Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 14 KR 6815/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 5318/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 21.11.2014 wird verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von Schadenersatz iHv 1.789,95 EUR.
Die Klägerin war bei der Beklagten als hauptberuflich Selbstständige versichert. Im März 2007 forderte die Beklagte die Klägerin zur Vorlage des Einkommenssteuerbescheids für das Jahr 2005 auf. Die Klägerin teilte mit, dass dieser noch nicht vorliege. Auf erneute Anforderung im Juni 2008 und Mahnungen reagierte die Klägerin nicht. Die Beklagte kündigte eine Beitragseinstufung nach Einnahmen in Höhe der Bemessungsgrenze an, wenn der Einkommenssteuerbescheid nicht vorgelegt werde.
Mit Bescheid vom 03.11.2008 setzte die Beklagte entsprechend ab 01.07.2008 Höchstbeiträge fest und leitete nachfolgend Vollstreckungsmaßnahmen ein. Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin, anwaltlich vertreten, eine Gewerbeabmeldung und den Einkommenssteuerbescheid für 2005 vor. Mit Schreiben vom 21.08.2009 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie an der Vollstreckung nicht festhalte, da voraussichtlich der Beitrag zu korrigieren sei. Mit Bescheid vom 04.09.2009 setzte die Beklagte rückwirkend ab 01.02.2008 die Beiträge iHd Mindestbemessungsgrundlage fest.
Im November 2009 wandte sich die Klägerin an Rechtsanwältin U ... Zu der zuvor beauftragen Anwaltskanzlei bestehe kein Vertrauen mehr. Rechtsanwältin U. forderte einen Kostenvorschuss iHv 300 EUR und führte in der Folgezeit für die Klägerin Schriftverkehr mit der Beklagten. Nachdem sich die Klägerin weigerte, die von Rechtsanwältin U. geforderte Vergütung von 1.489,95 EUR zu zahlen, klagte diese gegen die Klägerin vor dem Amtsgericht Titisee-Neustadt (AG). Mit Urteil vom 02.08.2012 (11 C 14/11) verurteilte das AG die Klägerin zur Zahlung der geforderten Vergütung; Inhalt des Mandats sei das Widerspruchsverfahren gegen die Beklagte gewesen. Die Berufung der Klägerin wurde mit Urteil des Landgerichts Freiburg vom 08.01.2014 (3 S 270/12) zurückgewiesen.
Am 14.06.2011 hat die Klägerin Klage zum Amtsgericht Wuppertal erhoben und von der Beklagten die Zahlung von 300 EUR Schadenersatz gefordert. Die Beklagte habe den Rechtsanwältin U. gezahlten Vorschuss zu erstatten, da die eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen unberechtigt gewesen seien.
Mit Beschluss vom 14.11.2012 hat das Amtsgericht Wuppertal den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an des Sozialgericht Freiburg (SG) verwiesen.
Die Klägerin hat die Klage erweitert und Schadenersatz iHv insgesamt 1.789,95 EUR gefordert. Die Beklagte habe den Schaden aufgrund der eingeleiteten Pfändung zu ersetzen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat ausgeführt, sie habe nicht rechtswidrig oder schuldhaft einen Schaden verursacht, sondern sei lediglich ihrer Verpflichtung zum Beitragseinzug nachgekommen. Zum Zeitpunkt der Einleitung der Vollstreckung sei der Beklagten nicht bekannt gewesen, dass die Beiträge niedriger zu bemessen seien, da die Klägerin erst nachträglich prüfungsfähige Unterlagen vorgelegt habe.
Mit Urteil vom 21.11.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Das SG sei aufgrund der Verweisung an die Zulässigkeit des Rechtswegs gebunden. Die Klageerweiterung sei zulässig, die Klägerin habe jedoch keinen Anspruch auf Schadenersatz. Als Anspruchsgrundlage komme nur § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in Betracht. Die Klägerin begründe den von ihr geltend gemachten Anspruch mit der von ihr an Rechtsanwältin U. zu leistenden Zahlung iHv 1.789,95 EUR. Nach den Ausführungen des AG sei Inhalt des Mandats das Widerspruchsverfahren gegen die Beklagte gewesen. Eine Kostenentscheidung der Beklagten nach § 63 SGB X über die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen liege nicht vor. Die Klägerin habe ausgeführt, eines Vorverfahrens bedürfe es nicht, da sie keine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage, sondern eine allgemeine Leistungsklage erhebe. Weitere Anspruchsgrundlagen seien nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des § 280 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) lägen nicht vor, denn es fehle an einer Pflichtverletzung der Beklagten. Der Beitragsbescheid sei sofort vollziehbar gewesen, da der Widerspruch nach § 86a Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) keine aufschiebende Wirkung habe. Eine Beitragsänderung habe erst nach Vorlage der aktuellen Einkommensunterlagen erfolgen können. Soweit die Klägerin geltend mache, sie habe die Anwältin zur Prüfung der Erfolgsaussichten einer Schadenersatzklage gegen die Beklagte gebeten, liege kein ersatzfähiger Schaden vor. Die Vollstreckungsmaßnahmen seien bei Mandatierung von Rechtsanwältin U. bereits beendet gewesen. Soweit darüber hinaus ein Amtshaftungsanspruch denkbar sei, dürfe das SG dies wegen § 17 Abs 2 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) nicht prüfen und hierüber entscheiden. Eine Verweisung an den ordentlichen Rechtsweg komme nicht in Betracht.
Gegen das ihr am 28.11.2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin, noch anwaltlich vertreten, am 23.12.2014 Berufung eingelegt. Es sei unzutreffend, dass die Klägerin den Einkommenssteuerbescheid für 2005, der am 15.01.2008 erlassen worden sei, erst mit Anwaltsschreiben vom 21.08.2009 vorgelegt habe. Sie habe jahrzehntelange Erfahrung in Büroorganisation und sei überzeugt, den Einkommenssteuerbescheid nach Erhalt zeitnah an die Beklagte weitergeleitet zu haben. An den Erhalt des Bescheids vom 03.11.2008 oder von Mahnungen könne sie sich nicht erinnern. Es sei daher davon auszugehen, dass der Schätzungsbescheid vom 03.11.2008 gar nicht hätte ergehen dürfen und damit ein Pflichtverstoß vorliege, der zur Einforderung des entstandenen Schadens berechtige. Am 12.10.2015 hat der Bevollmächtigte der Klägerin das Mandat niedergelegt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 21.11.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 1.789,95 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte bestreitet die Weiterleitung des Einkommenssteuerbescheids durch die Klägerin bereits im Januar oder Februar 2008; sie habe die Übersendung mehrfach angemahnt (Schreiben vom 31.07.2008 und 10.10.2008). Selbst wenn die Klägerin mehrere Schreiben nicht erhalten haben sollte, sei ein Verschulden der Beklagten nicht dargelegt, denn sie habe den Steuerbescheid nicht erhalten. Im Übrigen hätte die Klägerin die Zwangsvollstreckung auf andere Weise verhindern können.
Nachdem eine Ladung zum Erörterungstermin der Klägerin am 13.10.2015 nicht zugestellt werden konnte, hat eine Anfrage beim Einwohnermeldeamt H. ergeben, dass die Klägerin dort zum 31.12.2012 nach unbekannt abgemeldet wurde und seither keine neue Anmeldung in Deutschland erfolgt ist. Mit Schreiben vom 16.11.2015 – gerichtet an eine von der Klägerin benannte Postfachadresse – ist die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass die Berufung ohne Angabe einer ladungsfähigen Anschrift unzulässig sei und bei fehlender Mitteilung die Berufung durch Beschluss als unzulässig verworfen werde. Nach Postrücklauf mit dem Vermerk "Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln", hat die Klägerin dieses Schreiben nochmals per E-Mail erhalten. Sie hat mitgeteilt, dass sie sich vorübergehend im Großraum Stuttgart bei Bekannten aufhalte und über Postfach oder E-Mail kontaktiert werden wolle. Mit Schreiben vom 15.12.2015 sind die Beteiligten nochmals auf die beabsichtigte Verwerfung der Berufung durch Beschluss hingewiesen worden mit Gelegenheit zur Stellungnahme. Dieses Schreiben ist der Klägerin öffentlich zugestellt worden durch Aushang einer entsprechenden Benachrichtigung an der Gerichtstafel für die Dauer von einem Monat gemäß Beschluss vom 15.12.2015.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist unzulässig.
Nach § 158 Satz 1 SGG ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nicht statthaft oder nicht form- oder fristgerecht eingelegt worden oder sonst unzulässig ist (Meyer-Ladewig in Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl, § 158 RdNr 5). Die Entscheidung kann nach Satz 2 der Bestimmung durch Beschluss ergehen; der Senat hat hiervon nach dem ihm eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht.
Die Berufung ist unzulässig, weil die Klägerin über keine ladungsfähige Anschrift verfügt. Sie hat schon zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung nicht mehr unter der angegebenen Anschrift in H. gewohnt. Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren erfordert im Regelfall, dass dem angerufenen Gericht die Wohnanschrift des Rechtsuchenden genannt wird; die bloße Angabe einer E-Mail-Anschrift, eines Postfachs und/oder einer Mobilfunk-Telefonnummer genügt ebenso wenig wie die Angabe "postlagernd" (Bundessozialgericht (BSG) 18.11.2003, B 1 KR 1/02 S, SozR 4-1500 § 90 Nr 1; ebenso Leitherer in Meyer-Ladewig ua, aaO § 92 RdNr 4). Das Anschriftserfordernis ist unumgänglich, um die rechtswirksame Zustellung gerichtlicher Anordnungen und Entscheidungen bewirken zu können (vgl § 63 Abs 2 SGG iVm §§ 166 ff Zivilprozessordnung (ZPO)).
Das Vorliegen einer Anschrift gehört zudem - unabhängig von der Frage der nur über sie möglichen förmlichen Zustellung - zu den Wesensmerkmalen eines Rechtsschutzbegehrens an ein Gericht, welche jedenfalls zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen müssen (so genannte Sachurteilsvoraussetzung; vgl § 92 SGG). Fehlt es daran, ist die Klage unzulässig, wenn die Angabe schlechthin und ohne zureichenden Grund verweigert wird (vgl Bundesgerichtshof (BGH) 09.12.1987, IVb ZR 4/87, BGHZ 102,332; BGH 19.03.2013, VI ZR 93/12, NJW 2013, 1681; BSG 18.11.2003, aaO). Die Klägerin hat überhaupt keinen Grund genannt, warum sie keine Anschrift mitteilt. Selbst wenn einem Rechtsschutzsuchenden aus nachvollziehbaren Gründen - etwa wegen Obdachlosigkeit - die Angabe einer Wohnadresse unmöglich ist, ist er gehalten, eine Anschrift oder Möglichkeit zu benennen, unter oder mit der er für Zustellungen des Gerichts erreichbar ist. Da die Prüfung der Prozessvoraussetzungen in jedem Verfahrensstadium, also auch im Rechtsmittelverfahren bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu erfolgen hat, führt das Fehlen einer ladungsfähigen Anschrift der Klägerin im Berufungsverfahrens zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels. Eine Prüfung des klägerischen Begehrens in der Sache ist dem Senat daher verwehrt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von Schadenersatz iHv 1.789,95 EUR.
Die Klägerin war bei der Beklagten als hauptberuflich Selbstständige versichert. Im März 2007 forderte die Beklagte die Klägerin zur Vorlage des Einkommenssteuerbescheids für das Jahr 2005 auf. Die Klägerin teilte mit, dass dieser noch nicht vorliege. Auf erneute Anforderung im Juni 2008 und Mahnungen reagierte die Klägerin nicht. Die Beklagte kündigte eine Beitragseinstufung nach Einnahmen in Höhe der Bemessungsgrenze an, wenn der Einkommenssteuerbescheid nicht vorgelegt werde.
Mit Bescheid vom 03.11.2008 setzte die Beklagte entsprechend ab 01.07.2008 Höchstbeiträge fest und leitete nachfolgend Vollstreckungsmaßnahmen ein. Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin, anwaltlich vertreten, eine Gewerbeabmeldung und den Einkommenssteuerbescheid für 2005 vor. Mit Schreiben vom 21.08.2009 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie an der Vollstreckung nicht festhalte, da voraussichtlich der Beitrag zu korrigieren sei. Mit Bescheid vom 04.09.2009 setzte die Beklagte rückwirkend ab 01.02.2008 die Beiträge iHd Mindestbemessungsgrundlage fest.
Im November 2009 wandte sich die Klägerin an Rechtsanwältin U ... Zu der zuvor beauftragen Anwaltskanzlei bestehe kein Vertrauen mehr. Rechtsanwältin U. forderte einen Kostenvorschuss iHv 300 EUR und führte in der Folgezeit für die Klägerin Schriftverkehr mit der Beklagten. Nachdem sich die Klägerin weigerte, die von Rechtsanwältin U. geforderte Vergütung von 1.489,95 EUR zu zahlen, klagte diese gegen die Klägerin vor dem Amtsgericht Titisee-Neustadt (AG). Mit Urteil vom 02.08.2012 (11 C 14/11) verurteilte das AG die Klägerin zur Zahlung der geforderten Vergütung; Inhalt des Mandats sei das Widerspruchsverfahren gegen die Beklagte gewesen. Die Berufung der Klägerin wurde mit Urteil des Landgerichts Freiburg vom 08.01.2014 (3 S 270/12) zurückgewiesen.
Am 14.06.2011 hat die Klägerin Klage zum Amtsgericht Wuppertal erhoben und von der Beklagten die Zahlung von 300 EUR Schadenersatz gefordert. Die Beklagte habe den Rechtsanwältin U. gezahlten Vorschuss zu erstatten, da die eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen unberechtigt gewesen seien.
Mit Beschluss vom 14.11.2012 hat das Amtsgericht Wuppertal den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an des Sozialgericht Freiburg (SG) verwiesen.
Die Klägerin hat die Klage erweitert und Schadenersatz iHv insgesamt 1.789,95 EUR gefordert. Die Beklagte habe den Schaden aufgrund der eingeleiteten Pfändung zu ersetzen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat ausgeführt, sie habe nicht rechtswidrig oder schuldhaft einen Schaden verursacht, sondern sei lediglich ihrer Verpflichtung zum Beitragseinzug nachgekommen. Zum Zeitpunkt der Einleitung der Vollstreckung sei der Beklagten nicht bekannt gewesen, dass die Beiträge niedriger zu bemessen seien, da die Klägerin erst nachträglich prüfungsfähige Unterlagen vorgelegt habe.
Mit Urteil vom 21.11.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Das SG sei aufgrund der Verweisung an die Zulässigkeit des Rechtswegs gebunden. Die Klageerweiterung sei zulässig, die Klägerin habe jedoch keinen Anspruch auf Schadenersatz. Als Anspruchsgrundlage komme nur § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in Betracht. Die Klägerin begründe den von ihr geltend gemachten Anspruch mit der von ihr an Rechtsanwältin U. zu leistenden Zahlung iHv 1.789,95 EUR. Nach den Ausführungen des AG sei Inhalt des Mandats das Widerspruchsverfahren gegen die Beklagte gewesen. Eine Kostenentscheidung der Beklagten nach § 63 SGB X über die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen liege nicht vor. Die Klägerin habe ausgeführt, eines Vorverfahrens bedürfe es nicht, da sie keine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage, sondern eine allgemeine Leistungsklage erhebe. Weitere Anspruchsgrundlagen seien nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des § 280 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) lägen nicht vor, denn es fehle an einer Pflichtverletzung der Beklagten. Der Beitragsbescheid sei sofort vollziehbar gewesen, da der Widerspruch nach § 86a Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) keine aufschiebende Wirkung habe. Eine Beitragsänderung habe erst nach Vorlage der aktuellen Einkommensunterlagen erfolgen können. Soweit die Klägerin geltend mache, sie habe die Anwältin zur Prüfung der Erfolgsaussichten einer Schadenersatzklage gegen die Beklagte gebeten, liege kein ersatzfähiger Schaden vor. Die Vollstreckungsmaßnahmen seien bei Mandatierung von Rechtsanwältin U. bereits beendet gewesen. Soweit darüber hinaus ein Amtshaftungsanspruch denkbar sei, dürfe das SG dies wegen § 17 Abs 2 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) nicht prüfen und hierüber entscheiden. Eine Verweisung an den ordentlichen Rechtsweg komme nicht in Betracht.
Gegen das ihr am 28.11.2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin, noch anwaltlich vertreten, am 23.12.2014 Berufung eingelegt. Es sei unzutreffend, dass die Klägerin den Einkommenssteuerbescheid für 2005, der am 15.01.2008 erlassen worden sei, erst mit Anwaltsschreiben vom 21.08.2009 vorgelegt habe. Sie habe jahrzehntelange Erfahrung in Büroorganisation und sei überzeugt, den Einkommenssteuerbescheid nach Erhalt zeitnah an die Beklagte weitergeleitet zu haben. An den Erhalt des Bescheids vom 03.11.2008 oder von Mahnungen könne sie sich nicht erinnern. Es sei daher davon auszugehen, dass der Schätzungsbescheid vom 03.11.2008 gar nicht hätte ergehen dürfen und damit ein Pflichtverstoß vorliege, der zur Einforderung des entstandenen Schadens berechtige. Am 12.10.2015 hat der Bevollmächtigte der Klägerin das Mandat niedergelegt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 21.11.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 1.789,95 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte bestreitet die Weiterleitung des Einkommenssteuerbescheids durch die Klägerin bereits im Januar oder Februar 2008; sie habe die Übersendung mehrfach angemahnt (Schreiben vom 31.07.2008 und 10.10.2008). Selbst wenn die Klägerin mehrere Schreiben nicht erhalten haben sollte, sei ein Verschulden der Beklagten nicht dargelegt, denn sie habe den Steuerbescheid nicht erhalten. Im Übrigen hätte die Klägerin die Zwangsvollstreckung auf andere Weise verhindern können.
Nachdem eine Ladung zum Erörterungstermin der Klägerin am 13.10.2015 nicht zugestellt werden konnte, hat eine Anfrage beim Einwohnermeldeamt H. ergeben, dass die Klägerin dort zum 31.12.2012 nach unbekannt abgemeldet wurde und seither keine neue Anmeldung in Deutschland erfolgt ist. Mit Schreiben vom 16.11.2015 – gerichtet an eine von der Klägerin benannte Postfachadresse – ist die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass die Berufung ohne Angabe einer ladungsfähigen Anschrift unzulässig sei und bei fehlender Mitteilung die Berufung durch Beschluss als unzulässig verworfen werde. Nach Postrücklauf mit dem Vermerk "Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln", hat die Klägerin dieses Schreiben nochmals per E-Mail erhalten. Sie hat mitgeteilt, dass sie sich vorübergehend im Großraum Stuttgart bei Bekannten aufhalte und über Postfach oder E-Mail kontaktiert werden wolle. Mit Schreiben vom 15.12.2015 sind die Beteiligten nochmals auf die beabsichtigte Verwerfung der Berufung durch Beschluss hingewiesen worden mit Gelegenheit zur Stellungnahme. Dieses Schreiben ist der Klägerin öffentlich zugestellt worden durch Aushang einer entsprechenden Benachrichtigung an der Gerichtstafel für die Dauer von einem Monat gemäß Beschluss vom 15.12.2015.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist unzulässig.
Nach § 158 Satz 1 SGG ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nicht statthaft oder nicht form- oder fristgerecht eingelegt worden oder sonst unzulässig ist (Meyer-Ladewig in Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl, § 158 RdNr 5). Die Entscheidung kann nach Satz 2 der Bestimmung durch Beschluss ergehen; der Senat hat hiervon nach dem ihm eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht.
Die Berufung ist unzulässig, weil die Klägerin über keine ladungsfähige Anschrift verfügt. Sie hat schon zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung nicht mehr unter der angegebenen Anschrift in H. gewohnt. Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren erfordert im Regelfall, dass dem angerufenen Gericht die Wohnanschrift des Rechtsuchenden genannt wird; die bloße Angabe einer E-Mail-Anschrift, eines Postfachs und/oder einer Mobilfunk-Telefonnummer genügt ebenso wenig wie die Angabe "postlagernd" (Bundessozialgericht (BSG) 18.11.2003, B 1 KR 1/02 S, SozR 4-1500 § 90 Nr 1; ebenso Leitherer in Meyer-Ladewig ua, aaO § 92 RdNr 4). Das Anschriftserfordernis ist unumgänglich, um die rechtswirksame Zustellung gerichtlicher Anordnungen und Entscheidungen bewirken zu können (vgl § 63 Abs 2 SGG iVm §§ 166 ff Zivilprozessordnung (ZPO)).
Das Vorliegen einer Anschrift gehört zudem - unabhängig von der Frage der nur über sie möglichen förmlichen Zustellung - zu den Wesensmerkmalen eines Rechtsschutzbegehrens an ein Gericht, welche jedenfalls zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen müssen (so genannte Sachurteilsvoraussetzung; vgl § 92 SGG). Fehlt es daran, ist die Klage unzulässig, wenn die Angabe schlechthin und ohne zureichenden Grund verweigert wird (vgl Bundesgerichtshof (BGH) 09.12.1987, IVb ZR 4/87, BGHZ 102,332; BGH 19.03.2013, VI ZR 93/12, NJW 2013, 1681; BSG 18.11.2003, aaO). Die Klägerin hat überhaupt keinen Grund genannt, warum sie keine Anschrift mitteilt. Selbst wenn einem Rechtsschutzsuchenden aus nachvollziehbaren Gründen - etwa wegen Obdachlosigkeit - die Angabe einer Wohnadresse unmöglich ist, ist er gehalten, eine Anschrift oder Möglichkeit zu benennen, unter oder mit der er für Zustellungen des Gerichts erreichbar ist. Da die Prüfung der Prozessvoraussetzungen in jedem Verfahrensstadium, also auch im Rechtsmittelverfahren bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu erfolgen hat, führt das Fehlen einer ladungsfähigen Anschrift der Klägerin im Berufungsverfahrens zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels. Eine Prüfung des klägerischen Begehrens in der Sache ist dem Senat daher verwehrt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved