L 10 U 341/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 U 1824/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 341/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 17.12.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von Verletztenrente aufgrund des Arbeitsunfalls vom 02.08.2010.

Der 1961 geborene Kläger erlitt im Laufe der vergangenen Jahre wiederholt Unfälle mit Schädel- bzw. Halswirbelsäulen-(HWS)-Beteiligung, so 1976 (damalige Diagnose u.a. Commotio cerebri, Nasenbeinfraktur, vgl. D-Arztbericht des Dr. P. , Bl. 38 VA), 1984 (Diagnose: leichte Schädelprellung mit Platzwunde, D-Arzt Dr. D. , Bl. 44 VA) und 1997 (Diagnose: u.a. Platzwunde am Kinn, kein Anhalt für Commotio cerebri, Dr. R. , D-Arzt, Bl. 49 VA).

Am 02.08.2010 stieß der Kläger im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit bei der Firma G. AG, während er einen Luftverteiler reinigen wollte, mit dem Kopf an eine Metallverstrebung (Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 06.08.2010, Bl. 1 VA). Der D-Arzt Dr. R. im Krankenhaus Eberbach diagnostizierte im Zuge der Erstversorgung am 02.08.2010 beim Kläger eine Commotio cerebri sowie eine Schürfwunde links parietal (D-Arztbericht vom 03.08.2010, Bl. 1a VA). Im Bericht über die am 02.08.2010 durchgeführte Computertomographie des Schädels wurde von einem unauffälligen Schädel-CT, insbesondere ohne Hinweis für Blutungen oder Infarktzeichen, berichtet. Während der stationären Krankenhausbehandlung des Klägers erfolgte am 04.08.2010 eine nervenärztliche Untersuchung durch Dr. W. mit MRT-Bildgebung. Dr. W. berichtete von einem neurologisch unauffälligen Befund mit Ausnahme einer Bewegungseinschränkung der HWS bei schon seit längerer Zeit eingeschränkter Beweglichkeit der HWS und einer fraglichen Aggravation (Bl. 72 f. VA). Insgesamt, so Dr. W. , bestehe beim Kläger ein Zustand nach leichtgradiger Commotio cerebri ohne Hinweise auf gravierendere Traumafolgen auf neurologischem Fachgebiet. Eine am 11.08.2010 durchgeführte Untersuchung in der HNO-Klinik des Universitätsklinikum H. ergab keinen Anhalt für einen peripher-vestibulären Schwindel oder für eine Contusio labyrinthi (Bl. 71 VA). Der Nervenarzt Dr. B. veranlasste am 18.08.2010 unter der Verdachtsdiagnose einer organischen Hirnschädigung (Bl. 56 VA) eine Vorstellung beim Neurochirurgen der Notfallambulanz in Heidelberg. Der dortige Neurochirurg Dr. O. stellte einen - abgesehen von einer diskreten Gangunsicherheit ohne Fallneigung - unauffälligen neurologischen Befund fest (Bl. 57 und 106 f. VA). In psychischer Hinsicht könne er eine Aggravation, Simulation oder ein hirnorganisches Psychosyndrom nicht sicher ausschließen. Er stellte die Diagnose einer Schädelprellung und Commotio labyrinthi. Ein schwerwiegendes Schädelhirntrauma liege nicht vor, mit Folgeschäden sei nicht zu rechnen. Eine neurochirurgische Behandlungsindikation bestehe nicht. Im Oktober 2010 erfolgte eine weitere radiologische Untersuchung des Klägers im Radiologiezentrum K. durch Dr. F. (Bl. 165 ff. VA). Der Kläger sei als Fahrer im Zuge eines Frontalunfalls mit einem PKW vom Typ Kombi zusammengestoßen und habe dabei seinen Kopf im Fahrzeuginneren angeschlagen. Mit den in der Funktions-CT nachgewiesenen Bewegungseinschränkungen sei die Existenz einer sogenannten funktionellen Kopfgelenksstörung erwiesen. Dies sei nach einem durchgemachten Beschleunigungstrauma der HWS auch kein Einzelfall. In zwei beigezogenen Stellungnahmen berichteten die HNO-Ärztin Dr. A.-W. (Bl. 214 VA) und der HNO-Arzt Dr. S. (Bl. 216 ff. VA) über Konsultationen des Klägers im Oktober 2009 (Dr. A.-W. ) bzw. in 2005, 2008 und 2009 (Dr. S. ) aufgrund eines beidseitigen Tinnitus. Dabei berichtete der Kläger gegenüber Dr. S. über eine sehr hohe Belastung durch den Tinnitus; Dr. S. diagnostiziere einen Tinnitus Grad II im oberen Bereich. Gestützt auf eine ambulante Untersuchung des Klägers im Januar 2011 erstattete Dr. H. , Facharzt für u.a. HNO-Heilkunde, einen HNO-ärztlichen Untersuchungsbericht (Bl. 201 ff. VA). Für die vorgebrachten Schwindelbeschwerden, so Dr. H. , hätte sich kein morphologisches Korrelat gefunden. Insgesamt erscheine die Untersuchung durch Verdeutlichungstendenzen des Klägers erheblich verfälscht, welche ihre Ursache in einer psychosomatisch-psychiatrischen Erkrankung haben könnten.

Gestützt auf eine ambulante Untersuchung des Klägers im Mai 2011 erstattete dann Dr. H. , Ärztin für Neurologie und Psychiatrie ein neurologisch-psychiatrisches Fachgutachten (Bl. 290 ff. VA). In der Zusammenschau der Vorgeschichte sei festzuhalten, dass beim Kläger bereits seit vielen Jahren immer wieder psychische Befindlichkeitsstörungen aufgetreten seien. Nach ihrer Einschätzung liege beim Kläger eine Konversionsstörung vor, die sich auf dem Boden einer primär erhöhten psychischen Vulnerabilität entwickelt habe. Die vorliegende Symptomatik habe sich aufgrund wunschbedingter unbewusster Vorstellungen des Klägers entwickelt, weshalb ein überzeugender Ursachenzusammenhang mit dem Unfallereignis nicht angenommen werden könne. Eine substantielle Hirnläsion habe ausgeschlossen werden können. Es bestünden keinerlei Hinweise für eine organische Hirnschädigung. Der Facharzt für u.a. HNO-Heilkunde Dr. Z. erstattete anschließend aufgrund ambulanter Untersuchung im Juli 2011 ein Gutachten auf hno-ärztlichem Gebiet (Bl. 373 ff VA). Der Kläger klage posttraumatisch über die Zunahme eines Ohrgeräusches und insbesondere über Schwindelbeschwerden. Allerdings lasse sich einem vom Kläger zur Untersuchung mitgeführten Krankheitsbericht der Dres. B. , Fachärzte für Allgemeinmedizin (Bl. 383 VA), entnehmen, dass der Kläger seit Juli 2005 über einen zunehmenden Tinnitus, zunehmende Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen klage. Für die vom Kläger behauptete posttraumatische Zunahme des Tinnitus fehle es an einem fassbaren morphologischen Korrelat. Folge man dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten von Frau Dr. H. , so seien die demonstrierten Beschwerden psychischer Natur. Eine unfallbedingte Verschlimmerung könne hno-ärztlich daher nicht festgestellt werden.

Mit Bescheid vom 07.10.2011 anerkannte die Beklagte den Unfall vom 02.08.2010 als Arbeitsunfall. Anerkannt würden als Folgen des Arbeitsunfalls eine Gehirnerschütterung sowie eine Schürfwunde am Kopf; nicht anerkannt würden dagegen, weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung, eine Hörminderung beidseits, ein Tinnitus beidseits, Sehstörungen, Schwindelbeschwerden mit Gangstörung, Konversionsstörung. Ein Anspruch auf Rente bestehe nicht. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2012 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 06.06.2012 Klage beim Sozialgericht Mannheim erhoben und die Gewährung einer Verletztenrente begehrt. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 17.12.2013 abgewiesen. Es hat sich dabei im Wesentlichen auf die Beurteilungen durch die beiden Gutachter Dr. H. und Dr. Z. gestützt.

Gegen das dem Kläger am 27.12.2013 zugestellte Urteil hat dieser am 24.01.2014 Berufung eingelegt und vorgetragen, er habe sehr wohl einen nennenswerten Unfall mit einer Commotio als Unfallfolge erlitten, als er sich den Kopf an einem Pfosten gestoßen habe. Dass das Gehirn bei dem Kopfstoß dabei gewissermaßen "hin- und hergeschwappt" sei, könne die Beklagte nicht bestreiten. Jedenfalls sei eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) plausibel und nicht auszuschließen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Mannheim vom 17.12.2013 und des Bescheides vom 07.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2012 zu verurteilen, ihm Verletztenrente aufgrund des Arbeitsunfalls vom 02.08.2010 zu zahlen,

hilfsweise ein Gutachten von Amts wegen bei Dr. M. , Universitätsklinikum Jena,

höchst hilfsweise ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei Prof. Dr. B. , Institut für Biomechanik und Orthopädie K. , einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers gemäß § 109 SGG hat der Senat ein neurologisches Gutachten bei Dr. M. , Facharzt für Neurologie, eingeholt. Dieser hat beim Kläger aufgrund ambulanter Untersuchung im November 2014 eine Somatisierungsstörung diagnostiziert, die "sicherlich nicht" durch das Kopf-Anprall-Trauma im Rahmen des Unfalls vom 02.08.2010 verursacht worden sei. Der Kläger hat gegen das Gutachten des Dr. M. die aus Bl. 131a bis 145a LSG-Akte ersichtlichen Einwände erhoben bzw. Ergänzungen geltend gemacht und eine "Gegendarstellung" des Facharztes für Innere Medizin und Umweltmedizin Dr. K. , Diagnostik- und Therapiezentrum für Umweltmedizinische Erkrankungen, vom Januar 2015 vorgelegt (vgl. zu den Einzelheiten Bl. 146a ff. LSG-Akte).

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die Klage, gerichtet auf die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund des Arbeitsunfalls vom 02.08.2010, ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig. Sie ist indes unbegründet. Die Beklagte hat zu Recht mit den angefochtenen Bescheiden vom 07.10.2011 und 07.05.2012 die Zahlung einer Verletztenrente abgelehnt, weil die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vom Hundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).

Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

Vorliegend steht aufgrund insoweit bestandskräftiger Entscheidung der Beklagten vom 07.10.2011 fest, dass der Kläger am 02.08.2010 einen Arbeitsunfall erlitt. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers war indes infolge dieses Arbeitsunfalls nicht über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert. Der Kläger zog sich nämlich beim Arbeitsunfall (lediglich) eine leichte Gehirnerschütterung mit einer Schürfwunde am Kopf zu, die indes binnen weniger Wochen ausheilte und keine MdE begründet. Die vom Kläger geltend gemachten weiteren Beschwerden können indes nicht auf den Arbeitsunfall zurückgeführt werden. Dies entnimmt der Senat den Gutachten von Dr. H. und Dr. Z ...

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Der Kläger selbst führt eine Vielzahl an Beschwerden auf das Unfallereignis zurück (vgl. zu den Einzelheiten die vom Kläger vor der Untersuchung bei Dr. M. vorgelegte vierseitige Beschwerdeliste vom 21.11.2014, Bl. 94 ff. LSG-Akte). Im Vordergrund stehen aus Klägersicht Kopfschmerzen mit den vom Kläger geltend gemachten Folgeerscheinungen, ein immerwährendes "dröhnendes Pfeifen in den Ohren", ein ständiger Schwindel und neurologische Auffälligkeiten. Zur Überzeugung des Senats sind diese Beschwerden indes auf eine Konversionsstörung (so Dr. H. ), gegebenenfalls im Sinne einer somatoformen Störung (so Dr. M. ), zurückzuführen. Dr. H. - wie im Ergebnis auch Dr. M. - verweist zutreffend auf das Fehlen jedweder Hinweise für ein morphologisches Korrelat der beklagten Störungen und zieht daraus nachvollziehbar den Schluss auf eine dissoziative Störung, begründet in der primären Persönlichkeitsproblematik des Klägers. Tatsächlich ergab die umfassende, unmittelbar nach dem Arbeitsunfall stattgehabte Diagnostik mit klinischen, MRT-, röntgenologischen und CT-Untersuchungen keinen morphologischen Befund, der mit den beklagten Beschwerden korrelieren würde. So stellte der D-Arzt Dr. R. unmittelbar nach dem Unfallgeschehen kein fokales neurologisches Defizit fest und blieb die Schädel-CT vom 02.08.2010 unauffällig. Die am Folgetag stattgehabte kernspintomographische Untersuchung des Kopfes des Klägers ergab gleichfalls keine Anhaltspunkte für eine traumatische Schädigung, sondern (nur) einen mit einem alten Defekt zu vereinbarenden Befund. In Übereinstimmung mit Dr. R. gelangte auch Dr. W. bei im Wesentlichen unauffälligem neurologischen Befund zur Diagnose eines Zustands nach leichtgradiger Gehirnerschütterung ohne Hinweise auf gravierendere Traumafolgen. Ebenso brachte auch eine Vorstellung des Klägers in der HNO-Klinik des Universitätsklinikums H. im Rahmen der stationären Behandlung keinen Hinweis auf Verletzungsfolgen. Allerdings äußerte Dr. B. im August 2010 den Verdacht auf eine organische Hirnschädigung zusätzlich zur Gehirnerschütterung. Die von ihm daraufhin veranlasste Vorstellung in der Neurochirurgischen Klinik des Universitätsklinikums H. führte indes wiederum (nur) zur Diagnose einer Schädelprellung und Commotio labyrinthi. Ein schwerwiegendes Schädelhirntrauma wurde dagegen ausdrücklich verneint, ebenso wie Folgeschäden. Die Diagnose einer Contusio labyrinthi wurde indes im Rahmen der umfassenden Abklärung in der HNO-Klinik im August 2010 mangels Anhalt verworfen. Zwar sprach Dr. F. , Radiologiezentrum K. , im Oktober 2010 bei ansonsten unauffälligem Befund, insbesondere unauffälliger Kernspintomographie des Gehirns von einer im Funktions-CT nachgewiesenen Bewegungseinschränkung im Sinne einer sogenannten funktionellen Kopfgelenksstörung. Hierbei fällt aber auf, dass Dr. F. diese Kopfgelenksstörung als Folge eines vom Kläger durchgemachten Beschleunigungstrauma der HWS sah. Hierzu passend legte Dr. F. ausweislich seines Arztbriefes auch einen vom tatsächlichen Unfallereignis vollständig abweichenden Unfallhergang, nämlich einen Frontalzusammenstoß zweier Kraftfahrzeuge mit dem Kläger als Insasse, der sich den Kopf im Fahrzeuginneren angeschlagen und dabei ein Beschleunigungstrauma der HWS erlitten habe, zugrunde. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich Dr. F. mit dem von ihm angenommenen Unfallhergang auf den vom Kläger 1976 erlittenen Fahrradunfall (damals Aufprall auf einen PKW Kombi) bezog. Jedenfalls beim hier streitigen Arbeitsunfall im August 2010 erlitt der Kläger kein Beschleunigungstrauma der HWS, weshalb die von Dr. F. angenommene funktionelle Kopfgelenksstörung - ungeachtet der Relevanz einer solchen Diagnose - jedenfalls auch nach Einschätzung des Dr. F. nicht auf den hier streitigen Arbeitsunfall zurückgeführt werden kann. Letztlich verneinten auch Dr. H. in seinem Untersuchungsbericht vom Januar 2011 und Dr. Z. in seinem Gutachten ein morphologisches Korrelat für die vom Kläger beklagten Beschwerden auf HNO-Gebiet, insbesondere die Schwindelbeschwerden, und erachteten allenfalls eine psychosomatisch-psychi¬at¬¬rische Genese der Beschwerden des Klägers für möglich. Die hno-ärztlichen Befunde wie auch die sonstigen medizinischen Untersuchungsbefunde ergaben, so Dr. Z. , bei zwar grundsätzlich geeignetem ohrnahem Trauma keinen fassbaren traumabedingten Organschaden, der die Beschwerden des Klägers, insbesondere die Gleichgewichtsstörung und den zunehmenden Tinnitus als im Wesentlichen unfallbedingt erklären könnte. Dabei ist zu beachten, so Dr. Z. , dass der Tinnitus schon prätraumatisch bestand. So berichteten die Drs. B. in einem "Krankheitsbericht" vom Juli 2011 über einen seit Juli 2005 zunehmenden Tinnitus. Aber auch für die vom Kläger behauptete Zunahme des Tinnitus seit dem Arbeitsunfall fehlt, so Dr. Z. , ein fassbares morphologisches Korrelat, so dass auch insoweit nur eine psychosomatisch-psychiatrische Genese in Betracht kommt.

Die mangels eines morphologischen Korrelats, insbesondere einer fehlenden organischen Hirnläsion als Ursache für die Beschwerden bzw. deren Verstärkung einzig in Frage kommende psychische Erkrankung kann nicht wesentlich auf den Arbeitsunfall zurückgeführt werden, so zutreffend Dr. H ... Vielmehr lag beim Kläger schon seit vielen Jahren eine erhöhte psychische Vulnerabilität mit der Neigung zu depressiven Episoden und zur körperlichen Symptombildung vor. Das bei der früheren Krankenkasse des Klägers, der S. BKK, angeforderte Vorerkrankungsverzeichnis für den Zeitraum 1998 bis 2006 weist eine depressive Episode 2003 mit zehn Tagen Arbeitsunfähigkeit, eine Dysthymie 2005 mit 15 Tagen Arbeitsunfähigkeit und nochmals eine depressive Episode 2006 mit neun Tagen Arbeitsunfähigkeit auf (Bl. 15 ff VA). Eine erhöhte psychische Vulnerabilität belegte Dr. H. eindrucksvoll auch durch die Auswertung der Entlassungsberichte über die stattgehabten stationären Reha-Maßnahmen auf psychosomatischem Gebiet (vgl. Bl. 313 ff VA). So befand sich der Kläger bereits 1996 sechs Wochen stationär in der Psychosomatischen Klinik St. B. bei Diagnose eines chronischen Schmerzsyndroms vor dem Hintergrund eines depressiven Erschöpfungszustandes. Im März 2005 erfolgte dort ausweislich des Entlassungsberichts der Psychosomatischen Klinik St. B. vom Mai 2005 eine neuerliche Aufnahme aufgrund verschiedener körperlicher Beschwerden wie Kopfschmerzen, Halsproblemen, Schlafproblemen etc. unter der Diagnose einer Somatisierungsstörung und Dysthymia bei seit mehreren Jahren anhaltender Neigung zu depressiven Verstimmungen. Eine weitere stationäre Behandlung erfolgte im Herbst 2007 in der Psychosomatischen Klinik Bad N ... Aufnahmegrund waren diesmal Depressionen, Angstzustände sowie Schlafprobleme. In der Zusammenschau der Vorgeschichte ist damit, so Dr. H. , festzuhalten, dass bei dem Kläger bereits seit vielen Jahren immer wieder psychische Befindlichkeitsstörungen auftraten. Diese umfassten zum einen depressive Symptome mit Erschöpfungszuständen, zum anderen jedoch auch wechselnde körperliche Beschwerden. Während es dem Kläger in der Vergangenheit regelmäßig gelang, trotz seiner Beschwerden an den Arbeitsplatz zurückzukehren und sowohl beruflich als auch im Alltag zu "funktionieren", verursachte der Arbeitsunfall vom August 2010 eine Dekompensation mit der Entwicklung einer Fülle von Beschwerden ohne organisch überzeugende Erklärungen. Vor dem Hintergrund der in der Mehrzahl der Arztberichte anklingenden deutlich ausgestaltet dargebotenen Symptomatik, welche auch Dr. H. selbst im Rahmen ihrer Untersuchung feststellte und die auch Dr. M. bestätigt hat, gelangte Dr. H. schlüssig und nachvollziehbar zur Diagnose einer Konversionsstörung, die sich auf dem Boden einer primär erhöhten psychischen Vulnerabilität entwickelte. Das Unfallereignis brachte danach das bereits jahrelang vorliegende fragile psychische Gleichgewicht des Klägers zur Dekompensation; gleichzeitig bot der Unfall dem Kläger eine umfassende Regressionsmöglichkeit, so Dr. H ...

Wenngleich das Unfallereignis im naturwissenschaftlichen Sinne ursächlich für eine neuerliche psychische Dekompensation des Klägers ist, kann diese Konversionsstörung dennoch nicht wesentlich auf das Unfallereignis zurückgeführt werden.

Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, auch zum gesamten Nachfolgenden). Sozialrechtlich ist allein relevant, ob (auch) das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache - hier die Persönlichkeitsstruktur des Klägers mit seiner Erwartungshaltung - es war, ist unerheblich. Wesentlich ist nicht gleichzusetzen mit gleichwertig oder annähernd gleichwertig. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange keine andere Ursache überragende Bedeutung hat. Ist jedoch eine Ursache gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist nur die erstgenannte Ursache wesentlich und damit Ursache im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als wesentlich anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als Gelegenheitsursache oder Auslöser bezeichnet werden.

Bei dem Unfallereignis handelte es sich im Hinblick auf die eingetretene Konversionsstörung um einen Bagatellunfall, der als auslösender Faktor ersetzbar ist, so Dr. H ... Aufgrund der primären Persönlichkeitsproblematik des Klägers mit einer erhöhten Irritierbarkeit, einer Neigung zu Depressionen und zur körperlichen Symptombildung sowie einer schizoiden und narzisstischen Persönlichkeitsakzentuierung lag beim Kläger demnach eine derart leicht ansprechbare psychische Vulnerabilität vor, dass das Unfallereignis einen beliebig austauschbaren "Trigger" für die Entwicklung der Symptomatik bot, so zutreffend Dr. H ... Das Unfallereignis erlaubte dem Kläger die Möglichkeit einer Regression. So etablierte sich in der Folgezeit ein "Versorgungsnetz" durch Freunde und Bekannte, die für den Kläger einkaufen gehen, für ihn kochen, putzen und ihn zu Terminen begleiten. Die vorliegende Symptomatik entwickelte sich danach - so Dr. H. - aufgrund unbewusster wunschbedingter Vorstellungen des Klägers auf dem Boden der primär erhöhten psychischen Vulnerabilität. Von entscheidender Bedeutung für die weiterhin progrediente Symptomatik im Rahmen der Konversionsstörung einschließlich einer Verstärkung des Tinnitus und der Schwindelsensationen ist danach die erhöhte psychische Vulnerabilität des Klägers in Verbindung mit seinen wunschbedingten, wenngleich bewusstseinsfernen Vorstellungen.

Damit traten wunschbedingte Vorstellungen des Klägers neben den eigentlichen Arbeitsunfall als gleichermaßen naturwissenschaftliche Ursache dieser Gesundheitsstörung. Diese wunschbedingten Vorstellungen sind deshalb als konkurrierende Ursache anzusehen (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Allerdings können derartige wunschbedingte Vorstellungen des Versicherten nach einem Arbeitsunfall keinen wesentlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und nun bestehenden psychischen Gesundheitsstörungen begründen (BSG, a.a.O.; BSG, Beschluss vom 19.05.2000, B 2 U 138/00 B). Sie stehen vielmehr der Bejahung eines wesentlichen Ursachenzusammenhangs zwischen versichertem Arbeitsunfall und der psychischen Störung entgegen. Denn nach dem Unfall verblieben tatsächlich - wie dargelegt - keine dauerhaften körperlichen Unfallfolgen. Der Ursachenbeitrag des versicherten Unfalls am Entstehen der Konversionsstörung beschränkt sich somit auf die Tatsache, dass überhaupt ein Arbeitsunfall passierte. Es entstand dann die Vorstellung des Klägers, all seine Beschwerden seien unfallbedingt und müssten entschädigt werden. Bloße Vorstellungen über das Vorliegen von zu entschädigenden Unfallfolgen aber sind keine versicherte Ursache in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die sich hieraus entwickelnde psychische Störungen beruhte dann - so Dr. H. - wesentlich auf diesen Wunschvorstellungen, sodass eine Entschädigung hierfür ausgeschlossen ist (BSG, Beschluss vom 19.05.2000, B 2 U 138/00 B). Dem Unfallereignis kommt vor diesem Hintergrund nur die Qualität einer Gelegenheitsursache zu.

Eine hiervon abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aufgrund des auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers eingeholten neurologischen Gutachtens des Dr. M ... Dieser ist vielmehr zu einer mit den Vorgutachtern, so explizit der Sachverständige, übereinstimmenden Beurteilung gelangt. Auch aus seiner Sicht liegen keine Befunde vor, die insbesondere eine schwere Gleichgewichtsstörung oder eine hirnorganische Beeinträchtigung als Folge des Arbeitsunfalls vom August 2010 plausibel begründen könnten. Vielmehr hat Dr. M. als Arzt des Vertrauens des Klägers bei diesem (lediglich) eine Somatisierungsstörung bejaht, welche die vom Kläger beklagte Symptomatik umfänglich erklärt. Dabei, so der Sachverständige, entspricht die vom Kläger beklagte Beschwerdesituation lehrbuchartig dem Krankheitsbild einer Somatisierungsstörung; so existiert praktisch kein Organ, welches nicht mit mindestens einem Symptomenkomplex belegt wäre. Diese Somatisierungsstörung, so auch der Sachverständige, kann dabei nicht auf das erlittene Kopftrauma zurückgeführt werden. Soweit der Kläger gegen dieses Gutachten Einwände erhoben und insbesondere eine so genannte Gegendarstellung des Dr. K. vorgelegt hat, sieht der Senat vorliegend kein Anlass dazu, sich damit auseinandersetzen. Denn der Senat stützt sich in seiner Entscheidung gerade nicht auf das Gutachten des Dr. M. , sondern wie ausführlich dargelegt, auf das Gutachten von Dr. H. , welches aber nicht Gegenstand der genannten Einwände und der Gegendarstellung ist. Eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme des Dr. M. zu den gegen dessen Gutachten vorgebrachten Einwänden hat der Kläger nicht beantragt.

Eine vom Kläger weiterhin geltend machte PTBS liegt nicht vor. Eine solche Gesundheitsstörung wurde von keinem der mit ihm befassten Ärzte diagnostiziert. Anhaltspunkte für eine solche PTBS aus Anlass des Unfalls am 02.08.2010 haben auch die beiden Sachverständigen auf nervenärztlichem bzw. neurologischem Gebiet nicht festgestellt.

Den Hilfsantrag des Klägers auf gutachterliche Beauftragung des Dr. M. von Amts wegen lehnt der Senat ab. Aus Sicht des Senats ist der Sachverhalt aufgeklärt. Insbesondere sind keine Gründe für die begehrte gutachterliche biomechanische Klärung einer Geeignetheit des Arbeitsunfalls für die Herbeiführung eines Hirntraumas schwerer Art gegeben. Denn ungeachtet einer solchen möglichen Geeignetheit - die im Übrigen Dr. Z. zumindest teilweise bejahte - steht vorliegend fest, dass sich ein schweres Gehirntrauma gerade nicht eingestellt hat.

Den weiteren Hilfsantrag auf Anhörung des Professor Dr. Gert B. , Institut für Biomechanik und Orthopädie K. , gemäß § 109 SGG lehnt der Senat gleichfalls ab. Denn § 109 SGG räumt lediglich das Recht auf gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes ein. Ungeachtet des Hinweises des Senats auf die Beschränkung des § 109 SGG auf Ärzte bezüglich Dr. M. hat der Kläger neuerlich einen Nichtmediziner benannt. Denn der Professor für Biomechanik Dr. B. , Leiter des Instituts für Biomechanik und Orthopädie an der D. Sporthochschule K. , ist kein Arzt, sondern hat (ausweislich seines allgemein einsehbaren Lebenslaufes) Mathematik, Bewegungswissenschaften und Biomechanik an den Universitäten M. und F. studiert und 1980 an der Universität F. in Biomechanik promoviert. Im Übrigen muss einer wiederholten Antragstellung nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG nur gefolgt werden, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen. Ein besonderer Umstand kann darin liegen, dass es sich bei den Ärzten jeweils um Spezialisten handelt, wobei jeder für sein Sachgebiet Stellung nehmen soll. Sind für einzelne Gesundheitsstörungen mehrere Facharztgruppen zuständig, kann aber nicht pauschal vorgebracht werden, ein Vertreter der jeweils anderen Facharztgruppen verfüge über eine größere Sachkunde, vielmehr muss im Einzelfall dargetan werden, warum der neue Gutachter in dem konkreten Fall zusätzliche entscheidende Erkenntnisse vorbringen kann. Obgleich der Senat bereits zum Ausdruck gebracht hat, dass er angesichts des auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers eingeholten Gutachtens des Dr. M. von einer Erschöpfung des Antragsrechts nach § 109 SGG ausgeht, hat der Kläger seinen Antrag auf Anhörung des Professor Dr. B. nicht begründet, insbesondere keine besonderen Umstände für die begehrte wiederholte Begutachtung nach § 109 SGG benannt. Solche Umstände sind hier auch nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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