L 11 KR 3680/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 1795/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3680/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 31.07.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld (Krg) über den 15.02.2013 hinaus.

Der 1960 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert und war zuletzt bis zum 30.10.2009 als Hausmeister versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend bezog er Sozialleistungen, ua auch Krankengeld (Krg) und - für die Zeit vom 16.04. bis 27.11.2011 - Arbeitslosengeld.

Ab dem 10.02.2012 bestand Arbeitsunfähigkeit (AU) wegen einer Dysthymia (F34.1). Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) wurde vom Neurologen und Psychiater Dr. E. ausgestellt. Der Kläger befand sich zu diesem Zeitpunkt (bis 24.02.2012) in einer von der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See bewilligten beruflichen Integrationsmaßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Bis zum 24.02.2012 bezog der Kläger Übergangsgeld, anschließend bis zum 08.03.2012 Arbeitslosengeld von der Bundesagentur für Arbeit. Ab dem 09.03.2012 gewährte ihm die Beklagte mit Ausnahme eines Ruhenszeitraums vom 24.03.2012 bis zum 16.04.2012 Krg bis 15.02.2013.

In einem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Mannheim (SG) wegen Versagung von Krankengeldleistungen wegen fehlender Mitwirkung erstattete der Internist Dr. S. am 22.04.2012 ein Gutachten über den Kläger. Der Gutachter hielt den Kläger für reise- und begutachtungsfähig und berichtete über eine erhebliche Aggravations- und Simulationshaltung.

Dr. K. vom Medizinischen Dienst des B. erstattete nach persönlicher Untersuchung des Klägers am 27.06.2012 ein Gutachten über diesen. Darin wird bei psychischer Überlagerung mit demonstrativem und auffälligem Verhalten für den Fall einer fortbestehenden AU aus psychischen Gründen eine erneute medizinische Rehabilitationsmaßnahme mit psychosomatischen Schwerpunkt empfohlen.

Vom 21.11.2012 bis 24.12.2012 befand sich der Kläger in einer von der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See bewilligten stationären medizinischen Rehabilitation in der psychosomatisch/psychotherapeutischen Abteilung der V. Klinik B. R ... Im Entlassungsbericht vom 23.01.2013 wurden folgende Diagnosen aufgeführt: Anpassungsstörung mit Verbitterungstendenzen infolge von Kränkungserlebnissen, Gonarthrose links mehr als rechts, chronisches HWS-/LWS-Syndrom, Fersensporn, Schlafapnoesyndrom. In Bezug auf den zeitlichen Umfang einer möglichen Erwerbstätigkeit wird in dem Bericht ausgeführt: Beim Kläger besteht eine Leistungsfähigkeit für drei bis unter sechs Stunden für seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Hausmeister und für sechs Stunden und mehr für Beschäftigungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Für die Folgezeit (über den 15.02.2013 hinaus) liegen folgende weitere AUBs vor: AU festgestellt am durch voraussichtl Ende der AU Diagnose 08.02.2013 Dr. S. (Neurologe und Psychiater) 22.02.2013 F32.2 G (Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome) 22.02.2013 D. (Allgemeinarzt) 08.03.2013 M47.22 G (Sonstige Spondylose mit Radikulopathie 25.02.2013 Dr. S. 11.03.2013 F32.2 G 08.03.2013 D. 22.03.2013 M47.22 G 25.03.2013 D. M47.22 G 25.03.2013 Dr. E. 19.04.2013 F34.1 G (Dysthymia) 19.04.2013 Dr. E. 06.05.2013 F34.1 G 06.05.2013 D. 20.05.2013 M47.22 G, R51 G (Kopfschmerz), M79.69 G (Schmerzen in den Extremitäten, nicht näher bezeichnete Lokalisationen), R42 G (Schwindel und Taumel)

Am 07.02.2013 nahm Dr. W. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) Stellung. Er verwies darauf, dass nach dem Gutachten von Dr. S. auf internistischem Fachgebiet keine Fähigkeitsstörungen vorlägen. Der Kläger sei zwar in seiner Leistungsfähigkeit aufgrund von Gelenkbeschwerden, einer somatoformen Störung und Zustand nach Hodenoperation eingeschränkt. Er könne aber leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig, im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen ohne Nachtarbeit durchführen. Auf Nachfrage teilte der MDK mit, dass angesichts von Arbeitslosigkeit seit 2009 die AU am 07.02.2013 als beendet anzusehen sei.

Mit Bescheid vom 11.02.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass Krg nur noch bis 15.02.2013 gezahlt werde. Im anschließenden Widerspruchsverfahren legte der Kläger einen Befundbericht des Radiologiezentrums M. vor. Dort wurden am 18.02.2013 im MRT Bandscheibenprotrusionen in den Segmenten HWK 3-7 bei Nachweis einer Osteochondrose und knöchernen Anbaureaktionen bei lateralen Entstellungen und aufgetriebenen Wirbelgelenken entlang der gesamten HWS beschrieben. Eine Schmerzausstrahlung in die Arme bestand nicht. Dr. S. attestierte eine nicht gebesserte rezidivierende depressive Störung und Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule. Der Allgemeinarzt D. bescheinigte, dass der Kläger nicht in der Lage sei, sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Der Orthopäde Dr. S. beschrieb eine schmerzhafte HWS-Beweglichkeit und Myalgien der Schulter-Nackenmuskulatur.

Am 15.04.2013 nahm Dr. H. vom MDK zu den im Widerspruchsverfahren vorgelegten Befundberichten Stellung und wies darauf hin, dass kein Bandscheibenvorfall, sondern nur alte Bandscheibenprotrusionen und degenerative Veränderungen beschrieben würden. Schmerzausstrahlungen in die Arme würden vom Orthopäden explizit verneint. Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule und eine depressive Episode seien bei der Beurteilung bereits berücksichtigt gewesen. Sonst hätten sich keine neuen medizinischen Hinweise, die eine Arbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt infrage stellen würden, ergeben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.2013 wies die Beklagte den Widerspruch unter Verweis auf das Gutachten des MDK zurück. Der Anspruch auf Zahlung von Krg habe mit Ablauf des 07.02.2013 geendet. Zur finanziellen Absicherung sei darüber hinaus bis zum 15.02.2013 Krankengeld bezahlt worden. Eine Zahlung von Krg über den 15.02.2013 hinaus komme nicht in Betracht.

Hiergegen hat der Kläger am 04.06.2013 Klage zum SG erhoben. Das Gericht hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Dr. S. ging bis 11.03.2013 von einem unter dreistündigen Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aus. Nach Austausch eines Antidepressivums am 23.01.2013 sei eine Besserung der depressiven Verstimmung eingetreten. Zuletzt sei der Kläger bei ihm am 05.03.2013 in Behandlung gewesen. Dr. E. hat mitgeteilt, dass er den Kläger nach einjähriger Pause am 25.03.2013 und 19.04.2013 wegen Klagen über Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen, innere Unruhe, rasche Erschöpfbarkeit, allgemeine Kraftlosigkeit, Insuffizienzgefühle sowie subjektiv geschilderte Konzentrationsstörungen behandelt habe. Es habe sich um eine bei diesen Verläufen übliche Exazerbation gehandelt, die dann unter der antidepressiven Medikation wieder abgeklungen sei. Vom 25.03.2013 bis 06.05.2013 habe AU bestanden.

Das SG hat den Neurologen und Psychiater Dr. W. gemäß § 106 SGG mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat den Kläger am 26.02.2015 untersucht und folgende Diagnosen gestellt: &61485; Dysthym morose Verstimmungen im Sinne einer Anpassungsstörung mit Verbitterung infolge von gefühlten Kränkungserlebnissen &61485; geklagte, intermittierenden Schmerzen seitens des Stütz- und Bewegungsapparates ohne neurologisches Defizit &61485; Übergewicht &61485; geklagtes Schlafapnoesyndrom &61485; fremdbefundlich: Fersensporn beidseits sowie Gonarthrose links mehr als rechts

Er hat ausgeführt, dass sich aus der Aktenlage im Vergleich zu den Befunden bei der Untersuchung keine relevanten Änderungen für den Zeitraum ab Oktober 2012 ergäben. Alle vorliegenden Diagnosen und Befunde ließen eine AU aus psychiatrischen Gründen nicht belegen. Die AUB von Dr. S. sei nicht nachvollziehbar, da dieser bereits im Februar/März 2013 eine Besserung der psychischen Beschwerden beschrieben habe. Aus den mitgeteilten Befunden von Dr. E. lasse sich eine AU nicht nachvollziehbar ableiten. Psychodiagnostisch sei dabei eine labile, gedrückte und lediglich eine wenig schwingungsfähige Stimmungslage genannt worden. Aus rein nervenärztlicher Sicht habe der Kläger in der Zeit von Februar bis Mai 2013 eine Tätigkeit als Hausmeister verrichten können. Die weitere AU und Einschränkung der Leistungsfähigkeit für die Tätigkeit als Hausmeister habe sich auf die orthopädischen Beschwerden und nicht auf psychische Leiden bezogen.

Mit Gerichtsbescheid vom 31.07.2015 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass bezüglich der Beurteilung der AU im vorliegenden Fall auf leidensgerechte leichte Tätigkeiten abzustellen sei, weil der Kläger nach Oktober 2009 über mehr als sechs Monate als Bezieher von Arbeitslosengeld und auch darüber hinaus nicht mehr als Beschäftigter krankenversichert gewesen sei. Gemessen an leidensgerechten leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes lasse sich nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. W. eine AU nach dem 15.02.2013 nicht nachweisen. Den orthopädischen Gesundheitsstörungen könne mit qualitativen Einschränkungen und nur leichten Tätigkeiten Rechnung getragen werden. Folglich seien die vom Allgemeinmediziner D. mit Wirbelsäulenbeschwerden begründeten AUBs im Ergebnis nicht geeignet, eine AU darzutun. Gleiches gelte für die psychischen Beschwerden, wie Dr. W. schlüssig ausgeführt habe.

Gegen den dem Kläger am 06.08.2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 01.09.2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.

Er ist der Auffassung, dass nach den Bescheinigungen der behandelnden Ärzte durchgängig AU vorgelegen habe. Dem Zeugnis der persönlich untersuchenden Behandler sei Vorrang vor Gutachten nach Aktenlage einzuräumen. Er habe immer nach Meinung der Ärzte gehandelt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 31.07.2015 und den Bescheid der Beklagten vom 11.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.05.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 15.02.2013 hinaus Krankengeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und damit zulässig, aber unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 11.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Krg über den 15.02.2013 hinaus.

Der Anspruch auf Krg hat mit Ablauf des 15.02.2013 geendet, da zur Überzeugung des Senats jedenfalls ab diesem Zeitpunkt AU nicht mehr vorgelegen hat. Der Senat teilt die Einschätzung des SG auf der Grundlage der schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Gerichtsgutachters Dr. W. in vollem Umfang.

Er sieht deshalb von einer weiteren eingehenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs 2 SGG). Nur ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

Der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit und des Vorliegens einer AU eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige kommt nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 18.06.2013, L 11 R 506/12; 17.01.2012, L 11 R 4953) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens in der Regel keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen. Dieser Grundsatz gilt grundsätzlich auch in den Fällen, in denen das Vorliegen von AU in der Vergangenheit umstritten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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