L 6 SB 4241/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 SB 3230/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 4241/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 10. September 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Zuerkennung (behördliche Feststellung) der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs (Merkzeichens) "aG" (außergewöhnlich gehbehindert).

Der 1948 geborene, in Deutschland wohnhafte Kläger hat 1966 ein Polytrauma (Wegeunfall während der Ausbildung) erlitten und war bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1996 Beamter bei der Bundeswehr. Er ist seit 2011 in zweiter Ehe verheiratet, hat ein großes Haus und Grundstück und beschäftigt sich mit Pflanzenzüchtung (Anamnese Universitätsklinikum Heidelberg vom 14. Oktober 2011). Bei ihm sind zurzeit auf Grund des Bescheids des ehemaligen Versorgungsamts Heidelberg vom 2. August 2001 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 und die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" (gehbehindert) festgestellt. Dem damals festgestellten GdB lagen ausweislich einer Stellungnahme des versorgungsärztlichen Dienstes die Unfallfolgen eines anerkannten Arbeitsunfalls vom 8. Februar 1966 ("Lähmung sämtlicher Muskeln des rechten Ober- und Unterarms und der rechten Hand ( ...) nach Ausriss der Nervenwurzeln C6 bis C8, Zustand nach knöchern in guter Stellung verheiltem Oberschenkelbruch rechts, Narbe an der rechten Hüfte, Zustand nach folgenlos ausgeheilter Gehirnerschütterung" nach dem Bescheid der früheren Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel vom 17. Dezember 1970, Minderung der Erwerbsfähigkeit [MdE] 90 v.H. ab 1999) mit einem Teil-GdB von 90, Krampfadern (Teil-GdB 10) und ein chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 30) zu Grunde.

In der Folgezeit blieben Anträge des Klägers auf Zuerkennung der Merkzeichens "aG" oder "B" (Notwendigkeit ständiger Begleitung) bei dem Beklagten ohne Erfolg. Das Merkzeichen "B" wurde dem Kläger letztlich mit Bescheid vom 8. Januar 2014 auf Grund eines Vergleichs vom 8. Oktober 2013 in dem Verfahren S 6 SB 2038/11 beim Sozialgericht Mannheim (SG) zuerkannt.

Die nunmehr zuständige Berufsgenossenschaft stellte bei dem Kläger ab dem 28. Juni 2007 eine MdE von 100 v.H. wegen der Unfallfolgen fest.

Am 29. November 2012 beantragte der Kläger erneut die Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Der Beklagte zog ärztliche Befundberichte bei, darunter den fachärztlichen Bericht des Universitätsklinikums Heidelberg, Prof. Dr. Sch., vom 27. November 2013 (neben den Unfallfolgen posttraumatische Skoliose, intraspinale Zystenbildung im HWS-Bereich, chronisches Schmerz¬syn¬drom, Kraft der unteren Extremitäten uneingeschränkt [allseits 5/5]). Der versorgungsärztliche Dienst nahm nach einer Auswertung der Unterlagen Teil-GdB-Werte von 100 für die Unfallfolgen, 10 für die Krampfadern, 30 für das chronische Schmerzsyndrom und - neu - 10 für Bluthochdruck sowie weiterhin einen Gesamt-GdB von 100 an, sah aber die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" nicht als erfüllt an (Stellungnahme vom 23. Dezember 2013). Daraufhin lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 8. Januar 2014 ab.

Im Widerspruchsverfahren holte der Beklagte den Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. V. vom 19. September 2014 ("noch ausreichend sicheres Gangbild mit leichtem rechtsseitigem Hinken, gewisse Einschränkung der Gehsicherheit wegen Dysbalance der Rumpf-muskulatur und diskreter Spastik des rechten Beins, Gehstrecke 1000 m mit Pausen, Stehen 30 min lang möglich") ein. Sodann erließ er den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2014.

Am 24. Oktober 2014 hat der Kläger Klage beim SG erhoben. Er hat sich im Wesentlichen auf die Vielzahl seiner Erkrankungen und ein "kloniformes Zucken" der unteren Extremitäten berufen. Die erhöhte Sturzgefahr sei durch mindestens vier bis fünf ärztliche "Hilfen" (Behandlungen) bewiesen.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Keiner von ihnen hat eine besondere Gehbehinderung des Klägers bekundet. Wegen des Ergebnisses im Einzelnen wird auf die Angaben von Prof. Dr. Sch. vom 19. März "2014" (2015), von Dr. V. vom 18. März 2015 und der Orthopädin Dr. D., Orthopädische UNI-Klinik Heidelberg, eingegangen bei dem SG am 26. März 2015, Bezug genommen.

Der Kläger hat den Abschlussbericht über die Berufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung (BGSW) in der Simssee-Klinik vom 7. April 2015 zur Akte des SG gereicht (chronisches Wirbelsäulenschmerzsyndrom bei posttraumatischer cerviko-thorakaler Skoliose, posttraumatische Plexusparese rechter Arm, Gonalgie links bei Zustand nach Innenmeniskus-OP 10/2014, nebendiagnostisch Coxarthrose bds.; sicheres hinkfreies und flottes Gangbild, Zehenspitzen- und Fersengang auf Grund von Schmerzen im linken Kniegelenk nur kurzzeitig vorführbar).

In der mündlichen Verhandlung am 10. September 2015 hat das SG den Kläger angehört und ihn hinsichtlich seines Gehvermögens in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses wird auf die Feststellungen in dem angegriffenen Urteil verwiesen.

Mit Urteil vom selben Tage hat das SG die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" seien nicht erfüllt. Der Kläger gehöre - unstreitig - nicht zu den Personenkreisen, die in Abschnitt II Nr. 1 der Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Nr. 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) ausdrücklich genannt seien. Er sei diesen Personengruppen auch nicht gleichzustellen. Seine Gehfähigkeit sei nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt und er könne sich außerhalb seines Fahrzeugs auch nicht nur mit fremder Hilfe oder unter ebenso großen Anstrengungen wie die genannten Personen bewegen. Dies ergebe sich zum einen aus den beigezogenen medizinischen Unterlagen, ferner aus den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung. Der Kläger beschäftige sich mit Pflanzenzüchten und habe ein großes Haus und Grundstück. Er habe bei seiner Anhörung mitgeteilt, er habe auf Grund der seit 1966 andauernden Physiotherapie gelernt, trotz seiner Beschwerden und der Schwierigkeiten bei der Benutzung von Gehstützen auf Grund der Armlähmung zu gehen. Er gehe von großen zu kleinen Schritten über. Er könne noch Strecken von bis zu einem Kilometer zurücklegen, z.B. bei Spaziergängen, wenn auch mit mehreren Pausen. Er fahre einen Pkw mit hohem Ausstieg und ein Wohnmobil. In der mündlichen Verhandlung, so das SG, habe der Kläger über Schmerzen geklagt, jedoch ohne Hilfe aufstehen können und ein nahezu sicheres Gangbild gezeigt.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 8. Oktober 2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Er trägt zur eingeschränkten Verwendbarkeit von Hilfsmitteln wie Unterarmgehstützen und einem Rollator vor. Er verweist darauf, er sei bereits fünfmal gestürzt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 10. September 2015 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 8. Januar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2014 zu verurteilen, bei ihm das Merkzeichen "aG" ab dem 29. November 2012 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat unter dem 24. November 2015 Hinweise zur Sach- und Rechtslage gegeben. Mit Schreiben vom 28. Januar 2016 hat er den Beteiligten mitgeteilt, dass eine Entscheidung durch Beschluss ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter beabsichtigt sei, und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 28. Februar 2016 gegeben. Der Kläger hat unter dem 1. Februar 2016 Stellung genommen und hierbei auf e-mails vom 28. November 2015 und 1. Januar 2016 verwiesen. Der Senat hat ihm am 11. Februar 2016 noch mitgeteilt, dass solche e-mails nicht eingegangen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung nach § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden. Er hält die Berufung einstimmig für unbegründet. Der Rechtsstreit weist auch keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten auf, die in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden. Der Kläger hat in seiner Stellungnahme vom 1. Februar 2016 keine Einwände gegen das beabsichtigte Verfahren erhoben, sondern sich zur Sache geäußert. Ob die beiden behaupteten e-mails weiteren Vortrag enthalten haben, kann offen bleiben, weil der Kläger so rechtzeitig darauf hingewiesen worden war, dass solche e-mails nicht eingegangen sind, dass er in der gesetzten Frist solche Einwände noch hätte wiederholen können.

Die Berufung ist statthaft (§ 143 SGG) und im Übrigen zulässig (§ 151 Abs. 1 SGG), aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der gesundheitlichen Vor-aussetzungen des Nachteilsausgleichs "aG".

Rechtsgrundlage für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" ist § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Danach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch weitere gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StVO nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen "Behindertenparkplätzen" (gekennzeichnet in der Regel durch die Zeichen 314 oder 315 mit den Zusatzzeichen "Rollstuhlfahrersymbol") und die Befreiung von verschiedenen Parkbeschränkungen (vgl. hierzu und zu allem Folgenden Bundessozialgericht [BSG] Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 2/14 R –, Juris Rn. 9).

Ausgangspunkt für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 der Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO) in der zurzeit gültigen Fassung vom 17. November 2014 (Bundesanzeiger [BAnz] vom 17. November 2014 Nr. B 5). Danach ist außergewöhnlich gehbehindert, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen - als so genannte Regelbeispiele - zum einen "Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind" sowie - als so genannte Gleichgestellte - "andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind" (BSG, a.a.O., Rn. 10).

Nach § 69 Abs. 4 i.V.m. § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der bis zum 14. Januar 2015 gültigen alten Fassung ist seit dem 21. Dezember 2007 zusätzlich auf die aufgrund des § 30 Abs. 17 (bzw. Abs. 16) des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) Bezug genommen. Zwischenzeitlichen Bedenken an dieser Ermächtigung des Verordnungsgebers insbesondere zum Erlass von Vorgaben für die Beurteilung von Nachteilsausgleichen hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz vom 7. Januar 2015 (BGBl. II 2015, S. 15) Rechnung getragen und in § 70 Abs. 2 SGB IX eine eigenständige Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Rechtsverordnung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales geschaffen. Für eine Übergangszeit bis zum Erlass einer neuen Rechtsverordnung verbleibt es insoweit bei der bisherigen Rechtslage (vgl. § 159 Abs. 7 SGB IX; hierzu BT-Drucks 18/2953 und 18/3190 S 5).

Die Grundsätze für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für Nachteilsausgleiche werden in den "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen" (VG) der Anlage zu § 2 VersMedV näher konkretisiert. Diese Grundsätze übernehmen in Teil D Nr. 3 Buchst b) vollständig die Vorgaben der VwV-StVO zum Merkzeichen "aG" und verweisen in Nr. 3 Buchst a) insoweit ausdrücklich auf das StVG, welches als Ermächtigungsgrundlage für die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "aG" weiterhin bestehen bleibt. Zusätzlich ist in Teil D Nr. 3 Buchst c) der VG folgende Ergänzung erfolgt: "Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung darf nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten Menschen mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das Gehvermögen auf das schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Vergleichsmaßstab am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten heranzuziehen ist. Dies gilt auch, wenn Gehbehinderte einen Rollstuhl benutzen: Es genügt nicht, dass ein solcher verordnet wurde; die Betroffenen müssen vielmehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sein, weil sie sich sonst nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen können. Als Erkrankungen der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigen, sind beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades anzusehen."

Bei der Feststellung dieser Voraussetzungen ist wegen der knappen Verfügbarkeit von Parkraum für "Behindertenparkplätze" im öffentlichen Raum (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 13) ein strenger Maßstab anzulegen. Insbesondere ist nicht auf eine bestimmte Wegstrecke oder einen an einem Zeitmaß orientierten Maßstab abzustellen. Dies gilt trotz der Ähnlichkeit der Voraussetzungen der Merkzeichen "G" und "aG". Denn für das Merkzeichen "aG" gelten gegenüber "G" nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (BSG, Urteil vom 29. März 2007 - B 9a SB 1/06 R -, Juris Rn. 21 f). An dieser Rechtslage für die Zuerkennung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" hat sich auch durch das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behinder¬ten¬rechts¬konvention) vom 13. Dezember 2006 (BGBl II, S. 812) nichts geändert. Allerdings kann die UN-BRK als Auslegungshilfe orientierend herangezogen werden. Insoweit ist entsprechend Art 1 der UN-BRK, wie bereits in § 2 Abs. 1 SGB IX vorgesehen, die individuelle Beeinträchtigung des behinderten Menschen an der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 11. August 2015, a.a.O., Rn. 23).

Der Kläger dieses Verfahrens ist, darin folgt der Senat dem SG, nicht unter die Regelbeispiele aus der VwV-StVO und aus Teil D Nr. 3 Buchstaben a) und b) VG einzuordnen. Amputationen der unteren Gliedmaßen liegen nicht vor.

Auch eine Gleichstellung scheidet aus. Der Kläger leidet nicht unter einer ebenso großen Einschränkung der Gehfähigkeit wie die Regelbeispiele. Er kann sich nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen (vgl. hierzu BSG, a.a.O., Rn. 20). Sein Gehvermögen ist nicht "vom ersten Schritt an" auf das Schwerste eingeschränkt.

Der Kläger hat bei den behandelnden Ärzten ein zwar eingeschränktes, aber nicht im Umfang des Merkzeichens "aG" limitiertes Gehvermögen gezeigt. So betrug die Gehfähigkeit nach den Angaben des Leiters der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Universitätsklinik Heidelberg Prof. Dr. Sch. vom 19. März 2015 ca. 100 bis 150 Meter. Dieser Zeuge hat ferner bekundet, die Fermurfraktur wirke sich auf die Gehfähigkeit aus, jedoch erscheine er im Untersuchungsraum als geh- und stehfähig. Der behandelnde Orthopäde Dr. V. hat in seiner Aussage als sachverständiger Zeuge unter dem 18. März 2015 angegeben, es bestehe ein noch ausreichend sicheres Gangbild mit leichtem rechtsseitigem Hinken. Bei dem Kläger bestehe eine Gehbehinderung, jedoch keine außergewöhnliche. Er könne noch kürzere Wegstrecken ohne Hilfsmittel und fremde Hilfe ausführen. Die Orthopädin Dr. D. hat in ihrer vom 26. März 2015 mitgeteilt, der Kläger habe in ihrer Anwesenheit die Strecke von 100 Metern problemlos zurücklegen können. Es habe sich kein Hinweis für eine außergewöhnliche Gehbehinderung gezeigt. Letztlich ist auch aus dem BGSW-Abschlussbericht aus der Simssee-Klinik vom 7. April 2015 ein sicheres, hinkfreies und flottes Gangbild beschrieben. Die dort genannten Einschränkungen betrafen zum Einen nur das Stehen, nicht das Gehen (Neigung des Oberkörpers nach rechts) oder waren geringfügig (nur kurzzeitig möglicher Zehenspitzen- und Fersengang). Nach den dortigen Feststellungen hat der Kläger selbst angegeben, er könne jeweils maximal 5 bis 10 Minuten sitzen und stehen, das Gehen sei aktuell wegen Knieschmerzen auf ca. 100 m eingeschränkt, dabei würden keine Hilfsmittel benutzt. Beim Transfer sei er selbstständig. Treppensteigen bewerkstellige er im Wechselschritt und mit linksseitigem Halten am Geländer. Nach ca. vier Stufen müsse er kurz stehen bleiben.

Das gleiche Ergebnis folgt aus den Feststellungen des SG aus der mündlichen Verhandlung vom 10. September 2015, wie sie in seinem Urteil festgehalten sind (vgl. zur Verwertung solcher tatbestandlicher Feststellungen §§ 136 Abs. 1 Nr. 5, 202 SGG i.V.m. §§ 418 Abs. 1, 314 Zivilprozessordnung [ZPO], Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 139 Rn. 1). Der Kläger hat dort unter anderem seine Techniken für ein Gehen trotz der Schwierigkeiten oder der Unmöglichkeit zur Verwendung von Gehstützen geschildert und diese im Gerichtssaal auch demonstriert. Er hat eingeräumt, bis zu 1 km lange Spaziergänge zu absolvieren. Den aus dem Entlassungsbericht aus Heidelberg entnommenen Feststellungen, er arbeite im Garten, ist er nicht entgegengetreten. Auch diese Ergebnisse zeigen, dass bei dem Kläger zwar die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" vorliegen mögen, nicht jedoch jene des Merkzeichens "aG".

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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