militär im Zug, Verfolgung durch einen Pkw auf der Autobahn), solle R. S. als Zeuge befragt werden. Auch der emeritierte Prof. Dr. J. K. des Mineralogischen Instituts der Universität F. solle als Zeuge befragt werden hinsichtlich der Belauschung der privaten Telefonate des Klägers 1999/2000.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim aufzuheben, festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 04.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.12.2014 nichtig ist und die Feststellungen im Gutachten von Dr. N. über "das Stimmenhören", "die doppelte Buchführung" und die Feststellung einer "Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis" zu beseitigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihre Ausführungen in erster Instanz und den angefochtenen Gerichtsbescheid.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Kläger hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Abs 1 SGG) ist statthaft und damit zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
In der Sache wendet sich der Kläger zum einen gegen die Rentengewährung. Die insoweit einschlägige Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 04.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.12.2014 ist schon deshalb unzulässig, weil der Kläger durch die Rentengewährung nicht beschwert ist. Die Beklagte hat dem von ihm gestellten Antrag auf Rentengewährung stattgegeben und die gesetzlich vorgesehene Höchstdauer von drei Jahren bei befristeter Erwerbsminderungsrente bewilligt. Der fehlenden Klagebefugnis steht nicht entgegen, dass der Kläger nach § 12a Abs 1 SGB II verpflichtet zur Antragstellung war und bei fehlendem Antrag von seiner Seite das Jobcenter B.-B. selbst nach § 5 Abs 3 SGB II die Erwerbsminderungsrente für den Kläger hätte beantragten können. Es kommt daher nicht darauf an, ob der "Einspruch" des Klägers mit Schreiben vom 21.12.2014 nicht doch als fristwahrende Klage hätte gewertet werden müssen.
Soweit der Kläger nunmehr meint, die Rentenbewilligung über die Nichtigkeitsklage beseitigen zu können, geht diese Annahme fehl. Die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts kann im Wege der Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 4 SGG erreicht werden, ohne dass es eines Vorverfahrens oder der Einhaltung einer Frist bedarf (§ 89 SGG). Die Rentenbewilligung mit Bescheid vom 04.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.12.2014 ist jedoch nicht nichtig.
Nach § 40 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig, (1.) der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt, (2.) der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt, (3.) den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann, (4.) der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, (5). der gegen die guten Sitten verstößt (§ 40 Abs 2 SGB X).
Ein Fall des Positivkatalogs nach § 40 Abs 2 SGB X liegt ersichtlich nicht vor. Die Rentenbewilligung ist aber auch nach der Generalklausel des § 40 Abs 1 SGB X nicht nichtig. Weder ist ein besonders schwerwiegender Fehler erkennbar, noch ist ein solcher gar offensichtlich. Selbst wenn eine Fehldiagnose vorläge – wovon der Senat nicht ausgeht – und gestützt darauf eine fehlerhafte Leistungsbeurteilung mit der Folge der Rentenbewilligung erfolgt wäre, könnte der Verwaltungsakt der Rentenbewilligung nur als rechtswidrig, nicht jedoch als nichtig beurteilt werden.
Zum anderen wendet sich der Kläger gegen im Gutachten von Dr. N. enthaltene Ausführungen und die von ihm gestellte Diagnose. Die begehrte Korrektur bzw Änderung des Gutachtens kann nicht verlangt werden, eine entsprechende Klage ist schon unzulässig. Eine Klage auf Feststellung, dass etwa die gestellte Diagnose unzutreffend ist, kommt nicht in Betracht. Nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses festgestellt werden. Unzulässig ist dagegen eine Klage wegen Feststellung einzelner Elemente, hier also die Vorfrage, welche Erkrankungen beim Kläger vorliegen und wie diese sich auf sein berufliches Leistungsvermögen auswirken (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl, § 55 RdNr 9).
Auch eine echte Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG kommt nicht in Betracht, denn sie setzt voraus, dass ein Rechtsanspruch auf die Leistung besteht und ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat. Soweit es um die Rentengewährung geht, ist ein Verwaltungsakt erforderlich und die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen nebst Auswirkungen sind als Vorfrage inzident zu prüfen. Hinsichtlich der vom Kläger begehrten Korrektur des Gutachtens ist ein Rechtsanspruch hierauf nicht ersichtlich. Soweit der Kläger auf zivilrechtliche Grundlagen abstellt, übersieht er, dass zwischen ihm und dem Gutachter Dr. N. keinerlei zivilvertragliche Beziehungen bestehen, denn nicht der Kläger hat den Gutachter beauftragt, sondern dieser ist für die Beklagte im Rahmen deren Amtsermittlung tätig geworden. Abgesehen davon könnten zivilrechtliche Ansprüche (auch auf Unterlassung) nicht vor den Sozialgerichten eingeklagt werden, denn diese sind hierfür nicht zuständig.
Für weitere Beweiserhebungen bestand kein Anlass. Soweit der Kläger die Vernehmung von R. S. und Prof. Dr. K. als Zeugen verlangt hat, brauchte der Senat dem nicht nachzugehen, denn die vom Kläger aufgeworfenen Fragen, inwieweit die benannten Zeugen in angebliche Überwachungsmaßnahmen in den Jahren 1999 und 2000 verstrickt waren oder davon wussten, spielen für die Entscheidung des Senats keinerlei Rolle, sie sind nicht entscheidungserheblich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Korrektur eines Gutachtens und wendet sich gegen die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1971 geborene Kläger ist Diplom-Mineraloge. Nach einer vollschichtigen Tätigkeit als Mineraloge bei einem Dachziegelwerk von Januar 1999 bis April 2000 war er mit kurzen Unterbrechungen durch Beschäftigungszeiten durchgehend arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld bzw –hilfe und ab 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Im Januar 2013 bat das Sozialamt B.-B. die Beklagte um Begutachtung des Klägers zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte holte ein Gutachten bei Dr. B. ein, der unter dem 08.04.2013 eine Psychose feststellte und bei völlig fehlender Krankheitseinsicht von einem unter dreistündigen Leistungsvermögen ausging. Auf Veranlassung des Jobcenters beantragte der Kläger die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Mit Bescheid vom 22.08.2013 gewährte die Beklagte daraufhin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.06.2013 bis 31.03.2014. Der Kläger wandte sich in der Folgezeit wiederholt gegen die Rentengewährung, da er nicht erwerbsgemindert sei. Er bezog ergänzend Sozialhilfe.
Am 22.04.2014 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Rente, nachdem das Jobcenter B.-B. ihn auf seinen Antrag auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufgefordert hatte, einen vorrangigen Rentenanspruch durch den Rentenversicherungsträger prüfen zu lassen. Mit Gutachten vom 03.06.2014 diagnostizierte Dr. N. bei dem Kläger eine schizophrene Psychose und nahm ein unter dreistündiges Leistungsvermögen an. Mit Bescheid vom 04.06.2014 gewährte die Beklagte die Rente wegen voller Erwerbsminderung daraufhin weiter bis 31.03.2017.
Telefonisch bat der Kläger am 11.06.2014 sowie am 01.07.2014 bei der Beklagten um Übersendung des Gutachtens, mit E-Mail vom 10.07.2014 beschwerte er sich über den Gutachter und den Inhalt des Gutachtens. Mit einem am 06.10.2014 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben erhob der Kläger schließlich Widerspruch gegen das Gutachten von Dr. N., die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung und die Rentengewährung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2014 wies die Beklagte den Widerspruch gegen das Gutachten als unzulässig zurück, weil ein Verwaltungsakt nicht vorliege. Mit Widerspruchsbescheid vom gleichen Tag wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Rentengewährung als unzulässig zurück, da die Widerspruchsfrist nicht eingehalten sei. Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 21.12.2014 "Einspruch". Auf Nachfrage der Beklagten teilte er mit Schreiben vom 02.02.2015 und telefonisch am 23.02.2015 mit, sein Schreiben solle als Überprüfungsantrag gewertet werden, von einem Klageverfahren verspreche er sich nichts.
Am 23.03.2015 hat der Kläger sodann Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Dr. N. habe eine Fehldiagnose gestellt. Er sei sehr wohl in der Lage, mehr als drei Stunden zu arbeiten, so sei er im Dezember 2013 ua als Paketpacker arbeitstäglich vier Stunden beschäftigt gewesen. Er hat beantragt, die benannten Unstimmigkeiten im Gutachten von Dr. N. zu revidieren, die Fehldiagnose aufzuheben und die Leistungsbeurteilung auf volle Erwerbsfähigkeit heraufzustufen sowie die Gewährung der Rente abzuweisen.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 05.05.2015 die Klage abgewiesen. Soweit sich der Kläger gegen die Rentengewährung an sich richte, sei die Klagefrist von einem Monat nicht eingehalten, die am 19.01.2015 abgelaufen sei. Soweit sich die Klage gegen die im Gutachten enthaltenen Feststellungen richte, sei sie unbegründet, denn ein Anspruch auf Änderung bzw Korrektur eines im Rahmen der Amtsermittlung eingeholten ärztlichen Gutachtens sei gesetzlich nicht vorgesehen. Der Kläger werde darauf hingewiesen, dass es ihm trotz des Bezugs der Erwerbsminderungsrente freistehe, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Bei Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen werde die Rente ggf in verminderter Höhe geleistet.
Gegen den ihm am 09.05.2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15.05.2015 zunächst durch einen nicht unterschriebenen Schriftsatz beim SG und sodann nochmals am 08.06.2015 per Fax beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Er führt aus, die drei Punkte in seiner Klageschrift hätten zusammengenommen den Sinn der Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsakts der Rentengewährung. Die Klage sei nach § 89 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an keine Frist gebunden, weshalb die Klage nicht wegen der Nichteinhaltung von Fristen abgewiesen werden könne. Soweit das SG argumentiere, ein Anspruch auf Abänderung bzw Korrektur des Gutachtens sei gesetzlich nicht vorgesehen, ergebe sich ein solcher Anspruch aus dem Dienstvertrag, speziell Behandlungsvertrag nach § 630a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Dr. N. sei seiner Pflicht zur sorgfältigen Diagnose nicht nachgekommen und sei deshalb zum Schadenersatz nach § 823 BGB verpflichtet. Der Schadenersatz halte sich auf dem absoluten Minimum, einzig werde die Beseitigung der unzutreffenden Feststellungen verlangt. Zivilrecht stehe in seiner Priorität über Verwaltungsrecht. Aus unerlaubter Handlung bestehe zudem ein Unterlassungsanspruch, der mittels Unterlassungsklage geltend gemacht werden könne. Ergänzend hat der Kläger einen Erlebnisbericht vom 06.11.2005 vorgelegt, welcher die beängstigenden Erlebnisse aus dem Zeitraum 01.01.1999 bis 31.03.2000 näher darstelle. Sein damaliger Vorgesetzter, R. S., habe ihm immer wieder zu erkennen gegeben, dass er seinen privaten Telefonanschluss belausche bzw Bescheid gewusst habe. Zur Aufhellung, inwieweit dies mit weiteren Erlebnissen zusammenhänge (ua merkwürdige Begegnung mit einem rumänischen Militär im Zug, Verfolgung durch einen Pkw auf der Autobahn), solle R. S. als Zeuge befragt werden. Auch der emeritierte Prof. Dr. J. K. des Mineralogischen Instituts der Universität F. solle als Zeuge befragt werden hinsichtlich der Belauschung der privaten Telefonate des Klägers 1999/2000.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim aufzuheben, festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 04.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.12.2014 nichtig ist und die Feststellungen im Gutachten von Dr. N. über "das Stimmenhören", "die doppelte Buchführung" und die Feststellung einer "Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis" zu beseitigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihre Ausführungen in erster Instanz und den angefochtenen Gerichtsbescheid.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Kläger hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Abs 1 SGG) ist statthaft und damit zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
In der Sache wendet sich der Kläger zum einen gegen die Rentengewährung. Die insoweit einschlägige Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 04.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.12.2014 ist schon deshalb unzulässig, weil der Kläger durch die Rentengewährung nicht beschwert ist. Die Beklagte hat dem von ihm gestellten Antrag auf Rentengewährung stattgegeben und die gesetzlich vorgesehene Höchstdauer von drei Jahren bei befristeter Erwerbsminderungsrente bewilligt. Der fehlenden Klagebefugnis steht nicht entgegen, dass der Kläger nach § 12a Abs 1 SGB II verpflichtet zur Antragstellung war und bei fehlendem Antrag von seiner Seite das Jobcenter B.-B. selbst nach § 5 Abs 3 SGB II die Erwerbsminderungsrente für den Kläger hätte beantragten können. Es kommt daher nicht darauf an, ob der "Einspruch" des Klägers mit Schreiben vom 21.12.2014 nicht doch als fristwahrende Klage hätte gewertet werden müssen.
Soweit der Kläger nunmehr meint, die Rentenbewilligung über die Nichtigkeitsklage beseitigen zu können, geht diese Annahme fehl. Die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts kann im Wege der Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 4 SGG erreicht werden, ohne dass es eines Vorverfahrens oder der Einhaltung einer Frist bedarf (§ 89 SGG). Die Rentenbewilligung mit Bescheid vom 04.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.12.2014 ist jedoch nicht nichtig.
Nach § 40 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig, (1.) der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt, (2.) der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt, (3.) den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann, (4.) der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, (5). der gegen die guten Sitten verstößt (§ 40 Abs 2 SGB X).
Ein Fall des Positivkatalogs nach § 40 Abs 2 SGB X liegt ersichtlich nicht vor. Die Rentenbewilligung ist aber auch nach der Generalklausel des § 40 Abs 1 SGB X nicht nichtig. Weder ist ein besonders schwerwiegender Fehler erkennbar, noch ist ein solcher gar offensichtlich. Selbst wenn eine Fehldiagnose vorläge – wovon der Senat nicht ausgeht – und gestützt darauf eine fehlerhafte Leistungsbeurteilung mit der Folge der Rentenbewilligung erfolgt wäre, könnte der Verwaltungsakt der Rentenbewilligung nur als rechtswidrig, nicht jedoch als nichtig beurteilt werden.
Zum anderen wendet sich der Kläger gegen im Gutachten von Dr. N. enthaltene Ausführungen und die von ihm gestellte Diagnose. Die begehrte Korrektur bzw Änderung des Gutachtens kann nicht verlangt werden, eine entsprechende Klage ist schon unzulässig. Eine Klage auf Feststellung, dass etwa die gestellte Diagnose unzutreffend ist, kommt nicht in Betracht. Nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses festgestellt werden. Unzulässig ist dagegen eine Klage wegen Feststellung einzelner Elemente, hier also die Vorfrage, welche Erkrankungen beim Kläger vorliegen und wie diese sich auf sein berufliches Leistungsvermögen auswirken (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl, § 55 RdNr 9).
Auch eine echte Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG kommt nicht in Betracht, denn sie setzt voraus, dass ein Rechtsanspruch auf die Leistung besteht und ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat. Soweit es um die Rentengewährung geht, ist ein Verwaltungsakt erforderlich und die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen nebst Auswirkungen sind als Vorfrage inzident zu prüfen. Hinsichtlich der vom Kläger begehrten Korrektur des Gutachtens ist ein Rechtsanspruch hierauf nicht ersichtlich. Soweit der Kläger auf zivilrechtliche Grundlagen abstellt, übersieht er, dass zwischen ihm und dem Gutachter Dr. N. keinerlei zivilvertragliche Beziehungen bestehen, denn nicht der Kläger hat den Gutachter beauftragt, sondern dieser ist für die Beklagte im Rahmen deren Amtsermittlung tätig geworden. Abgesehen davon könnten zivilrechtliche Ansprüche (auch auf Unterlassung) nicht vor den Sozialgerichten eingeklagt werden, denn diese sind hierfür nicht zuständig.
Für weitere Beweiserhebungen bestand kein Anlass. Soweit der Kläger die Vernehmung von R. S. und Prof. Dr. K. als Zeugen verlangt hat, brauchte der Senat dem nicht nachzugehen, denn die vom Kläger aufgeworfenen Fragen, inwieweit die benannten Zeugen in angebliche Überwachungsmaßnahmen in den Jahren 1999 und 2000 verstrickt waren oder davon wussten, spielen für die Entscheidung des Senats keinerlei Rolle, sie sind nicht entscheidungserheblich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
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