L 4 P 1171/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 19 P 2238/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 1171/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X setzt voraus, dass der vorrangig verpflichtete Leistungsträger bereits zum Zeitpunkt der Leistungserbringung durch den nachrangig verpflichteten Leistungsträger gegenüber dem Leistungsempfänger leistungsverpflichtet war. Dies wiederum setzt einen Leistungsantrag des Leistungsempfängers oder nach § 95 Satz 1 SGB XII des erstattungsberechtigten Trägers der Sozialhilfe voraus, sofern ein solcher Leistungsantrag materielle Anspruchsvoraussetzung ist (entgegen BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2014 – 5 C 8/13 – juris).
2. § 95 Satz 2 SGB XII macht einen materiell notwendigen Leistungsantrag nicht entbehrlich.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. Februar 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert für das Verfahren in beiden Rechtszügen wird endgültig auf EUR 4.510,83 festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Leistungen zur stationären Pflege.

Die Klägerin ist Träger der Sozialhilfe. Die Beklagte ist Trägerin der sozialen Pflegeversicherung. Der bei der Beklagten pflegeversicherte, am 1990 geborene L. M. (nachfolgend: Leistungsempfänger) ist seit April 1995 pflegebedürftig und seit dem 28. August 2000 in der H., einem Heim für Mehrfachbehinderte in H., stationär untergebracht. Der Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern (Landessozialamt), heute Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg trug als Träger der überörtlichen Sozialhilfe seitdem die Kosten für Betreuung und Pflege im Rahmen der Eingliederungshilfe (Bescheid vom 8. August 2000). Die Zuständigkeit ging am 1. Januar 2005 auf die Klägerin über; seitdem trug sie diese Kosten. Die Beklagte übernahm auf Antrag des Landeswohlfahrtsverbandes Württemberg-Hohenzollern (Landessozialamt) vom 13. September 2000 nach § 43a Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) zehn Prozent des nach § 75 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) vereinbarten Heimentgelts (Bescheid der Beklagten vom 14. September 2000). Seit dem 8. September 2008 wohnt der Leistungsempfänger im Haus E., der Pflegeabteilung der H ...

Die Trägerin der H., die Z. Anstalten Behinderten gGmbH, schloss am 21. Februar 2011 mit Wirkung ab dem 1. Februar 2011 unter anderem mit der Beklagten einen Versorgungsvertrag nach § 72 SGB XI, aufgrund dessen die H. (Pflegeabteilung Haus E.) seither zur stationären Versorgung Pflegebedürftiger zugelassen ist. Mit dem Leistungsempfänger wurde kein Heimvertrag abgeschlossen.

Mit Schreiben vom 18. Juli 2011, das bei der Beklagten am 2. August 2011 einging, beantragte die Klägerin nach § 95 SGB XII für den Leistungsempfänger Pflegeleistung für vollstationäre Pflege nach § 43 SGB XI ab dem Zeitpunkt der Zulassung der H. als stationäre Pflegeeinrichtung im Sinne des § 71 Abs. 2 SGB XI. Bis zu einer Entscheidung über die Leistungspflicht leiste sie die notwendigen Pflegeleistungen auf Grund von § 92 SGB XII vor. Erstattungsansprüche nach § 102 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mache sie hiermit geltend.

Mit Bescheid vom 10. November 2011 bewilligte die Beklagte dem Leistungsempfänger Leistungen für stationäre Pflege nach Pflegestufe III ab dem 18. Juli 2011 bis zu einem Gesamtwert von EUR 1.510,00 je Kalendermonat. Zugleich informierte die Beklagte die Klägerin über diese Entscheidung mit Schreiben vom 10. November 2011. Sie erklärte sich in der Folgezeit auch gegenüber der Klägerin bereit, diese Leistung ab dem 1. Juli 2011, Beginn des Monats der Antragstellung, zu übernehmen (Schreiben vom 5. Juni 2012).

Mit Schreiben vom 15. Juni 2012 bat die Klägerin die Beklagte um Erstattung der Pflegeleistungen rückwirkend ab dem 1. Februar 2011 bis zum 30. Juni 2011.

Mit Schreiben vom 23. August 2012 erläuterte die Beklagte der Klägerin ihre Rechtsauffassung. Die Leistungserbringung ihrerseits sei von einer Antragstellung abhängig. Maßgebend für die Berechnung des veränderten Leistungsanspruches sei daher das Antragsschreiben vom 18. Juli 2011. Der Zeitpunkt der Zulassung der Pflegeeinrichtung habe nur eine untergeordnete Bedeutung. Die Leistung der vollstationären Pflege könne erst ab dem Monat der Antragstellung, also ab dem 1. Juli 2011 von ihr übernommen werden. In Folge dessen sei ihr Erstattungsanspruch bereits maximal von ihr befriedigt worden. Ein darüber hinausgehende Erstattung sei nicht möglich.

Die Klägerin erwiderte mit Schreiben vom 18. Dezember 2012. Sie könne sich mit der Entscheidung nicht einverstanden erklären. Die Beklagte habe den Versorgungsvertrag nach § 72 SGB XI für die H. mit unterzeichnet. Der Vertrag sei am 1. Februar 2011 in Kraft getreten und regele die Versorgung von versicherten Pflegebedürftigen in diesem Pflegeheim. Der Leistungsempfänger habe bereits in dieser Pflegeabteilung gelebt. Das heißt, er sei von Anfang an dort Bewohner des Pflegeheimes gewesen. Es habe also weder eine Verlegung noch ein Umzug des Leistungsempfängers stattgefunden. Der Leistungsempfänger habe bereits vor dem 1. Februar 2011 Leistung der Pflegeversicherung nach Pflegestufe III nach § 43a SGB XI erhalten. Das Ausmaß seiner Pflegebedürftigkeit sei der Beklagten daher bereits zum Zeitpunkt der Umstatuierung der Einrichtung in ein Pflegeheim bekannt gewesen. Dennoch habe die Beklagte es versäumt, den Leistungsempfänger über die ihm zustehenden höheren Leistungsansprüche zu informieren. Diese fehlende Beratung, zu der die Beklagte nach § 7 Abs. 2 SGB XI verpflichtet gewesen sei, hielte sie – die Beklagte – nun dem Leistungsempfänger und ihr – der Klägerin – vor und verwehrten zustehende höhere Leistungen. Dieser Ablauf sei geradezu widersinnig, weil damit der Leistungsempfänger wegen eines Beratungsfehlers seitens der Beklagten die Nachteile zu tragen habe. Der Leistungsgewährung nach § 43a SGB XI habe ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zu Grunde gelegen. Deshalb gelte hier "§ 43 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X" (gemeint wohl § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X), so dass die Änderung zu Gunsten des Betroffenen von der Beklagten ab Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse (1. Februar 2011) vorgenommen werden sollte. Hier könne nichts anderes gelten als das Bundessozialgericht (BSG) für die Träger der Sozialhilfe in seinem Urteil vom 2. Februar 2012 (B 8 SO 5/10 R – in juris) entschieden habe. Im Bereich der Erstattungsansprüche nach § 103 SGB X könne die Beklagte zwar die verfahrensrechtliche Einwendung, dass der erforderliche Antrags seitens des Leistungsberechtigten nicht gestellt worden sei, vorbringen. Dieser Einwand sei jedoch in ihrem Fall nicht möglich, da ihr als vorleistenden Träger ein eigenständiges Antragsrecht nach § 95 SGB XII zustehe. Sie bat um Erstattung eines Betrages von EUR 4.558,16.

Die Beklagte lehnte die Erstattungsforderung mit Schreiben vom 26. Februar 2013 ab. Allein der Abschluss des Versorgungsvertrages nach § 72 SGB XI führe nicht zu ihrer Kenntnis, dass der Leistungsempfänger dort aufgenommen worden sei. Zum Versorgungsvertrag sei auch der Rahmenvertrag für vollstationäre Pflege gemäß § 75 Abs. 1 SGB XI bindend. In § 12 Abs. 2 des Rahmenvertrages sei klar geregelt, dass das Pflegeheim die zuständige Pflegekasse unverzüglich über die Aufnahme und die Entlassung des Pflegebedürftigen zu unterrichten habe. Eine solche Mitteilung sei nicht eingereicht worden. Die Leistungserbringung der Pflegekasse sei von einer Antragstellung abhängig. Diese sei mit Schreiben vom 18. Juli 2011 erfolgt. Vor diesem Hintergrund habe im Februar 2011 kein Beratungsbedarf bestanden, da kein konkreter Erlass hierzu gegeben gewesen sei. Das zitierte Urteil des BSG sei nicht einschlägig.

Die Klägerin erhob am 18. April 2013 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Sie wiederholte ihr Vorbringen aus dem vorgerichtlichen Schriftwechsel, bezifferte aber die Höhe ihres Erstattungsanspruches nur noch mit EUR 4.510,83.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie wiederholte ebenfalls ihr Vorbringen aus dem vorgerichtlichen Schriftwechsel.

Das SG verurteilte die Beklagte mit Urteil vom 23. Februar 2015, der Klägerin einen Betrag von EUR 4.510,83 zu erstatten und diesen Betrag in Höhe von fünf Prozent (gemeint: Prozentpunkten) über dem Basiszinssatz ab dem 18. April 2013 zu verzinsen. Zugleich ließ es die Berufung zu. Grundlage des Erstattungsanspruches sei § 103 Abs. 1 SGB X. Dem Erstattungsbegehren stehe nicht entgegen, dass der Antrag auf Leistungen nach § 43 Abs. 2 SGB XI erst mit Schreiben vom 18. Juli 2011 gestellt worden sei. Zwar richte sich der Erstattungsanspruch nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften, so dass dieser durch die Erstattungspflicht nicht stärker belastet werden solle, als es seiner Verpflichtung gegenüber dem Leistungsberechtigten entspreche. Dies habe grundsätzlich zur Folge, dass soweit Sozialleistungen von einem Antrag als materialrechtlicher Anspruchsvoraussetzungen abhingen und ein solcher Leistungsantrag nicht gestellt werde, dies der Dispositionsbefugnis des Sozialleistungsberechtigten unterliege und dem Leistungsträger – nach dem für ihn geltenden Recht – eine Entscheidung verwehre. Dies gelte jedoch nur, sofern dem Erstattung begehrende Leistungsträger nicht ein eigenständiges Antragsrecht zustehe. Nach § 95 SGB XII könne die Klägerin die Feststellung einer Sozialleistung betreiben. Nach § 95 Abs. 2 SGB XII wirke der Ablauf von Fristen, die ohne Verschulden des erstattungsberechtigten Trägers der Sozialhilfe verstrichen seien, nicht gegen ihn. Zu den danach privilegierten Fristen gehörten auch materiellrechtliche Fristen wie § 33 SGB XI für Leistungen der sozialen Pflegeversicherung. Die Klägerin treffe auch kein Verschulden an der verspäteten Antragstellung.

Gegen das ihr am 3. März 2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30. März 2015 Berufung eingelegt. Für die Zeit vor Antragstellung bestehe kein Erstattungsanspruch. Die Regelung des § 95 Satz 2 SGB XII finde keine Anwendung. Zwar sei § 95 Abs. 2 SGB XII auch auf materielle Fristen anwendbar. Der Sozialhilfeträger sei aber nur bei dem Ablauf von Fristen privilegiert. Eine Frist sei ein abgegrenzter, also bestimmter oder jedenfalls bestimmbarer Zeitraum. Daher wirke das Privileg des Sozialhilfeträgers nicht bei Leistungen, die von einem Antrag abhingen, so dass ein Anspruch hierauf erst mit der Antragstellung entstehe. Leistungen der Pflegeversicherung würden nur auf Antrag erbracht. Mit Antragstellung vom 18. Juli 2011 seien daher die Leistungsvoraussetzungen ab Juli 2011 erfüllt. Darauf, ob die Klägerin an der verspäteten Antragstellung ein Verschulden treffe, komme es nicht an. Vorsorglich weise sie darauf hin, dass sich die Klägerin nicht darauf berufen könne, der Wechsel des Leistungsempfängers in die vollstationäre Pflege sei ihr bekannt gewesen. Sie – die Beklagte – gehe davon aus, dass das Pflegeheim mit der Klägerin ab dem 1. Februar 2011 Leistungen der vollstationären Pflege abgerechnet habe. Daher müsse es der Klägerin auch möglich gewesen sein, vor dem 18. Juli 2011 einen entsprechenden Leistungsantrag bei ihr zu stellen. Ferner könne sie nicht nachvollziehen, inwieweit sie ihrer Beratungspflicht nicht nachgekommen sei. Die Regelungen zur Beratungspflicht nach § 7 des Rahmenvertrages sei allgemeinen Art und begründe keinen Rechtsanspruch eines einzelnen Versicherten auf Beratung bei Änderung der Zulassung der Einrichtung.

Die Beklagte beantragt (sachgerecht gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. Februar 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verweist auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 23. Januar 2004 (5 C 8/13 – in juris) sowie das BSG vom 28. April 1999 (B 9 V 8/98 – in juris). Beide Gerichte vertreten die Auffassung, dass die §§ 102 ff. SGB X auf die Sicherstellung des Nachgangs einer bereits erbrachten Sozialleistung und der Finanzierungsverantwortung des vorrangig verpflichteten Sozialleistungsträgers gerade im Erstattungsrechtsverhältnis zielten. Die Legalisierung dieser gesetzlich vorgegebenen Lastenverteilung im Erstattungsverfahren solle erkennbar unabhängig von einer Antragstellung im Leistungsverhältnis und somit nicht in das Belieben des Leistungsberechtigten gestellt sein. Das Unterbleiben der Antragstellung stehe danach der Entstehung eines Kostenerstattungsanspruchs nicht entgegen. Diesen Grundsatz lasse das BSG jedoch nur dann gelten, wenn ein Antragserfordernis nicht (auch) die Dispositionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht des Leistungsberechtigten schütze. Die Dispositionsfreiheit sei dann nicht geschützt, wenn der erstattungsberechtigte Träger – anstelle des Berechtigten – die Feststellung einer Sozialleistung betreiben könne. Der Gesetzgeber habe in diesem Fall das Interesse des erstattungsberechtigten Trägers am Nachrang seiner Leistung höher gewichtet als das Selbstbestimmungs- und Persönlichkeitsrecht des Berechtigten. Dies habe das BSG auch für "§ 91" (gemeint wohl § 91a) Bundessozialhilfegesetz (BSHG) festgestellt (Hinweis auf BSG, Urteil vom 22. April 1998 – B 9 VG 6/96 R – in juris, Rn. 24), der inhaltlich völlig identisch mit § 95 SGB XII sei. Demnach stehe auch nach der Rechtsprechung des BSG im konkreten Fall auf Grund nicht geschützter Dispositionsfreiheit das Unterbleiben der Antragstellung für den Zeitraum vor dem 18. Juli 2011 der Entstehung eines Kostenerstattungsanspruchs nicht entgegen.

Die Beteiligten haben sich mit Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und vom SG gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassene Berufung der Beklagten ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden.

2. Einer Beiladung des Leistungsempfängers bedurfte es nicht.

Im Erstattungsstreit zwischen zwei Leistungsträgern bedarf es der Beiladung des Leistungsempfängers nur, wenn sich die Erfüllungsfiktion nach § 107 SGB X auf weitere Rechte des Leistungsempfängers auswirkt (BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 1 KR 12/14 R – in juris, Rn. 9 m.w.N. – auch zum Folgenden; zuletzt Beschluss des Senats vom 20. Oktober 2015 – L 4 KR 5152/14 – nicht veröffentlicht; siehe auch Prange, in: jurisPK-SGB X, 2013, § 103 Rn. 16 ff. m.w.N.). Hat der Berechtigte die Leistung aber bereits erhalten, kann er diese nicht noch einmal beanspruchen. Hat die Entscheidung über die Erstattungsforderung keine Auswirkung auf seine Rechtsposition, ist eine notwendige Beiladung nicht erforderlich.

So liegt der Fall hier. Der Leistungsempfänger hat von der Klägerin bereits Sozialleistungen erhalten und kann diese Leistungen – unabhängig vom Ausgang des vorliegenden Erstattungsrechtsstreits – weder nochmals von den hier Beteiligten beanspruchen noch kommt in Betracht, dass er der Klägerin die erbrachten Leistungen erstatten muss. Vorliegend geht es lediglich noch um die Verteilung leistungsrechtlicher Verpflichtungen zwischen Leistungsträgern.

3. Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Zwar ist die Klage zulässig, aber unbegründet.

a) Die Klage ist zulässig. Richtige Klageart ist die allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG ohne vorherige Durchführung eines Vorverfahrens, weil aufgrund des zwischen den Beteiligten bestehenden Gleichordnungsverhältnisses ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

b) Die Klage ist aber unbegründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, an die Klägerin EUR 4.510,83 nebst Zinsen zu zahlen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die stationäre Pflege des Leistungsempfängers zwischen dem 1. Februar 2011 und dem 30. Juni 2011. Ein solcher Anspruch folgt weder aus § 103 Abs. 1 noch § 104 Abs. 1 SGB X.

aa) Entgegen der Auffassung des SG ist § 103 Abs. 1 SGB X von vorneherein nicht einschlägig. Diese Norm bestimmt: Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen, ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (§ 103 Abs. 1 SGB X). Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (§ 103 Abs. 2 SGB X).

§ 103 Abs. 1 SGB X ist nur anwendbar bei institutionell gleichrangigen Leistungsträgern (BSG, Urteil vom 28. August 1997 – 14/10 RKg 11/96 – in juris, Rn. 9; BSG, Urteil vom 14. September 1994 – 3/1 RK 56/93 – in juris, Rn. 10; Becker, in: Hauck/Noftz, SGB X, § 103 Rn. 9 [August 2011]; Prange, in: jurisPK-SGB X, 2013, § 103 Rn. 21 ff., 41). Dies ist im Verhältnis zwischen der Klägerin als Sozialhilfeträgerin und der Beklagten als Trägerin der sozialen Pflegeversicherung nicht der Fall. Denn § 2 SGB XII ordnet den Nachrang der Sozialhilfe gegenüber den Sozialleistungen aller anderen Träger an. Erstattungsansprüche von Sozialhilfeträgern gegen andere Leistungsträger richten sich somit regelmäßig nach § 104 SGB X (BSG, Urteil vom 28. August 1997 – 14/10 RKg 11/96 – in juris, Rn. 10; noch weitergehender ["stets"] BSG, Urteil vom 14. September 1994 – 3/1 RK 56/93 – in juris, Rn. 10; siehe auch Roos, in: von Wulffen/Schütze [Hrsg.], SGB X, 8. Aufl. 2014, § 104 Rn. 2 f., 6a).

So verhält es sich auch hier. Die Klägerin ist als Sozialhilfeträgerin institutionell nachrangiger Leistungsträger gegenüber der Beklagten als Trägerin der sozialen Pflegeversicherung. Besonderheiten des Einzelfalles, die von diesem Nachrangverhältnis abzuweichen veranlassen, liegen nicht vor.

bb) Der geltend gemachte Anspruch der Klägerin folgt indes auch nicht aus § 104 SGB X.

(1) Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (§ 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (§ 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen (§ 104 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (§ 104 Abs. 3 SGB X).

Die Erstattungsansprüche der §§ 102 ff. SGB X sind grundsätzlich selbständig und nicht mit dem Sozialleistungsanspruch gegen den auf Erstattung in Anspruch genommenen Träger identisch. Die eigenständigen Erstattungsansprüche nach §§ 102 ff. SGB X entstehen nicht dadurch, dass der Erstattung begehrende Leistungsträger etwa aufgrund einer Überleitungsanzeige oder im Wege des Forderungsüberganges in eine Anspruchsposition des Berechtigten gegenüber dem auf Erstattung in Anspruch genommenen Leistungsträger einrückt (BSG, Urteil vom 28. April 1999 – B 9 V 7/98 R – in juris, Rn. 15 m.w.N. – auch zum Folgenden). Vielmehr sind die Erstattungsansprüche allein von der Erfüllung der in §§ 102 ff. SGB X geregelten Tatbestandsvoraussetzungen abhängig und entstehen grundsätzlich unabhängig von und selbständig neben einem Anspruch des Berechtigten gegen den zur Erstattung herangezogenen Leistungsträger. Ungeachtet dieser Selbständigkeit ist der Erstattungsanspruch allerdings auch inhaltlich abhängig von und untrennbar verbunden mit dem Anspruch des (vermeintlich) Leistungsberechtigten. Denn es ist offensichtlich Sinn des Erstattungsanspruchs, die Kosten von Sozialleistungen, die einem bestimmten Berechtigten gewährt worden sind, auf die als leistungspflichtig in Frage kommenden Träger angemessen zu verteilen und dabei zugleich Doppelleistungen zu vermeiden.

Der Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X setzt daher voraus, dass der vorrangig verpflichtete Leistungsträger bereits zum gleichen Zeitpunkt wie der nachrangig verpflichtete Leistungsträger leistungspflichtig war (BSG, Urteil vom 22. April 1998 – B 9 VG 6/96 R – in juris, Rn. 20 m.w.N.). Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm, wonach der Berechtigte gegen den Erstattungsverpflichteten einen Anspruch haben bzw. gehabt haben muss. Mit dieser Vorgabe wird gesichert, dass der Rechtszustand wiederhergestellt wird, der bestanden hätte, wenn der vorrangige Leistungsträger von Anfang an geleistet hätte. Bekräftigt wird dies durch § 104 Abs. 3 SGB X, der den Umfang des Erstattungsanspruches an den Umfang des Leistungsanspruchs gegenüber dem vorrangig verpflichteten Leistungsträger knüpft (vgl. Oberverwaltungsgericht [OVG] Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 3. September 2012 – 12 A 1082/12 – in juris, Rn. 36).

(2) Der Anspruch auf Pflegesachleistungen gegenüber einer Pflegekasse setzt einen Antrag voraus (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Leistungen werden nicht für Zeiten vor einer Antragstellung gewährt; dies ergibt sich in einem Umkehrschluss aus § 33 Abs. 1 Satz 2 SGB XI). Wird der Leistungsantrag später als einen Monat nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit gestellt, werden die Leistungen vom Beginn des Monats der Antragstellung an gewährt (§ 33 Abs. 1 Satz 3 SGB XI).

Der Leistungsantrag ist materielle Anspruchsvoraussetzung (BSG, Urteil vom 13. Mai 2004 – B 3 P 7/03 R – in juris, Rn. 19; Tresoret, in: jurisPK-SGB XI, 2014, § 33 Rn. 13, 23). Dies ergibt sich schon aus der amtlichen Überschrift "Leistungsvoraussetzungen" des § 33 SGB XI. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB XI geht damit über § 19 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV), nach dem vorbehaltlich anderer Regelungen unter anderem Leistungen in der sozialen Pflegeversicherung (nur) auf Antrag erbracht werden und der lediglich verfahrensrechtliche Funktion hat (Tresoret, in: jurisPK-SGB XI, 2014, § 33 Rn. 13 m.w.N.), hinaus.

Einen solchen Antrag haben der Leistungsempfänger nicht und die Klägerin erst am 2. August 2011 gestellt. An diesem Tag ging bei der Beklagten das Schreiben der Klägerin vom 18. Juli 2011 ein, mit dem sie Pflegeleistungen für vollstationäre Pflege nach § 43 SGB XI für den Leistungsempfänger beantragt hat. Zu dieser Antragstellung war sie berechtigt, da gemäß § 95 Satz 1 SGB XII der erstattungsberechtigte Träger der Sozialhilfe die Feststellung einer Sozialleistung betreiben sowie Rechtsmittel einlegen kann (vgl. BSG, Urteil vom 22. April 1998 – B 9 VG 6/96 R – in juris, Rn. 21 ff.). Da das Antragserfordernis nicht nur beim erstmaligen Eintritt der Pflegebedürftigkeit gilt, sondern auch bei einer Änderung der Pflegesituation (Tresoret, in: jurisPK-SGB XI, 2014, § 33 Rn. 20 m.w.N.; Udsching, in: ders. [Hrsg.], SGB XI, 4. Aufl. 2015, § 33 Rn. 3), entfaltet der Antrag des Landeswohlfahrtsverbandes Württemberg-Hohenzollern (Landessozialamt) vom 13. September 2000 auf Kostenbeteiligung bei einer Unterbringung des Pflegebedürftigen in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe nach § 43a SGB XI keine Wirkungen für den Anspruch auf Leistungen zur vollstationären Pflege nach § 43 SGB XI.

Mangels Antrag hatte der Leistungsempfänger damit für die Zeit bis zum 31. Juli 2011 keinen Anspruch aus § 43 SGB XI auf Pflege in vollstationären Einrichtungen gegen die Beklagte, so dass dieses Tatbestandsmerkmal des § 104 Abs. 1 SGB X nicht gegeben ist mit der Folge, dass die Klägerin keinen Erstattungsanspruch gegen die Beklagte hat.

(3) Die Klägerin kann dem nicht § 95 Satz 2 SGB XII entgegenhalten. Diese Norm bestimmt, dass der Ablauf der Fristen, die ohne Verschulden des erstattungsberechtigten Trägers der Sozialhilfe verstrichen sind, nicht gegen ihn wirken. Entgegen der Auffassung des SG macht § 95 Satz 2 SGB XII nicht den notwendigen Leistungsantrag entbehrlich. Zwar soll § 95 Satz 2 SGB XII nicht nur Verfahrensfristen, sondern auch materielle Fristen betreffen (so etwa Armbruster, in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 95 Rn. 98; Kirchhoff, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 95 Rn. 40 m.w.N. auch zur Gegenansicht [Stand März 2015]). Bei dem Antragserfordernis nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB X handelt es sich aber nicht um eine Frist (a.A. offenbar Armbruster, in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 95 Rn. 98). Denn eine Frist ist dadurch gekennzeichnet, dass sie einen Beginn und ein Ende hat (vgl. §§ 187, 188 Bürgerliches Gesetzbuch). Das Privileg des § 95 Satz 2 SGB XII gilt damit nicht bei Leistungen, die von einem Antrag abhängen, so dass ein Anspruch hierauf erst mit der Antragstellung entsteht (Kirchhoff, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 95 Rn. 40 [Stand März 2015]).

(4) Die Klägerin kann sich nicht erfolgreich auf das Urteil des BSG vom 22. April 1998 (B 9 VG 6/96 R – in juris) berufen. In jenem Urteil hat das BSG es beim Erstattungsanspruch gemäß § 104 Abs. 1 SGB X zwar ausreichen lassen, dass der erstattungsberechtigte Sozialhilfeträger den Leistungsantrag (dort nach § 60 Bundesversorgungsgesetz [BVG]) gestellt hat, jedoch nicht entschieden, dass ein solcher Leistungsantrag entbehrlich sei; in jenem Fall lag ein solcher Leistungsantrag (des Sozialhilfeträgers) für die Zeit der Erstattungspflicht gerade vor (BSG, Urteil vom 22. April 1998 – B 9 VG 6/96 R – in juris, Rn. 21, 24). Es hätte im Übrigen der näheren Erörterung, dass ein solcher Feststellungsantrag des Sozialhilfeträgers im Sinne des damals noch geltenden § 91a BSHG, der wortgleichen Vorgängervorschrift des § 95 Satz 1 SGB XII, ausreicht, nicht bedurft, wenn das BSG der Auffassung gewesen wäre, es bedürfte überhaupt keines Leistungsantrages, um den Erstattungsanspruch begründen zu können.

(5) Soweit das BSG zu § 105 SGB X angenommen hat, dass notwendige, aber auch ausreichende Voraussetzung des Erstattungsanspruchs sei, dass in der Person des Berechtigten "die wesentlichen, die unverzichtbaren, die Grundvoraussetzungen" des – vom klagenden Leistungsträger tatsächlich schon erfüllten – Anspruchs auf eine gleichartige und zeitgleiche Leistung gegen den beklagten Träger vorliegen, aber dass zu den in diesem Sinne unverzichtbaren Voraussetzungen (dort: des Anspruchs auf Heimpflege) ein dahingehender Antrag des Leistungsberechtigten nicht gehöre (BSG, Urteil vom 28. April 1999 – B 9 V 8/98 R – in juris, Rn. 16 m.w.N. zum damaligen Streitstand), vermag der erkennende Senat dem jedenfalls für § 104 Abs. 1 SGB X nicht zu folgen. Das BSG hat ausgeführt, das Fehlen eines Leistungsantrages sei weder für den Erstattungsanspruch generell unbeachtlich noch ließe sich seine Bedeutung für den Erstattungsanspruch danach bestimmen, ob er materiell-rechtliche Voraussetzung des Leistungsanspruches des Berechtigten gegen den ggf. zur Erstattung verpflichteten Träger sei (a.a.O., Rn. 18). Entscheidend komme es vielmehr darauf an, welchen Zweck das Gesetz mit dem Antragserfordernis verfolge. Schütze es (auch) die Dispositionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht des Leistungsberechtigten, so sei dessen Antrag – erstattungsrechtlich – unverzichtbare Anspruchsvoraussetzung. In diesem Fall bestehe ohne Antrag auch kein Erstattungsanspruch. In allen anderen Fällen sei das Fehlen des Leistungsantrages erstattungsrechtlich ohne Bedeutung. Auf diese Weise sei einerseits gewährleistet, dass auf dem Erstattungswege die Finanzierungslast im vielfältig gegliederten Sozialleistungssystem schließlich den vorrangig verpflichteten und den sachlich oder örtlich zuständigen Leistungsträger treffe und es nicht im Belieben des Leistungsberechtigten stehe, die gesetzlich vorgegebene Lastenverteilung zu korrigieren, indem er es unterlasse, einen Leistungsantrag zu stellen. Andererseits sei sichergestellt, dass Sozialleistungsträger nicht auf dem Umweg über das Erstattungsverfahren die Dispositionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht des Leistungsberechtigten entwerten.

Dies überzeugt nicht. Durch die vom BSG vorgenommene Differenzierung würden die materiellrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsanspruch des Leistungsempfängers künstlich in zwei Kategorien aufgespalten, ohne dass dies im Gesetz – weder im Leistungsrecht noch im Erstattungsrecht – auch nur eine andeutungsweise Grundlage fände; auch ein sachlicher Grund hierfür existiert nicht (wie hier auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 3. September 2012 – 12 A 1082/12 – in juris, Rn. 51). Das Gleiche gilt für die Unterscheidung danach, ob das Antragserfordernis im konkreten Fall die Dispositionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht des Leistungsberechtigten schützen soll. Auch diese Differenzierung findet im Gesetz keine Grundlage und kann angesichts der nicht hinreichenden Trennschärfe der maßgeblichen Begriffe zur Rechtssicherheit nichts beitragen.

Abgesehen davon ist das Urteil des BSG vom 28. April 1999 zu § 105 Abs. 1 SGB X ergangen. Diese Norm enthält aber – anders als der hier einschlägige § 104 Abs. 1 SGB X – gerade nicht als Tatbestandsmerkmal für den Erstattungsanspruch, dass ein Leistungsanspruch gegen den Leistungsträger, gegen den sich der Erstattungsanspruch richtet, besteht oder bestanden haben muss. Die Ausführungen des BSG sind schon deshalb nicht auf den Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 1 SGB X übertragbar, bei dem zudem die Sonderregelung des § 95 SGB XII noch zu berücksichtigen ist (dazu sogleich).

(6) Allerdings hat das BVerwG – teilweise unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 28. April 1999 – in seinem Urteil vom 23. Januar 2014 (5 C 8/13 – in juris, Rn. 13) entschieden, dass das Bestehen eines Erstattungsanspruches nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht davon abhänge, dass Ausbildungsförderung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beantragt worden sei.

Diese Entscheidung überzeugt indes nicht (ablehnend auch Kater, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 104 Rn. 9b [April 2015]). Insbesondere bleibt die Auffassung des BVerwG, dass das Tatbestandsmerkmal "Anspruch" in § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X einen Leistungsantrag nicht voraussetze, auch wenn – wie hier – ein Leistungsantrag materiellrechtliche Anspruchsvoraussetzung ist, letztlich ohne Begründung. Der Senat muss nicht entscheiden, ob diese abweichende Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Anspruch" in § 104 Abs. 1 SGB X von den entsprechenden Tatbestandsmerkmalen im materiellen Leistungsrecht bereits die Wortlautgrenze zulässiger Auslegung (dazu zuletzt etwa BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 16. Dezember 2014 – 1 BvR 2142/11 – in juris, Rn. 86) überschreitet. Denn jedenfalls ist der Wortlaut und die einheitliche Anwendung des Tatbestandsmerkmals "Anspruch" im Erstattungsrecht einerseits und im Leistungsrecht andererseits ein gewichtiges Argument für die hier vertretene Ansicht, denen andere Auslegungsargumente nicht mit Erfolg entgegengehalten werden können.

Dies gilt zunächst für den Hinweis des BVerwG, dass der Leistungsanspruch des Berechtigten und der Erstattungsanspruch des Sozialleistungsträgers rechtlich selbständige Ansprüche sind (BVerwG, a.a.O., Rn. 15). Dies ist zwar – siehe oben – richtig, kann aber nicht beiseite schieben, dass das Bestehen eines Leistungsanspruchs eine der Voraussetzung des Erstattungsanspruchs nach § 104 Abs. 1 SGB X ist. Das Bestehen des Leistungsanspruchs wird von § 104 Abs. 1 SGB X ohne Verzicht auf einzelne Anspruchsvoraussetzungen zum Tatbestandsmerkmal des Erstattungsanspruchs erhoben. Ein sachlicher Grund, im Erstattungsverfahren abweichend von den sonstigen materiell-rechtlichen Leistungsvoraussetzungen gerade auf das materiell-rechtliche Antragserfordernis zu verzichten, existiert nicht (so zutreffend die Vorinstanz OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 3. September 2012 – 12 A 1082/12 – in juris, Rn. 51).

Dass die Entstehungsgeschichte des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X für die streitige Frage unergiebig ist, räumt auch das BVerwG ein (a.a.O., Rn. 16). Insbesondere lassen sich Argumente, die den Normwortlaut in den Hintergrund drängen können, hieraus nicht gewinnen.

Aber auch eine teleologische Annäherung an die Erstattungsvorschriften kann die Auffassung des BVerwG nicht stützen. Nach dessen Ansicht sprächen Sinn und Zweck der §§ 102 ff. SGB X entscheidend dafür, das Bestehen eines Erstattungsanspruchs (nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X gegen den Träger der Ausbildungsförderung) nicht davon abhängig zu machen, dass ein Antrag (im Sinne des § 46 Abs. 1 Satz 1 BAföG) gestellt worden sei (a.a.O., Rn. 16). Die §§ 102 ff. SGB X dienten der Sicherstellung des Nachrangs einer bereits erbrachten Sozialleistung und der Finanzierungsverantwortung des vorrangig verpflichteten Sozialleistungsträgers im Erstattungsrechtsverhältnis. Die Realisierung dieser gesetzlich vorgegebenen Lastenverteilung habe "erkennbar" nicht von der Antragstellung im Leistungsverhältnis abhängig sein und in das Belieben des Leistungsberechtigten gestellt werden sollen. Anderenfalls hätte es dieser – so das BVerwG – in der Hand, die gesetzlich vorgesehene Finanzierungsverantwortung dadurch zu korrigieren, dass er es unterlässt, einen Leistungsantrag zu stellen.

Diese Gefahr besteht hingegen gerade nicht, da § 95 Satz 1 SGB XII den erstattungsberechtigten Träger der Sozialhilfe (ähnlich wie § 5 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) die Grundsicherungsträger; zu weiteren Parallelvorschriften Armbruster, in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 95 Rn. 3 ff.) ermächtigt, die Feststellung einer Sozialleistung zu betreiben sowie Rechtsmittel einzulegen und damit den an sich dem Leistungsberechtigten zustehenden Anspruch auf Bewilligung der Sozialleistung im Wege der gesetzlichen Prozessstandschaft behördlich und gerichtlich geltend zu machen, ohne dass es dessen Mitwirkung bedürfe. Das BSG hat bereits zu § 91a BSHG, der wortgleichen Vorgängervorschrift des § 95 SGB XII, entschieden, dass der Leistungsantrag des Berechtigten durch einen Feststellungsantrag des Sozialhilfeträgers ersetzt werden kann, um das Antragserfordernis für den Leistungsanspruch auch im Rahmen des Erstattungsanspruch (dort nach § 104 SGB X) zu wahren (BSG, Urteil vom 22. April 1998 – B 9 VG 6/96 R – in juris, Rn. 21, 24). Die Existenz des § 95 Satz 1 SGB XII stützt damit nicht die Auslegung des § 104 SGB X durch das BVerwG, sondern steht ihr entgegen (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 3. September 2012 – 12 A 1082/12 – in juris, Rn. 56), entzieht dessen teleologischer Auslegung jedenfalls die Grundlage.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass es dem erstattungsberechtigten Träger nicht zumutbar wäre, sich über die Voraussetzungen vorrangiger Leistungsansprüche des Berechtigten kundig zu machen und, wenn erforderlich, rechtzeitig einen Antrag zu stellen (zutreffend – auch zum Folgenden – OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 3. September 2012 – 12 A 1082/12 – in juris, Rn. 55). Das Risiko, dass in Unkenntnis materiell antragsgebundener Ansprüche des Berechtigten geleistet wird und später mangels Sozialleistungsanspruchs des Berechtigten keine Erstattung von dem anderen Träger verlangt werden kann, trägt der – sozialrechtlich erfahrene – erstattungspflichtige Träger nicht anders als der – regelmäßig rechtlich unerfahrene – Leistungsberechtigte im Verhältnis zum anderen Leistungsträger das Risiko trägt, dass er (rechtzeitig) einen Antrag stellt. Vor diesem Hintergrund lässt sich ein Grund dafür, dass der erstattungsberechtigte Träger im Erstattungsstreit über die Möglichkeiten des § 95 SGB XII hinaus besser gestellt werden müsste als der Leistungsberechtigte nicht erkennen. Bei einer anderen Sichtweise würde die Beklagte verpflichtet, Kosten einer Sozialleistung zu erstatten, die er selbst mangels Antrag im streitgegenständlichen Zeitraum gar nicht hätte rechtmäßigerweise erbringen dürfen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 3. September 2012 – 12 A 1082/12 – in juris, Rn. 49 – auch zum Folgenden; Kater, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 104 Rn. 9b [April 2015]). Der Umstand, dass der Erstattungsanspruch eigenständiger Natur ist, kraft Gesetzes entsteht und ein eigenständiges Rechtsverhältnis zwischen zwei Leistungsträgern begründet, erlaubt nicht den Rückschluss, dass ein Leistungsträger in diesem Rechtsverhältnis verpflichtet ist, Kosten einer Leistungsgewährung zu erstatten, die, wenn er sie selbst erbracht hätte, wegen des Fehlens einer materiellrechtlichen Tatbestandsvoraussetzung rechtswidrig gewesen wäre.

Es besteht für derartige richterrechtliche Modifizierungen der gesetzlichen Vorgaben auch ansonsten kein Anlass. Die maßgeblichen Vorgaben enthält das Gesetz vielmehr bereits: Es differenziert zwischen Antragserfordernissen als materielle Anspruchsvoraussetzungen – wie hier bei § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB XI – und lediglich verfahrensmäßigen Antragserfordernissen (z.B. § 19 SGB IV; vgl. insofern Hampel, in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 19 Rn. 17; Seewald, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 19 SGB IV Rn. 4 [August 2004]) sowie verfahrensmäßigen Antragserfordernissen mit materiellen Auswirkungen (z.B. § 37 SGB II; dazu etwa Aubel, in: jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 37 Rn. 12; Bittner, in: Estelmann [Hrsg.], SGB II, § 37 Rn. 40 [Dezember 2013]). Weiter bestimmt das Gesetz ohne Einschränkung, dass ein Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 1 SGB X einen Leistungsanspruch voraussetzt, und verhindert schließlich Umgehungsmöglichkeiten der Leistungspflichten zu Lasten der Sozialhilfeträger dadurch, dass er ihnen mit § 95 SGB XII ein eigenes Antragsrecht verschafft.

(7) Aus dem von der Klägerin angeführten Urteil des BSG vom 2. Februar 2012 (B 8 SO 5/10 R – in juris) ergibt sich für den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt nichts. Dies gilt schon deshalb, weil dieses Urteil die Gewährung von Leistungen der Hilfe zur Pflege nach den §§ 61 ff. SGB XII betraf, nicht aber die Gewährung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen. Insbesondere weicht der Senat nicht von dem Urteil des BSG vom 28. April 1999 (B 9 V 8/98 – in juris) ab, denn jenes Urteil betraf einen Erstattungsanspruch nach § 105 Abs. 1 SGB X, während vorliegend § 104 Abs. 1 SGB X einschlägig ist.

6. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz.
Rechtskraft
Aus
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