L 5 R 3385/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 5380/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 3385/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 09.07.2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren endgültig auf 20.721,63 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 20.721,63 EUR für die Tätigkeiten des Beigeladenen zu 1), die dieser in der Zeit vom 01.03.2008 bis zum 30.11.2011 für den Kläger erbracht hat.

Der Kläger betreibt ein Gipser- und Stukkateurgeschäft in G.-B ... Im Zuge von am 07.08.2012 eingeleiteten Ermittlungen des Hauptzollamtes L. wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt stellte die Beklagte am 22.10.2012 gegenüber dem Hauptzollamt fest, dass die Tätigkeit des 1963 geborenen Beigeladenen zu 1) für den Kläger (Baureinigungs- und Fensterabklebearbeiten) im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden sei. Ferner führte die Beklagte am 15.01.2013 anhand ihr vom Hauptzollamt vorgelegter Unterlagen eine Betriebsprüfung für den Prüfzeitraum vom 01.03.2008 bis zum 30.11.2011 durch. In dieser Zeit hatte der Kläger den Beigeladenen zu 1) als Selbstständigen mit der Durchführung von Baureinigungs- und Fensterabklebearbeiten beauftragt. Die ab 17.03.2008 bis November 2011 durchgeführten Arbeiten stellte der Beigeladene zu 1) dem Kläger mit in der Regel monatlichen Rechnungen auf der Grundlage eines Stundensatzes von 16,00 EUR mit Beträgen zwischen 496,00 EUR und 2.496,00 EUR in Rechnung. Mit einer Schadensberechnung vom 16.01.2013 stellte die Beklagte gegenüber dem Hauptzollamt einen Schaden in Höhe von 36.844,27 EUR fest. Der Kläger wurde am 22.01.2013 vom Hauptzollamt als Beschuldigter zum 05.02.2013 zur Vernehmung geladen. Er teilte telefonisch mit, er wisse nicht, was man falsch gemacht habe. Am 22.02.2013 erließ das Amtsgericht W. einen Strafbefehl gegen den Kläger wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 39 Fällen. Der Kläger legte dagegen am 01.03.2013 Einspruch ein, nahm in der Folge Akteneinsicht und beantragte sodann am 19.03.2013 bei der Beklagten die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen zu 1) nach § 7a Sozialgesetzbuch (SGB) IV. Bereits am 07.03.2013 hatte er Widerspruch gegen den Statusfeststellungsbescheid der Beklagten vom 22.10.2012, der ihm im Rahmen des strafrechtlichen Verfahren aus den Akten des Amtsgerichts W. bekannt geworden sei, erhoben.

Die Beklagte forderte mit Bescheid vom 27.05.2013 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von zunächst 39.139,83 EUR nach. Die am 15.01.2013 durchgeführte Prüfung habe zu dem Ergebnis geführt, dass der Beigeladene zu 1) im Prüfzeitraum als abhängig Beschäftigter zu betrachten sei. Er habe zwar seit 2008 ein Gewerbe angemeldet. Die bloße Anmeldung sei für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung jedoch unerheblich. Für eine abhängige Beschäftigung spreche hingegen, dass eigene Geschäftsräume nicht vorhanden seien, keine eigenen Mitarbeiter beschäftigt würden, die Stundenaufzeichnungen abgezeichnet werden müssten und dass der Beigeladene zu 1) keine Eigenwerbung betreibe. Die Arbeitsmittel (Arbeitsmaterial) würden ihm zur Verfügung gestellt. Eigenes Kapital werde für die Aufträge nicht eingesetzt. Es gebe nur einen Auftraggeber. Weitere Tätigkeiten für andere Auftraggeber seien zu geringfügig. Es fehle eine eigene Preiskalkulation. Der Beigeladene zu 1) setze seine Arbeitskraft ein und trage im Rahmen seiner Tätigkeiten lediglich das Risiko, die eigene Arbeitskraft nicht gewinnbringend verwerten zu können. Er trage letztlich kein Unternehmerrisiko. Dass konkrete Arbeitszeiten nicht vorgegeben seien und Aufträge abgelehnt werden könnten, seien Kriterien für eine selbstständige Tätigkeit. Das Gesamtbild der Tätigkeit entspreche jedoch dem eines Arbeitnehmers.

Der Kläger erhob dagegen am 24.06.2013 Widerspruch. Er legte das Urteil des Amtsgerichts W. vom 04.06.2013 - Aktenzeichen ... Cs ... Js .../13 - vor, mit dem er in der entsprechenden Strafsache vom Vorwurf des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt freigesprochen worden war. Zur Begründung seines Widerspruchs ließ er ferner vortragen, es sei von einer selbstständigen Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) auszugehen. Dafür spreche, dass dieser von Anfang an in Deutschland auch anderen Auftraggebern seine Leistungen angeboten habe. Er habe Eigenwerbung betrieben. Sein Auftreten am Markt habe sich auch auf einen langen Zeitraum erstreckt und er sei auch für andere Auftraggeber tätig gewesen. Die Aufträge des Klägers seien ausschließlich projektbezogen gewesen. Der Beigeladene zu 1) sei auch nicht in die Organisation des Betriebes eingegliedert gewesen. Er habe keine festen Arbeitszeiten und auch keine konkreten Anweisungen über die Ausführung der Arbeiten einzuhalten gehabt. Er habe die Aufträge eigenständig erledigt und sei nicht in Arbeitsgruppen/Kolonnen des Klägers eingegliedert gewesen. Zeitliche Vorgaben seien nicht gemacht worden. Die Einsatzorte seien auftragsbezogen festgelegt worden. Der Beigeladene zu 1) habe auch teilweise Aufträge abgelehnt und Rechnungen über seinen Steuerberater unter Ausweis der Mehrwertsteuer gestellt. Mit anderen Auftraggebern habe der Beigeladene zu 1) durchaus auch Pauschalpreise vereinbart. Der Bescheid vom 27.05.2013 sei auch formell zu beanstanden, da keine Statusfeststellung vorgenommen worden sei.

Die Beklagte berechnete ihre Forderung neu, ersetzte den Bescheid vom 27.05.2013 und reduzierte die Nachforderung mit Bescheid vom 26.09.2013 auf einen Betrag in Höhe von 20.721,63 EUR. Sie berücksichtigte dabei, dass aufgrund des Strafverfahrens davon ausgegangen werden könne, dass beim Kläger ein entschuldbarer Rechtsirrtum und kein Vorsatz vorgelegen habe. Wegen der Verjährung seien daher keine Beiträge für das Jahr 2008 nach zu erheben. Ferner sei keine Hochrechnung der an den Beigeladenen zu 1) gezahlten Beträge auf ein Bruttoentgelt vorzunehmen. Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2013 zurück.

Der Kläger erhob am 29.11.2013 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG). Zugleich beantragte er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (S 4 R 5379/13 ER). Er berief sich erneut auf die strafgerichtliche Entscheidung des Amtsgerichts W. und machte ferner weiterhin geltend, die Beitragsnachforderung sei auch formell unzulässig gewesen, da die Beklagte zuvor nicht über seinen Statusfeststellungsantrag vom 19.03.2013 entschieden habe.

Die Beklagte trat der Klage und dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz entgegen und teilte mit, die Beigeladene zu 2) gebeten zu haben, bis zur Entscheidung über den Eilantrag von einer Vollstreckung abzusehen.

Mit Beschluss vom 17.12.2013 lud das SG den von der Beklagten nachversicherten Herrn B. sowie die D. (Krankenkasse und Pflegekasse) und die B. als weitere Sozialversicherungsträger zum Klageverfahren bei.

Mit Urteil vom 09.07.2014 hob das SG die Bescheide der Beklagten vom 27.05.2013 und vom 26.09.2013 sowie den Widerspruchsbescheid vom 15.11.2013 auf. Die Beitragsnachforderung bestehe nicht. Die Auffassung der Beklagten, dass es sich bei der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) für den Kläger um ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV handele, sei unzutreffend. Nach dieser Bestimmung bestehe eine Beschäftigung in einer nichtselbstständigen Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung seien eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Die versicherungsrechtliche Beurteilung nach § 7 Abs. 1 SGB IV habe aufgrund einer wertenden Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen zu erfolgen. Das Gesamtbild der von dem Beigeladenen zu 1) für den Kläger ausgeübten Tätigkeit spreche nicht für eine Beschäftigung in diesem Sinne. Zwar seien einzelne Gesichtspunkte für eine abhängige Beschäftigung vorhanden. So habe sich das Entgelt für den Beigeladenen zu 1) nach einem Stundensatz gerichtet und die Abrechnung sei auf Grundlage von Stundennachweisen erfolgt. Die überwiegenden Merkmale der Tätigkeit sprächen hingegen für eine Selbstständigkeit des Beigeladenen zu 1). Das Gericht schließe sich diesbezüglich nach eigener Prüfung der Auffassung des Amtsgerichts W., Urt. v. 04.06.2013 - ... Cs ... Js .../13 - an, wonach das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses nicht bejaht werden könne. So habe der Beigeladene zu 1) seit seiner Ankunft in Deutschland im Jahr 2008 seine Leistungen auch anderen Auftraggebern angeboten. Er habe Eigenwerbung in Form von selbst gefertigten Visitenkarten betrieben und andere Bauunternehmer auf deren Baustellen oder Unternehmenssitzen persönlich aufgesucht und um Aufträge nachgefragt. Dieses werbende Auftreten am Markt habe sich über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum erstreckt. Der Beigeladene zu 1) sei bei acht verschiedenen Auftraggebern tätig gewesen, wenn auch teilweise in wirtschaftlich eher geringfügigem Umfang. Zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 1) seien Aufträge nur projektbezogen vergeben worden. Feste Arbeitszeiten seien ebenso wenig wie ein monatlicher Arbeitsumfang vereinbart worden. Es habe keine Weisung hinsichtlich der Arbeitszeiten und der konkreten Ausführung der Arbeit vor Ort gegeben. Der Beigeladene zu 1) habe die Aufträge eigenständig erledigen können und sei nicht in Arbeitsgruppen/Kolonnen eingebunden gewesen. Zeitliche Vorgaben seien nicht gemacht worden. Lediglich bei der Abrechnung sei über den geleisteten Arbeitsumfang gesprochen worden, was aber auch bei der Auftragsvergabe an selbstständige Unternehmen üblich sei. Eine Eingliederung des Beigeladenen zu 1) in den Betrieb des Klägers sei nicht erkennbar. Die Einsatzorte seien allein auftragsbezogen festgelegt worden. Der Beigeladene zu 1) habe Aufträge ablehnen können und habe dies auch getan. Die monatsweise Abrechnung über Stundennachweise sei der Praktikabilität geschuldet gewesen. Da der Arbeitsaufwand für die verrichteten Tätigkeiten schwer vorherzusehen gewesen sei, habe der Beigeladene zu 1) mit dem Kläger eine stundenweise Vergütung vereinbart. Die Rechnungstellung habe der Beigeladene zu 1) über seinen Steuerberater veranlasst. Mit anderen Auftraggebern habe der Beigeladene zu 1) auch Pauschalpreise vereinbart. Bei dieser Sachlage könne jedenfalls die von § 7 Abs. 1 SGB IV vorausgesetzte Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit, Dauer und Ausführung der Arbeiten sowie eine Eingliederung in den Betrieb des Klägers nicht festgestellt werden. Allein die gegebene wirtschaftliche Abhängigkeit reiche für die Feststellung eines Beschäftigungsverhältnisses regelmäßig nicht aus. Der Beigeladene zu 1) habe ein eigenes Unternehmerrisiko getragen und zumindest überwiegend frei über seine Arbeitskraft und -zeit verfügen können. Damit liege bei ihm keine Arbeitnehmereigenschaft und auch keine Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV vor.

Mit Beschluss vom 14.07.2014 ordnete das SG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 27.05.2013 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 26.09.2013 und des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2013 an. Auf die dagegen erhobene Beschwerde der Beklagten hob der erkennende Senat mit Beschluss vom 17.06.2015 (L 5 R 3347/14 ER-B) den Beschluss des SG auf und lehnte den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ab.

Am 12.08.2014 hat die Beklagte gegen das ihr am 08.08.2014 zugestellte Urteil des SG Berufung eingelegt. Sie macht geltend, entgegen der Auffassung des SG würden hinsichtlich der streitgegenständlichen Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) die Merkmale für eine abhängige Beschäftigung die Anhaltspunkte für eine Selbstständigkeit überwiegen. Bei den Baureinigungs- und Abklebearbeiten habe es sich um notwendige Vorarbeiten für die Legung des Bodenbelags gehandelt. Besondere Kenntnisse und Fertigkeiten seien für diese Hilfsarbeiten ebenso wenig erforderlich gewesen wie konkrete Weisungen. Der Beigeladene zu 1) habe in seiner Vernehmung am 04.07.2012 ausgesagt, dass es für die Aufräumarbeiten beim Kläger keiner Weisungen bedurft hätte. Der Kläger habe angegeben, dass es sich dabei um eine praktische Arbeit handele, die auch jemand machen könne, der den Berufsstand nicht kenne. Bei derartigen Tätigkeiten sei eher eine Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation und damit eine persönliche Abhängigkeit von einem Arbeitnehmer anzunehmen als bei gehobenen Tätigkeiten. Aufgrund der Art der Arbeit, die lediglich einen sehr begrenzten Teilbereich des Gesamtauftrages ausgemacht habe, ergebe sich deren hinlängliche Weisungsgebundenheit daraus, dass dem Beigeladenen zu 1) zwar in erster Linie das Objekt, im konkreten jedoch eine klar abgegrenzte Aufgabe ohne weitere Gestaltungsmöglichkeiten zugewiesen worden sei. Der zeitliche Rahmen habe sich aus den vertraglichen Bindungen des Klägers mit dem Kunden und den anderen Bauträgern ergeben. Die hierfür jeweils benötigte Anzahl an Stunden habe sich zudem mit der Vorstellung des Klägers zu decken gehabt, der die Stunden nur dann vergütet habe, wenn sie ihm aufgrund der Größe des Objekts auch angemessen erschienen seien. Unternehmerische Gestaltungsfreiheiten auch in Form von Chancen und Risiken, die den Auftrag z. B. lukrativer machten, seien nicht vorhanden gewesen. Die Arbeitsleistung des Beigeladenen zu 1) sei zu einem festen Stundensatz von 16 EUR vergütet worden. Schon aufgrund der Höhe des vereinbarten Stundensatzes sei es dem Beigeladenen zu 1) nicht möglich gewesen, unternehmerischen Gewinn zu erzielen bzw. eine private Daseinsvorsorge zu treffen. Eine Betriebseinrichtung habe er - über die Lagerung seiner Werkzeuge (Besen, Schaufel, Hammer, Spachtel und Kelle) in seiner Garage und Wohnung hinaus - nicht vorgehalten. Eigene Betriebsmittel oder eigenes (Wagnis-)Kapital habe er nur in einem nicht nennenswerten Umfang eingesetzt. Insbesondere habe es sich bei dem eingesetzten Werkzeug nicht um Verbrauchsmaterial, sondern um geringwertige Wirtschaftsgüter gehandelt, die im Rahmen einer wirtschaftlichen Ausgestaltung der Arbeitsleistung nicht ins Gewicht fielen, d. h. für die Kalkulation eines konkreten Angebots nicht relevant gewesen seien. Zudem würden solche Werkzeuge auch in vielen Privathaushalten vorgehalten und ließen deshalb nicht zwingend auf eine professionelle bzw. gewerbliche Ausübung einer Tätigkeit schließen. Verbrauchsmaterial wie Klebeband, Folie und die Bauschutzsäcke als mögliche Kalkulationsposten für ein Preisangebot seien dem Beigeladenen zu 1) vom Kläger gestellt wurden. Selbst für die Entsorgung habe nicht der Beigeladene zu 1), sondern der Kläger gezahlt. Der für die Arbeit vom Beigeladenen zu 1) genutzte eigene PKW belege ebenfalls kein Unternehmensrisiko, da auch Arbeitnehmer auf eigene Kosten mit dem PKW zur Arbeit führen. Dass der Beigeladene zu 1) sich nicht auf eine regelmäßige Auftragserteilung habe verlassen können, begründe ein Risiko, das jede Abrufkraft eingehe. Diese trage dann zwar ein Einkommensrisiko, welches aber mit dem Unternehmensrisiko nicht zu verwechseln sei. Das Einkommensrisiko sei nach dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23.01.2004 (- L 4 KR 3083/02 -, in juris) vielmehr ein typisches Arbeitnehmerrisiko. Für eine abhängige Beschäftigung spreche zudem, dass bei Ablehnung des Auftrags durch den Beigeladenen zu 1) die Tätigkeiten durch die auf dem Bau anwesenden Bauarbeiter übernommen worden seien. Zwar sei der Beigeladene zu 1) auch für andere Auftraggeber tätig geworden, hierbei habe es sich jedoch nur um Leistungen von wirtschaftlich geringem Umfang gehandelt. Der Umfang der für den Kläger verrichteten Tätigkeit habe dem Beigeladenen zu 1) in vielen Monaten ohnehin wenig Spielraum für weitere Aufträge gelassen. Seine Werbung habe sich auf Vorsprachen in Zeiten, in denen er vom Kläger keine oder nur wenige Aufträge erhalten habe, beschränkt. Aus dem Umstand, dass ein Auftragnehmer ggf. für mehrere Auftraggeber/Arbeitgeber tätig sei, könne auch nicht zwingend der Schluss gezogen werden, dass er stets als Selbstständiger zu beurteilen sei. Vielmehr sei jedes der bestehenden Vertragsverhältnisse rechtlich getrennt voneinander zu prüfen. Denn auch ein abhängig Beschäftigter könne für mehrere Auftraggeber (abhängig) beschäftigt sein. Die Gesamtwürdigung ergebe das Bild einer abhängigen Beschäftigung.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 09.07.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Beitragsnachforderung der Beklagten für rechtswidrig, insbesondere nachdem sowohl das Amtsgericht W. als auch das SG zu Recht eine selbstständige Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) angenommen hätten. Der Beigeladene zu 1) sei in den Betrieb des Klägers nicht eingegliedert gewesen. Vorgaben seien ihm nur hinsichtlich des Ortes der Arbeitsleistung gemacht worden, nicht hingegen bezüglich Zeit, Dauer und Art der Ausführung. Die Vergütungsregelung nach Stunden habe man getroffen, da sich keine anderen vernünftigen Kriterien für die Bemessung des Honorars gefunden hätten. Dies spreche im Ergebnis nicht für die Unselbstständigkeit des Beigeladenen zu 1). Zu Recht seien das SG und das Amtsgericht W. von einem Subunternehmerverhältnis ausgegangen. Das Vorhandensein anderer Auftraggeber und die Werbung des Beigeladenen zu 1) für seine Tätigkeit, fehlende Weisungen und Vorgaben, bis wann die Arbeiten zu erledigen seien sowie die Möglichkeit des Beigeladenen zu 1), auch eigene Arbeitnehmer einzusetzen, spreche gegen eine Eingliederung in den Betrieb des Klägers. Soweit die Beklagte vorgetragen habe, der Kläger habe die Stunden des Beigeladenen zu 1) kontrolliert und erst dann abgerechnet, wenn er (der Kläger) damit einverstanden gewesen sei, erschließe sich nicht, woher diese Aussage stammen solle. Der Beigeladene zu 1) habe seine Rechnungen aufgrund der Vergütungsabrechnungen durch seinen Steuerberater erstellen lassen, diese Rechnungen hätten vom Kläger geprüft werden können, bevor sie zur Zahlung freigegeben worden seien. Soweit Rechnungen für Einsätze auf mehreren Baustellen gestellt worden seien, hätten dem Kläger die Einzelaufstellungen des Beigeladenen zu 1) selbstverständlich vorgelegen, damit er die Subunternehmerleistungen des Beigeladenen zu 1) den Baustellen habe zuordnen können. Für die Rechnungstellung selbst sei eine Aufgliederung nach Baustellen nicht erforderlich gewesen. Der Beigeladene zu 1) habe auch ein gehöriges Unternehmerrisiko getragen. Er habe die Ausgaben für seine Arbeitskleidung und eigenes Werkzeug, den Steuerberater, für das genutzte Fahrzeug und die Autoreparaturen sowie Telefonkosten getragen. Soweit die Beklagte dies als nicht nennenswert bezeichne, sei dies eine subjektive Wertung.

Die Beigeladenen haben sich zur Sache nicht geäußert und keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des SG zu den Aktenzeichen S 4 R 5379/13 ER und S 4 R 5380/13 und die Beschwerde- und Berufungsakten des Senats sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zulassung durch das SG statthaft; der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750 EUR) ist bei einem streitigen Nachforderungsbetrag von 20.721,63 EUR überschritten. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und daher auch sonst gem. § 151 SGG zulässig.

Gegenstand des Rechtsstreits ist, nachdem der Bescheid vom 26.09.2013 den Bescheid vom 27.05.2013 ersetzt hat, der Bescheid vom 26.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2013.

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Der Nachforderungsbescheid der Beklagten vom 26.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat dem Kläger zu Recht die Nachzahlung der wegen der Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) in der Zeit von März 2008 bis November 2011 geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen (zzgl. Säumniszuschläge) aufgegeben. Das SG hat die genannten Bescheide zu Unrecht aufgehoben.

Die angefochtenen Bescheide beruhen auf § 28p Abs. 1 SGB IV. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Die Beklagte hat insbesondere zutreffend angenommen, dass der Beigeladene zu 1) beim Kläger in der streitigen Zeit eine zu allen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtige Beschäftigung (§ 7 Abs. 1 SGB IV) ausgeübt hat.

Gem. § 28p Abs. 1 Satz 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag entstehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlung und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre. Im Rahmen der Prüfung erlassen die Träger der Rentenversicherung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern (§ 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV; vgl. dazu zur Zuständigkeit für den Erlass von Nachforderungsbescheiden auch Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschl. v. 29.07.2010, - L 11 R 2595/10 ER-B -, in juris).

Sofern der Kläger beanstandet, die Beklagte habe vor der Beitragsnacherhebung nicht über seinen Statusfeststellungsantrag entschieden, macht dies den Beitragsbescheid nicht bereits formell rechtswidrig. Der Senat hat bereits im Beschluss vom 17.06.2015 über die Beschwerde des Klägers im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 11.03.2009, - B 12 R 11/07 R - und BSG, Urteil vom 04.06.2009 - B 12 R 06/08 R -, jeweils in juris) das Statusfeststellungsverfahren in vollem Umfang gleichwertig neben die Verfahren der Einzugsstellen nach § 28h SGB IV und der Rentenversicherungsträger als Prüfstellen nach § 28p SGB IV tritt. Die Besonderheit des vorliegenden Bescheides nach § 28 p Abs. 1 Satz 5 SGB IV liegt darin, dass über das Bestehen von Versicherungspflicht und die daraus resultierende Beitragsnachforderung gemeinsam entschieden wird. Dies unterscheidet das Nachprüfverfahren hinsichtlich der Feststellung der Versicherungspflicht vom Statusfeststellungsverfahren nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Dort geht der Statusfeststellung regelmäßig zuerst ein Antrag voraus, die Entscheidung über die Beitragshöhe wird erst nach rechtskräftiger Abklärung der Versicherungspflicht getroffen (§ 7a Abs. 6 Satz 2 SGB IV). Dies führt entgegen der Auffassung des Klägers aber nicht dazu, dass die Beitragsnachforderung mit dem Bescheid vom 27.05.2013, der in der Folge durch den Bescheid vom 26.09.2013 ersetzt wurde, noch nicht hätte erfolgen dürfen, weil über den Statusantrag vom 19.03.2013 noch nicht entschieden worden war. Denn nach § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV kann eine Statusfeststellung nur beantragt werden, solange die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger noch kein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet hat. Hier war im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen bereits eine Prüfung des sozialversicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen zu 1) sowie eine Schadensfeststellung durch die Beklagte erfolgt, und dies war dem Kläger spätestens mit der Einsichtnahme in die strafrechtlichen Ermittlungsakten auch bekannt geworden. Denn er hat selbst mit Schreiben vom 07.03.2013 mitgeteilt, dass er von der Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen zu 1) durch die Beklagte Kenntnis erlangt habe. Aus dem Strafbefehl vom 22.02.2013 war für den Kläger auch ersichtlich, dass die Beklagte bereits eine Betriebsprüfung einschließlich einer Schadensberechnung durchgeführt hatte. Damit war diese für den Kläger erkennbar mit der Statusfeststellung des Beigeladenen zu 1) befasst gewesen, so dass ein Verfahren zur Feststellung des Status jedenfalls bereits eingeleitet war. Dass ein förmlicher Bescheid gegenüber dem Kläger vor der Stellung des Statusantrages am 19.03.2013 noch nicht ergangen war, steht dem nicht entgegen, dies ist nach § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV nicht vorausgesetzt. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Kläger davon Kenntnis erlangt hatte, dass die Beklagte mit der Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen zu 1) bereits befasst war. Das entspricht nach Auffassung des Senats auch dem Zweck der in § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV getroffenen Regelung zur Verfahrenskonkurrenz. Es soll verhindert werden, dass Beteiligte ein bei der Einzugsstelle oder bei einem anderen Versicherungsträger in der Sache bereits "laufendes" Statusverfahren (Einzugsstellenverfahren der Krankenkasse oder Betriebsprüfung des Rentenversicherungsträgers) "unterlaufen", indem sie nach Einleitung des zeitlich vorrangigen Verfahrens einen Antrag auf Durchführung des Anfrageverfahrens bei der Deutschen Rentenversicherung Bund stellen (so bereits Urteil des erkennenden Senats vom 08.06.2011 - L 5 R 4078/10 - n.v.).

Sofern die Beklagte den Kläger vor Erlass des Beitragsbescheides vom 27.05.2013 nicht förmlich nach § 24 Abs. 1 SGB X angehört hat, macht auch dies den Nachforderungsbescheid nicht formell rechtswidrig, da der Anhörungsmangel nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X unbeachtlich ist, weil die versäumte Anhörung bis zur letzten Tatsacheninstanz des sozialgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann (§ 41 Abs. 2 SGB X). Die Beklagte hat sich bereits im Widerspruchsverfahren mit den Einwendungen des Klägers auseinandergesetzt und dies im Widerspruchsbescheid vom 15.11.2013 auch ausführlich dargelegt.

Die Beitragsnachforderung ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.

Versicherungspflicht zur Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung besteht für gegen Arbeitsentgelt Beschäftigte (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI, § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III), wobei die Pflicht des Arbeitgebers zur anteiligen Tragung der Beiträge aus § 249 Abs. 1 SGB V, § 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, § 58 Abs. 1 Satz 1 SGB XI und § 346 Abs. 1 Satz 1 SGB III folgt. Der Arbeitgeber muss die Beiträge als Gesamtsozialversicherungsbeitrag zahlen (§ 28d Satz 1 i. V. m. 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV und § 253 SGB V, § 174 Abs. 1 SGB VI, § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB XI, § 348 Abs. 2 SGB III). Die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung der U-1- und U-2-Umlagen ergibt sich aus § 7 Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG). Die Mittel für die Zahlung des Insolvenzgeldes werden nach § 358 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der seit 01.01.2009 geltenden Fassung des Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung zusammen mit dem Gesamtsozialversicherungsbetrag an die Einzugsstelle gezahlt.

Grundvoraussetzung für die Pflicht zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen ist das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses. Dafür ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist das der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsleistung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit sowie das Unternehmerrisiko gekennzeichnet (vgl. etwa BSG, Urt. v. 29.08.2012, - B 12 KR 25/10 R -, in juris). Das Unternehmerrisiko besteht (regelmäßig) in der Gefahr, bei wirtschaftlichem Misserfolg des Unternehmens das eingesetzte Kapital zu verlieren; ihm entspricht die Aussicht auf Gewinn, wenn das Unternehmen wirtschaftlichen Erfolg hat. Abhängig Beschäftigte tragen demgegenüber das Arbeitsplatzrisiko, das in der Gefahr besteht, bei wirtschaftlichem Misserfolg des Unternehmens die Arbeitsstelle einzubüßen.

Das für eine selbstständige Tätigkeit typische Unternehmerrisiko ist nicht mit einem Kapitalrisiko gleichzusetzen. Ein Kapitalrisiko, das nur zu geringen Ausfällen führt, wird das tatsächliche Gesamtbild einer Beschäftigung indessen nicht wesentlich bestimmen (BSG, Beschl. v. 16.08.2010, - B 12 KR 100/09 B -, in juris). Maßgebendes Kriterium für das Vorliegen eines Unternehmerrisikos ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist. Allerdings ist ein unternehmerisches Risiko nur dann Hinweis auf eine selbstständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft gegenüberstehen (BSG, Urt. v. 25.04.2012, - B 12 KR 24/10 R -, in juris).

Die Unterscheidung von Unternehmer- und Arbeitsplatzrisiko ist auch in der Rechtsprechung des Senats ein wichtiges, vielfach entscheidendes Kriterium für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung einer Tätigkeit. Es steht allerdings nicht für sich allein. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Dieses bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen, also den rechtlich relevanten Umständen, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (BSG, Urt. v. 29.08.2012, - B 12 KR 25/10 R -, in juris).

Die Zuordnung des konkreten Lebenssachverhalts zum rechtlichen Typus der (abhängigen) Beschäftigung als nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung erfordert nach der Rechtsprechung des BSG eine Gewichtung und Abwägung aller als Indizien für und gegen eine Beschäftigung bzw. selbstständige Tätigkeit sprechenden Merkmale der Tätigkeit im Einzelfall. Bei Vorliegen gegenläufiger, d. h. für die Bejahung und die Verneinung eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals sprechender tatsächlicher Umstände oder Indizien hat das Gericht (ebenso die Behörde) insoweit eine wertende Zuordnung aller Umstände im Sinne einer Gesamtabwägung vorzunehmen. Diese Abwägung darf allerdings nicht (rein) schematisch oder schablonenhaft erfolgen, etwa in der Weise, dass beliebige Indizien jeweils zahlenmäßig einander gegenübergestellt werden, sondern es ist in Rechnung zu stellen, dass manchen Umständen wertungsmäßig größeres Gewicht zukommen kann als anderen, als weniger bedeutsam einzuschätzenden Indizien. Eine rechtmäßige Gesamtabwägung setzt deshalb - der Struktur und Methodik jeder Abwägungsentscheidung (innerhalb und außerhalb des Rechts) entsprechend - voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen Indizien festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und in dieser Gesamtschau nachvollziehbar, d. h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei, gegeneinander abgewogen werden (so BSG, Urt. v. 24.05.2012, - B 12 KR 14/10 R - und - B 12 KR 24/10 R -, beide in juris).

Von diesen Rechtsgrundsätzen ausgehend ist die Tätigkeit, die der Beigeladene zu 1) während der streitigen Zeit für den Kläger ausgeübt hat, nach ihrem Gesamtbild nicht als selbstständige Erwerbstätigkeit, sondern als abhängige Beschäftigung einzustufen.

Der Beigeladene zu 1) hat als Baureiniger einfachste Hilfsarbeiten verrichtet, die typischerweise im Schutz abhängiger Beschäftigung geleistet werden und zu leisten sind (vgl. für die Tätigkeit von Bauhelfern: Beschluss des erkennenden Senats vom 10.12.2013 - L 5 R 4188/13 ER-B - n.v.). Dafür spricht insbesondere auch, dass identische Arbeiten von den übrigen Mitarbeitern des Klägers verrichtet worden sind, wenn der Beigeladene zu 1) dafür nicht zur Verfügung stand. Das Nachfragen bei anderen Auftraggebern stellt sich demnach auch nicht als Werbung für eine selbstständige Dienstleistung, sondern als Nachfrage nach abhängiger Beschäftigung dar und spricht deshalb nicht für eine Selbstständigkeit des Beigeladenen zu 1), der im Übrigen vor dem Hauptzollamt selbst angegeben hat, keine Eigenwerbung betrieben zu haben. Nicht außer Acht gelassen werden darf in diesem Zusammenhang auch, der Umfang der vom Beigeladenen zu 1) für den Kläger verrichteten Tätigkeit, der in der Regel nahezu keinen Spielraum für weitere Tätigkeiten ließ. Die Vergütung zu einem arbeitnehmertypischen Stundensatz von 16 EUR spricht ebenfalls für eine abhängige Beschäftigung. Eine Preiskalkulation durch den Beigeladenen zu 1) fand nicht statt. Der Beigeladene zu 1) ist in den Betrieb des Klägers eingegliedert gewesen, hat von ihm Weisungen hinsichtlich Ort, Zeit und Art der Arbeit sowie das Arbeitsmaterial erhalten. Da der Beigeladene zu 1) notwendige Vorarbeiten für die nachfolgenden Verlege- und Verputzarbeiten verrichtet hat, ist seine Tätigkeit in den zeitlichen Rahmen der Tätigkeiten des Klägers eingebunden gewesen. Dies hat der Kläger in seiner Aussage vor dem Amtsgericht W. angegeben. Er hat dort ausgeführt, dem Beigeladenen zu 1) gesagt zu haben, wann er auf die Baustellen gehen solle, um sauber zu machen. Er habe ihm auch gesagt, wann der Bodenbelag komme und dass es bis dahin sauber sein müsse. Der Beigeladene zu 1) habe schauen müssen, dass er nicht mit anderen in die Quere komme. Spätestens bei der Abrechnung ist die zeitliche Vorstellung des Klägers für den Umfang der zu verrichtenden Tätigkeiten maßgeblich gewesen. Der Kläger hat hierzu vor dem Amtsgericht W. ausgesagt, wenn der Beigeladene zu 1) mit der Rechnung zu ihm gekommen sei, habe er, der Kläger, die Stunden kontrolliert. Er habe mit der Abrechnung einverstanden sein und diese genehmigen müssen. Der Kläger hat die Arbeiten des Beigeladenen zu 1) nach seinen Angaben vor dem Amtsgericht W. auch - zumindest stichprobenartig - kontrolliert. Kontrollen fanden ferner durch den im Betrieb mitarbeitenden Sohn des Klägers sowie durch die Bauleiter statt, die den Kläger darüber informiert haben, wenn der Beigeladene zu 1) zu spät gekommen ist oder wenn es nicht sauber war. Der Sohn des Klägers hat als Zeuge vor dem Amtsgericht auch angegeben, dem Beigeladenen zu 1) vor Ort erklärt zu haben, was zu tun sei, und ihm etwa bei Edelputzarbeiten die zu berücksichtigenden Besonderheiten erklärt.

Von einem irgendwie gearteten Unternehmerrisiko kann nicht im Ansatz die Rede sein. Einen unternehmertypischen Einsatz von Wagniskapital hat der Beigeladene zu 1) nicht vorgenommen. Neben seiner Arbeitskraft setzte er lediglich in geringfügigem Umfang eigenes Werkzeug (Besen, Schaufel, Hammer, Spachtel, Kelle) und Arbeitskleidung ein. Fahrzeug und Telefon zählen nicht zu den Betriebsmitteln, da diese Gegenstände auch der allgemeinen Lebensführung dienen und auch von Arbeitnehmern auf eigene Kosten vorgehalten werden (BSG, Urteil vom 30.03.2013 - B 12 KR 17/11 R -, in juris). Das Arbeitsmaterial, insbesondere das Abklebeband und die Bauschutzsäcke, stellte der Kläger zur Verfügung. Dieser zahlte auch die Entsorgung.

Die Anmeldung eines Gewerbes durch den Beigeladenen zu 1) hat für den versicherungsrechtlichen Status keine prägende Bedeutung. Eigene Mitarbeiter hat der Beigeladene zu 1) nach seinen Angaben vor dem Amtsgericht W. nicht gehabt. Ebenso wenig ist die Vorenthaltung von gesetzlichen Arbeitnehmerrechten wie Urlaubsanspruch und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für die statusrechtliche Beurteilung von Bedeutung. Deswegen wird der Arbeitnehmer nicht zum Selbstständigen. Dass der Beigeladene zu 1) seine Vergütung durch Rechnungen gegenüber dem Kläger geltend gemacht hat, betrifft formale Äußerlichkeiten der Entgeltzahlung und ist für die materielle Einstufung des Entgelts als Arbeitsentgelt oder Unternehmervergütung nicht ausschlaggebend (vgl. etwa Senatsurteile vom 22.04.2015, - L 5 R 3116/13 - und vom 20.03.2013, - L 5 KR 2587/12 -, jeweils n. v.).

Auch für den Senat ergibt sich aus dem von der Beklagten festgestellten Sachverhalt und den Angaben des Klägers, seines Sohnes und des Beigeladenen zu 1) vor dem Amtsgericht W. eindeutig das Gesamtbild einer abhängigen und zu allen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtigen Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) im Unternehmen des Klägers. Ergänzend wird auf die Begründung des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 15.11.2013 Bezug genommen (§§ 153 Abs. 1, 136 Abs. 3 SGG).

An die Beurteilung durch das Amtsgericht W. ist der Senat nicht gebunden.

Die Berechnung der nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen ist unter den Beteiligten nicht streitig. Berechnungsfehler sind insoweit weder ersichtlich noch geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Es entspricht nicht der Billigkeit, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese (insbesondere) Sachanträge nicht gestellt und damit ein Prozessrisiko nicht übernommen haben.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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