L 9 AS 4978/14 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 2421/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 4978/14 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der dem Antragsteller zu gewährenden Kosten der Unterkunft und Heizung streitig.

Der 1981 in Burkina Faso geborene Antragsteller ist deutscher Staatsangehöriger. Er bewohnt eine 45 m² große Wohnung, für die monatlich eine Gesamtmiete von 490,00 EUR (340,00 EUR Kaltmiete zzgl. 150,00 EUR Vorauszahlungen für Nebenkosten inkl. Heizung) aufzubringen ist. In diese Wohnung hat er seine aus Burkina Faso stammende 1943 geborene Mutter aufgenommen, die sich aufgrund einer Duldung in Deutschland aufhält und weder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz noch nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bezieht.

Am 02.06.2014 stellte er nach vorangegangenem Arbeitslosengeldbezug einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Antragsgegner bewilligte mit Bescheiden vom 15.07.2014 und vom 21.07.2014 vorläufig für den Zeitraum vom 01.06. bis 30.11.2014, mit Bescheid vom 07.08.2014 endgültig für den Zeitraum vom 01.07. bis 31.08.2014 und mit Bescheid vom 07.08.2014 vorläufig für den Zeitraum vom 01.09.2014 bis 30.11.2014 Leistungen. Bei der Leistungsbewilligung wurden Bedarfe für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 245,00 EUR berücksichtigt. Der Antragsteller widersprach mit Schreiben vom 27.07.2014, welches in der Verwaltungsakte des Antragsgegners nicht enthalten ist, der eingeschränkten Bewilligung der KdHU. Mit Schreiben vom 07.08.2014 erläuterte der Antragsgegner, eine volle Übernahme der Wohnkosten komme nicht in Betracht, da die Mutter des Antragstellers ihren Anteil an den Wohnkosten selbst tragen müsse.

Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 05.09.2014 teilte der Antragsteller mit, er könne seine Mutter nicht auf die Straße setzen. Diese habe aber keinerlei Einkommen. Wegen der Mietrückstände sei er bereits gemahnt worden. Es solle schnellstmöglich eine Nachberechnung durchgeführt werden. Am 24.09.2014 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Reutlingen (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt mit dem Ziel, den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, die Kosten der Unterkunft und Heizung in vollständiger Höhe von 490,00 EUR zu übernehmen.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 28.10.2014 mangels Anordnungsanspruch abgelehnt. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 45/06 R und Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 71/12 R, Juris), der sich das SG anschließe, seien die Kosten für eine Unterkunft, die Hilfebedürftige mit anderen Personen nutzten, aus Praktikabilitätsgründen im Regelfall anteilig pro Kopf aufzuteilen. Die gemeinsame Nutzung der Wohnung lasse in aller Regel eine an der unterschiedlichen Intensität der Nutzung ausgerichtete Aufteilung der Aufwendungen für die Wohnung nicht zu. Die für Unterkunft und Heizung erforderlichen Aufwendungen seien anteilsmäßig auf alle Bewohner zu verteilen, so dass unabhängig von der (vertraglichen) Zahlungsverpflichtung auf jeden Bewohner ein (im Regelfall gleicher) Kostenanteil entfalle. Besonderheiten, die ein Abweichen vom Prinzip der Aufteilung der Unterkunftskosten nach der Kopfzahl der Wohnungsnutzer rechtfertigen könnten, bestünden im vorliegenden Fall nicht. Die Mutter des Antragstellers nutze die Wohnung gemeinsam mit dem Antragsteller. Damit sei das Kopfteilprinzip anwendbar, auch wenn die Mutter des Antragstellers keine Sozialleistungen beziehe bzw. beantragt habe. Dieser Umstand rechtfertige es nicht, die Deckung des Bedarfs der Kosten der Unterkunft der Mutter des Antragstellers im Rahmen der Mitnutzung der Wohnung unbeachtet zu lassen und diese Kosten teilweise durch den Leistungsträger nach dem SGB II mittragen zu lassen.

Nachdem der Antragsteller am 21.10.2014 eine Anmeldung bei der Meldebehörde L. vom 14.10.2014 vorgelegt hat, aus der sich ergibt, dass die Mutter des Antragstellers dort seit dem 16.09.2014 gemeldet ist, hob der Antragsgegner mit Änderungsbescheid vom 17.11.2014 die Bescheide vom 15.07.2014, 21.07.2014 und 07.08.2014 teilweise auf und bewilligte für die Zeit vom 01.09.2014 bis 30.11.2014 Leistungen, wobei ab dem 16.09.2014 die Kosten für Unterkunft und Heizung in voller Höhe (Grundmiete 340,00 EUR, Heizung 100,00 EUR, Nebenkosten 50,00 EUR) bei der Leistungsberechnung berücksichtigt wurden.

Gegen den ihm am 30.10.2014 zugestellten Beschluss des SG hat der Antragsteller am 27.11.2014 Beschwerde eingelegt und zur Begründung vorgetragen, er habe am 10.06.2014 beim Ausländeramt in Reutlingen beantragt, dass seine Mutter zu seinem Bruder umziehen könne. Die Zustimmung sei am 18.07.2014 erteilt worden, was ihm aber nicht mitgeteilt worden sei. Die Mutter sei dann tatsächlich erst am 15.09.2014 umgezogen. Durch die Nichtbearbeitung der Ausländerbehörde sei ihm ein finanzieller Schaden entstanden. Der Antragsgegner hätte die Miete ab dem 18.07.2014 voll übernehmen müssen. Er sei von seinem Vermieter fristlos gekündigt worden, wofür ihm Anwaltskosten in Höhe von 571,44 EUR in Rechnung gestellt worden seien.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab dem 18.07.2014 bis zum 15.09.2014 unter Berücksichtigung weiterer Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 245,00 EUR sowie Anwaltskosten in Höhe von 571,44 EUR zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Anmeldung der Meldebehörde vom 14.10.2014 sei am 21.10.2014 eingegangen. Mit Änderungsbescheid vom 17.11.2014 seien dem Antragsteller ab dem 16.09.2014 Leistungen für die Aufwendungen der Unterkunft nachbezahlt worden. Insoweit fehle es bereits an dem Rechtschutzbedürfnis. Soweit der Antragsteller Leistungen vor dem 16.09.2014 verlange, sei der Antrag bereits unzulässig, weil in Bezug auf die Gewährung rückwirkender Leistungsansprüche eine einstweilige Anordnung bereits von vorneherein ausgeschlossen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber nicht begründet.

Nachdem der Antragsgegner mit Bescheid vom 17.11.2015 die Kosten der Unterkunft und Heizung ab dem 16.09.2014 in tatsächlicher Höhe übernommen hat, ist streitig noch der Anspruch des Antragstellers auf Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung im Zeitraum 18.07.2014 bis 15.09.2014. Zusätzlich macht der Antragsteller im Beschwerdeverfahren erstmals Anwaltskosten in Höhe von 571,44 EUR geltend.

Der Antragsteller hat den Streitgegenstand zulässigerweise auf die Kosten der Unterkunft und Heizung beschränkt, bei denen es sich um abtrennbare Verfügungen der Bewilligungsbescheide handelt (vgl. hierzu nur BSG, Urteil vom 16.06.2015, B 4 AS 44/14 R, m.w.N.).

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. z.B. Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 01.08.2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17.08.2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO]). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr stehen beide in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 86b Rn. 27 m.w.N). Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann (Keller a.a.O., Rn. 29 m.w.N.). Dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (vgl. etwa LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 06.09.2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - jeweils Juris und jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).

Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. z.B. LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 01.08.2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17.08.2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Hiervon ausgehend liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vor.

Für die Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung auch im Zeitraum 18.07.2014 bis 15.09.2014 fehlt es bereits an einem Anordnungsanspruch. Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Beschlusses zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die Beurteilung des Sachverhalts dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Höhe der nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu übernehmenden Kosten für eine Unterkunft, die Hilfebedürftige mit anderen Personen nutzen, aus Praktikabilitätsgründen im Regelfall anteilig pro Kopf aufzuteilen ist und Besonderheiten für ein Abweichen vom Prinzip der Aufteilung der Unterkunftskosten nach dem Kopfteil im vorliegenden Fall nicht gegeben sind. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG von einer weiteren Darstellung der Gründe weitgehend ab und weist die Beschwerde insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich aus der nach dem Vortrag des Antragstellers verspäteten Mitteilung der Ausländerbehörde über die Zustimmung zum Umzug der Mutter vom 18.07.2014 keine andere Beurteilung ergibt. Maßgeblich für die Bemessung nach Kopfteilen ist allein die gemeinsame Nutzung der Wohnung, ohne dass es auf die hierfür bestehenden Gründe ankäme.

Hinsichtlich der im Beschwerdeverfahren erstmalig geltende gemachten Anwaltskosten in Höhe von 571,44 EUR, für die ein Nachweis nicht vorgelegt wurde, fehlt es unabhängig vom fraglichen Anordnungsanspruch jedenfalls an einem Anordnungsgrund. Im Hinblick darauf, dass es sich bei der Übernahme der Anwaltskosten um Schulden aus einer Rechtsverfolgung handelt, folgt die besondere Eilbedürftigkeit nicht bereits aus dem Charakter der Leistung als existenzsichernd. Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller ohne die - vorläufige - Gewährung der Anwaltskosten schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, bestehen nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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