L 2 AS 1124/16 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 293/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 1124/16 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 2. März 2016 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind weder für das Antrags- noch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Beigeladenen ist nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, nach § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegt sowie auch im Übrigen zulässig.

Die Beschwerde ist auch begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt, wie das SG zutreffend erkannt hat, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Wird im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt, ist die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, weil etwa eine vollständige Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden unter Berücksichtigung insbesondere der grundrechtlichen Belange der Antragsteller. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 42).

Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze war der Beschluss des SG vom 2.3.2016, mit dem dieses den Antragstellerinnen vorläufig von der Beigeladenen zu leistende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII für die Zeit vom 3.2.2016 bis 31.7.2016 zugesprochen hatte, aufzuheben. Die dem SG bekannten Verhältnisse hatten sich bereits vorher geändert, ohne dass dies dem SG mitgeteilt worden wäre. Die Antragstellerin zu 1 hat ab 1.3.2016 eine Beschäftigung als Spielhallenaufsicht bei der Fa. aufgenommen. Hierdurch hat sie für den Monat März 2016 einen monatlichen Verdienst von 1.323,23 EUR netto abzüglich 100 EUR Fehlgeld erzielt. Damit ist die Antragstellerin zu 1 in der Lage, ihren Sozialhilfebedarf und den ihrer minderjährigen Tochter, der Antragstellerin zu 2, der nach der Zusammenstellung im Berechnungsbogen des Antragsgegners im letzten Bewilligungsbescheid für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom 29.10.2015 in Höhe von 1.101 EUR besteht, nun zu decken. Zudem erhält die Antragstellerin zu 2 auch noch Kindergeld in Höhe von 184 EUR monatlich. Das Entgelt für März hat die Antragstellerin zu 1 auch zwischenzeitlich erhalten. Selbst wenn dieses, wie vorgetragen und dem Arbeitsvertrag entsprechend, erst Anfang April 2016 zur Auszahlung kam, wäre es der Antragstellerin zu 1 im Rahmen der Selbsthilfe zumutbar gewesen, für März mit ihrem Arbeitgeber über einen Vorschuss zu verhandeln, um den Bedarf bereits im März decken zu könne. Diese Änderung, die dem SG vor dem Erlass seines Beschlusses nicht bekannt gegeben worden war, obwohl der befristete Arbeitsvertrag bereits am 4.2.2016 geschlossen worden ist, ist zu berücksichtigen. Dadurch ist die Hilfebedürftigkeit der Antragstellerinnen und damit der Anordnungsanspruch sowie auch der Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) entfallen. Zu einem "Nachholbedarf", der ausnahmsweise eine Verpflichtung zur rückwirkenden Leistung im Wege der einstweiligen Anordnung begründen kann, wenn die Nichtgewährung der Leistung in der Vergangenheit in die Gegenwart fortwirkt und damit auch eine gegenwärtige Notlage bewirkt (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 11. Aufl. § 86b, Rn. 35a) haben die Antragstellerinnen nichts vorgetragen. Dagegen spricht auch, dass die Beigeladene in Ausführung des Beschlusses des SG vom 2.3.2016 den Antragstellerinnen anteilige Leistungen für den Monat Februar 2016 i.H.v. 711,45 EUR gezahlt hat, die zumindest teilweise bedarfsdeckend waren. Zudem sind die Antragstellerinnen mittlerweile von R. nach E. (in den Zuständigkeitsbereich des Landratsamts R. umgezogen, so dass aus eventuell bestehenden Mietschulden von dem bisherigen Wohnungsgeber keine unmittelbaren Nachteile drohen. Ob den Antragstellerinnen die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt tatsächlich zustanden ist im Hauptsacheverfahren zu klären.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG in entsprechender Anwendung und berücksichtigt, dass der Anordnungsanspruch bereits vor Erlass des Beschlusses des SG weggefallen war, dem SG diese Änderung aber nicht mitgeteilt worden war.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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