L 1 U 2668/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 2218/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 2668/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 30.04.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente aufgrund einer von der Beklagten anerkannten Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4301 (durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) streitig

Der 1990 geborene Kläger, der etwa seit dem Jahr 2000 an Heuschnupfen leidet, absolvierte von September 2007 bis September 2010 eine Bäckerlehre (Gesellenzeugnis vom 06.07.2010, Bl. 102 (Rückseite) VA). Danach arbeitete er als Bäckergeselle. Bereits während der Ausbildung entwickelten sich zahlreiche gesundheitliche Beschwerden (Augentränen, Niesen, Hautrötungen, papulöses Ekzantem, Rhinitis, Giemen, Husten und Luftnot), sodass sein behandelnder Internist und Pneumologe Dr. Z. der Beklagten am 29.03.2010 den Verdacht einer BK anzeigte. In seinem Arztbrief vom 08.03.2010, auf den er in seiner Anzeige Bezug nahm, schilderte er, dass der Kläger täglich eine Packung Zigaretten rauche und seit 10 Jahren an Heuschnupfen leide. Die jetzigen Symptome stünden im Zusammenhang mit der Roggenmehlexposition. Es liege ein Verdacht auf Bäckerasthma vor. Im Selbstauskunftsbogen vom 12.04.2010 gab der Kläger an, dass es sich um arbeitsplatzbezogene Beschwerden handele, die morgens, nach Arbeitsende und nachts aufträten. Am 18.06.2010 ging die Anzeige einer BK der früheren Arbeitgeberin des Klägers, der Vollkornbäckerei XX GmbH, ein, in der angegeben wurde, beim Kläger seien gesundheitliche Beschwerden (Husten, laufende Nase und Ausschlag an den Händen) bei Arbeiten mit Roggenmehl aufgetreten.

Die Beklagte zog zunächst Arztauskünfte bei und holte danach das Gutachten des Internisten und Allergologen Dr. H. vom 31.07.2011 ein. Dieser gelangte für den Kläger zu folgenden Diagnosen: Asthma bronchiale und allergische Rhinopathie. Nach 13-minütiger Exposition gegenüber Weizen- und Roggenmehl sei es zu einer leicht- bis mittelgradigen Bronchialobstruktion, zu einer leichtgradigen respiratorischen Partialinsuffizienz und zu einer behinderten Nasenatmung gekommen. Außerberufliche Faktoren wie die anlagenbedingte Allergieneigung und das Inhalationsrauchen seien aktuell von untergeordneter Bedeutung. Es liege eine relevante Berufsstoffsensibilisierung vor, sodass die medizinischen Kriterien der BK 4301 erfüllt seien. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lägen wegen der fehlenden Berufsaufgabe aber nicht vor. Derzeit bestehe eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von unter 20 v.H. Eine Umschulung werde empfohlen.

Mit Bescheid vom 24.08.2011 (Bl. 67 VA) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die medizinischen Voraussetzungen der BK 4301 erfüllt seien. Da er jedoch seinen Beruf als Bäcker weiterhin ausüben wolle, seien medizinische bzw. technischen Maßnahmen der Prävention notwendig. Eine Anerkennung als BK könne nur erfolgen, wenn die gefährdende Tätigkeit aufgegeben worden sei. In diesem Fall solle sich der Kläger wieder melden.

Am 18.10.2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente, nachdem die Vollkornbäckerei XX GmbH das Arbeitsverhältnis gekündigt hatte (Ende des Arbeitsverhältnisses zum 31.10.2011; vgl. arbeitsgerichtlicher Vergleich vom 12.10.2011, Bl. 75 (Rückseite) VA). Der Kläger bezog sodann ab dem 01.11.2011 Arbeitslosengeld (Bescheid der Agentur für Arbeit (AA) Reutlingen vom 07.11.2011). Mit Bescheid vom 11.04.2012 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Eignungs- und Arbeitsplatzerprobung im Berufsförderwerk E. vom 30.04. bis 11.05.2012 (vgl. Ergebnisbericht vom 01.06.2012 des Dipl.-Psycholgen K., Bl. 159 ff. VA). Mit Bescheid vom 25.09.2012 versagte die Beklagte weitere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wegen mangelnder Mitwirkung, nachdem der Kläger einen Termin zur Besprechung von Integrationsmaßnahmen nicht wahrgenommen hatte. Mit Schreiben vom 28.09.2012 teilte sie dem Kläger mit, dass sie die Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 BKV für die Zeit vom 01.09.2011 bis 31.08.2012 prüfe. Der Kläger teilte hierauf mit, dass er sich - gefördert durch die AA - selbstständig gemacht habe. Er beantrage weiterhin die Gewährung einer Rente wegen seines Asthmas. Mit Bescheid vom 22.01.2013 versagte die Beklagte Übergangsleistungen wegen mangelnder Mitwirkung.

Nachdem die Beklagte den Befundbericht des Dr. Z. vom 03.01.2013 und die Stellungnahme der Beratungsärztin Dr. T. vom 24.01.2013 (eine MdE von 10 v.H. sei angemessen) eingeholt hatte, erkannte sie mit Bescheid vom 21.05.2013 das Vorliegen der BK Nr. 4301 an und lehnte die Gewährung einer Rente ab (Bl. 246 VA). Zur Begründung führte sie aus, die Erkrankung habe keine rentenberechtigende MdE zur Folge, was sich aus dem Gutachten des Dr. H. ergebe. Als Folgen des Versicherungsfalls würden anerkannt: "durch allergisierende Berufsstoffe verursachte Atemwegserkrankung einschließlich Rhinopathie". Unabhängig von der BK liege eine "allergische Rhinopathie und Asthma bronchiale bei relevanter Atemwegsallergie auf allgemein verbreitete Allergene (Gräser- und Baumpollen)" vor. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolgslos (Widerspruchsbescheid vom 19.07.2013, Bl. 271 VA).

Hiergegen hat der Kläger am 20.08.2013 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und geltend gemacht, ihm sei eine Rente zu gewähren. Die allergische Rhinopathie und das Asthma bronchiale seien Folge der BK. Sein jetziger Hausarzt, Dr. R., habe ihm ein Atemspray verschrieben. Es liege mindestens eine MdE von 20 v.H. vor.

Das SG hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts zunächst die sachverständige Zeugenaussage des Allgemeinmediziners Dr. R. vom 10.12.2013 und sodann das Gutachten des Internisten und Allergologen Dr. W. vom 25.08.2014 eingeholt. Dr. R. hat angegeben, den Kläger erst seit Juni 2013 wegen Husten bei bestehender Spastik der Atemwege mit Giemen und Brummen zu behandeln. Es erfolge eine Therapie mit "Foster 100/6 Dosieraerosol". Durch die zusätzliche Exposition gegenüber Mehlstäuben komme es zu einer Verschlechterung der Atemsituation. Er hat seiner Auskunft zahlreiche Arztbriefe beigefügt, u.a. den Arztbrief des Dr. Z. vom 17.12.2012, wonach eine berufsbezogene Symptomatik vom Kläger nicht mehr angegeben werde (Bl. 35 SG-Akte). Dr. W. hat ausgeführt, der Kläger habe angegeben, seit Mai 2014 als angestellter Kunststoffgießer zu arbeiten und hierbei keine Atemwegsprobleme zu haben. Im Zeitraum von September 2012 bis Juni 2014 habe er keinen Mehlkontakt gehabt, wobei es trotzdem zu einer Verschlechterung der Beschwerden gekommen sei. Seit dem 16. Lebensjahr rauche er, zur Zeit ca. 10 Zigaretten täglich. Beim Kläger bestehe eine berufsunabhängige ausgeprägte exogene allergische Sensibilisierung gegenüber ubiquitären Aeroallergenen, insbesondere gegenüber Gräser- (Roggen und Lieschgras) und Birkenpollen. Diese Sensibilisierung bestehe unabhängig von der beruflichen Exposition gegenüber Mehlstäuben. Hinweise auf eine obstruktive Atemwegserkrankung bestünden nicht. Die in der Flusskurve festgestellte und bereits vom Vorgutachter bemängelte unzureichende Exspiration mit unzureichendem Kurvenverlauf der Flussvolumenkurve sei willentlich durch den Kläger verursacht und habe sich auch durch eine verbesserte Anleitung nicht normalisieren lassen. Bei der Rhinometrie habe sich eine leichtgradige inspiratorische Flussbehinderung beidseits ohne höhergradige exspiratorische Flussbehinderung gezeigt. Bei der Ergospirometrie habe sich eine Belastungseinschränkung feststellen lassen, die jedoch nicht auf die Atemwegserkrankung zurückführbar sei; limitierend sei die Herzfrequenz gewesen. Bei der vom Kläger angegeben Menge an "Foster" sei davon auszugehen, dass es hierdurch zu einer Tachykardie komme. Möglichweise habe in der Vergangenheit die exogene allergische Sensibilisierung gegenüber ubiquitären Aeroallergenen, insbesondere gegenüber Gräser- (Roggen und Lieschgras) und Birkenpollen zu einer obstruktiven Ventilationsstörung geführt; bei der jetzigen Untersuchung sei diese aber nicht objektivierbar gewesen. Keine der Gesundheitsstörungen seien mit Wahrscheinlichkeit auf die BK zurückzuführen. Angesichts der mittlerweile mehr als 2 Jahre dauernden Karenz gegenüber Mehlstäuben und der vom Kläger geäußerten Beschwerdeintensität und dem Medikamentenbedarf sei davon auszugehen, dass keinerlei Zusammenhang zwischen der vorausgegangenen inhalativen Belastung mit Mehlstäuben und der jetzigen Atemwegserkrankung bestehe. Bis zur Berufsaufgabe im September 2012 habe eine maximale MdE von 10 v.H. bestanden. Es sei davon auszugehen, dass die aktuellen Beschwerden allein durch eine Exposition gegenüber Gräser- und Birkenpollen verursacht seien.

Die Beklagte hat die Stellungnahme der Beratungsärztin Dr. T. vom 31.03.2014 vorgelegt, wonach die von Dr. R. vorgelegten Spirometrien nicht verwertbar seien, da in beiden Fällen die Kurven nicht geschlossen seien. Eine mögliche Ursache könne eine nicht optimale Anleitung oder eine nicht optimale Mitarbeit des Klägers sein. Insofern sei die Medikation des Hausarztes auch nicht nachvollziehbar.

Nachdem der Kläger zu dem Gutachten des Dr. W. - trotz Erinnerung - keine Stellung genommen hatte, hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30.04.2015 (nach vorheriger Anhörung der Beteiligten) abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, zwar sei die BK 4301 von der Beklagten bestandskräftig anerkannt. Dr. W. habe aber nachvollziehbar dargelegt, dass sich durch die Lungenfunktionsprüfung keine obstruktive Atemwegserkrankung nachweisen lasse. Der Kläger habe diese Prüfung - wie auch schon bei Dr. Z. - nicht korrekt durchgeführt. Die Allergie gegen Gräserpollen sei nicht berufsbedingt. Zudem sei der hohe Verbrauch von Asthmaspray nicht erklärbar, worauf auch die Beratungsärztin Dr. T. hingewiesen habe. Der Gerichtsbescheid ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19.05.2015 zugestellt worden.

Hiergegen richtet sich die am 12.06.2015 beim SG zum Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung des Klägers. Zur Begründung führt er aus, es treffe nicht zu, dass seine Beschwerden nicht auf die BK zurückzuführen seien. Dr. R. habe festgestellt, dass sich seine Beschwerden noch verschlimmert hätten. Seine Nase laufe ständig, er sei total verschleimt und seine Augen seien morgens und abends gerötet. Außerdem jucke es ihn überall. Dies gehe den kompletten Tag so. Nachdem er ganzjährig an diesen Beschwerden leide, könne ausgeschlossen werden, dass es sich um eine Allergie gegen Gräserpollen handle. Vielmehr seien dies Auswirkungen der anerkannten BK. Im Übrigen müsse sein neuer Hausarzt Dr. R. als sachverständiger Zeuge gehört werden.

Der Kläger beantragt - sachdienlich gefasst -,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 30.04.2015 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 21.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.07.2013 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der BK Nr. 4301 nach Anlage 1 der BKV eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und verweist auf das Gutachten des Dr. W. und auf die von ihr vorgelegte beratungsärztliche Stellungnahme.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG), ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 21.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.07.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente.

Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, Abs. 4 SGG) ist der Bescheid der Beklagten vom 21.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.07.2013 (§ 95 SGG), wodurch die Beklagte nicht nur über das Vorliegen der BK 4301 entschieden hat, sondern auch über das (Nicht-)Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente.

Gemäß § 26 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte Anspruch auf Entschädigungsleistungen u.a. in Form von Heilbehandlung (§ 27 SGB VII) oder Geldleistungen (Verletztengeld (§ 45 SGB VII) und Rente (§ 56 SGB VII)). Insbesondere nach § 56 Abs. 1 SGB VII erhalten Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, eine Rente. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente; die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern, § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB VII.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d.h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSGE 1, 174, 178; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22). Für die Bewertung einer unfallbedingten MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfall- bzw. Berufskrankheitsfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urt. vom 26.06.1985 - 2 RU 60/84 = SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23 m.w.N.; BSG, Urt. vom 19.12.2000 - B 2 U 49/99 R = HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Folgen des Unfalls oder der Berufskrankheit beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, besitzen aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Urteil vom 05.09.2006, - B 2 U 25/05 R = SozR 4-2700 § 56 Nr. 2; Beschluss vom 22.08.1989, - 2 BU 101/89 = HVBG-Info 1989 S. 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten.

Die von der Beklagten festgestellte BK 4301 und die von ihr festgestellten Folgen begründen zur Überzeugung des Senats keine rentenberechtigende MdE.

Die Beklagte hat als Folge der BK 4301 eine "durch allergisierende Berufsstoffe verursachte Atemwegserkrankung einschließlich Rhinopathie" anerkannt. Die vorbestehende "allergische" Rhinopathie und das Asthma bronchiale bei relevanter Atemwegsallergie auf allgemein verbreitete Allergene (Gräser- und Baumpollen) wurden hingegen von der Beklagten nicht als Folgen der BK anerkannt. Soweit der Kläger im Klage- und Berufungsverfahren die Auffassung vertritt, dass die allergische Rhinopathie und das Asthma bronchiale Folge der anerkannten BK seien, trifft dies zur Überzeugung des Senats nicht zu. Das ergibt sich für den Senat bereits aus dem Arztbrief des Dr. Z. vom 08.03.2010, in dem dieser angegeben hat, dass der Kläger bereits seit etwa 10 Jahren, d.h. seit dem Jahr 2000 an Heuschnupfen leidet. Die Bäckerlehre hat der Kläger aber erst im September 2007 begonnen, was sich aus dem Abgangszeugnis der gewerblichen Berufsschule "Kschule" vom 01.07.2010 ergibt (Bl. 102 VA). Sowohl Dr. H. als auch Dr. W. sind insofern folgerichtig zu der Einschätzung gelangt, dass die allergische Rhinopathie und das Asthma bronchiale bei relevanter Atemwegsallergie auf allgemein verbreitete Allergene (Gräser- und Baumpollen) unabhängig von der BK bestehen.

Die anerkannten Folgen der BK 4301 führen indes zu keiner rentenberechtigenden MdE. Hiervon ist der Senat aufgrund der Beweisermittlungen überzeugt. Dabei stützt sich der Senat im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. H. vom 31.07.2011, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden kann, und auf das Gutachten des Dr. W. vom 25.08.2014. Zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. H. war der Kläger noch als Bäckergeselle beschäftigt, mithin berufsspezifischen Allergenen (Mehlstäuben) ausgesetzt. Der Senat entnimmt diese dem arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 12.10.2011, wonach das Arbeitsverhältnis mit der Vollkornbäckerei XX GmbH zum 31.10.2011 endete. Zudem hat der Kläger gegenüber Dr. W. angegeben, dass er seine Bäckertätigkeit erst im September 2012 aufgegeben hat. Trotz der zum damaligen Zeitpunkt gegebenen Exposition gegenüber Berufsallergenen (Mehlstaub) kam es bei der Untersuchung durch Dr. H. (nach 13-minütiger Exposition gegenüber Weizen- und Roggenmehl) nur zu einer leicht- bis mittelgradigen Bronchialobstruktion, zu einer leichtgradigen respiratorischen Partialinsuffizienz und zu einer behinderten Nasenatmung. Insofern schätzte er die MdE auf unter 20 v.H. Der Senat teilt diese Auffassung, denn sie stimmt mit der Einschätzung in der unfallrechtlichen Literatur überein (vgl. nur SchönXX/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 1072). Dabei hat Dr. H. dargelegt, dass beim Kläger - berufsunabhängig - eine allergische Rhinopathie und ein Asthma Bronchiale bei relevanter Atemwegsallergie auf allgemein verbreitete Allergene (Gräser- und Baumpollen) besteht. Die berufliche Einwirkung von (berufs-)spezifischen Stoffen (Mehlstaub) führt danach zu einer Verschlimmerung der vorbestehenden Allergie. Dies hält der Senat aufgrund der von Dr. H. angegebenen Messergebnisse für nachvollziehbar und schlüssig. Auch Dr. Z. hat in seinem Arztbrief vom 08.03.2010 ausgeführt, dass sich erst im Verlauf der Bäckerlehre die gesundheitlichen Beschwerden des Klägers verschlimmert haben.

Nachdem der Kläger seit September 2012 aber keinen berufsspezifischen, allergieverstärkenden Stoffen ausgesetzt ist, hält es der Senat nicht für nachvollziehbar, dass die vom Kläger behauptete Verschlechterung seiner Symptome auf die bereits anerkannte BK 4301 zurückzuführen ist. Der Senat folgt insoweit der überzeugenden Einschätzung des Dr. W ... Beim Kläger besteht danach eine ausgeprägte exogene allergische Sensibilisierung gegenüber ubiquitären Aeroallergenen, insbesondere gegenüber Gräser- (Roggen und Lieschgras) und Birkenpollen. Dies ist als unabhängig von der beruflichen Exposition gegenüber Mehlstäuben zu bewerten. Dr. W. konnte zum Zeitpunkt seiner Untersuchung auch keine Hinweise auf eine obstruktive Atemwegserkrankung mehr finden. Die in der Flusskurve festgestellte unzureichende Exspiration mit unzureichendem Kurvenverlauf der Flussvolumenkurve ist nach den Angaben des Gutachters willentlich durch den Kläger verursacht und konnte auch durch eine verbesserte Anleitung nicht normalisiert werden. Bei der Rhinometrie hat sich eine leichtgradige inspiratorische Flussbehinderung beidseits ohne höhergradige exspiratorische Flussbehinderung gezeigt. Bei der Ergospirometrie wurde zwar eine Belastungseinschränkung festgestellt. Limitierend war aber allein die Herzfrequenz. Eine obstruktive Ventilationsstörung konnte Dr. W. mithin nicht objektivieren. Angesichts der mittlerweile seit September 2012 andauernden Karenz gegenüber Mehlstäuben und der vom Kläger geäußerten Beschwerdeintensität und dem Medikamentenbedarf teilt der Senat die Auffassung von Dr. W., dass keinerlei Zusammenhang zwischen der vorausgegangenen inhalativen Belastung mit Mehlstäuben und der jetzigen Atemwegserkrankung besteht. Dies wird im Übrigen auch durch den Arztbrief des Dr. Z. vom 17.12.2012 bestätigt, wonach eine berufsbezogene Symptomatik auch vom Kläger nicht mehr angegeben wurde. Insofern konnte Dr. Z. nur ein Asthma bronchiale vom gemischten Typ sowie eine chronische Bronchitis diagnostizieren. Die momentane Atemwegssymptomatik des Klägers wurde als vorwiegend belastungs- (aber eben nicht als berufs-)indiziert beschrieben.

Bis zur Berufsaufgabe im September 2012 hat allenfalls eine MdE 10 v.H. vorgelegen, was sich aus dem Gutachten des Dr. W. ergibt. Insofern hat Dr. W. im Ergebnis auch die Einschätzung von Dr. H. bestätigt, der - bei einer Exposition gegenüber berufsspezifische Stoffen (Mehlstaub) - von einer MdE von unter 20 v.H. ausgegangen ist. Eine solche MdE-Höhe ist jedoch gemäß § 56 Abs. 1 SGB VII nicht rentenberechtigend.

Vor diesem Hintergrund sah der Senat auch keinen Anlass für weitere Ermittlungen von Amts wegen, zumal Dr. R. bereits im Klageverfahren als sachverständiger Zeuge vernommen wurde. Dieser hat in seiner Auskunft vom 10.12.2013 keine Angaben gemacht, die die Einschätzung von Dr. H. und Dr. W. in Frage stellen könnte. Er hat vielmehr angegeben, den Kläger erst seit Juni 2013 wegen Konjunktivitis bei bekanntem Heuschnupfen und Asthma bronchiale zu behandeln. Soweit er davon ausgeht, dass die zusätzliche Exposition gegenüber Mehlstäuben zu einer Verschlechterung der bestehenden Atemsituation führe, so hat dies bereits Dr. H. in seinem Gutachten dargelegt. Seit September 2012 findet aber nach den eigenen Angaben des Klägers eine derartige Exposition nicht mehr statt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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