Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 15 KR 3465/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 5330/15 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 28. Dezember 2015 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Kläger begehren die Gewährung von Leistungen zur häuslichen Krankenpflege für den Kläger zu 2).
Der Kläger zu 2) ist am 2003 geboren und bei der Beklagten familienkrankenversichert. Er leidet unter einer Kleinhirnatrophie auf Grund eines mitochondrialen Defektes. Er besucht tagsüber eine Spezialschule für geistig-körperliche Behinderung Die Klägerin zu 1) ist die sorgeberechtigte Mutter des Klägers zu 2). Sie lebt mit dem Kläger zu 2) und einem weiteren Kind zusammen und ist alleinerziehend. Sie ist halbtags berufstätig. Der Kläger zu 2) enthält von der Pflegeversicherung Pflegegeld nach Pflegestufe III.
Facharzt für Pädiatrie Dr. Gr. verordnete dem Kläger zu 2) unter dem 27. November 2014 für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2015 auf Grund der Diagnosen mitochondriale Zytopathie, enzophalopathische Krise, Epilepsie mit hypomotorischen Anfällen und geistiger Behinderung häusliche Krankenpflege zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung. Es sei Behandlungspflege in Form von Herrichten und Verabreichen von Medikamenten, spezieller Krankenbeobachtung, Krampfprotokoll, intermittierender Überwachung bei Krampfanfall mit Eingriffen mit Buccolam Burcal, Absaugen bei Bedarf und O2-Gabe bei Bedarf im Umfang von 280 Stunden pro Monat erforderlich.
Mit Bescheid vom 9. Dezember 2014 bewilligte eine Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte) dem Kläger zu 2) die verordneten Leistungen der Behandlungspflege bis zu 280 Stunden pro Monat für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2015. Die häusliche Krankenpflege wurde in der Folgezeit durch die Care-4-Kids-GmbH durchgeführt.
Am 21. Mai 2015 beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit der Begutachtung, ob im vorliegenden Fall die Verordnung der speziellen Krankenbeobachtung im Umfang von 280 Stunden pro Monat plausibel und medizinisch begründet sei. Dr. Sc. vom MDK äußerte unter dem 11. Juni 2015 die Einschätzung, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungen nicht erfüllt seien. Anhand der vorliegenden Unterlagen, wobei anzumerken sei, dass die vorgelegte Pflegedokumentation kaum leserlich sei, sei die Notwendigkeit der speziellen Krankenbeobachtung im Umfang von 280 Stunden im Monat nicht nachvollziehbar. Interventionsbedürftige Krampfanfälle seien nicht dokumentiert.
Mit Bescheid vom 16. Juni 2015 hob die Beklagte ohne vorherige Anhörung des Klägers zu 2) ihren Bescheid vom 9. Dezember 2014 mit Wirkung zum 1. Juli 2015 gegenüber dem Kläger zu 2) – adressiert an die Klägerin zu 1) – auf. Sie verwies auf das Gutachten des Dr. Sc ... Ein stufenweiser Rückzugspflegeplan zum 31. Juli 2015 sei dem Pflegedienst telefonisch und schriftlich mitgeteilt worden. Für Juni 2015 würden insgesamt noch 280 Stunden, für die Zeit vom 1. bis 15. Juli 2015 insgesamt 100 Stunden und für den Zeitraum vom 16. bis 31. Juli insgesamt 50 Stunden häusliche Krankenpflege übernommen. Die Beklagte informierte mit Schreiben vom 16. Juni 2015 den Pflegedienst und Dr. Gr. über ihre Entscheidung.
Gegen den Bescheid erhob der Kläger zu 2) unter dem 22. Juni 2015 Widerspruch.
Unter dem 6. Juli 2015 teilte Frau F. (Leitung der Nachsorge des Zentrums für Jugendmedizin H.) der Beklagten mit, dass der Kläger zu 2) an unklaren enzephalopathischen Krisen mit dem Verlust seiner bisher erworbenen Fähigkeiten leide. Weiter leide er unter Ataxie mit progredienter chronischer Kleinhirnatrophie und in dessen Folge sensorineuraler Schwerhörigkeit beidseits. Es bestehe eine geistige Behinderung mit schwerer Verhaltensstörung. Nachts schlafe der Kläger zu 2) kaum. Es komme zu schweren Attacken, bei denen der Kläger wild um sich schlage und den Kopf vor die Wand haue. Der Kläger zu 2) versuche, unkoordiniert aufzustehen. Dabei verletze er sich an den Bettgittern. Er habe vermehrt Sättigungsabfälle mit Bradykardien. In den letzten Wochen habe der Pflegedienst wieder die O2-Sättigung mittels Monitor überwacht. Der Kläger zu 2) zeige Krampfzeichen; die Pflegeperson vor Ort müsse in der Lage sein, dies einzuschätzen und dementsprechend ein Notfallmedikament zu verabreichen. Die Prognose sei sehr ungünstig. Die Überwachung könne nur durch eine examinierte Fachkraft erfolgen.
Mit Bescheid vom 28. Juli 2015 bewilligte die Beklagte dem Kläger zu 2) Leistungen der häuslichen Krankenpflege (spezielle Krankenbeobachtung) in Höhe von 200 Stunden für August 2015. Parallel dazu beauftragte sie den MDK erneut mit der Erstellung eines Gutachtens. Dr. P. vom MDK kam unter dem 21. August 2015 zu der Einschätzung, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungen nicht erfüllt seien. Im Gutachten vom 11. Juni 2015 seien sämtliche krankheitsbedingte Beeinträchtigungen des Klägers zu 2) berücksichtigt und der daraus resultierte Hilfebedarf korrekt abgeleitet worden. Aus der Pflegedokumentation gingen keine vital bedrohlichen Grand-Mal-Anfälle hervor. Im Vordergrund stünde die motorische Unruhe des Klägers zu 2) mit Lautieren sowie ungezielten Bewegungen, bei denen eine potentielle Verletzungsgefahr bestehe. Nach Auskunft der Pflegdienstleitung sei über mehrere Wochen kein Diazepam als Notfallmedikation bei Grand-Mal-Anfällen verabreicht worden. Bei der letzten ambulanten Vorstellung in der Kinderklink der Universitätsklinik Heidelberg im Mai habe sich kein Anhalt für epileptische Anfälle gezeigt, so dass bereits von der Familie die Medikation mit Ospolot abgesetzt worden sei. Bei weiterhin unkompliziertem Verlauf sei eine routinemäßige Wiedervorstellung in acht Monaten empfohlen worden. Laut der vorliegenden Unterlage sei keine vorzeitige Wiedervorstellung erfolgt.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers zu 2) mit Widerspruchsbescheid vom 2. November 2015 zurück. Sowohl der Erst- als auch der Zweitgutachter des MDK seien zu dem Ergebnis gekommen, dass die medizinischen Voraussetzungen für die spezielle Krankenbeobachtung nicht vorlägen. Es sei nicht täglich eine mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen erforderlich, deren genauen Zeitpunkt und dessen genaues Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden könne. Insbesondere Grand-Mal-Anfälle und die Verabreichung einer Notfallmedikation seien über Wochen nicht dokumentiert. Auch von der Universitätsklinik Heidelberg sei festgestellt worden, dass derzeit keine Anzeichen für epileptische Anfälle vorlägen. Die entsprechende Medikation sei abgesetzt worden. Eine schwerwiegende akute Verschlechterung des Krankheitsverlaufes, die die Kontrolle der Vitalfunktionen erforderlich mache, liege derzeit nicht vor. Eine Verordnung auf Grund der Feststellung, ob ärztliche Behandlung zu Hause sichergestellt werden könne oder ob Krankenhausbehandlung erforderlich sei, sei nicht gegeben. Eine weitere Kostenübernahme der speziellen Krankenbeobachtung über den 31. Juli 2015 hinaus könne nicht erfolgen. Die mit Bescheid vom 28. Juli 2015 zugesagte Kostenübernahme für August 2015 sei als Einzelfallentscheidung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht für die Zukunft erfolgt, da zu diesem Zeitpunkt die Begutachtung im Widerspruchsverfahren ausgestanden habe. Eine nächtliche Beaufsichtigung des Klägers zu 2) sei nachvollziehbar und werde auch im Pflegegutachten bestätigt. Die allgemeine Krankenbeobachtung sei Bestandteil jeder pflegerischen Leistung. Die Voraussetzungen der speziellen Krankenbeobachtung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege seien jedoch nicht erfüllt.
Hiergegen erhoben die Kläger am 16. November 2015 beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage (S 15 KR 3466/15) und beantragten zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung, Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Höhe von 280 Stunden monatlich zu gewähren. Der Kläger zu 2) befinde sich in einem sehr schlechten Gesundheitszustand. Die Lebenserwartung betrage nach Aussage der Ärzte eventuell noch ein Jahr. Auf Grund seiner Erkrankung wache er nachts immer schreiend auf und sei schwer zu beruhigen. Die Klägerin zu 1) gehe arbeiten, sei alleinerziehend mit zwei Kindern. Auf Grund der anstrengenden Nächte sei sie übermüdet und drohe, ihre Arbeit zu verlieren. Ein Anordnungsanspruch bestehe, da eine durchgehende ärztliche Verordnung vorliege. Auch ein Anordnungsgrund sei gegeben. Es sei ihnen nicht zumutbar, einen rechtskräftigen Abschluss in der Hauptsache abzuwarten. Der Kläger zu 2) habe große Unruhezustände, seine Gliedmaßen habe er nicht unter Kontrolle und er verletze sich öfter am Pflegebett. Die Klägerin zu 1) müsse mindestens 15 Mal pro Nacht aufstehen und den Kläger zu 2) beruhigen, zudecken, wickeln und kontrollieren. Sie brauche dringend ihre Nachtruhe, sonst könne sie ihre berufliche Tätigkeit nicht mehr ausüben, da sie an totaler Erschöpfung leide. Die Kläger legten eine Bescheinigung des Dr. Gr. vom 26. Oktober 2015 vor. Danach liege beim Kläger zu 2) eine progrediente Behinderung im Sinne eines zunehmenden Kontrollverlustes mit nächtlichen Schreiattacken, Wutanfällen und Selbstverletzung vor. Die Pflege und Aufsicht während der Nacht sei von der Klägerin zu 1) aus diesem Grunde nicht mehr zu leisten. Weiterhin sei nächtliches Windelwechseln notwendig, da der Kläger zu 2) weiterhin inkontinent sei. Zukünftig seien zunehmende orthopädische und kardiale Probleme zu erwarten, so dass die Situation eher noch schlechter werde. Aus diesem Grund sei weiterhin eine nächtliche Beaufsichtigung des schwerstbehinderten Klägers zu 2) notwendig.
Die Beklagte trat dem Antrag entgegen. Es bestehe bereits kein Anordnungsgrund. Es sei den Klägern zumutbar, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der Kläger zu 2) erhalte Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach Pflegestufe III. Darüber hinaus gehende Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Form von Krankenbeobachtung im Umfang von 280 Stunden pro Monat seien nach den Feststellungen des MDK medizinisch nicht erforderlich. Aus der Pflegedokumentation ergäben sich keine interventionsbedürftigen Krampfanfälle des Klägers zu 2), die eine Krankenbeobachtung im beantragten Umfange rechtfertigen könnten. Die pflegerischen Maßnahmen, die beim Kläger zu 2) notwendig seien, seien der Pflege nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) zuzuordnen. Die Voraussetzungen für eine häusliche Krankenpflege in Form der speziellen Krankenbeobachtungen seien aber nicht erfüllt. Diese seien unter der Nummer 24 der Anlage zur Häuslichen Krankenpflege-Richtlinie aufgeführt, die für sie rechtlich bindend seien. Die dortigen rechtlichen Voraussetzungen würden auch unter Berücksichtigung der Feststellungen des Sachverständigen Arzt für Innere Medizin Dr. W. (dazu sogleich) nicht erfüllt. Dieser benenne die erforderlichen Pflegemaßnahmen mit Beobachtung, Führung, Ansprache, Beruhigung und Körpernähe. Weder sei das Erfordernis sofortiger pflegerischer/ärztlicher Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich belegt, bei dem nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden könne, noch sei auf Grund schwerwiegender akuter Verschlechterung des Krankheitsverlaufs die Kontrolle der Vitalfunktionen erforderlich, um eine Entscheidung über die Notwendigkeit von Krankenhausbehandlung treffen zu können.
Das SG bestellte Dr. W. von Amts wegen zum gerichtlichen Sachverständigen. Dieser erstattete unter dem 26. November 2015 auf Grund einer Untersuchung des Klägers zu 2) vom selben Tag ein Gutachten. Der Kläger zu 2) sei unauffällig geboren und habe in den ersten zwei Lebensjahren eine komplett normale Entwicklung gezeigt. Nach einer ersten Krise mit zwei Jahren habe er die bis zu diesem Zeitpunkt erworbenen Fähigkeiten komplett verloren. Er habe sie wieder vollständig erlernen müssen. Die weitere Entwicklung sei dann gut verlaufen. Im Alter von sieben Jahren sei es erneut zu einer Krise gekommen. Auch dieses Mal sei es nicht möglich gewesen, eine kausale Genese des Ereignisses zu finden. Wieder habe der Kläger zu 2) vollständig alle erlernten Fähigkeiten verloren. Er habe sich davon nicht mehr komplett erholt. Es sei deutlich eine verzögerte Entwicklung verblieben mit weiter bestehenden Funktionsstörungen. Bis zum Alter von neun Jahren sei ein Zustand erreicht gewesen, der unter demjenigen eines Siebenjährigen gelegen habe. Der Kläger zu 2) sei gehäuft gestürzt und habe sich am Kopf verletzt, habe weitere Komplikationen entwickelt. Seit dem 9. Lebensjahr sei ein rapider Abbauprozess zu beschreiben. Die Muskulatur werde wie bei einer Muskeldystrophie abgebaut, obwohl sich der Kläger zu 2) bewege. Die Muskelmasse sei regredient und die Kraft habe massiv abgenommen. Aus dem Gehen sei ein Krabbel-Hüpf-Gang geworden. Freies Stehen sei nur noch manchmal und nur kurz möglich. Die kognitiven Fähigkeiten hätten sich sehr stark zurückgebildet. Der Kläger zu 2) leide unter zunehmenden Seh- und Hörstörungen. Hauptprobleme in der Versorgung stelle die fehlende Ruhephase dar. Der Kläger zu 2) komme nachts nicht zur Ruhe, schlecht zum Einschlafen, wache auf, schreie, schlage um sich, verletze sich, beginne zu krampfen und könne keine Medikation appliziert bekommen, da er nichts oral zu sich nehme. Die Klägerin zu 1) habe den Kläger zu 2) über vier Jahre lang neben ihrer Berufstätigkeit durchgehend allein versorgt. Nach vier Jahren sei sie ausgebrannt und habe einen Nervenzusammenbruch erlitten. Durch die Scheidung von ihrem Partner habe die Versorgung nicht mehr von zwei Menschen getragen werden können. Nach der Rückkehr aus Kur und Reha sei Care-4-Kids eingeschaltet worden. Die Versorgung des Klägers zu 2) entspreche dem Bedarf für ein zweijähriges Kind. Bei ihm liege eine unbekannte zentrale degenerative Erkrankung mit einem rasch prekären Abbauprozess von Funktion, Kognition und Autonomie seit zwei bis drei Jahren, eine progrediente Kleinhirnatrophie mit nachfolgender schwerer Ataxie, eine Motorik auf dem Stand eines zweijährigen, der Verlust der Geh- und Stehfähigkeit, ein kognitiv massiver Abbau, der Verlust der Sprach- und Ausdrucksfähigkeit, der Verlust des abstrakten Denkens, keinerlei Autonomie, ein ungesteuerter Antrieb zwischen automatisiert und sich krampfartig entladend, multiple Verletzungen nach Stürzen mit Gebissfehlstellung sowie epileptische Anfälle vor. Die Betreuung durch die spezielle Behandlungspflege sei für diesen sehr ausgefallenen Krankheitsfall wichtig und notwendig, da Erregungszustände beobachtet, beruhigt, abgewendet und gesteuert werden könnten. Bei durchbrechenden Krampfanfällen sei (dann) ein Schutz gewährleistet. Die Behandlungspflege in der Nacht entspreche einer Tätigkeit am Tag, da sie sehr aufwendig sei. Die Notwendigkeit ergebe sich konkret aus Schutzmaßnahmen vor Selbstverletzung, Vorbeugung durch Beobachtung, Steuerung und Abmilderung von Erregungszuständen, Beruhigung und Ermöglichen von kurzen Ruhephasen, Angstreduktion durch Nähe und persönlichen Kontakt sowie pflegerischen Maßnahmen auch in der Nacht. Das Ziel der ärztlichen Behandlung sei die Stabilisierung und die Prophylaxe von Störungen und Verletzungen. Daher sei die spezielle Behandlungspflege in der Nacht indiziert. Es seien ursprünglich 280 Stunden geplant gewesen. Diese seien jedoch nie ausgeschöpft worden. De facto liege der definitive Bedarf bei ca. 180 bis 195 Stunden im Monat. Das liege daran, dass auch der Pflegedienst nicht jede Nacht da sein könne und nicht immer jemanden habe, der den Kläger zu 2) nach spezieller Behandlungspflege therapieren könne. Solche Tage müsse die Klägerin zu 1) übernehmen. Es sei jedoch durchschnittlich an sechs Tagen pro Woche mit minimal acht Stunden pro Nacht zu rechnen, so dass minimal 185 bis 195 Stunden zu erbringen seien. Aktuell erfolge die Versorgung durch die Klägerin zu 1), die es kräftemäßig nicht mehr schaffen könne, da sie jede Nacht neben ihrer Berufstätigkeit diese Leistung erbringen müsse und selbst nicht mehr zum Schlafen komme. Der Kläger zu 2) brauche jede Nacht zwischen 10 und 15 Kontakte, Pflegemaßnahmen und therapeutische Zuwendung.
Das SG lehnt den Antrag mit Beschluss vom 28. Dezember 2015 ab. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Die Anwesenheit und Einsatzbereitschaft einer qualifizierten Pflegeperson für die nächtliche Betreuung des Klägers zu 2) sei nicht erforderlich. Diese Erforderlichkeit könne im Ergebnis nur dann bejaht werden, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit eine sofortige pflegerische Intervention bei lebensbedrohlichen Umständen täglich erforderlich sei und nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden könnten. Dies sei bislang nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Vielmehr ergebe sich weder aus den Gutachten des MDK noch aus dem Sachverständigengutachten des Dr. W., dass mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen erforderlich sei. Insbesondere seien Grand-Mal-Anfälle und die Verabreichung einer Notfallmedikamentation über Wochen nicht dokumentiert und könnten auch dem Gutachten des Dr. W. nicht entnommen werden. Auch sei im Rahmen einer Vorstellung des Klägers zu 2) in der Kinderklinik der Universitätsklinik Heidelberg kein Anhalt für epileptische Anfälle gefunden worden, so dass auch die Medikation mit Ospolot habe abgesetzt werden können. Zwar gelange Dr. W. im Rahmen seines grundsätzlich schlüssigen Gutachtens zu einer speziellen Behandlungspflege von mindestens 185 Stunden pro Monat. Dieser zeitlichen Einschätzung des Sachverständigen lägen jedoch Feststellungen zu Grunde, die der allgemeinen nächtlichen Beobachtung, der Beruhigung des Klägers zu 2) und dessen Angstreduktion zuzuordnen seien. Die vom Sachverständigen genannten Maßnahmen seinen damit der Pflege nach dem SGB XI und nicht der speziellen Krankenbeobachtung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege zuzuordnen.
Gegen den ihnen am 29. Dezember 2015 per Telefax übermittelten Beschluss haben die Kläger am selben Tag Beschwerde eingelegt. Es liege ein Anordnungsanspruch vor. Es liege eine durchgehende ärztliche Verordnung vor. Dr. W. bestätige die Notwendigkeit der häuslichen Krankenpflege. Streitgegenstand sei nicht Behandlungspflege in Form einer speziellen Krankenbeobachtung, wie es in dem Beschluss des SG stehe, vielmehr seien Führung, Ansprache, Beruhigung und Körpernähe wichtig. Dies sei bis August 2015 auch durch besonders pädiatrisch geschulte Kräfte sicher gestellt gewesen. Das Kleinhirn atrophiere, die nächtlichen Anfälle, die Unruhezustände seien die Auswirkung hiervon. Unter anderem verliere der Kläger zu 2) alle Funktionen, die er bisher in seinem Leben erlernt habe. Er werde die Kontrolle über seine Muskulatur verlieren und letztendlich aufhören zu atmen. Dies sei an sich schon schwer für die Klägerin zu 1) zu verkraften. Den Kläger zu 2) aufopferungsvoll in der Familie zu pflegen, sei schon übermenschlich. Dann nachts zusätzlich nicht durchschlafen zu können, müsse zwangsläufig dazu führen, dass der Kläger zu 2) in den letzten Monaten seines Lebens nicht mehr von der Klägerin zu 1) versorgt werden könne, weil diese völlig am Ende sei. Die Atrophie des Kleinhirns führe zwangsläufig zum Tod, nur der genaue Zeitpunkt sei nicht bekannt. Der Kläger zu 2) habe in der Schule inzwischen eine Absence gehabt. Er könne nicht mehr gehen oder sich auf den Beinen halten. Der Abbau sei rapide. Eine Umstellung auf Pflegesachleistung könne nicht erfolgen, weil dann keine ausreichende Betreuung in den Ferien gewährleistet werden könne. Auch hier müsste zusätzlich durch häusliche Krankenpflege oder Palliativpflege ergänzt werden. Die Pflegekasse sei beizuladen, da sie sich mit Sicherheit weigern werde, die Nachtpflege zu übernehmen, da es sich um häusliche Krankenpflege/Palliativpflege handele. Das Leistungsverzeichnis in der Häuslichen Krankenpflege-Richtlinie sei nicht abschließend; nicht dort aufgeführte Maßnahmen seien verordnungs- und genehmigungsfähig, wenn sie im Einzelfall erforderlich seien. Hier müsse Behandlungspflege als Sicherungspflege geleistet werden. Die Beklagte habe durch ihre frühere Bewilligung quasi selbst bestätigt, dass Bedarf bestehe. Es sei unklar, was sich seit August 2015, dem Ende der letzten Bewilligung, geändert habe. Die Beklagte hätte ihren Antrag im Übrigen als auf Leistungen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung nach § 37b Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gerichtet umdeuten können.
Die Kläger beantragen (sachgerecht gefasst),
den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 28. Dezember 2015 aufzuheben und 1. die aufschiebende Wirkung ihrer Klagen gegen den Bescheid der Beklagten vom 16. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2015 anzuordnen, sowie 2. die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Kläger zu 2) ab dem 1. Januar 2016 Leistungen der häuslichen Krankenpflege im Umfang von mindestens 195 Stunden pro Monat bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu erbringen.
Die Beklagte beantragt,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf ihr bisheriges Vorbringen, die vorliegenden Gutachten sowie auf den erstinstanzlichen Beschluss. Die Kläger trügen in ihrer Beschwerdebegründung selbst vor, dass es vorrangig um Führung, Ansprache, Beruhigung und Körpernähe gehe und somit keine potentiell lebensbedrohlichen Situationen einträten. Daher seien die rechtlichen Voraussetzungen für Leistungen der häuslichen Krankenpflege nicht erfüllt und es bestehe schon kein Anordnungsanspruch. Darüber hinaus sei auch ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Der Kläger zu 2) erhielten Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach Pflegestufe III in Form von Geldleistungen. Es käme eine Umstellung auf Pflegesachleistungen in Betracht. Die Übernahme der hierdurch nicht gedeckten Kosten für die benötigten Leistungen wären beim Sozialhilfeträger zu beantragen. Daher liege keine Situation vor, in der eine gegenwärtige Notlage im Wege einer einstweiligen Anordnung zu beheben wäre. Für eine Umdeutung des Antrages des Klägers zu 2) als auf Leistungen nach § 37b SGB V gerichtet bestehe keine Veranlassung. Es fehle schon an einer hierfür erforderlichen ärztlichen Verordnung. Den vorliegenden ärztlichen Äußerungen lasse sich nicht entnehmen, dass eine lebensbedrohliche Erkrankung mit begrenzter Lebensdauer vorliege.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.
II.
1. Die gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerden der Kläger sind auch im Übrigen zulässig. Sie sind insbesondere nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. Denn in der Hauptsache bedürfte die Berufung nicht der Zulassung. Der Beschwerdewert überschreitet den in § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG genannten Betrag von EUR 750,00.
2. Die Beschwerden sind unbegründet. Das SG hat die Anträge im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Soweit das Begehren der Kläger die Gewährung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege bis zum 31. Dezember 2015 betrifft, richtet sich die Begründetheit der Anträge allerdings nicht nach § 86b Abs. 2 SGG, sondern nach § 86b Abs. 1 SGG. Denn bei sachgerechter Auslegung sind die Anträge darauf gerichtet, die aufschiebende Wirkung ihrer Klagen gegen den Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 16. Juni 2015 – nicht wie in der Klageschrift angegeben vom 27. August 2015; unter diesem Datum erfolgte die Bekanntgabe des Ergebnisses des Gutachtens des Dr. P. – in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2015 anzuordnen, so dass damit der Bescheid vom 9. Dezember 2014, mit dem häusliche Krankenpflege für das gesamte Jahr 2015 bewilligt wurde, wieder Wirksamkeit erlangt. Soweit die Kläger häusliche Krankenpflege über den 31. Dezember 2015 hinaus begehren, richtet sich die rechtliche Beurteilung nach § 86b Abs. 2 SGG. Der Senat hat die Anträge der Kläger entsprechend sachgerecht formuliert.
a) Die Beschwerde der Klägerin zu 1) ist schon deswegen unbegründet, weil ihr Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mangels Antragsbefugnis unzulässig ist. Sie macht keine eigenen Rechte geltend, sondern nur Rechte des Klägers zu 2). Sie ist zwar Bekanntgabeadressat des Aufhebungsbescheides vom 16. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2015 gewesen, aber nur als gesetzliche Vertreterin des Klägers zu 2). Allein dieser ist Inhaltsadressat der genannten Bescheide; daher ist nur er durch diese Bescheide beschwert. Auch kann nur er den Anspruch auf häusliche Krankenpflege für sich selbst geltend machen. Die Klägerin zu 1) beansprucht nicht häusliche Krankenpflege für sich, sondern ausschließlich für den Kläger zu 2).
b) Aber auch die Beschwerde des Klägers zu 2) ist unbegründet. Die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 16. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2015 ist nicht anzuordnen (dazu unter aa). Auch die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung für die Zeit ab dem 1. Januar 2016 liegen nicht vor (dazu unter bb).
aa) Die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers zu 2) gegen den Bescheid vom 16. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2015 ist nicht anzuordnen
Die vom Kläger zu 2) erhobene Klage hat nicht bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Nach Abs. 1 des mit Wirkung zum 2. Januar 2002 durch Art. 1 Nr. 35 des 6. Gesetzes zur Änderung des SGG (6. SGG-ÄndG) vom 17. August 2001 (BGBl. I S. 2144) eingefügten § 86a SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage zwar grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG entfällt jedoch die aufschiebende Wirkung für die Anfechtungsklage in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen. Dies ist vorliegend der Fall, denn durch den Bescheid vom 16. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2015 wird die Leistungsbewilligung, die durch den Bescheid vom 9. Dezember 2014 erfolgt ist, entzogen. Entziehung im Sinne des § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG meint nicht nur die Entziehung im Sinne des § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), sondern jede Beseitigung eines früheren Bescheides für die Zukunft (Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Beschluss vom 20. Oktober 2003 – L 13 AL 3445/03 ER-B – juris, Rn. 4; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 86a Rn. 14; Wahrendorf, in: Roos/Wahrendorf [Hrsg.], SGG, 2014, § 86a Rn. 46; Wehrhahn, in: Breitkreuz/Fichte [Hrsg.], SGG, 2. Aufl. 2014, § 86a Rn. 24).
Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache aber auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Wirkung der gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung der Klage tritt rückwirkend ab Erlass des mit der Klage angefochtenen Bescheides ein und endet erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Hauptsacheentscheidung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 11. Mai 2011 – L 11 R 1075/11 ER-B und L 11 KR 1125/10 ER-B – juris Rn. 11 und 16; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rn. 19).
Die Frage, ob die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage aufgrund von § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG anzuordnen ist, ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen. Da der vorläufige Rechtsschutz den Hauptsacherechtsschutz sichern soll, sind für diese Interessenabwägung die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs grundsätzlich ausschlaggebend. Wird der Hauptsacherechtsbehelf aller Voraussicht nach erfolgreich sein, überwiegt regelmäßig das private Aufschubinteresse des Klägers, andernfalls kommt dem öffentlichen Vollziehungsinteresse regelmäßig der Vorrang zu. Ist keiner dieser Fälle der erkennbaren Aussichtslosigkeit der Klage bzw. des Widerspruchs oder der erkennbaren Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gegeben, so sind die beteiligten Interessen anhand sonstiger Umstände im Einzelfall zu ermitteln und gegeneinander abzuwägen (z.B. Beschlüsse des Senats vom 10. Januar 2012 – L 4 R 945/11 ER-B – und 15. April 2014 – L 4 R 3716/13 ER-B – beide nicht veröffentlicht). Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber auch im Einzelfall zugunsten des Betroffenen ausfallen. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (Beschluss des Senats vom 15. April 2014 – L 4 R 3716/13 ER-B – nicht veröffentlicht, m.w.N.).
Im vorliegenden Fall kann ausnahmsweise dahinstehen, ob der Bescheid vom 16. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2015 rechtmäßig ist, insbesondere ob auch die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 9. Dezember 2014 nach 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) oder nach § 48 SGB X gegeben sind. Denn selbst bei einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage könnte der Kläger zu 2) hiervon nicht profitieren. Zwar würde der Bewilligungsbescheid vom 9. Dezember 2014 wieder wirksam werden. Er hat sich indes durch Zeitablauf am 31. Dezember 2015 erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X), da die Bewilligung bis zu diesem Datum befristet (§ 32 Abs. 2 Nr. 1 SGB X) war. Da Gegenstand der Leistungsbewilligung eine Sachleistung war, die nicht erbracht wurde, kann sie auch nachträglich nicht erbracht werden. Für eine Anfechtungsklage dürfte daher – dies kann der Senat aber offen lassen – mittlerweile bereits das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, so dass ggf. nur noch eine Fortsetzungsfeststellungsklage als zulässige Klageart in Betracht kommt.
bb) Der Antrag des Klägers zu 2) auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Beklagte zu verpflichten, ihm ab dem 1. Januar 2016 häusliche Krankenpflege zu gewähren, ist ebenfalls unbegründet. Im Betracht kommt insoweit allein die Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Danach sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Dabei dürfen sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. April 2010 – 1 BvR 216/07 – in juris, Rn. 64; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. August 2014 – 1 BvR 1453/12 – in juris, Rn. 10, 12).
Es kann dahinstehen, ob ein Anordnungsgrund vorliegt. Denn jedenfalls ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf häusliche Krankenpflege.
(1) Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. häusliche Krankenpflege (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB V).
Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (sog. Behandlungssicherungspflege).
Den Begriff der Behandlungspflege definiert das Gesetz nicht. Nach der Rechtsprechung des BSG gehören zur Behandlungspflege alle Pflegemaßnahmen, die durch bestimmte Erkrankungen erforderlich werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht werden (BSG, Urteil vom 13. Juni 2006 – B 8 KN 4/04 KR R – juris, Rn. 17 m.w.N.). Dazu gehören (siehe zum Folgenden auch Padé, in: jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 37 Rn. 42 sowie die Aufzählung bei BSG, Urteil vom 10. November 2005 – B 3 KR 38/04 R – juris, Rn. 14) z.B. die Verabreichung von Medikamenten (vgl. BSG, Urteil vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R – juris, Rn. 9 ff.) oder Injektionen (BSG, Urteil vom 3. August 2006 – B 3 KR 24/05 R – juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 22. April 2015 – B 3 KR 16/14 R – juris, Rn. 41) einschließlich der Kontrolle von deren Wirkung, das Anlegen von Verbänden (BSG, Urteil vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 10/14 R – juris, Rn. 30; BSG, Urteil vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R – juris, Rn. 31) die Katheterisierung, Versorgung suprapubischer Katheter (LSG Niedersachsen, Urteil vom 22. Dezember 2010 – L 1 KR 81/10 – juris, Rn 35), Einläufe, Spülungen, Dekubitusversorgung, Krisenintervention insbesondere bei psychiatrischer Krankenpflege, Sicherung ärztlicher Besuche und Feststellung des jeweiligen Krankenstandes.
Die vom Kläger begehrte Pflege im Form von "Führung, Ansprache, Beruhigung und Körpernähe", die er im Anschluss an die Aufzählung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. W. für notwendig erachtet, kann nicht unter den Begriff der Behandlungspflege eingeordnet werden. Hierbei handelt es sich vielmehr um allgemeine Formen menschlicher Zuwendung, denen es an der spezifischen Nähe zu ärztlicher Behandlung fehlt, so dass Behandlungspflege nicht vorliegt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Krankenbeobachtung, den der Kläger zu 2) im Übrigen ausdrücklich gar nicht als streitgegenständlich ansieht. Das BSG hat einen Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form von Krankenbeobachtung in einem Fall angenommen, in dem der Versicherte auch nicht fünf Minuten ohne Beobachtung bleiben durfte. (BSG, Urteil vom 10. November 2005 – B 3 KR 38/04 R – juris, Rn. 15 – auch zum Folgenden). Es reichte – so die dem damaligen Urteil zugrunde liegenden Feststellungen des Berufungsgerichts – nicht aus, dass jemand ab und zu nach dem Patienten sieht und bei Anzeichen für einen Hilfebedarf einen Arzt oder eine Pflegefachkraft herbeiruft, die erst nach den üblichen Anfahrt- und Wartezeiten eintrifft und dann eingreifen kann. Die Krampfanfälle traten unvorhersehbar und in unregelmäßiger Folge und Schwere, aber täglich auf, wobei sie sich nur zum Teil selbst begrenzten, aber auch in Grand-Mal-Anfälle übergehen konnten. Eine medizinische Fachkraft musste sofort entscheiden, ob eine Intervention notwendig ist, um den Anfall zu unterbrechen, z. B. ob und welche Medikamente gegeben werden müssen. Die ständige Beobachtung eines Patienten, um jederzeit medizinisch-pflegerisch eingreifen zu können, wenn es zu Verschlechterungen der Atmungsfunktion und zu Krampfanfällen kommt, sei hier eine behandlungspflegerische Maßnahme (BSG, Urteil vom 10. November 2005 – B 3 KR 38/04 R – juris, Rn. 16). Der Einwand, aus der Pflegedokumentation ergebe sich nicht, dass die Krankenbeobachtung regelmäßige therapeutische Konsequenzen zur Folge habe, greife nicht durch. Ansonsten werde der Begriff der Behandlungspflege zu Unrecht auf die aus der Krankenbeobachtung resultierenden konkreten situationsangemessenen Einzelmaßnahmen verengt. Die häusliche Krankenpflege lasse sich insoweit nicht in eine jeweils gebotene Pflegemaßnahme und in eine Beobachtungszeit aufteilen. Im entschiedenen Fall seien pflegerische Interventionen nicht nur möglicherweise, sondern mit Gewissheit täglich erforderlich. Lediglich die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß ließen sich im voraus nicht bestimmten.
Der vorliegende Fall unterscheidet sich von demjenigen, über den das BSG befunden hat, dadurch, dass der Kläger zu 2) zwar nachts der wiederholten Aufmerksamkeit einer anderen Person bedarf – die Klägerin zu 1) spricht insofern von zehn- bis fünfzehn Mal pro Nacht –, dass es hierbei aber nicht um die ständige Beobachtung eines Patienten geht, um jederzeit medizinisch-pflegerisch eingreifen zu können, wenn es zu Verschlechterungen der Atmungsfunktion und zu Krampfanfällen kommt. Ärztliche oder pflegerische Maßnahmen sind zur Abwendung von Krankheitsverschlimmerungen nur eventuell erforderlich, aber nicht konkret voraussehbar.
Es fehlt damit im vorliegenden Fall auch an den Voraussetzungen, die in Nr. 24 des Verzeichnisses verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege (Leistungsverzeichnis), das Anlage zur Häuslichen Krankenpflege-Richtlinie ist, normiert sind. Danach ist eine Leistung der speziellen Krankenbeobachtung verordnungsfähig, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich erforderlich ist und nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden können. Die Richtlinien des GBA haben normativen Charakter und sind für die Beteiligten verbindlich (zuletzt BSG, Urteil vom 22. April 2015 – B 3 KR 16/14 R – juris, Rn. 25 m.w.N.). Der Senat ist nicht der Ansicht, dass der GBA insofern Voraussetzungen für die Verordnungsfähigkeit der häuslichen Krankenpflege errichtet hat, die mit den gesetzlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren und deswegen unbeachtlich wären (vgl. insofern BSG, Urteil vom 26. Januar 2006 – B 3 KR 4/05 R – juris, Rn. 20).
Die alternative Variante (2. Spiegelstrich der Nr. 24) betrifft nur den Fall der (hier nicht verordneten) Pflege nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V; nach ihr ist die Leistung nämlich dann verordnungsfähig, wenn über eine Zeitraum von mindestens 24 Stunden festgestellt werden soll, ob die ärztliche Behandlung zu Hause sichergestellt werden kann oder ob Krankenhausbehandlung erforderlich ist. Die Verordnung ist danach weiter nur begründet, wenn aufgrund schwerwiegender akuter Verschlechterung des Krankheitsverlaufs die Kontrolle der Vitalfunktionen erforderlich ist und erst aufgrund des über den gesamten Betrachtungszeitraum zu führenden Verlaufsprotokolls die ärztliche Entscheidung über die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung oder des Verbleibs zu Haus getroffen werden kann.
Maßnahmen der Grundpflege werden nur im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 SGB V erbracht; ob es sich bei den oben genannten Tätigkeiten um solche der Grundpflege handelt, kann hier offen bleiben, da im Rahmen des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V nur Behandlungspflege erbracht wird.
Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, dass eine ärztliche Verordnung für häusliche Krankenpflege für die Zeit seit dem 1. Januar 2016 nicht vorliegt.
(2) Ob die Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V (häusliche Krankenpflege statt Krankenhausbehandlung) oder des § 37b SGB V (spezialisierte ambulante Palliativversorgung), auf den der Kläger zu 2) zuletzt abgestellt hat, vorliegen, kann dahinstehen. Denn solche Leistungen sind zu keiner Zeit ärztlich verordnet worden, so dass schon deswegen ein Leistungsanspruch und damit auch ein Anordnungsanspruch nicht bestehen kann. Dr. Gr. hat dem Kläger zu 2) am 27. November 2014 ausdrücklich häusliche Krankenpflege (nur) zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung – also nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V – verordnet.
Der Anregung der Kläger, den zuständigen Sozialhilfeträger und/oder den zuständigen Träger der sozialen Pflegeversicherung beizuladen, zu folgen, hatte der Senat keine Veranlassung. Denn der geltend gemachte Anspruch auf häusliche Krankenpflege kann nur gegenüber der Beklagten bestehen, nicht aber gegen dem Sozialhilfeträger oder dem Pflegeversicherungsträger.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Kläger begehren die Gewährung von Leistungen zur häuslichen Krankenpflege für den Kläger zu 2).
Der Kläger zu 2) ist am 2003 geboren und bei der Beklagten familienkrankenversichert. Er leidet unter einer Kleinhirnatrophie auf Grund eines mitochondrialen Defektes. Er besucht tagsüber eine Spezialschule für geistig-körperliche Behinderung Die Klägerin zu 1) ist die sorgeberechtigte Mutter des Klägers zu 2). Sie lebt mit dem Kläger zu 2) und einem weiteren Kind zusammen und ist alleinerziehend. Sie ist halbtags berufstätig. Der Kläger zu 2) enthält von der Pflegeversicherung Pflegegeld nach Pflegestufe III.
Facharzt für Pädiatrie Dr. Gr. verordnete dem Kläger zu 2) unter dem 27. November 2014 für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2015 auf Grund der Diagnosen mitochondriale Zytopathie, enzophalopathische Krise, Epilepsie mit hypomotorischen Anfällen und geistiger Behinderung häusliche Krankenpflege zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung. Es sei Behandlungspflege in Form von Herrichten und Verabreichen von Medikamenten, spezieller Krankenbeobachtung, Krampfprotokoll, intermittierender Überwachung bei Krampfanfall mit Eingriffen mit Buccolam Burcal, Absaugen bei Bedarf und O2-Gabe bei Bedarf im Umfang von 280 Stunden pro Monat erforderlich.
Mit Bescheid vom 9. Dezember 2014 bewilligte eine Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte) dem Kläger zu 2) die verordneten Leistungen der Behandlungspflege bis zu 280 Stunden pro Monat für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2015. Die häusliche Krankenpflege wurde in der Folgezeit durch die Care-4-Kids-GmbH durchgeführt.
Am 21. Mai 2015 beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit der Begutachtung, ob im vorliegenden Fall die Verordnung der speziellen Krankenbeobachtung im Umfang von 280 Stunden pro Monat plausibel und medizinisch begründet sei. Dr. Sc. vom MDK äußerte unter dem 11. Juni 2015 die Einschätzung, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungen nicht erfüllt seien. Anhand der vorliegenden Unterlagen, wobei anzumerken sei, dass die vorgelegte Pflegedokumentation kaum leserlich sei, sei die Notwendigkeit der speziellen Krankenbeobachtung im Umfang von 280 Stunden im Monat nicht nachvollziehbar. Interventionsbedürftige Krampfanfälle seien nicht dokumentiert.
Mit Bescheid vom 16. Juni 2015 hob die Beklagte ohne vorherige Anhörung des Klägers zu 2) ihren Bescheid vom 9. Dezember 2014 mit Wirkung zum 1. Juli 2015 gegenüber dem Kläger zu 2) – adressiert an die Klägerin zu 1) – auf. Sie verwies auf das Gutachten des Dr. Sc ... Ein stufenweiser Rückzugspflegeplan zum 31. Juli 2015 sei dem Pflegedienst telefonisch und schriftlich mitgeteilt worden. Für Juni 2015 würden insgesamt noch 280 Stunden, für die Zeit vom 1. bis 15. Juli 2015 insgesamt 100 Stunden und für den Zeitraum vom 16. bis 31. Juli insgesamt 50 Stunden häusliche Krankenpflege übernommen. Die Beklagte informierte mit Schreiben vom 16. Juni 2015 den Pflegedienst und Dr. Gr. über ihre Entscheidung.
Gegen den Bescheid erhob der Kläger zu 2) unter dem 22. Juni 2015 Widerspruch.
Unter dem 6. Juli 2015 teilte Frau F. (Leitung der Nachsorge des Zentrums für Jugendmedizin H.) der Beklagten mit, dass der Kläger zu 2) an unklaren enzephalopathischen Krisen mit dem Verlust seiner bisher erworbenen Fähigkeiten leide. Weiter leide er unter Ataxie mit progredienter chronischer Kleinhirnatrophie und in dessen Folge sensorineuraler Schwerhörigkeit beidseits. Es bestehe eine geistige Behinderung mit schwerer Verhaltensstörung. Nachts schlafe der Kläger zu 2) kaum. Es komme zu schweren Attacken, bei denen der Kläger wild um sich schlage und den Kopf vor die Wand haue. Der Kläger zu 2) versuche, unkoordiniert aufzustehen. Dabei verletze er sich an den Bettgittern. Er habe vermehrt Sättigungsabfälle mit Bradykardien. In den letzten Wochen habe der Pflegedienst wieder die O2-Sättigung mittels Monitor überwacht. Der Kläger zu 2) zeige Krampfzeichen; die Pflegeperson vor Ort müsse in der Lage sein, dies einzuschätzen und dementsprechend ein Notfallmedikament zu verabreichen. Die Prognose sei sehr ungünstig. Die Überwachung könne nur durch eine examinierte Fachkraft erfolgen.
Mit Bescheid vom 28. Juli 2015 bewilligte die Beklagte dem Kläger zu 2) Leistungen der häuslichen Krankenpflege (spezielle Krankenbeobachtung) in Höhe von 200 Stunden für August 2015. Parallel dazu beauftragte sie den MDK erneut mit der Erstellung eines Gutachtens. Dr. P. vom MDK kam unter dem 21. August 2015 zu der Einschätzung, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungen nicht erfüllt seien. Im Gutachten vom 11. Juni 2015 seien sämtliche krankheitsbedingte Beeinträchtigungen des Klägers zu 2) berücksichtigt und der daraus resultierte Hilfebedarf korrekt abgeleitet worden. Aus der Pflegedokumentation gingen keine vital bedrohlichen Grand-Mal-Anfälle hervor. Im Vordergrund stünde die motorische Unruhe des Klägers zu 2) mit Lautieren sowie ungezielten Bewegungen, bei denen eine potentielle Verletzungsgefahr bestehe. Nach Auskunft der Pflegdienstleitung sei über mehrere Wochen kein Diazepam als Notfallmedikation bei Grand-Mal-Anfällen verabreicht worden. Bei der letzten ambulanten Vorstellung in der Kinderklink der Universitätsklinik Heidelberg im Mai habe sich kein Anhalt für epileptische Anfälle gezeigt, so dass bereits von der Familie die Medikation mit Ospolot abgesetzt worden sei. Bei weiterhin unkompliziertem Verlauf sei eine routinemäßige Wiedervorstellung in acht Monaten empfohlen worden. Laut der vorliegenden Unterlage sei keine vorzeitige Wiedervorstellung erfolgt.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers zu 2) mit Widerspruchsbescheid vom 2. November 2015 zurück. Sowohl der Erst- als auch der Zweitgutachter des MDK seien zu dem Ergebnis gekommen, dass die medizinischen Voraussetzungen für die spezielle Krankenbeobachtung nicht vorlägen. Es sei nicht täglich eine mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen erforderlich, deren genauen Zeitpunkt und dessen genaues Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden könne. Insbesondere Grand-Mal-Anfälle und die Verabreichung einer Notfallmedikation seien über Wochen nicht dokumentiert. Auch von der Universitätsklinik Heidelberg sei festgestellt worden, dass derzeit keine Anzeichen für epileptische Anfälle vorlägen. Die entsprechende Medikation sei abgesetzt worden. Eine schwerwiegende akute Verschlechterung des Krankheitsverlaufes, die die Kontrolle der Vitalfunktionen erforderlich mache, liege derzeit nicht vor. Eine Verordnung auf Grund der Feststellung, ob ärztliche Behandlung zu Hause sichergestellt werden könne oder ob Krankenhausbehandlung erforderlich sei, sei nicht gegeben. Eine weitere Kostenübernahme der speziellen Krankenbeobachtung über den 31. Juli 2015 hinaus könne nicht erfolgen. Die mit Bescheid vom 28. Juli 2015 zugesagte Kostenübernahme für August 2015 sei als Einzelfallentscheidung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht für die Zukunft erfolgt, da zu diesem Zeitpunkt die Begutachtung im Widerspruchsverfahren ausgestanden habe. Eine nächtliche Beaufsichtigung des Klägers zu 2) sei nachvollziehbar und werde auch im Pflegegutachten bestätigt. Die allgemeine Krankenbeobachtung sei Bestandteil jeder pflegerischen Leistung. Die Voraussetzungen der speziellen Krankenbeobachtung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege seien jedoch nicht erfüllt.
Hiergegen erhoben die Kläger am 16. November 2015 beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage (S 15 KR 3466/15) und beantragten zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung, Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Höhe von 280 Stunden monatlich zu gewähren. Der Kläger zu 2) befinde sich in einem sehr schlechten Gesundheitszustand. Die Lebenserwartung betrage nach Aussage der Ärzte eventuell noch ein Jahr. Auf Grund seiner Erkrankung wache er nachts immer schreiend auf und sei schwer zu beruhigen. Die Klägerin zu 1) gehe arbeiten, sei alleinerziehend mit zwei Kindern. Auf Grund der anstrengenden Nächte sei sie übermüdet und drohe, ihre Arbeit zu verlieren. Ein Anordnungsanspruch bestehe, da eine durchgehende ärztliche Verordnung vorliege. Auch ein Anordnungsgrund sei gegeben. Es sei ihnen nicht zumutbar, einen rechtskräftigen Abschluss in der Hauptsache abzuwarten. Der Kläger zu 2) habe große Unruhezustände, seine Gliedmaßen habe er nicht unter Kontrolle und er verletze sich öfter am Pflegebett. Die Klägerin zu 1) müsse mindestens 15 Mal pro Nacht aufstehen und den Kläger zu 2) beruhigen, zudecken, wickeln und kontrollieren. Sie brauche dringend ihre Nachtruhe, sonst könne sie ihre berufliche Tätigkeit nicht mehr ausüben, da sie an totaler Erschöpfung leide. Die Kläger legten eine Bescheinigung des Dr. Gr. vom 26. Oktober 2015 vor. Danach liege beim Kläger zu 2) eine progrediente Behinderung im Sinne eines zunehmenden Kontrollverlustes mit nächtlichen Schreiattacken, Wutanfällen und Selbstverletzung vor. Die Pflege und Aufsicht während der Nacht sei von der Klägerin zu 1) aus diesem Grunde nicht mehr zu leisten. Weiterhin sei nächtliches Windelwechseln notwendig, da der Kläger zu 2) weiterhin inkontinent sei. Zukünftig seien zunehmende orthopädische und kardiale Probleme zu erwarten, so dass die Situation eher noch schlechter werde. Aus diesem Grund sei weiterhin eine nächtliche Beaufsichtigung des schwerstbehinderten Klägers zu 2) notwendig.
Die Beklagte trat dem Antrag entgegen. Es bestehe bereits kein Anordnungsgrund. Es sei den Klägern zumutbar, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der Kläger zu 2) erhalte Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach Pflegestufe III. Darüber hinaus gehende Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Form von Krankenbeobachtung im Umfang von 280 Stunden pro Monat seien nach den Feststellungen des MDK medizinisch nicht erforderlich. Aus der Pflegedokumentation ergäben sich keine interventionsbedürftigen Krampfanfälle des Klägers zu 2), die eine Krankenbeobachtung im beantragten Umfange rechtfertigen könnten. Die pflegerischen Maßnahmen, die beim Kläger zu 2) notwendig seien, seien der Pflege nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) zuzuordnen. Die Voraussetzungen für eine häusliche Krankenpflege in Form der speziellen Krankenbeobachtungen seien aber nicht erfüllt. Diese seien unter der Nummer 24 der Anlage zur Häuslichen Krankenpflege-Richtlinie aufgeführt, die für sie rechtlich bindend seien. Die dortigen rechtlichen Voraussetzungen würden auch unter Berücksichtigung der Feststellungen des Sachverständigen Arzt für Innere Medizin Dr. W. (dazu sogleich) nicht erfüllt. Dieser benenne die erforderlichen Pflegemaßnahmen mit Beobachtung, Führung, Ansprache, Beruhigung und Körpernähe. Weder sei das Erfordernis sofortiger pflegerischer/ärztlicher Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich belegt, bei dem nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden könne, noch sei auf Grund schwerwiegender akuter Verschlechterung des Krankheitsverlaufs die Kontrolle der Vitalfunktionen erforderlich, um eine Entscheidung über die Notwendigkeit von Krankenhausbehandlung treffen zu können.
Das SG bestellte Dr. W. von Amts wegen zum gerichtlichen Sachverständigen. Dieser erstattete unter dem 26. November 2015 auf Grund einer Untersuchung des Klägers zu 2) vom selben Tag ein Gutachten. Der Kläger zu 2) sei unauffällig geboren und habe in den ersten zwei Lebensjahren eine komplett normale Entwicklung gezeigt. Nach einer ersten Krise mit zwei Jahren habe er die bis zu diesem Zeitpunkt erworbenen Fähigkeiten komplett verloren. Er habe sie wieder vollständig erlernen müssen. Die weitere Entwicklung sei dann gut verlaufen. Im Alter von sieben Jahren sei es erneut zu einer Krise gekommen. Auch dieses Mal sei es nicht möglich gewesen, eine kausale Genese des Ereignisses zu finden. Wieder habe der Kläger zu 2) vollständig alle erlernten Fähigkeiten verloren. Er habe sich davon nicht mehr komplett erholt. Es sei deutlich eine verzögerte Entwicklung verblieben mit weiter bestehenden Funktionsstörungen. Bis zum Alter von neun Jahren sei ein Zustand erreicht gewesen, der unter demjenigen eines Siebenjährigen gelegen habe. Der Kläger zu 2) sei gehäuft gestürzt und habe sich am Kopf verletzt, habe weitere Komplikationen entwickelt. Seit dem 9. Lebensjahr sei ein rapider Abbauprozess zu beschreiben. Die Muskulatur werde wie bei einer Muskeldystrophie abgebaut, obwohl sich der Kläger zu 2) bewege. Die Muskelmasse sei regredient und die Kraft habe massiv abgenommen. Aus dem Gehen sei ein Krabbel-Hüpf-Gang geworden. Freies Stehen sei nur noch manchmal und nur kurz möglich. Die kognitiven Fähigkeiten hätten sich sehr stark zurückgebildet. Der Kläger zu 2) leide unter zunehmenden Seh- und Hörstörungen. Hauptprobleme in der Versorgung stelle die fehlende Ruhephase dar. Der Kläger zu 2) komme nachts nicht zur Ruhe, schlecht zum Einschlafen, wache auf, schreie, schlage um sich, verletze sich, beginne zu krampfen und könne keine Medikation appliziert bekommen, da er nichts oral zu sich nehme. Die Klägerin zu 1) habe den Kläger zu 2) über vier Jahre lang neben ihrer Berufstätigkeit durchgehend allein versorgt. Nach vier Jahren sei sie ausgebrannt und habe einen Nervenzusammenbruch erlitten. Durch die Scheidung von ihrem Partner habe die Versorgung nicht mehr von zwei Menschen getragen werden können. Nach der Rückkehr aus Kur und Reha sei Care-4-Kids eingeschaltet worden. Die Versorgung des Klägers zu 2) entspreche dem Bedarf für ein zweijähriges Kind. Bei ihm liege eine unbekannte zentrale degenerative Erkrankung mit einem rasch prekären Abbauprozess von Funktion, Kognition und Autonomie seit zwei bis drei Jahren, eine progrediente Kleinhirnatrophie mit nachfolgender schwerer Ataxie, eine Motorik auf dem Stand eines zweijährigen, der Verlust der Geh- und Stehfähigkeit, ein kognitiv massiver Abbau, der Verlust der Sprach- und Ausdrucksfähigkeit, der Verlust des abstrakten Denkens, keinerlei Autonomie, ein ungesteuerter Antrieb zwischen automatisiert und sich krampfartig entladend, multiple Verletzungen nach Stürzen mit Gebissfehlstellung sowie epileptische Anfälle vor. Die Betreuung durch die spezielle Behandlungspflege sei für diesen sehr ausgefallenen Krankheitsfall wichtig und notwendig, da Erregungszustände beobachtet, beruhigt, abgewendet und gesteuert werden könnten. Bei durchbrechenden Krampfanfällen sei (dann) ein Schutz gewährleistet. Die Behandlungspflege in der Nacht entspreche einer Tätigkeit am Tag, da sie sehr aufwendig sei. Die Notwendigkeit ergebe sich konkret aus Schutzmaßnahmen vor Selbstverletzung, Vorbeugung durch Beobachtung, Steuerung und Abmilderung von Erregungszuständen, Beruhigung und Ermöglichen von kurzen Ruhephasen, Angstreduktion durch Nähe und persönlichen Kontakt sowie pflegerischen Maßnahmen auch in der Nacht. Das Ziel der ärztlichen Behandlung sei die Stabilisierung und die Prophylaxe von Störungen und Verletzungen. Daher sei die spezielle Behandlungspflege in der Nacht indiziert. Es seien ursprünglich 280 Stunden geplant gewesen. Diese seien jedoch nie ausgeschöpft worden. De facto liege der definitive Bedarf bei ca. 180 bis 195 Stunden im Monat. Das liege daran, dass auch der Pflegedienst nicht jede Nacht da sein könne und nicht immer jemanden habe, der den Kläger zu 2) nach spezieller Behandlungspflege therapieren könne. Solche Tage müsse die Klägerin zu 1) übernehmen. Es sei jedoch durchschnittlich an sechs Tagen pro Woche mit minimal acht Stunden pro Nacht zu rechnen, so dass minimal 185 bis 195 Stunden zu erbringen seien. Aktuell erfolge die Versorgung durch die Klägerin zu 1), die es kräftemäßig nicht mehr schaffen könne, da sie jede Nacht neben ihrer Berufstätigkeit diese Leistung erbringen müsse und selbst nicht mehr zum Schlafen komme. Der Kläger zu 2) brauche jede Nacht zwischen 10 und 15 Kontakte, Pflegemaßnahmen und therapeutische Zuwendung.
Das SG lehnt den Antrag mit Beschluss vom 28. Dezember 2015 ab. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Die Anwesenheit und Einsatzbereitschaft einer qualifizierten Pflegeperson für die nächtliche Betreuung des Klägers zu 2) sei nicht erforderlich. Diese Erforderlichkeit könne im Ergebnis nur dann bejaht werden, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit eine sofortige pflegerische Intervention bei lebensbedrohlichen Umständen täglich erforderlich sei und nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden könnten. Dies sei bislang nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Vielmehr ergebe sich weder aus den Gutachten des MDK noch aus dem Sachverständigengutachten des Dr. W., dass mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen erforderlich sei. Insbesondere seien Grand-Mal-Anfälle und die Verabreichung einer Notfallmedikamentation über Wochen nicht dokumentiert und könnten auch dem Gutachten des Dr. W. nicht entnommen werden. Auch sei im Rahmen einer Vorstellung des Klägers zu 2) in der Kinderklinik der Universitätsklinik Heidelberg kein Anhalt für epileptische Anfälle gefunden worden, so dass auch die Medikation mit Ospolot habe abgesetzt werden können. Zwar gelange Dr. W. im Rahmen seines grundsätzlich schlüssigen Gutachtens zu einer speziellen Behandlungspflege von mindestens 185 Stunden pro Monat. Dieser zeitlichen Einschätzung des Sachverständigen lägen jedoch Feststellungen zu Grunde, die der allgemeinen nächtlichen Beobachtung, der Beruhigung des Klägers zu 2) und dessen Angstreduktion zuzuordnen seien. Die vom Sachverständigen genannten Maßnahmen seinen damit der Pflege nach dem SGB XI und nicht der speziellen Krankenbeobachtung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege zuzuordnen.
Gegen den ihnen am 29. Dezember 2015 per Telefax übermittelten Beschluss haben die Kläger am selben Tag Beschwerde eingelegt. Es liege ein Anordnungsanspruch vor. Es liege eine durchgehende ärztliche Verordnung vor. Dr. W. bestätige die Notwendigkeit der häuslichen Krankenpflege. Streitgegenstand sei nicht Behandlungspflege in Form einer speziellen Krankenbeobachtung, wie es in dem Beschluss des SG stehe, vielmehr seien Führung, Ansprache, Beruhigung und Körpernähe wichtig. Dies sei bis August 2015 auch durch besonders pädiatrisch geschulte Kräfte sicher gestellt gewesen. Das Kleinhirn atrophiere, die nächtlichen Anfälle, die Unruhezustände seien die Auswirkung hiervon. Unter anderem verliere der Kläger zu 2) alle Funktionen, die er bisher in seinem Leben erlernt habe. Er werde die Kontrolle über seine Muskulatur verlieren und letztendlich aufhören zu atmen. Dies sei an sich schon schwer für die Klägerin zu 1) zu verkraften. Den Kläger zu 2) aufopferungsvoll in der Familie zu pflegen, sei schon übermenschlich. Dann nachts zusätzlich nicht durchschlafen zu können, müsse zwangsläufig dazu führen, dass der Kläger zu 2) in den letzten Monaten seines Lebens nicht mehr von der Klägerin zu 1) versorgt werden könne, weil diese völlig am Ende sei. Die Atrophie des Kleinhirns führe zwangsläufig zum Tod, nur der genaue Zeitpunkt sei nicht bekannt. Der Kläger zu 2) habe in der Schule inzwischen eine Absence gehabt. Er könne nicht mehr gehen oder sich auf den Beinen halten. Der Abbau sei rapide. Eine Umstellung auf Pflegesachleistung könne nicht erfolgen, weil dann keine ausreichende Betreuung in den Ferien gewährleistet werden könne. Auch hier müsste zusätzlich durch häusliche Krankenpflege oder Palliativpflege ergänzt werden. Die Pflegekasse sei beizuladen, da sie sich mit Sicherheit weigern werde, die Nachtpflege zu übernehmen, da es sich um häusliche Krankenpflege/Palliativpflege handele. Das Leistungsverzeichnis in der Häuslichen Krankenpflege-Richtlinie sei nicht abschließend; nicht dort aufgeführte Maßnahmen seien verordnungs- und genehmigungsfähig, wenn sie im Einzelfall erforderlich seien. Hier müsse Behandlungspflege als Sicherungspflege geleistet werden. Die Beklagte habe durch ihre frühere Bewilligung quasi selbst bestätigt, dass Bedarf bestehe. Es sei unklar, was sich seit August 2015, dem Ende der letzten Bewilligung, geändert habe. Die Beklagte hätte ihren Antrag im Übrigen als auf Leistungen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung nach § 37b Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gerichtet umdeuten können.
Die Kläger beantragen (sachgerecht gefasst),
den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 28. Dezember 2015 aufzuheben und 1. die aufschiebende Wirkung ihrer Klagen gegen den Bescheid der Beklagten vom 16. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2015 anzuordnen, sowie 2. die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Kläger zu 2) ab dem 1. Januar 2016 Leistungen der häuslichen Krankenpflege im Umfang von mindestens 195 Stunden pro Monat bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu erbringen.
Die Beklagte beantragt,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf ihr bisheriges Vorbringen, die vorliegenden Gutachten sowie auf den erstinstanzlichen Beschluss. Die Kläger trügen in ihrer Beschwerdebegründung selbst vor, dass es vorrangig um Führung, Ansprache, Beruhigung und Körpernähe gehe und somit keine potentiell lebensbedrohlichen Situationen einträten. Daher seien die rechtlichen Voraussetzungen für Leistungen der häuslichen Krankenpflege nicht erfüllt und es bestehe schon kein Anordnungsanspruch. Darüber hinaus sei auch ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Der Kläger zu 2) erhielten Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach Pflegestufe III in Form von Geldleistungen. Es käme eine Umstellung auf Pflegesachleistungen in Betracht. Die Übernahme der hierdurch nicht gedeckten Kosten für die benötigten Leistungen wären beim Sozialhilfeträger zu beantragen. Daher liege keine Situation vor, in der eine gegenwärtige Notlage im Wege einer einstweiligen Anordnung zu beheben wäre. Für eine Umdeutung des Antrages des Klägers zu 2) als auf Leistungen nach § 37b SGB V gerichtet bestehe keine Veranlassung. Es fehle schon an einer hierfür erforderlichen ärztlichen Verordnung. Den vorliegenden ärztlichen Äußerungen lasse sich nicht entnehmen, dass eine lebensbedrohliche Erkrankung mit begrenzter Lebensdauer vorliege.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.
II.
1. Die gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerden der Kläger sind auch im Übrigen zulässig. Sie sind insbesondere nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. Denn in der Hauptsache bedürfte die Berufung nicht der Zulassung. Der Beschwerdewert überschreitet den in § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG genannten Betrag von EUR 750,00.
2. Die Beschwerden sind unbegründet. Das SG hat die Anträge im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Soweit das Begehren der Kläger die Gewährung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege bis zum 31. Dezember 2015 betrifft, richtet sich die Begründetheit der Anträge allerdings nicht nach § 86b Abs. 2 SGG, sondern nach § 86b Abs. 1 SGG. Denn bei sachgerechter Auslegung sind die Anträge darauf gerichtet, die aufschiebende Wirkung ihrer Klagen gegen den Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 16. Juni 2015 – nicht wie in der Klageschrift angegeben vom 27. August 2015; unter diesem Datum erfolgte die Bekanntgabe des Ergebnisses des Gutachtens des Dr. P. – in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2015 anzuordnen, so dass damit der Bescheid vom 9. Dezember 2014, mit dem häusliche Krankenpflege für das gesamte Jahr 2015 bewilligt wurde, wieder Wirksamkeit erlangt. Soweit die Kläger häusliche Krankenpflege über den 31. Dezember 2015 hinaus begehren, richtet sich die rechtliche Beurteilung nach § 86b Abs. 2 SGG. Der Senat hat die Anträge der Kläger entsprechend sachgerecht formuliert.
a) Die Beschwerde der Klägerin zu 1) ist schon deswegen unbegründet, weil ihr Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mangels Antragsbefugnis unzulässig ist. Sie macht keine eigenen Rechte geltend, sondern nur Rechte des Klägers zu 2). Sie ist zwar Bekanntgabeadressat des Aufhebungsbescheides vom 16. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2015 gewesen, aber nur als gesetzliche Vertreterin des Klägers zu 2). Allein dieser ist Inhaltsadressat der genannten Bescheide; daher ist nur er durch diese Bescheide beschwert. Auch kann nur er den Anspruch auf häusliche Krankenpflege für sich selbst geltend machen. Die Klägerin zu 1) beansprucht nicht häusliche Krankenpflege für sich, sondern ausschließlich für den Kläger zu 2).
b) Aber auch die Beschwerde des Klägers zu 2) ist unbegründet. Die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 16. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2015 ist nicht anzuordnen (dazu unter aa). Auch die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung für die Zeit ab dem 1. Januar 2016 liegen nicht vor (dazu unter bb).
aa) Die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers zu 2) gegen den Bescheid vom 16. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2015 ist nicht anzuordnen
Die vom Kläger zu 2) erhobene Klage hat nicht bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Nach Abs. 1 des mit Wirkung zum 2. Januar 2002 durch Art. 1 Nr. 35 des 6. Gesetzes zur Änderung des SGG (6. SGG-ÄndG) vom 17. August 2001 (BGBl. I S. 2144) eingefügten § 86a SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage zwar grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG entfällt jedoch die aufschiebende Wirkung für die Anfechtungsklage in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen. Dies ist vorliegend der Fall, denn durch den Bescheid vom 16. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2015 wird die Leistungsbewilligung, die durch den Bescheid vom 9. Dezember 2014 erfolgt ist, entzogen. Entziehung im Sinne des § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG meint nicht nur die Entziehung im Sinne des § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), sondern jede Beseitigung eines früheren Bescheides für die Zukunft (Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Beschluss vom 20. Oktober 2003 – L 13 AL 3445/03 ER-B – juris, Rn. 4; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 86a Rn. 14; Wahrendorf, in: Roos/Wahrendorf [Hrsg.], SGG, 2014, § 86a Rn. 46; Wehrhahn, in: Breitkreuz/Fichte [Hrsg.], SGG, 2. Aufl. 2014, § 86a Rn. 24).
Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache aber auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Wirkung der gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung der Klage tritt rückwirkend ab Erlass des mit der Klage angefochtenen Bescheides ein und endet erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Hauptsacheentscheidung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 11. Mai 2011 – L 11 R 1075/11 ER-B und L 11 KR 1125/10 ER-B – juris Rn. 11 und 16; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rn. 19).
Die Frage, ob die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage aufgrund von § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG anzuordnen ist, ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen. Da der vorläufige Rechtsschutz den Hauptsacherechtsschutz sichern soll, sind für diese Interessenabwägung die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs grundsätzlich ausschlaggebend. Wird der Hauptsacherechtsbehelf aller Voraussicht nach erfolgreich sein, überwiegt regelmäßig das private Aufschubinteresse des Klägers, andernfalls kommt dem öffentlichen Vollziehungsinteresse regelmäßig der Vorrang zu. Ist keiner dieser Fälle der erkennbaren Aussichtslosigkeit der Klage bzw. des Widerspruchs oder der erkennbaren Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gegeben, so sind die beteiligten Interessen anhand sonstiger Umstände im Einzelfall zu ermitteln und gegeneinander abzuwägen (z.B. Beschlüsse des Senats vom 10. Januar 2012 – L 4 R 945/11 ER-B – und 15. April 2014 – L 4 R 3716/13 ER-B – beide nicht veröffentlicht). Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber auch im Einzelfall zugunsten des Betroffenen ausfallen. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (Beschluss des Senats vom 15. April 2014 – L 4 R 3716/13 ER-B – nicht veröffentlicht, m.w.N.).
Im vorliegenden Fall kann ausnahmsweise dahinstehen, ob der Bescheid vom 16. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2015 rechtmäßig ist, insbesondere ob auch die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 9. Dezember 2014 nach 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) oder nach § 48 SGB X gegeben sind. Denn selbst bei einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage könnte der Kläger zu 2) hiervon nicht profitieren. Zwar würde der Bewilligungsbescheid vom 9. Dezember 2014 wieder wirksam werden. Er hat sich indes durch Zeitablauf am 31. Dezember 2015 erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X), da die Bewilligung bis zu diesem Datum befristet (§ 32 Abs. 2 Nr. 1 SGB X) war. Da Gegenstand der Leistungsbewilligung eine Sachleistung war, die nicht erbracht wurde, kann sie auch nachträglich nicht erbracht werden. Für eine Anfechtungsklage dürfte daher – dies kann der Senat aber offen lassen – mittlerweile bereits das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, so dass ggf. nur noch eine Fortsetzungsfeststellungsklage als zulässige Klageart in Betracht kommt.
bb) Der Antrag des Klägers zu 2) auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Beklagte zu verpflichten, ihm ab dem 1. Januar 2016 häusliche Krankenpflege zu gewähren, ist ebenfalls unbegründet. Im Betracht kommt insoweit allein die Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Danach sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Dabei dürfen sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. April 2010 – 1 BvR 216/07 – in juris, Rn. 64; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. August 2014 – 1 BvR 1453/12 – in juris, Rn. 10, 12).
Es kann dahinstehen, ob ein Anordnungsgrund vorliegt. Denn jedenfalls ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf häusliche Krankenpflege.
(1) Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. häusliche Krankenpflege (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB V).
Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (sog. Behandlungssicherungspflege).
Den Begriff der Behandlungspflege definiert das Gesetz nicht. Nach der Rechtsprechung des BSG gehören zur Behandlungspflege alle Pflegemaßnahmen, die durch bestimmte Erkrankungen erforderlich werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht werden (BSG, Urteil vom 13. Juni 2006 – B 8 KN 4/04 KR R – juris, Rn. 17 m.w.N.). Dazu gehören (siehe zum Folgenden auch Padé, in: jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 37 Rn. 42 sowie die Aufzählung bei BSG, Urteil vom 10. November 2005 – B 3 KR 38/04 R – juris, Rn. 14) z.B. die Verabreichung von Medikamenten (vgl. BSG, Urteil vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R – juris, Rn. 9 ff.) oder Injektionen (BSG, Urteil vom 3. August 2006 – B 3 KR 24/05 R – juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 22. April 2015 – B 3 KR 16/14 R – juris, Rn. 41) einschließlich der Kontrolle von deren Wirkung, das Anlegen von Verbänden (BSG, Urteil vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 10/14 R – juris, Rn. 30; BSG, Urteil vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R – juris, Rn. 31) die Katheterisierung, Versorgung suprapubischer Katheter (LSG Niedersachsen, Urteil vom 22. Dezember 2010 – L 1 KR 81/10 – juris, Rn 35), Einläufe, Spülungen, Dekubitusversorgung, Krisenintervention insbesondere bei psychiatrischer Krankenpflege, Sicherung ärztlicher Besuche und Feststellung des jeweiligen Krankenstandes.
Die vom Kläger begehrte Pflege im Form von "Führung, Ansprache, Beruhigung und Körpernähe", die er im Anschluss an die Aufzählung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. W. für notwendig erachtet, kann nicht unter den Begriff der Behandlungspflege eingeordnet werden. Hierbei handelt es sich vielmehr um allgemeine Formen menschlicher Zuwendung, denen es an der spezifischen Nähe zu ärztlicher Behandlung fehlt, so dass Behandlungspflege nicht vorliegt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Krankenbeobachtung, den der Kläger zu 2) im Übrigen ausdrücklich gar nicht als streitgegenständlich ansieht. Das BSG hat einen Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form von Krankenbeobachtung in einem Fall angenommen, in dem der Versicherte auch nicht fünf Minuten ohne Beobachtung bleiben durfte. (BSG, Urteil vom 10. November 2005 – B 3 KR 38/04 R – juris, Rn. 15 – auch zum Folgenden). Es reichte – so die dem damaligen Urteil zugrunde liegenden Feststellungen des Berufungsgerichts – nicht aus, dass jemand ab und zu nach dem Patienten sieht und bei Anzeichen für einen Hilfebedarf einen Arzt oder eine Pflegefachkraft herbeiruft, die erst nach den üblichen Anfahrt- und Wartezeiten eintrifft und dann eingreifen kann. Die Krampfanfälle traten unvorhersehbar und in unregelmäßiger Folge und Schwere, aber täglich auf, wobei sie sich nur zum Teil selbst begrenzten, aber auch in Grand-Mal-Anfälle übergehen konnten. Eine medizinische Fachkraft musste sofort entscheiden, ob eine Intervention notwendig ist, um den Anfall zu unterbrechen, z. B. ob und welche Medikamente gegeben werden müssen. Die ständige Beobachtung eines Patienten, um jederzeit medizinisch-pflegerisch eingreifen zu können, wenn es zu Verschlechterungen der Atmungsfunktion und zu Krampfanfällen kommt, sei hier eine behandlungspflegerische Maßnahme (BSG, Urteil vom 10. November 2005 – B 3 KR 38/04 R – juris, Rn. 16). Der Einwand, aus der Pflegedokumentation ergebe sich nicht, dass die Krankenbeobachtung regelmäßige therapeutische Konsequenzen zur Folge habe, greife nicht durch. Ansonsten werde der Begriff der Behandlungspflege zu Unrecht auf die aus der Krankenbeobachtung resultierenden konkreten situationsangemessenen Einzelmaßnahmen verengt. Die häusliche Krankenpflege lasse sich insoweit nicht in eine jeweils gebotene Pflegemaßnahme und in eine Beobachtungszeit aufteilen. Im entschiedenen Fall seien pflegerische Interventionen nicht nur möglicherweise, sondern mit Gewissheit täglich erforderlich. Lediglich die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß ließen sich im voraus nicht bestimmten.
Der vorliegende Fall unterscheidet sich von demjenigen, über den das BSG befunden hat, dadurch, dass der Kläger zu 2) zwar nachts der wiederholten Aufmerksamkeit einer anderen Person bedarf – die Klägerin zu 1) spricht insofern von zehn- bis fünfzehn Mal pro Nacht –, dass es hierbei aber nicht um die ständige Beobachtung eines Patienten geht, um jederzeit medizinisch-pflegerisch eingreifen zu können, wenn es zu Verschlechterungen der Atmungsfunktion und zu Krampfanfällen kommt. Ärztliche oder pflegerische Maßnahmen sind zur Abwendung von Krankheitsverschlimmerungen nur eventuell erforderlich, aber nicht konkret voraussehbar.
Es fehlt damit im vorliegenden Fall auch an den Voraussetzungen, die in Nr. 24 des Verzeichnisses verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege (Leistungsverzeichnis), das Anlage zur Häuslichen Krankenpflege-Richtlinie ist, normiert sind. Danach ist eine Leistung der speziellen Krankenbeobachtung verordnungsfähig, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich erforderlich ist und nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden können. Die Richtlinien des GBA haben normativen Charakter und sind für die Beteiligten verbindlich (zuletzt BSG, Urteil vom 22. April 2015 – B 3 KR 16/14 R – juris, Rn. 25 m.w.N.). Der Senat ist nicht der Ansicht, dass der GBA insofern Voraussetzungen für die Verordnungsfähigkeit der häuslichen Krankenpflege errichtet hat, die mit den gesetzlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren und deswegen unbeachtlich wären (vgl. insofern BSG, Urteil vom 26. Januar 2006 – B 3 KR 4/05 R – juris, Rn. 20).
Die alternative Variante (2. Spiegelstrich der Nr. 24) betrifft nur den Fall der (hier nicht verordneten) Pflege nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V; nach ihr ist die Leistung nämlich dann verordnungsfähig, wenn über eine Zeitraum von mindestens 24 Stunden festgestellt werden soll, ob die ärztliche Behandlung zu Hause sichergestellt werden kann oder ob Krankenhausbehandlung erforderlich ist. Die Verordnung ist danach weiter nur begründet, wenn aufgrund schwerwiegender akuter Verschlechterung des Krankheitsverlaufs die Kontrolle der Vitalfunktionen erforderlich ist und erst aufgrund des über den gesamten Betrachtungszeitraum zu führenden Verlaufsprotokolls die ärztliche Entscheidung über die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung oder des Verbleibs zu Haus getroffen werden kann.
Maßnahmen der Grundpflege werden nur im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 SGB V erbracht; ob es sich bei den oben genannten Tätigkeiten um solche der Grundpflege handelt, kann hier offen bleiben, da im Rahmen des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V nur Behandlungspflege erbracht wird.
Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, dass eine ärztliche Verordnung für häusliche Krankenpflege für die Zeit seit dem 1. Januar 2016 nicht vorliegt.
(2) Ob die Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V (häusliche Krankenpflege statt Krankenhausbehandlung) oder des § 37b SGB V (spezialisierte ambulante Palliativversorgung), auf den der Kläger zu 2) zuletzt abgestellt hat, vorliegen, kann dahinstehen. Denn solche Leistungen sind zu keiner Zeit ärztlich verordnet worden, so dass schon deswegen ein Leistungsanspruch und damit auch ein Anordnungsanspruch nicht bestehen kann. Dr. Gr. hat dem Kläger zu 2) am 27. November 2014 ausdrücklich häusliche Krankenpflege (nur) zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung – also nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V – verordnet.
Der Anregung der Kläger, den zuständigen Sozialhilfeträger und/oder den zuständigen Träger der sozialen Pflegeversicherung beizuladen, zu folgen, hatte der Senat keine Veranlassung. Denn der geltend gemachte Anspruch auf häusliche Krankenpflege kann nur gegenüber der Beklagten bestehen, nicht aber gegen dem Sozialhilfeträger oder dem Pflegeversicherungsträger.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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