L 3 AS 4384/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 2476/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 4384/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 14. September 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit eines Eingliederungsverwaltungsaktes vom 30.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2014 streitig.

Der im Jahr 1957 geborene Kläger bezieht Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Beklagte erließ den Eingliederungsverwaltungsakt vom 30.05.2014 für die Zeit vom 30.05.2014 bis zum 29.11.2014, in dem er dem Kläger unter anderem auferlegte, sich spätestens am dritten Tage nach Erhalt eines Stellenangebotes auf Vermittlungsvorschläge zu bewerben und wöchentlich mindestens eine Bewerbungsbemühung um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen. Ferner wurde auf die Rechtsfolgen von Verstößen gegen den Eingliederungsverwaltungsakt hingewiesen. Im Übrigen wurde ausgeführt, der Kläger müsse persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift durch Briefpost erreichbar sein. Bei einer Ortsabwesenheit sei er verpflichtet, vorab die Zustimmung seines persönlichen Ansprechpartners einzuholen. In seinem hiergegen eingelegten Widerspruch führte der Kläger aus, es sei nicht garantiert, dass es entsprechende Arbeitsplätze, für die er sich bewerben müsse, überhaupt gebe. Seine Bewerberdaten seien aus der Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit zu löschen. Er verstehe nicht, warum die Kosten für Onlinebewerbungen nicht übernommen würden. Außerdem sei die ihm auferlegte Residenzpflicht verfassungswidrig. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.07.2014 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 06.08.2014 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Er hat ausgeführt, er müsse ständig neue Bewerbungsunterlagen erstellen, so dass sich der Beklagte an diesen und seinen Onlinebewerbungen finanziell beteiligen solle. Der Beklagte hat unter dem 19.03.2015 ausgeführt, auf Grundlage des Eingliederungsverwaltungsaktes sei eine Sanktion oder einer sonstige Maßnahme weder erfolgt noch beabsichtigt. Der Eingliederungsverwaltungsakt habe sich daher durch Zeitablauf erledigt.

Mit Gerichtsbescheid vom 14.09.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die als auf die Aufhebung, hilfsweise die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II gerichtet auszulegende Anfechtungs-, hilfsweise Fortsetzungsfeststellungklage sei unzulässig. Die Anfechtungsklage sei unstatthaft, da sich der Eingliederungsverwaltungsakt mit Ablauf des Gültigkeitszeitraums gemäß § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erledigt habe, weil er nicht Grundlage einer weiteren Verwaltungsentscheidung, beispielsweise einer Sanktions- oder Eingliederungsmaßnahme, sei. Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei unzulässig, da der Kläger kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) habe. Ein Präjudizialinteresse bestehe nicht, da nach Erledigung des Eingliederungsverwaltungsaktes ein Folgeverfahren nicht ersichtlich sei. Eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht, da es sich bei der Gefahr, dass der Beklagte auch künftig einen Eingliederungsverwaltungsakt mit demselben Inhalt erlassen würde, um keine konkrete, sondern allenfalls eine generelle Gefahr handele. Im Übrigen hänge die Rechtswidrigkeit eines Eingliederungsverwaltungsaktes immer von den Umständen des Einzelfalles ab, weswegen selbst bei einer Rechtswidrigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes - welche im Übrigen nicht vorliege - zukünftige Eingliederungsverwaltungsakte nicht zwangsläufig rechtswidrig wären. Ein Rehabilitationsinteresse liege nicht vor, da die im Eingliederungsverwaltungsakt gemachten Ausführungen zur Ortsabwesenheit im Sinne des § 7 Abs. 4a SGB II keinen Grundrechtseingriff darstellten.

Gegen den Gerichtsbescheid des SG hat der Kläger am 12.10.2015 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Der angegriffene Eingliederungsverwaltungsakt sei aufzuheben. Spätere Eingliederungsverwaltungsakte seien sehr ähnlich. Seine Bewerbungskosten überstiegen die Erstattungsbeträge. Die Praxis des Beklagten, ihn an seinen Wohnort "festzunageln", bedeute für ihn eine schwerwiegende Beeinträchtigung. Er begreife den Eingliederungsverwaltungsakt mit seinen vielen Drohungen als eine gegen ihn gerichtete "rüde Schmähschrift". Zu diesem "Negativpotential" passe sehr gut die Möglichkeit, ihn Vertretern des sogenannten Gesundheitswesens zu Untersuchungen zuzuführen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 14. September 2015 sowie den Bescheid des Beklagten vom 30. Mai 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2014 aufzuheben, hilfsweise die Rechtswidrigkeit des Bescheides des Beklagten vom 30. Mai 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2014 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die Ausführungen im angegriffenen Gerichtsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der gemäß §§ 143 und 144 SGG statthaften sowie nach § 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerechten Berufung war der Erfolg zu versagen.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG vom 14.09.2015, mit dem die auf die Aufhebung, hilfsweise Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 30.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2014 gerichtete Klage des Klägers abgewiesen worden ist.

Die Anfechtungsklage ist bereits unzulässig.

Eine Anfechtungsklage ist nur zulässig, wenn der angegriffene Verwaltungsakt noch besteht (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 54 Rn. 8a). Vorliegend hat sich aber der Bescheid vom 30.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2014 durch Zeitablauf erledigt. Denn gemäß § 39 Abs. 2 SGB X bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Da nach § 31b Abs. 1 Satz 5 SGB II die Feststellung einer Minderung innerhalb von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung zulässig ist, mithin eine Sanktionierung etwaiger Verletzungen der dem Kläger im Eingliederungsverwaltungsakt auferlegten Pflichten nicht mehr möglich ist, hat sich der auf den Zeitraum vom 30.05.2014 bis zum 29.11.2014 beschränkte Eingliederungsverwaltungsakt spätestens mit Ablauf weiterer sechs Monate, mithin am 29.05.2015 erledigt (siehe dazu Senatsentscheidungen vom 15.04.2015 - L 3 AS 2118/14 und L 3 AS 2503/14, vom 28.10.2013 - L 3 AS 5054/12, vom 18.09.2013 - L 3 AS 1433/13, vom 27.02.2013 - L 3 AS 4879/12, vom 12.12.2012 - L 3 AS 2192/12 - juris).

Die hilfsweise erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage ist jedenfalls unbegründet.

Offen bleiben kann, ob der Kläger ein für die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieses erledigten Verwaltungsaktes und damit für eine Fortsetzungsfeststellungsklage im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG erforderliches besonderes Feststellungsinteresse hat. Dafür spricht, dass der Beklagte nach den insoweit von ihm unwidersprochenen Angaben des Klägers auch im weiteren Verlauf entsprechende Eingliederungsverwaltungsakte erlassen hat (siehe dazu allgemein: Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 131 Rn. 10b).

Jedenfalls aber ist die Fortsetzungsfeststellungsklage unbegründet. Denn der Bescheid vom 30.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte hat berechtigterweise die nicht zustande gekommene Eingliederungsvereinbarung durch einen Verwaltungsakt ersetzt, dessen Inhalte jetzt keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken unterliegen.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren. Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II soll die Eingliederungsvereinbarung insbesondere bestimmen, 1. welche Leistungen der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält, 2. welche Bemühungen der erwerbsfähige Hilfebedürftige in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen muss und in welcher Form er die Bemühungen nachzuweisen hat, und 3. welche Leistungen Dritter, insbesondere Träger anderer Sozialleistungen, der erwerbsfähige Hilfebedürftige zu beantragen hat. Nach § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB II soll die Eingliederungsvereinbarung für sechs Monate geschlossen werden. Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, sollen nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II die Regelungen nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II durch Verwaltungsakt erfolgen.

Der Beklagte hat - vom Kläger unwidersprochen - dargelegt, dass eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande gekommen ist. Mithin hat der Beklagte den (ergebnislosen) Versuch einer konsensualen Lösung unternommen (vergleiche zur diesbezüglichen Notwendigkeit: Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 195/11 R - juris; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 13/09 R - juris). Er war daher gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II befugt, die Regelungen durch einen Eingliederungsverwaltungsakt zu bestimmen. Der Beklagte hat die Geltungsdauer des Eingliederungsverwaltungsakts auf die Zeit vom 30.05.2014 bis zum 29.11.2014 und damit den Vorgaben des § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB II entsprechend (vergleiche hierzu BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 195/11 R - juris) auf sechs Monate begrenzt. Die dem Kläger im Eingliederungsverwaltungsakt auferlegten Obliegenheiten bewegen sich im Rahmen des § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II und unterliegen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Insbesondere wiederholen die Regelungen betreffend die Anwesenheit im zeit- und ortsnahen Bereich lediglich die gesetzliche Regelung des § 7 Abs. 4a Satz 1 SGB II, nach der die Leistungsansprüche entfallen, solange eine Ortsabwesenheit ohne Zustimmung des Grundsicherungsträgers vorliegt. Ungeachtet hiervon definiert die bis zum Erlass einer Rechtsverordnung nach § 13 Abs. 3 SGB II anzuwendende Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit zur Pflicht des Arbeitslosen, Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten zu können (Erreichbarkeits-Anordnung - EAO) den zeit- und ortsnahen Bereich, so dass die Regelungen in keinster Weise zu unbestimmt sind. So muss der Arbeitslose nach § 1 EAO in der Lage sein, an jedem Werktag eingehende Post zur Kenntnis nehmen zu können (vergleiche Senatsentscheidungen vom 15.04.2015 - L 3 AS 2118/14 und L 3 AS 2503/14, vom 28.10.2013 - L 3 AS 5054/12). § 7 Abs. 4a SGB II sieht ausdrücklich das Erfordernis einer grundsätzlich einzuholenden Zustimmung vor einem Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches vor. Es ist auch unschädlich, dass für den Aufenthalt innerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches zugleich eine postalische Erreichbarkeit entsprechend § 1 Abs. 1 Satz 2 EAO festgelegt wurde. Ferner ist das in Betracht kommende Grundrecht auf Freizügigkeit gemäß Art. 11 Abs. 1 Grundgesetz (GG) hier nicht beeinträchtigt. Freizügigkeit bedeutet nur das Recht, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Die Freizügigkeit des Klägers ist daher nicht unmittelbar beeinträchtigt. Eine auch mögliche zielgerichtete mittelbare Beeinträchtigung des Grundrechts etwa durch den völligen Ausschluss von Leistungen bei auswärtigem Aufenthalt ist hier nicht gegeben, da es dem Kläger unbenommen bleibt, seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnort im Bundesgebiet zu nehmen und dort Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes wie andere, sich bereits dort gewöhnlich aufhaltende beziehungsweise wohnende Leistungsberechtigte zu beantragen. Die Vorgabe, den zeit- und ortsnahen Bereich nicht ohne Zustimmung des Ansprechpartners zu verlassen, schränkt zwar die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Handlungsfreiheit des Hilfebedürftigen ein. Angesichts dessen ist stets zu prüfen, ob hierfür unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles eine sachliche Rechtfertigung besteht. Dies kann bei einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigen wie dem Kläger nicht generell verneint werden, zumal in § 7 Abs. 4a Sätze 2 bis 4 SGB II auch Fallgruppen genannt werden, in denen eine Zustimmung zu erteilen ist beziehungsweise erteilt werden kann. Die Regelung des § 7 Abs. 4a SGB II rechtfertigt im Übrigen auch dadurch, dass mit ihr die missbräuchliche Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen vermieden wird, eine Einschränkung des Art. 2 Abs. 1 GG (BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 166/11 R - juris). Vor diesem Hintergrund ist der Senat auch davon überzeugt, dass die EAO höherrangiges Recht nicht verletzt (Bayerisches LSG, Beschluss vom 03.03.2009 - L 11 AS 23/09 NZB - juris; BSG, Urteil vom 10.08.2000 - B 11 AL 101/99 R - juris).

Weitere Gründe, die zur Rechtswidrigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes und zu einer hieraus resultierenden Beschwer des Klägers führen würden, hat der Kläger nicht dargetan und sind auch nicht anderweitig ersichtlich.

Der Bescheid vom 30.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2014 ist daher rechtmäßig. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 14.09.2015 war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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