L 11 R 2180/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 25 R 821/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2180/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 25.03.2013 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird endgültig auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beigeladene zu 1) in der Zeit vom 01.01.2008 bis 31.07.2009 beim Kläger sozialversicherungspflichtig beschäftigt war.

Der 1958 geborene Beigeladene zu 1) ist in der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Beigeladenen zu 2) versichert. Er meldete zum 01.07.2007 ein Gewerbe zum Vertrieb von Telekommunikation an. Zum 01.08.2009 gab er das Gewerbe auf. Der Beigeladene zu 1) war vom 01.01.2008 bis 31.07.2009 für den Kläger als Vertreter tätig. Sein Aufgabengebiet umfasste telefonische Neukundenwerbung und Verkauf von Autozubehör an Kfz-Werkstätten, Autohändler und Kfz-Verkaufsniederlassungen im Bundesgebiet und Österreich in einem Call-Center. Ein schriftlicher Vertrag wurde nicht geschlossen. Die Vergütung erfolgte ausschließlich auf Provisionsbasis mittels Verrechnungsscheck. Der Beigeladene zu 1) mietete beim Kläger einen Kfz-Stellplatz in der Tiefgarage am Betriebssitz in S ...

Der Beigeladene zu 1) beantragte am 10.09.2009 bei der Beklagten die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status und dass ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt. Er gab im Antrag an, dass er ausschließlich für den Kläger sowie eine weitere Firma tätig gewesen sei, am Betriebssitz des Auftraggebers gearbeitet habe, regelmäßige Arbeits- und Anwesenheitszeiten von 8 Stunden täglich einzuhalten gehabt habe, ihm Weisungen hinsichtlich der Ausführung der Tätigkeit erteilt worden seien und der Auftraggeber ihn in eine andere Abteilung im Hause versetzen hätte können. Ein eigener Kapitaleinsatz, eigene Kalkulation und eigene Preisgestaltung habe nicht vorgelegen. Die Neukundenwerbung habe nur mit dem zur Verfügung gestellten Adressenmaterial durchgeführt werden dürfen. Die Möglichkeit, einen eigenen Bestand an Kunden aufzubauen, habe es nicht gegeben. Mündlich sei eine Arbeitszeit Montag bis Donnerstag von 9:00 Uhr bis 17:00 Uhr und Freitag von 9:00 Uhr bis 15:00 Uhr sowie tägliche Pausenzeiten von 12:00 Uhr bis 13:00 Uhr und gegebenenfalls zeitlich definierte Raucherpausen vereinbart worden. Die Tätigkeit sei nur vom betrieblichen Arbeitsplatz aus erlaubt gewesen. Täglich sei ein Tagesbericht angefordert worden, Kundenkontakt sei nur über die Telefonanlage des Klägers erlaubt gewesen.

Mit Schreiben vom 09.04.2010 hörte die Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Feststellung des Vorliegens einer abhängigen Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) an. Der Kläger teilte mit, dass der Beigeladene zu 1) als freier Mitarbeiter tätig gewesen sei. Weder Arbeitszeit noch Arbeitsort seien vorgegeben gewesen. Es hätte auch keine Verpflichtung gegeben, die Leistung persönlich zu erbringen bzw. etwaige Weisungen oder Einschränkungen bei der Arbeit. Eine Abmeldung bei Krankheit sei nicht vorgesehen gewesen. Es gebe keine fest angestellten Mitarbeiter, die die gleiche Tätigkeit ausgeübt hätten wie der Beigeladene zu 1).

Mit Bescheid vom 28.06.2010 stellte die Beklagte fest, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) beim Kläger vom 01.01.2008 bis 31.07.2009 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde und Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung mit der Aufnahme der Beschäftigung entstand. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass nach Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis überwiegen würden. Hierfür spreche, dass der Auftragnehmer hinsichtlich der Ausführung der zu erbringenden Leistung Einschränkungen durch die Verpflichtung zur Abarbeitung von Adresslisten unterlegen habe und als Tätigkeitsort der Betriebssitz des Auftraggebers vorgesehen gewesen sei, da dort ein Arbeitsplatz nebst Telefon zur Verfügung gestanden habe. Zudem habe die Verpflichtung bestanden, die Leistung persönlich zu erbringen. Der Annahme eines Arbeitsverhältnisses stehe nicht entgegen, dass die Zahlung einer Vergütung im Urlaubs- oder Krankheitsfall nicht erfolgt sei. Auch wenn der Auftragnehmer Teile des Auftrages in Heimarbeit erledige, sei dies kein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit. Vielmehr spreche für die Durchführung der Tätigkeit am Betriebssitz des Auftraggebers, dass der Beigeladene zu 1) dort einen Stellplatz für sein Fahrzeug angemietet habe. Die Anmeldung eines Gewerbes sei kein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit, da bei der Erteilung dieses Gewerbescheins keine Prüfung des Status vorgenommen werde. Für eine selbstständige Tätigkeit spreche die Vergütung ausschließlich auf Provisionsbasis.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, mit dem die Aussagen des Beigeladenen zu 1) bestritten wurden. Dieser bekräftigte die von ihm geschilderten Umstände der Tätigkeit. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie wies darauf hin, dass der Beigeladene zu 1) keinem Unternehmerrisiko unterlegen habe. Er habe kein eigenes Kapital bzw. eigene Betriebsmittel eingesetzt, deren wirtschaftlicher Erfolg ungewiss ist. Vielmehr habe er ausschließlich die eigene Arbeitskraft eingesetzt und sei funktionsgerecht dienend in einer fremden Arbeitsorganisation tätig geworden.

Hiergegen hat der Kläger am 08.02.2011 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. In Ergänzung zum bisherigen Vorbringen hat er zur Begründung der Klage ausgeführt, dass es dem Beigeladenen zu 1) unbenommen gewesen sei, eigene weitere Kunden zu ermitteln und im Rahmen der Vertriebstätigkeit anzusprechen. Soweit die Tätigkeit in den Räumen der Klägerin erfolgt sei, habe er entsprechende Kundenlisten erhalten und sei damit in der Lage gewesen, gezielt Kundenkontakte herzustellen und Umsätze zu generieren. Die Vertragsbeziehungen zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 1) hätten geendet, als der Beigeladene zu 1) gemeinsam mit einem anderen Provisionsvertreter beabsichtigt habe, sich mit einem neuen Konkurrenzunternehmen unter Mitnahme des Kundenstammes des Klägers selbständig zu machen.

In einer mündlichen Verhandlung vor dem SG am 27.10.2011 hat der Kläger ausgeführt, dass bei Krankmeldungen Bescheid gegeben worden sei. Eine Pflicht hierzu habe nicht bestanden. Wenn ein freier Mitarbeiter abends auf seinem Schreibtisch unerledigte Aufträge hinterlassen habe und er dann gegebenenfalls erkrankt sei, seien die Unterlagen durch den nächsten freien Mitarbeiter bearbeitet worden. Sicherlich habe es auch Vorgaben für die Kundengespräche gegeben. Näheres sei ihm jedoch nicht bekannt, da er selbst das Geschäft nicht führe. Der Beigeladene zu 1) hat ausgeführt, dass er zu Hause einen vollständig eingerichteten Arbeitsplatz gehabt habe und deshalb an sich für ihn keine Notwendigkeit bestanden hätte, im Betrieb des Klägers am Arbeitsplatz anwesend zu sein. Vielmehr sei dies Vorgabe der Geschäftsleitung gewesen. Er habe sich auch nicht selbst Kundenlisten aus der Adresskarteien des Klägers wählen können. Die Ordner mit den Adressdaten seien von einer Sekretärin zugeteilt worden. Der Vertriebsleiter habe mehrfach Weisungen erteilt. Er sei im hier gegenständlichen Zeitraum für keinen weiteren Auftraggeber tätig geworden, weil dies zeitlich auch nicht möglich gewesen sei. Er habe täglich von 9:00 Uhr bis 17:00 Uhr für den Kläger gearbeitet sowie mehrere Mitarbeiter eingearbeitet und geschult.

Das Gericht hat in zwei weiteren mündlichen Verhandlungen vom 05.12.2012 und 25.03.2013 ehemalige Auftragnehmer des Klägers, den Verkaufsleiter Herr G. und den Sohn des Klägers, der den Vertrieb koordiniert hat, Herrn F. F., als Zeugen vernommen.

Mit Urteil vom 25.03.2013 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass das Maß an persönlicher Freiheit des Beigeladenen zu 1) durch zeitliche und inhaltliche Vorgaben so weit eingeschränkt gewesen sei, dass dieser seine Arbeitszeit und Tätigkeit nicht mehr im Wesentlichen frei gestaltet habe. So habe er während der Vertriebstätigkeit einem Zeit, Ort und Art der Ausführung der Tätigkeit umfassenden Weisungsrecht unterlegen. Er habe seine Vertriebstätigkeit grundsätzlich während der Büroöffnungszeiten in den Räumen des Klägers in S. zu verrichten gehabt, auch wenn seine Arbeitszeit nicht exakt mit dem Bürozeiten übereinstimmen musste. Zudem seien die Pausenzeiten von den Vorgesetzten G. und F. F. verbindlich vorgegeben gewesen. Urlaub hätte genehmigt werden müssen. Es habe auch ein Weisungsrecht des Klägers betreffend die Art der Ausführung der Tätigkeit bestanden, denn der Beigeladene zu 1) habe sich an einem vom Kläger ausgehändigten Gesprächsleitfaden zu orientieren und die Adresslisten und Ordner mit Kunden des Klägers telefonisch abzuarbeiten gehabt. Der Beigeladene zu 1) sei auch in die Betriebsorganisation des Klägers eingegliedert gewesen. Hierfür spreche die Ausstattung mit einem Arbeitsplatz, die Ausgabe der Ordner, fehlenden Kundenschutz und die Rechnungsstellung durch Mitarbeiter des Klägers. Für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit spreche dagegen allein die Bezahlung auf Provisionsbasis.

Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 23.04.2013 zugestellte Urteil hat dieser am 22.05.2013 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die streitgegenständliche Frage bezüglich der Sozialversicherungspflicht von persönlichen Animositäten des Beigeladenen zu 1) überlagert sei. Dieser sei unmittelbar nach Beendigung der Tätigkeit für den Kläger mit einem eigenen Konkurrenzunternehmen wirtschaftlich gescheitert. Diese besondere Motivationslage habe das SG nicht beachtet. Vielmehr seien sämtliche Behauptungen des Beigeladenen zu 1) zum vermeintlichen Beleg seiner abhängigen und weisungsunterworfenen Beschäftigung im Rahmen der umfangreichen Zeugeneinvernahme widerlegt worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 25.03.2013 sowie den Bescheid vom 28.06.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2011 aufzuheben und festzustellen, dass für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) bei dem Kläger in der Zeit vom 01.01.2008 bis 31.07.2009 keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, der gesetzlichen Pflegeversicherung, der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung bestand.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, jedoch unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 28.06.2010 in der Gestalt der Widerspruchsbescheides vom 19.01.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) beim Kläger in der Zeit vom 01.01.2008 bis 31.07.2009 bestand Versicherungspflicht in sämtlichen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung aufgrund einer abhängigen Beschäftigung.

Die angefochtenen Bescheide sind formell rechtmäßig. Sie sind nach erfolgter Anhörung der Beteiligten ergangen. Die Beklagte hat die Anforderungen erfüllt, die das Bundessozialgericht (BSG) an eine Statusfeststellung gestellt hat. Danach genügt nicht die losgelöste Entscheidung über das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses, sondern es ist ebenso eine Feststellung zum Vorliegen von Versicherungspflicht zu treffen (BSG 11.03.2009, B 12 R 11/07 R, BSGE 103, 17 = SozR 4-2400 § 7a Nr 2 mit Anmerkung von Plagemann, E-WiR 2009, 689; 04.06.2009, B 12 R 6/08 R; hierzu auch ausführlich Merten, SGb 2010, 271).

Nach § 7a Abs 1 Satz 1 SGB IV in der hier anzuwendenden, seit 01.01.2009 geltenden Fassung des Art 1 Nr 1 des 2. SGB IV ÄndG vom 21.12.2008 (BGBl I 2933) können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung der nach § 7a Abs 1 Satz 3 SGB IV zuständigen Beklagten beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet. Diese entscheidet aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände, ob eine Beschäftigung vorliegt (§ 7a Abs 2 SGB IV). Das Verwaltungsverfahren ist in den Absätzen 3 bis 5 der Vorschrift geregelt. § 7a Abs 6 SGB IV regelt in Abweichung von den einschlägigen Vorschriften der einzelnen Versicherungszweige und des SGB IV den Eintritt der Versicherungspflicht (Satz 1) und die Fälligkeit des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (Satz 2). Abs 7 der Vorschrift ordnet die aufschiebende Wirkung von Klage und Widerspruch bezüglich der Fälligkeit der Beiträge an (Satz 1). Mit dem rückwirkend zum 01.01.1999 durch das Gesetz zur Förderung der Selbstständigkeit vom 20.12.1999 (BGBl 2000 I, Seite 2) eingeführten Anfrageverfahren soll eine schnelle und unkomplizierte Möglichkeit zur Klärung der Statusfrage erreicht werden; zugleich sollen divergierende Entscheidungen verhindert werden (BT-Drucks 14/1855, Seite 6).

Einen entsprechenden Antrag auf Statusfeststellung hat der Beigeladene zu 1) am 10.09.2009 gestellt. Ein vorheriges Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung durch einen anderen Versicherungsträger oder die Einzugsstelle ist nicht ersichtlich.

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterlagen im streitgegenständlichen Zeit-raum in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw Beitragspflicht (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB V, § 20 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB XI, § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI, § 25 Abs 1 SGB III). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs 1 Satz 1 SGB IV in der ab 01.01.1999 geltenden Fassung. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zum Ganzen BSG 29.08.2012, B 12 R 25/10 R, BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17 mwN).

Nach den genannten Grundsätzen überwiegen zur Überzeugung des Senats in der Zusammen-schau aller Aspekte die Einzelaspekte, die für eine Beschäftigung sprechen, so dass nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung eine abhängige Beschäftigung gegeben ist.

Ausgangspunkt für die Beurteilung ist zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt (Senatsurteil vom 18.07.2013, L 11 R 1083/12). Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehungen geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (BSG 29.08.2012, B 12 KR 25/10 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 17).

Ein schriftlicher Vertrag über die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) liegt nicht vor. Dies schließt eine Beschäftigung nicht aus, denn eine solche kann sowohl mündlich vereinbart werden als auch durch faktischen Vollzug entstehen. Vorliegend spricht die nur mündliche Vereinbarung allerdings eher gegen eine selbstständige Tätigkeit, denn üblicherweise werden bei der Beauftragung selbstständiger Unternehmer bzw Handelsvertreter insbesondere wegen der Anforderungen an die steuerlichen Pflichten, die Haftungsfragen, die Vergütungsregeln und den geschuldeten Umfang der Tätigkeiten sowie zum Nachweis der Regelungen genaue und schriftliche Vereinbarungen getroffen.

Nach den Feststellungen des Senats auf der Grundlage der Akten und insbesondere des Vorbringens der Beteiligten sowie der Zeugenaussagen in den mündlichen Verhandlungen vor dem SG wurde der Beigeladene zu 1) vom Kläger mit dem telefonischen Vertrieb von Autozubehör an Werkstätten und Kfz-Händler beauftragt. Der konkrete Verkaufsartikel wurde vom Betrieb vorgegeben. Jede Abteilung des Betriebs vertrieb einen anderen Artikel. Der Beigeladene zu 1) hatte üblicherweise während der Büroöffnungszeiten am Arbeitsplatz in den Räumen des Klägers anwesend zu sein und dort unter Beachtung eines Gesprächsleitfadens vom Kläger zur Verfügung gestellte Adressenlisten abzuarbeiten. Die betrieblich vorgegebene Mittagspause war zu beachten. Bei einer zeitlich früheren Beendigung der Tätigkeit meldete sich der Beigeladene zu 1) beim Verkaufsleiter ab. Urlaub musste er sich von diesem genehmigen lassen. Ein Kundenschutz (persönliche Bestandskunden) bestand nicht. Vielmehr wurde der von der Sekretärin oder vom Verkaufsleiter übergebene Ordner mit den Adressdaten nach der Bearbeitung dieser zurückgegeben und später gegebenenfalls auch einem anderen Mitarbeiter wieder ausgehändigt. Der Beigeladene zu 1) mietete sich beim Kläger einen Kfz-Stellplatz in der Tiefgarage. In unregelmäßigen Abständen wurden die Mitarbeiter vom Verkaufsleiter bzw vom Sohn des Klägers zu Teambesprechungen an der Theke zusammengerufen. An diesen Besprechungen musste der Kläger teilnehmen. Die Vergütung erfolgte ausschließlich auf Provisionsbasis je nach Umsatz (10-12%). Der Beigeladene zu 1) hat monatlich gegenüber dem Kläger abgerechnet unter Ansatz von Umsatzsteuer, wobei die Rechnungen von Mitarbeitern des Klägers erstellt worden sind. Bezahlter Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wurde nicht geleistet. Der Senat schließt sich insoweit der Beweiswürdigung durch das SG an.

Eine Vertriebstätigkeit ist grundsätzlich nicht nur im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, sondern auch im Rahmen einer freier Mitarbeit als Handelsvertreter (Dienstvertrag) möglich. Für die Statusabgrenzung ist sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) als auch nach der Rechtsprechung des BSG nicht entscheidend, an wie vielen verschiedenen Vorhaben der Betreffende teilgenommen hat und ob er auch für andere Auftraggeber tätig ist bzw war (BAG 09.10.2002, 5 AZR 405/01). Erforderlich ist selbst im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses stets eine Bewertung der einzelnen Arbeitseinsätze (BSG, 28.05.2008, B 12 KR 13/07 R). Abzustellen ist daher nur auf die Tätigkeit des Beigeladene zu 1) für den Kläger. Abgesehen davon war der Beigeladene zu 1) im streitigen Zeitraum ausschließlich für den Kläger tätig, mit wöchentlich 38 Arbeitsstunden. Schon dieser Umfang der Tätigkeit ist ein gewichtiges Indiz für abhängige Beschäftigung.

Für die Annahme einer selbständigen Handelsvertretertätigkeit spricht lediglich die Abrechnung ausschließlich nach Umsatzprovision, also erfolgsabhängig. Jedoch tritt dies im vorliegenden Fall zurück. Die Art der Vergütung erfordert nicht zwingend die Einstufung als selbständige Tätigkeit, da auch in an sich zeitbestimmten Beschäftigungsverhältnissen mit Akkord- und Prämienlöhnen erfolgsabhängige Vergütungsformen existieren (vgl Maschmann, NZA 2013, 1305, 1306).

Der Beigeladene zu 1) setzte letztlich seine Arbeitskraft und keine wesentlichen Arbeitsmittel mit der ungewissen Aussicht darauf, Einnahmen zu erzielen, ein. Die Belastung mit Risiken gerade im Zusammenhang mit der - hier im Vordergrund stehenden - Verwertung der Arbeitskraft spricht jedoch nur dann für Selbstständigkeit, wenn ihr auch eine größere Freiheit bei der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft gegenüber steht (vgl BSG 13.07.1978, 12 RK 14/78, SozR 2200 § 1227 Nr 17; BSG 04.06.1998, B 12 KR 5/97 R, SozR 3-2400 § 7 Nr 13 mwN). Dies war hier aber nicht der Fall. Soweit das Unternehmerrisiko darin gesehen werden könnte, aufgrund geringer Umsatzzahlen nur geringe Provisionen zu erhalten, ist das Risiko vergleichbar mit jedem Arbeitnehmer, der nach Akkord bezahlt wird. Ein Unternehmensrisiko kann nur dann angenommen werden, wenn eine Gefahr vorliegt, die über diejenige hinausgeht, kein Entgelt zu erzielen. Dies ist der Fall, wenn bei Auftragsmangel nicht nur kein Einkommen erzielt wird, sondern auch zusätzliche Kosten für betriebliche Investitionen brach liegen (LSG Sachsen 04.03.2014, L 5 R 425/12). Hierfür bestehen keine Anhaltspunkte.

Vielmehr spricht die konkrete Vertragsbeziehung, wie sie sich für den Senat darstellt, dafür, dass der Beigeladene zu 1) dem Kläger allein seine Arbeitskraft zur Verfügung gestellt hat. Der Beigeladene zu 1) war auch in die Arbeitsorganisation des Klägers eingebunden und unterlag im Sinne der ständigen Rechtsprechung des BSG einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Klägers.

Ein Anknüpfungskriterium ist zunächst, dass der Beigeladene zu 1) hinsichtlich der hier streitigen Tätigkeit zwar über eine eigene Arbeitsorganisation - eigenes Büro mit Telefon am Wohnsitz - verfügte, dieses jedoch für die Tätigkeit nicht nutzte. Vielmehr arbeitete er täglich am Arbeitsplatz in den Räumen des Klägers und wurde funktionsgerecht dienend in einer fremden Arbeitsorganisation tätig. Er mietete sich sogar einen Kfz-Stellplatz an und fuhr täglich mit dem Auto ins Büro. Dies wäre offensichtlich für die konkrete Tätigkeit des rein telefonischen Vertriebs nicht nötig gewesen. Demgegenüber hat die Beweisaufnahme vor dem SG eindeutig ergeben, dass der Kläger von den Mitarbeitern Anwesenheit während der Büroöffnungszeiten erwartete. Das haben insbesondere die glaubwürdigen Zeugen G., F. und E. bestätigt. Auch der Zeuge J. hat eine Anwesenheitspflicht letztlich bejaht. Dass in einzelnen Fällen auch einmal Kunden persönlich besucht worden sind, fällt nicht ins Gewicht. Denn fast alle Zeugen haben bestätigt, dass dies die Ausnahme war. Vielmehr waren rein faktisch schon fast alle Mitarbeiter immer währenden Büroöffnungszeiten anwesend. Zum einen ergibt sich das schon aus dem nachvollziehbaren Wunsch der Mitarbeiter, innerhalb der möglichen Büroöffnungszeiten möglichst hohen Umsatz zu generieren. Zum anderen konnte eine effiziente Umsatzerzielung nur mit den vom Kläger zur Verfügung gestellten Ordnern mit den Adressdaten erreicht werden. Im Übrigen hat der Zeuge G. nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass mit den Stellenannoncen in der Zeitung explizit Mitarbeiter für den Innendienst gesucht worden sind.

Der Beigeladene zu 1) unterlag auch inhaltlichen Vorgaben des Klägers, die nicht allesamt schon im Vorfeld bei der Auftragsvergabe feststanden. So gab es im Betrieb einen Gesprächsleitfaden, dessen Einhaltung gerne gesehen war. Dass keine sklavische Bindung daran bestand, führt nicht automatisch zur Annahme einer selbständigen Tätigkeit, sondern kann bei geschulten und erfahrenen Vertretern wohl als üblich angesehen werden. Entscheidend ist jedoch, dass dem Beigeladenen zu 1) feste Produkte für den Vertrieb zugewiesen worden sind, auf die er keinen Einfluss hatte. Die Mehrheit der Zeugen hat glaubhaft ausgeführt, dass ein Vertrieb von Produkten, für die eine andere Abteilung zuständig war, üblicherweise nicht erfolgte. Vielmehr wurde eine solche Kundenanfrage an die zuständige Abteilung weitergegeben. Auch hatte der Beigeladene zu 1) grundsätzlich den Vertriebsweg per Telefon einzuhalten. Dass bei persönlichen Kontakten zu Autohäusern oder Werkstätten auch persönliche Verkaufsbesuche möglich gewesen sind, ändert nichts an der grundsätzlichen Organisation durch den Kläger.

Der Senat übersieht nicht, dass das Verhältnis zwischen dem Beigeladenen zu 1) sowie den Zeugen G., F. und E. und dem Kläger auf der anderen Seite möglicherweise zerrüttet ist. Dies ändert nichts an der Glaubwürdigkeit der detaillierten und inhaltlich nicht widersprüchlichen Zeugenaussagen während der sehr sorgfältigen und umfangreichen Zeugeneinvernahme durch das SG. Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten werden die Einlassungen des Beigeladenen zu 1) sowie der soeben genannten Zeugen nicht durch die übrigen Zeugenaussagen widerlegt. Vielmehr sind diese oftmals unergiebig und die Zeugen nahezu ausnahmsweise ohne Erinnerung an die konkreten Verhältnisse betreffend den Beigeladenen zu 1). Im Übrigen darf der Interessenkonflikt betreffend die zum Zeitpunkt der Zeugenaussage noch vom Kläger beschäftigten Zeugen sowie den Sohn des Klägers nicht unberücksichtigt bleiben.

Die Gewerbeanmeldung des Beigeladenen zu 1) kann nicht als wesentliches Indiz dafür herangezogen werden, dass er selbstständig tätig gewesen ist, denn eine Überprüfung durch das Gewerbeaufsichtsamt hinsichtlich des Vorliegens einer Beschäftigung findet nicht statt. Die Anmeldung eines Gewerbes und die Vergütung in Form von Rechnungen setzen eine selbständige Tätigkeit voraus, begründen aber für sich allein keine solche (Beschluss des Senats vom 19.07.2012, L 11 KR 1789/12 ER-B). Im Übrigen spricht der Umstand, dass im vorliegenden Fall die Rechnungen von Mitarbeitern des Klägers geschrieben wurden, sehr stark gegen die Annahme einer selbständigen Tätigkeit. Vielmehr ist auch das ein starkes Indiz für die Eingliederung des Beigeladenen zu 1) in den Betrieb des Klägers.

Dass keine Arbeitnehmerschutzrechte wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder bezahlter Urlaub vereinbart waren, kann ebenfalls nicht als Indiz für selbstständige Tätigkeit herangezogen werden. Solche Vertragsgestaltungen sind als typisch anzusehen, wenn beide Seiten eine selbstständige freie Mitarbeit wollten.

In der Gesamtabwägung überwiegen nach alledem die Gesichtspunkte, die für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechen.

Die Beklagte hat deshalb zu Recht festgestellt, dass der Beigeladene zu 1) aufgrund seiner Tätigkeit beim Kläger versicherungspflichtig in sämtlichen Zweigen der Gesetzlichen Sozialversicherung war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, 52 Abs 2, 47 GKG. Nachdem vorliegend keine konkrete Summe im Streit steht und sich eine solche auch nicht ermitteln lässt, bestimmt sich die endgültige Festsetzung des Streitwerts nach dem Auffangstreitwert in Höhe von 5.000 EUR (st Rspr des Senats; siehe dazu Beschluss vom 17.07.2014, L 11 R 2546/14 B).

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved