Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 3491/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 3371/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 23.06.2015 aufgehoben und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Verletztenrente.
Die am 1985 geborene Klägerin stürzte am 27.06.2009 während eines betrieblich organisierten Fußballspieles nach einem Zusammenprall mit einem Mitspieler und zog sich eine dislozierte laterale Claviculafraktur rechts zu, die zunächst im O. -Klinikum L.-E. ambulant mit Operationsvereinbarung versorgt wurde (D-Arztbericht des Prof. Dr. V. , Chefarzt der Klinik für Unfall-, Orthopädische und Wirbelsäulenchirurgie im dortigen Klinikum, Bl. 9 VA). Am selben Tag begab sich die Klägerin in das O. -Klinikum O.-G. , wo sie sogleich stationär aufgenommen und operiert wurde (offene Reposition und Osteosynthese mittels Hakenplatte). Im weiteren Verlauf zeigten sich eine Bewegungseinschränkung und ungewöhnlich starke Schmerzen, sodass die Vorstellung beim Facharzt für Neurologie und Oberarzt im O. -Klinikum O.-G. Dr. L. erfolgte. Dieser diagnostizierte am 22.07.2009 eine Schädigung des Plexus brachiales bei Claviculafraktur. Eine Kontrolluntersuchung wurde von der Klägerin dann nicht mehr wahrgenommen. Ab dem 10.08.2009 war sie wieder voll arbeitsfähig und in Vollzeit als Industriekauffrau tätig. Ende September 2009 erfolgte die Metallentfernung. In den Dokumentationen über Vorstellungen der Klägerin im O. -Klinikum O.-G. ist ab November 2009 eine freie Beweglichkeit des Schultergelenkes beschrieben (vgl. Bl. 359 ff. VA, u.a. 13.11.2009: " ... bewegt frei ..."; 26.11.2009: " ... seitengleiche freie Schulterbeweglichkeit in allen Ebenen, Kraft seitengleich ..."; Bl. 380 VA 04.02.2010: "völlige Beschwerdefreiheit"; Bl. 381 VA 01.09.2011: nach Sturz auf die rechte Schulter beim Fußballspiel ... "Schultergelenk frei beweglich ..."). Erstmals für August 2012 sind dort Schmerzen bei Überkopfarbeit und sportlicher Tätigkeit dokumentiert (Bl. 383 VA), allerdings wiederum bei freier Beweglichkeit (Bl. 359 VA). Auch eine Untersuchung bei Prof. Dr. A. , P. S. , am 06.05.2010 ergab keine Einschränkungen (Beweglichkeit frei), er dokumentierte anamnestisch gelegentlich Beschwerden bei endgradigen Bewegungen (Bl. 349 VA).
Nachdem die Beklagte zunächst das Vorliegen eines Arbeitsunfalles abgelehnt und das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 28.06.2012, L 6 U 4390/11 das Ereignis vom 27.06.2009 als Arbeitsunfall rechtskräftig festgestellt hatte, holte die Beklagte ein Gutachten bei Prof. Dr. V. ein. Die Klägerin berichtete ihm u.a. und insbesondere über schmerzbedingte Einschränkungen bei Überkopf-Bewegungen und der Arbeit mit der Computermaus nach einigen Stunden. Die Vorwärtsbewegung des rechten Armes war rechts auf 140° eingeschränkt (links 180°), die Seitwärtsbewegung rechts auf 140° (links 160°). Ebenso fand sich eine geringe Einschränkung der Rotation. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Messblatt Bl. 336 VA Bezug genommen. Prof. Dr. V. diagnostizierte eine dislozierte laterale Claviculafraktur rechts mit vorübergehendem Plexus-brachiales-Schaden und eine Pseudoarthrose mit Resorption des lateralen Claviculafragmentes und er schlug eine Gesamtvergütung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. über 1,5 Jahre vor. Nachdem die Beklagte die im O. -Klinikum O.-G. erhobenen Befunde beigezogen hatte, lehnte sie mit Bescheid vom 15.02.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2013 die Gewährung von Verletztenrente mangels rentenberechtigender MdE ab.
Das hiergegen am 01.08.2013 angerufene Sozialgericht Freiburg hat von Amts wegen Gutachten eingeholt. Prof. Dr. S. hat in seinem fachorthopädisch-chirurgischen Gutachten die Beschwerdeangaben der Klägerin dahingehend dokumentiert, dass das berufsbedingt häufig notwendige Betätigen einer Computermaus mit der rechten Hand zu Schmerzen im rechten Arm geführt habe, sodass sie sich jetzt auf die linke Hand umtrainiert habe. Heben und Tragen führe zu Schmerzen in der rechten Schulter. Gleiches gelte bei ausholenden Bewegungen, was sie bei Überkopfarbeiten und beim Sport (Volleyball, Schwimmen) behindere. Auf der rechten Seite könne sie nur kurz liegen, was ihre Nachtruhe störe. Die Beweglichkeit des rechten Schultergelenkes hat auch Prof. Dr. S. für die Vorwärtsbewegung eingeschränkt gefunden (rechts 160°, links 180°), ebenso für die Seitwärtsanhebung (rechts 160°, links 170°) sowie ebenfalls eine Einschränkung der Drehbeweglichkeit. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Übersicht Bl. 28 der SG-Akte Bezug genommen. Er hat als Unfallfolgen in funktioneller Hinsicht eine endgradige und endgradig schmerzhafte Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk sowie eine Beeinträchtigung beim Liegen auf der rechten Seite durch dann auftretenden Schulterschmerz formuliert (Bl. 30 SG-Akte). Im Hinblick auf die in Rede stehende Armplexus-Läsion hat er eine Kraftminderung im rechten Arm sowie rezidivierend in den rechten Arm ausstrahlende Schmerzen diskutiert und die Einholung eines neurologischen Gutachtens empfohlen. Rein orthopädisch entspreche der Befund am rechten Schultergelenk einer MdE von 10 v.H., weil dies in der Literatur für eine hier vorliegende straffe Schlüsselbeinpseudoarthrose mit endgradiger Bewegungseinschränkung vorgesehen sei. Die wahrscheinlichen Residuen nach Armplexus-Läsion seien zusätzlich zu bewerten. In seinem daraufhin vom Sozialgericht eingeholten Gutachten ist der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. zu dem Ergebnis gelangt, dass die Unfallfolgen auf neurologischem Fachgebiet (Kraftminderung in der Hebung und Außenrotation des rechten Armes mit sensiblen Reizerscheinungen in der Hand, anhaltende Schmerzsymptomatik im Schultergürtel) mit einer MdE um 20 v.H. und die Gesamt-MdE ebenfalls mit 20 v.H. zu bewerten sei. Ein möglicherweise durch Überlastung verursachtes Karpaltunnelsyndrom linksseitig sei noch ohne funktionelle Auswirkungen. Nachdem die Beklagte unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. (neurologische MdE nur 10 v. H., Gesamt-MdE wegen der deutlichen Überschneidung mit den orthopädischen Folgen auch nur 10 v.H.) erhoben hat, hat Dr. B. in einer ergänzenden Stellungnahme an seiner bisherigen Bewertung insoweit nicht mehr festgehalten. Er hat eine Überschneidung der orthopädischen und der neurologischen Unfallfolgen bestätigt und für die neurologischen Unfallfolgen eine MdE um 10 v.H. abgeleitet. Begründet hat er seine Beurteilung damit, dass die Funktionsbeeinträchtigungen nicht messbar bzw. nur als gering einzuschätzen seien. Eine Gesamt-MdE hat er nicht mehr festgelegt. Prof. Dr. S. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme daran festgehalten, dass die schlaffe Schlüsselbeinpseudoarthrose mit einer MdE um 10 v.H. zu bewerten sei. Restschäden nach Plexusläsion seien hierbei nicht berücksichtigt. Er hat empfohlen, bezüglich der Gesamt-MdE dem Sachverständigen Dr. B. zu folgen und angenommen, dieser habe die Gesamt-MdE mit 20 v.H. eingeschätzt. Abschließend hat die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme der Ärztin für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. H. vorgelegt. Sie hat die von Prof. Dr. S. dokumentierten Bewegungseinschränkungen mit einer MdE von unter 10 v.H. eingeschätzt und insoweit eine Überschneidung mit den Restsymptomen der Plexus-Schädigung gesehen. Darüber hinausgehend zu würdigen seien lediglich die sensiblen Reizerscheinungen der Hand, die für die Klägerin beim Bedienen der PC-Maus in Erscheinung träten, sowie das Kraftdefizit. Hierfür hat sie eine MdE um 10 v.H. angenommen, bei integrativer Betrachtung eine Gesamt-MdE von weniger als 20 v.H.
Mit Urteil vom 23.06.2015 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 27.06.2009 eine Rente nach einer MdE um 20 v.H. vom 10.08.2009 bis zum 31.12.2013 zu gewähren und im Übrigen die Klage abgewiesen. Es hat die Beurteilung von Prof. Dr. S. zu einer Gesamt-MdE von 20 v.H. in der Begründung nicht für überzeugend erachtet, sondern mit Dr. H. die MdE auf orthopädischem Fachgebiet bei Zugrundelegung der von Prof. Dr. S. dokumentierten Bewegungsmaße auf unter 10 v.H. eingeschätzt, sodass die neurologischen Unfallfolgen, von Dr. B. mit 10 v.H. bewertet, die Gesamt-MdE nicht auf 20 v.H. steigen ließen. Es hat dann darauf hingewiesen, dass die Funktionsbefunde bei der Untersuchung durch Prof. Dr. V. am 19.12.2012 schlechter gewesen seien als ein Jahr später bei Prof. Dr. S ... Hieraus hat es eine Gesamt-MdE um 20 v.H. abgeleitet und der in den Befunden vom Mai 2010 und November 2009 dokumentierten freien Beweglichkeit keine durchschlagende Bedeutung beigemessen.
Gegen das ihr am 16.07.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.08.2015 Berufung eingelegt. Sie verweist darauf, dass auch die von Prof. Dr. V. erhobenen Befunde keine MdE um 10 v.H. rechtfertigten und die Unfallfolgen auf neurologischem Fachgebiet allenfalls mit einer MdE um 10 v.H. zu bewerten seien, woraus sich eine Gesamt-MdE um 10 v.H. ergebe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 23.06.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass nach den von Prof. Dr. V. erhobenen Befunden Einschränkungen der Schultergelenksbeweglichkeit in mehreren Ebenen dokumentiert seien. Unbestritten liege eine Schädigung des Plexus brachiales mit einer MdE um 10 v.H. vor. Entsprechend dem Gutachten von Prof. Dr. S. sei die orthopädische Teil-MdE mit mindestens 10 v.H. festzusetzen (bis zur Metallentfernung sogar auf 20 v.H.) und die Gesamt-MdE nach Prof. Dr. S. und Dr. B. auf 20 v.H. Soweit die Beklagte auf allgemein anerkannte Erfahrungswert abstelle, berücksichtige sie die Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet. Das Sozialgericht hat die angefochtenen Bescheide zu Unrecht (sinngemäß teilweise) aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. vom Eintritt voller Arbeitsfähigkeit am 10.08.2009 bis zum 31.12.2013 (Monat der Untersuchung durch Prof. Dr. S. ) zu gewähren. Denn der Klägerin steht auch für diesen Zeitraum kein Anspruch auf Verletztenrente zu, weil bei ihr keine rentenrelevante MdE nachzuweisen ist.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 15.02.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2013, mit dem die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente ablehnte, allerdings nur in Bezug auf den Zeitraum vom 10.08.2009 bis zum 31.12.2013. Denn nur insoweit hat das Sozialgericht der Klage der Klägerin stattgegeben, wogegen sich die Beklagte mit ihrer Berufung wendet. Im Übrigen, für die Zeit ab dem 01.01.2014 sind die Bescheide bestandskräftig geworden.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).
Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).
Hier steht auf Grund des Urteils des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28.06.2012, L 6 U 4390/11 für die Beteiligten und damit auch für den Senat verbindlich fest, dass es sich bei dem Ereignis vom 27.06.2009 um einen Arbeitsunfall handelte.
Indessen folgt hieraus noch kein Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente. Dies wäre vielmehr im Falle der Klägerin erst der Fall, wenn die auf den Arbeitsunfall zurückzuführenden funktionellen Beeinträchtigungen über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus eine MdE um 20 v.H. verursachen würden. Dies verneint der Senat.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
Entgegen der Auffassung der Klägerin und des Sozialgerichts rechtfertigen weder die von Prof. Dr. V. auf chirurgisch-orthopädischem noch die von Dr. B. auf neurologischem Fachgebiet festgestellten Unfallfolgen mit ihren funktionellen Auswirkungen jeweils eine MdE um 20 v.H., noch ergibt sich unter Berücksichtigung aller Unfallfolgen eine Gesamt-MdE um 20 v.H.
Insoweit hat Dr. H. in Bezug auf das chirurgisch-orthopädische Fachgebiet in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme für die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der unfallversicherungsrechtlichen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seite 523) eine Einschränkung der Beweglichkeit für die Vorwärts-/Seitwärtsanhebung bis 90° bei freier Rotation eine MdE um 20 v.H. verursacht, bis 120° eine MdE um 10 v.H.
Eine derartige erhebliche Bewegungseinschränkung lag bei der Klägerin zu keinem Zeitpunkt nach Ablauf der 26. Woche nach dem Unfallereignis vor. Soweit Prof. Dr. S. bis zum Zeitpunkt der Metallentfernung eine MdE um 20 v.H. angenommen hat, bedarf dies keiner weiteren Erörterung, weil die Metallentfernung vor der 26. Woche nach dem Unfallereignis (27.06.2009), nämlich Ende September 2009 erfolgte. In den von der Beklagten beigezogenen Behandlungsunterlagen, insbesondere in der ärztlichen Dokumentation des O. -Klinikums O.-G. (Bl. 359 ff. VA), aber auch in den aktenkundigen Befundberichten (z. B. von Prof. Dr. A. vom 06.05.2010, Bl. 349 VA) wurden nach September 2009 keine Bewegungseinschränkungen dokumentiert. So wurde vom O. -Klinikum O.-G. am 13.11.2009: " ... bewegt frei ..."; am 26.11.2009: " ... seitengleiche freie Schulterbeweglichkeit in allen Ebenen, Kraft seitengleich ..."; am 04.02.2010: "völlige Beschwerdefreiheit" und am 01.09.2011: nach Sturz auf die rechte Schulter beim Fußballspiel ... "Schultergelenk frei beweglich ..." dokumentiert. Erstmals für August 2012 sind dort Schmerzen bei Überkopfarbeit und sportlicher Tätigkeit beschrieben (Bl. 383 VA), allerdings wiederum bei freier Beweglichkeit (Bl. 359 VA). Auch die Untersuchung bei Prof. Dr. A. , P. S. , am 06.05.2010 ergab keine Einschränkungen (Beweglichkeit frei), er dokumentierte lediglich anamnestisch gelegentlich Beschwerden bei endgradigen Bewegungen (Bl. 349 VA). Soweit das Sozialgericht im angefochtenen Urteil darauf hinweist, dass diese Feststellungen anlässlich ambulanter Vorstellungen zu Behandlungs-, nicht jedoch zu Gutachtenszwecken getroffen worden seien, trifft dies zwar zu. Indessen kann mit derartigen Dokumentationen das Vorliegen einer Bewegungseinschränkung nicht begründet werden.
Anlässlich der von der Beklagten veranlassten Untersuchung durch Prof. Dr. V. im Dezember 2012 fanden sich zwar Bewegungseinschränkungen, jedoch nicht in einem Ausmaß, das nach der zitierten unfallmedizinischen Literatur eine MdE von 10 v.H. rechtfertigen würde. Denn sowohl für die Vorwärtsanhebung als auch für die Seitwärtsanhebung des rechten Armes dokumentierte Prof. Dr. V. 140° und damit erheblich mehr, als nach der zitierten Literatur für eine MdE um 10 v.H. erforderlich wäre (120°). Die geringfügige Einschränkung der Rotationsfähigkeit rechtfertigt keine andere Beurteilung, worauf Dr. H. in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme in Bezug auf ähnliche Einschränkungen im Gutachten von Prof. Dr. S. und in Übereinstimmung mit diesem (Beweglichkeit im Seitenvergleich "endgradig behindert") bereits hingewiesen hat. Entsprechend beurteilte Prof. Dr. V. die MdE auch nicht konkret mit 20 v.H., sondern er schlug eine Gesamtvergütung nach einer MdE um 20 v.H. über 1,5 Jahre vor, wobei der Beurteilungszeitraum einer möglichen Verletztenrentengewährung im Zeitpunkt seiner Untersuchung die Zeit vom 10.08.2009 bis zu seinem Untersuchungstag, dem 19.12.2012, und damit mehr als drei Jahre umfasste. Eine tatsächliche Grundlage hierfür ist nicht ersichtlich, eine Begründung enthält das Gutachten nicht.
Entsprechend rechtfertigen die von Prof. Dr. S. dokumentierten besseren Bewegungsmaße (Vorwärts-/Seitwärtsanhebung rechts jeweils bis 160°) erst recht keine MdE um wenigstens 10 v.H. Dies hat auch das Sozialgericht so gesehen und deshalb die Verletztenrente auf den Monat der Untersuchung durch Prof. Dr. S. begrenzt.
Auf neurologischem Fachgebiet ist die MdE entsprechend der ergänzenden Stellungnahme von Dr. B. mit 10 v.H. zu bewerten. Insoweit hat er das Schmerzsyndrom der Klägerin, insbesondere bei der Arbeit mit der Computermaus, und das Kraftdefizit als Residuen der Plexus-brachialis-Schädigung berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund rügt die Klägerin zu Unrecht, dass die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung allein auf die Bewegungsmaße und die anerkannten Erfahrungswerte für Bewegungseinschränkungen abstelle. Denn tatsächlich berücksichtigt auch die Beklagte Unfallfolgen auf neurologischem Fachgebiet mit 10 v.H. (s. nur die Berufungsbegründung: " ... lag ... unbestritten noch eine Schädigung des Plexus brachialis ... mit einer MdE von 10% ...").
Im Rahmen der Bemessung der Gesamt-MdE ergibt sich somit - ausgehend von einer MdE auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet mit weniger als 10 v.H. und einer MdE auf neurologischem Fachgebiet mit 10 v.H. - zu keinem Zeitpunkt nach der 26. Woche und damit auch nicht im noch streitigen Zeitraum eine Gesamt-MdE von 20 v.H.
Kein anderes Ergebnis rechtfertigt sich unter Berücksichtigung der Argumentation von Prof. Dr. S. , der sich bei der Bemessung der MdE auf seinem Fachgebiet weniger an den dokumentierten Bewegungseinschränkungen, als an der Diagnose einer straffen Schlüsselbeinpseudoarthrose orientiert und hierfür eine MdE um 10 v.H. angenommen hat, was dann auch für die Vergangenheit und damit auch den streitigen Zeitraum gelten würde. In der erwähnten unfallmedizinischen Literatur (dort auf Seite 383) ist für eine instabile Pseudoarthrose im Bereich des Schlüsselbeins eine MdE um 10 bis 20 v.H. vorgesehen, wobei es sich um Mittelwerte handelt, die sich bei einer straffen Pseudoarthrose, wie sie bei der Klägerin nach den Ausführungen von Prof. Dr. S. vorliegt, verringern können. Einer näheren Abklärung bedarf es insoweit nicht. Denn Dr. B. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme in Abweichung zu seinem vorangehenden Gutachten und unter Berücksichtigung der Ausführungen von Dr. S. eine Überschneidung der chirurgisch-orthopädischen mit den neurologischen Unfallfolgen in Bezug auf die Schmerzsymptomatik bestätigt. Dem folgt der Senat, weil Prof. Dr. S. die bei der Klägerin auf seinem Fachgebiet bestehenden Unfallfolgen ausdrücklich auch mit einer endgradig schmerzhaften Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk umschrieben hat. Wenn aber eine teilweise Überschneidung der orthopädischen und der neurologischen Unfallfolgen vorliegt und auf beiden Fachgebieten jeweils nur eine MdE um 10 v.H. besteht, ergibt sich hieraus wiederum keine Gesamt-MdE um 20 v.H.
Soweit sich die Klägerin für die Bewertung der Gesamt-MdE auf die Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen beruft, folgt ihr der Senat nicht. Die Klägerin übersieht bereits, dass Dr. B. in seiner ergänzenden Stellungnahme an der Beurteilung seiner Gesamt-MdE im ursprünglichen Gutachten im Hinblick auf die Einwände der Beklagten und insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen von Dr. S. nicht mehr festgehalten hat. Prof. Dr. S. wiederum hat sich zwar auf der Grundlage seines Gutachtens und des Gutachtens von Dr. B. der Beurteilung seines neurologischen Kollegen angeschlossen, dabei aber unberücksichtigt gelassen, dass Dr. B. selbst an seiner ursprünglichen Beurteilung gerade nicht festgehalten hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Verletztenrente.
Die am 1985 geborene Klägerin stürzte am 27.06.2009 während eines betrieblich organisierten Fußballspieles nach einem Zusammenprall mit einem Mitspieler und zog sich eine dislozierte laterale Claviculafraktur rechts zu, die zunächst im O. -Klinikum L.-E. ambulant mit Operationsvereinbarung versorgt wurde (D-Arztbericht des Prof. Dr. V. , Chefarzt der Klinik für Unfall-, Orthopädische und Wirbelsäulenchirurgie im dortigen Klinikum, Bl. 9 VA). Am selben Tag begab sich die Klägerin in das O. -Klinikum O.-G. , wo sie sogleich stationär aufgenommen und operiert wurde (offene Reposition und Osteosynthese mittels Hakenplatte). Im weiteren Verlauf zeigten sich eine Bewegungseinschränkung und ungewöhnlich starke Schmerzen, sodass die Vorstellung beim Facharzt für Neurologie und Oberarzt im O. -Klinikum O.-G. Dr. L. erfolgte. Dieser diagnostizierte am 22.07.2009 eine Schädigung des Plexus brachiales bei Claviculafraktur. Eine Kontrolluntersuchung wurde von der Klägerin dann nicht mehr wahrgenommen. Ab dem 10.08.2009 war sie wieder voll arbeitsfähig und in Vollzeit als Industriekauffrau tätig. Ende September 2009 erfolgte die Metallentfernung. In den Dokumentationen über Vorstellungen der Klägerin im O. -Klinikum O.-G. ist ab November 2009 eine freie Beweglichkeit des Schultergelenkes beschrieben (vgl. Bl. 359 ff. VA, u.a. 13.11.2009: " ... bewegt frei ..."; 26.11.2009: " ... seitengleiche freie Schulterbeweglichkeit in allen Ebenen, Kraft seitengleich ..."; Bl. 380 VA 04.02.2010: "völlige Beschwerdefreiheit"; Bl. 381 VA 01.09.2011: nach Sturz auf die rechte Schulter beim Fußballspiel ... "Schultergelenk frei beweglich ..."). Erstmals für August 2012 sind dort Schmerzen bei Überkopfarbeit und sportlicher Tätigkeit dokumentiert (Bl. 383 VA), allerdings wiederum bei freier Beweglichkeit (Bl. 359 VA). Auch eine Untersuchung bei Prof. Dr. A. , P. S. , am 06.05.2010 ergab keine Einschränkungen (Beweglichkeit frei), er dokumentierte anamnestisch gelegentlich Beschwerden bei endgradigen Bewegungen (Bl. 349 VA).
Nachdem die Beklagte zunächst das Vorliegen eines Arbeitsunfalles abgelehnt und das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 28.06.2012, L 6 U 4390/11 das Ereignis vom 27.06.2009 als Arbeitsunfall rechtskräftig festgestellt hatte, holte die Beklagte ein Gutachten bei Prof. Dr. V. ein. Die Klägerin berichtete ihm u.a. und insbesondere über schmerzbedingte Einschränkungen bei Überkopf-Bewegungen und der Arbeit mit der Computermaus nach einigen Stunden. Die Vorwärtsbewegung des rechten Armes war rechts auf 140° eingeschränkt (links 180°), die Seitwärtsbewegung rechts auf 140° (links 160°). Ebenso fand sich eine geringe Einschränkung der Rotation. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Messblatt Bl. 336 VA Bezug genommen. Prof. Dr. V. diagnostizierte eine dislozierte laterale Claviculafraktur rechts mit vorübergehendem Plexus-brachiales-Schaden und eine Pseudoarthrose mit Resorption des lateralen Claviculafragmentes und er schlug eine Gesamtvergütung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. über 1,5 Jahre vor. Nachdem die Beklagte die im O. -Klinikum O.-G. erhobenen Befunde beigezogen hatte, lehnte sie mit Bescheid vom 15.02.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2013 die Gewährung von Verletztenrente mangels rentenberechtigender MdE ab.
Das hiergegen am 01.08.2013 angerufene Sozialgericht Freiburg hat von Amts wegen Gutachten eingeholt. Prof. Dr. S. hat in seinem fachorthopädisch-chirurgischen Gutachten die Beschwerdeangaben der Klägerin dahingehend dokumentiert, dass das berufsbedingt häufig notwendige Betätigen einer Computermaus mit der rechten Hand zu Schmerzen im rechten Arm geführt habe, sodass sie sich jetzt auf die linke Hand umtrainiert habe. Heben und Tragen führe zu Schmerzen in der rechten Schulter. Gleiches gelte bei ausholenden Bewegungen, was sie bei Überkopfarbeiten und beim Sport (Volleyball, Schwimmen) behindere. Auf der rechten Seite könne sie nur kurz liegen, was ihre Nachtruhe störe. Die Beweglichkeit des rechten Schultergelenkes hat auch Prof. Dr. S. für die Vorwärtsbewegung eingeschränkt gefunden (rechts 160°, links 180°), ebenso für die Seitwärtsanhebung (rechts 160°, links 170°) sowie ebenfalls eine Einschränkung der Drehbeweglichkeit. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Übersicht Bl. 28 der SG-Akte Bezug genommen. Er hat als Unfallfolgen in funktioneller Hinsicht eine endgradige und endgradig schmerzhafte Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk sowie eine Beeinträchtigung beim Liegen auf der rechten Seite durch dann auftretenden Schulterschmerz formuliert (Bl. 30 SG-Akte). Im Hinblick auf die in Rede stehende Armplexus-Läsion hat er eine Kraftminderung im rechten Arm sowie rezidivierend in den rechten Arm ausstrahlende Schmerzen diskutiert und die Einholung eines neurologischen Gutachtens empfohlen. Rein orthopädisch entspreche der Befund am rechten Schultergelenk einer MdE von 10 v.H., weil dies in der Literatur für eine hier vorliegende straffe Schlüsselbeinpseudoarthrose mit endgradiger Bewegungseinschränkung vorgesehen sei. Die wahrscheinlichen Residuen nach Armplexus-Läsion seien zusätzlich zu bewerten. In seinem daraufhin vom Sozialgericht eingeholten Gutachten ist der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. zu dem Ergebnis gelangt, dass die Unfallfolgen auf neurologischem Fachgebiet (Kraftminderung in der Hebung und Außenrotation des rechten Armes mit sensiblen Reizerscheinungen in der Hand, anhaltende Schmerzsymptomatik im Schultergürtel) mit einer MdE um 20 v.H. und die Gesamt-MdE ebenfalls mit 20 v.H. zu bewerten sei. Ein möglicherweise durch Überlastung verursachtes Karpaltunnelsyndrom linksseitig sei noch ohne funktionelle Auswirkungen. Nachdem die Beklagte unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. (neurologische MdE nur 10 v. H., Gesamt-MdE wegen der deutlichen Überschneidung mit den orthopädischen Folgen auch nur 10 v.H.) erhoben hat, hat Dr. B. in einer ergänzenden Stellungnahme an seiner bisherigen Bewertung insoweit nicht mehr festgehalten. Er hat eine Überschneidung der orthopädischen und der neurologischen Unfallfolgen bestätigt und für die neurologischen Unfallfolgen eine MdE um 10 v.H. abgeleitet. Begründet hat er seine Beurteilung damit, dass die Funktionsbeeinträchtigungen nicht messbar bzw. nur als gering einzuschätzen seien. Eine Gesamt-MdE hat er nicht mehr festgelegt. Prof. Dr. S. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme daran festgehalten, dass die schlaffe Schlüsselbeinpseudoarthrose mit einer MdE um 10 v.H. zu bewerten sei. Restschäden nach Plexusläsion seien hierbei nicht berücksichtigt. Er hat empfohlen, bezüglich der Gesamt-MdE dem Sachverständigen Dr. B. zu folgen und angenommen, dieser habe die Gesamt-MdE mit 20 v.H. eingeschätzt. Abschließend hat die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme der Ärztin für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. H. vorgelegt. Sie hat die von Prof. Dr. S. dokumentierten Bewegungseinschränkungen mit einer MdE von unter 10 v.H. eingeschätzt und insoweit eine Überschneidung mit den Restsymptomen der Plexus-Schädigung gesehen. Darüber hinausgehend zu würdigen seien lediglich die sensiblen Reizerscheinungen der Hand, die für die Klägerin beim Bedienen der PC-Maus in Erscheinung träten, sowie das Kraftdefizit. Hierfür hat sie eine MdE um 10 v.H. angenommen, bei integrativer Betrachtung eine Gesamt-MdE von weniger als 20 v.H.
Mit Urteil vom 23.06.2015 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 27.06.2009 eine Rente nach einer MdE um 20 v.H. vom 10.08.2009 bis zum 31.12.2013 zu gewähren und im Übrigen die Klage abgewiesen. Es hat die Beurteilung von Prof. Dr. S. zu einer Gesamt-MdE von 20 v.H. in der Begründung nicht für überzeugend erachtet, sondern mit Dr. H. die MdE auf orthopädischem Fachgebiet bei Zugrundelegung der von Prof. Dr. S. dokumentierten Bewegungsmaße auf unter 10 v.H. eingeschätzt, sodass die neurologischen Unfallfolgen, von Dr. B. mit 10 v.H. bewertet, die Gesamt-MdE nicht auf 20 v.H. steigen ließen. Es hat dann darauf hingewiesen, dass die Funktionsbefunde bei der Untersuchung durch Prof. Dr. V. am 19.12.2012 schlechter gewesen seien als ein Jahr später bei Prof. Dr. S ... Hieraus hat es eine Gesamt-MdE um 20 v.H. abgeleitet und der in den Befunden vom Mai 2010 und November 2009 dokumentierten freien Beweglichkeit keine durchschlagende Bedeutung beigemessen.
Gegen das ihr am 16.07.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.08.2015 Berufung eingelegt. Sie verweist darauf, dass auch die von Prof. Dr. V. erhobenen Befunde keine MdE um 10 v.H. rechtfertigten und die Unfallfolgen auf neurologischem Fachgebiet allenfalls mit einer MdE um 10 v.H. zu bewerten seien, woraus sich eine Gesamt-MdE um 10 v.H. ergebe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 23.06.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass nach den von Prof. Dr. V. erhobenen Befunden Einschränkungen der Schultergelenksbeweglichkeit in mehreren Ebenen dokumentiert seien. Unbestritten liege eine Schädigung des Plexus brachiales mit einer MdE um 10 v.H. vor. Entsprechend dem Gutachten von Prof. Dr. S. sei die orthopädische Teil-MdE mit mindestens 10 v.H. festzusetzen (bis zur Metallentfernung sogar auf 20 v.H.) und die Gesamt-MdE nach Prof. Dr. S. und Dr. B. auf 20 v.H. Soweit die Beklagte auf allgemein anerkannte Erfahrungswert abstelle, berücksichtige sie die Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet. Das Sozialgericht hat die angefochtenen Bescheide zu Unrecht (sinngemäß teilweise) aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. vom Eintritt voller Arbeitsfähigkeit am 10.08.2009 bis zum 31.12.2013 (Monat der Untersuchung durch Prof. Dr. S. ) zu gewähren. Denn der Klägerin steht auch für diesen Zeitraum kein Anspruch auf Verletztenrente zu, weil bei ihr keine rentenrelevante MdE nachzuweisen ist.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 15.02.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2013, mit dem die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente ablehnte, allerdings nur in Bezug auf den Zeitraum vom 10.08.2009 bis zum 31.12.2013. Denn nur insoweit hat das Sozialgericht der Klage der Klägerin stattgegeben, wogegen sich die Beklagte mit ihrer Berufung wendet. Im Übrigen, für die Zeit ab dem 01.01.2014 sind die Bescheide bestandskräftig geworden.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).
Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).
Hier steht auf Grund des Urteils des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28.06.2012, L 6 U 4390/11 für die Beteiligten und damit auch für den Senat verbindlich fest, dass es sich bei dem Ereignis vom 27.06.2009 um einen Arbeitsunfall handelte.
Indessen folgt hieraus noch kein Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente. Dies wäre vielmehr im Falle der Klägerin erst der Fall, wenn die auf den Arbeitsunfall zurückzuführenden funktionellen Beeinträchtigungen über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus eine MdE um 20 v.H. verursachen würden. Dies verneint der Senat.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
Entgegen der Auffassung der Klägerin und des Sozialgerichts rechtfertigen weder die von Prof. Dr. V. auf chirurgisch-orthopädischem noch die von Dr. B. auf neurologischem Fachgebiet festgestellten Unfallfolgen mit ihren funktionellen Auswirkungen jeweils eine MdE um 20 v.H., noch ergibt sich unter Berücksichtigung aller Unfallfolgen eine Gesamt-MdE um 20 v.H.
Insoweit hat Dr. H. in Bezug auf das chirurgisch-orthopädische Fachgebiet in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme für die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der unfallversicherungsrechtlichen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seite 523) eine Einschränkung der Beweglichkeit für die Vorwärts-/Seitwärtsanhebung bis 90° bei freier Rotation eine MdE um 20 v.H. verursacht, bis 120° eine MdE um 10 v.H.
Eine derartige erhebliche Bewegungseinschränkung lag bei der Klägerin zu keinem Zeitpunkt nach Ablauf der 26. Woche nach dem Unfallereignis vor. Soweit Prof. Dr. S. bis zum Zeitpunkt der Metallentfernung eine MdE um 20 v.H. angenommen hat, bedarf dies keiner weiteren Erörterung, weil die Metallentfernung vor der 26. Woche nach dem Unfallereignis (27.06.2009), nämlich Ende September 2009 erfolgte. In den von der Beklagten beigezogenen Behandlungsunterlagen, insbesondere in der ärztlichen Dokumentation des O. -Klinikums O.-G. (Bl. 359 ff. VA), aber auch in den aktenkundigen Befundberichten (z. B. von Prof. Dr. A. vom 06.05.2010, Bl. 349 VA) wurden nach September 2009 keine Bewegungseinschränkungen dokumentiert. So wurde vom O. -Klinikum O.-G. am 13.11.2009: " ... bewegt frei ..."; am 26.11.2009: " ... seitengleiche freie Schulterbeweglichkeit in allen Ebenen, Kraft seitengleich ..."; am 04.02.2010: "völlige Beschwerdefreiheit" und am 01.09.2011: nach Sturz auf die rechte Schulter beim Fußballspiel ... "Schultergelenk frei beweglich ..." dokumentiert. Erstmals für August 2012 sind dort Schmerzen bei Überkopfarbeit und sportlicher Tätigkeit beschrieben (Bl. 383 VA), allerdings wiederum bei freier Beweglichkeit (Bl. 359 VA). Auch die Untersuchung bei Prof. Dr. A. , P. S. , am 06.05.2010 ergab keine Einschränkungen (Beweglichkeit frei), er dokumentierte lediglich anamnestisch gelegentlich Beschwerden bei endgradigen Bewegungen (Bl. 349 VA). Soweit das Sozialgericht im angefochtenen Urteil darauf hinweist, dass diese Feststellungen anlässlich ambulanter Vorstellungen zu Behandlungs-, nicht jedoch zu Gutachtenszwecken getroffen worden seien, trifft dies zwar zu. Indessen kann mit derartigen Dokumentationen das Vorliegen einer Bewegungseinschränkung nicht begründet werden.
Anlässlich der von der Beklagten veranlassten Untersuchung durch Prof. Dr. V. im Dezember 2012 fanden sich zwar Bewegungseinschränkungen, jedoch nicht in einem Ausmaß, das nach der zitierten unfallmedizinischen Literatur eine MdE von 10 v.H. rechtfertigen würde. Denn sowohl für die Vorwärtsanhebung als auch für die Seitwärtsanhebung des rechten Armes dokumentierte Prof. Dr. V. 140° und damit erheblich mehr, als nach der zitierten Literatur für eine MdE um 10 v.H. erforderlich wäre (120°). Die geringfügige Einschränkung der Rotationsfähigkeit rechtfertigt keine andere Beurteilung, worauf Dr. H. in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme in Bezug auf ähnliche Einschränkungen im Gutachten von Prof. Dr. S. und in Übereinstimmung mit diesem (Beweglichkeit im Seitenvergleich "endgradig behindert") bereits hingewiesen hat. Entsprechend beurteilte Prof. Dr. V. die MdE auch nicht konkret mit 20 v.H., sondern er schlug eine Gesamtvergütung nach einer MdE um 20 v.H. über 1,5 Jahre vor, wobei der Beurteilungszeitraum einer möglichen Verletztenrentengewährung im Zeitpunkt seiner Untersuchung die Zeit vom 10.08.2009 bis zu seinem Untersuchungstag, dem 19.12.2012, und damit mehr als drei Jahre umfasste. Eine tatsächliche Grundlage hierfür ist nicht ersichtlich, eine Begründung enthält das Gutachten nicht.
Entsprechend rechtfertigen die von Prof. Dr. S. dokumentierten besseren Bewegungsmaße (Vorwärts-/Seitwärtsanhebung rechts jeweils bis 160°) erst recht keine MdE um wenigstens 10 v.H. Dies hat auch das Sozialgericht so gesehen und deshalb die Verletztenrente auf den Monat der Untersuchung durch Prof. Dr. S. begrenzt.
Auf neurologischem Fachgebiet ist die MdE entsprechend der ergänzenden Stellungnahme von Dr. B. mit 10 v.H. zu bewerten. Insoweit hat er das Schmerzsyndrom der Klägerin, insbesondere bei der Arbeit mit der Computermaus, und das Kraftdefizit als Residuen der Plexus-brachialis-Schädigung berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund rügt die Klägerin zu Unrecht, dass die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung allein auf die Bewegungsmaße und die anerkannten Erfahrungswerte für Bewegungseinschränkungen abstelle. Denn tatsächlich berücksichtigt auch die Beklagte Unfallfolgen auf neurologischem Fachgebiet mit 10 v.H. (s. nur die Berufungsbegründung: " ... lag ... unbestritten noch eine Schädigung des Plexus brachialis ... mit einer MdE von 10% ...").
Im Rahmen der Bemessung der Gesamt-MdE ergibt sich somit - ausgehend von einer MdE auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet mit weniger als 10 v.H. und einer MdE auf neurologischem Fachgebiet mit 10 v.H. - zu keinem Zeitpunkt nach der 26. Woche und damit auch nicht im noch streitigen Zeitraum eine Gesamt-MdE von 20 v.H.
Kein anderes Ergebnis rechtfertigt sich unter Berücksichtigung der Argumentation von Prof. Dr. S. , der sich bei der Bemessung der MdE auf seinem Fachgebiet weniger an den dokumentierten Bewegungseinschränkungen, als an der Diagnose einer straffen Schlüsselbeinpseudoarthrose orientiert und hierfür eine MdE um 10 v.H. angenommen hat, was dann auch für die Vergangenheit und damit auch den streitigen Zeitraum gelten würde. In der erwähnten unfallmedizinischen Literatur (dort auf Seite 383) ist für eine instabile Pseudoarthrose im Bereich des Schlüsselbeins eine MdE um 10 bis 20 v.H. vorgesehen, wobei es sich um Mittelwerte handelt, die sich bei einer straffen Pseudoarthrose, wie sie bei der Klägerin nach den Ausführungen von Prof. Dr. S. vorliegt, verringern können. Einer näheren Abklärung bedarf es insoweit nicht. Denn Dr. B. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme in Abweichung zu seinem vorangehenden Gutachten und unter Berücksichtigung der Ausführungen von Dr. S. eine Überschneidung der chirurgisch-orthopädischen mit den neurologischen Unfallfolgen in Bezug auf die Schmerzsymptomatik bestätigt. Dem folgt der Senat, weil Prof. Dr. S. die bei der Klägerin auf seinem Fachgebiet bestehenden Unfallfolgen ausdrücklich auch mit einer endgradig schmerzhaften Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk umschrieben hat. Wenn aber eine teilweise Überschneidung der orthopädischen und der neurologischen Unfallfolgen vorliegt und auf beiden Fachgebieten jeweils nur eine MdE um 10 v.H. besteht, ergibt sich hieraus wiederum keine Gesamt-MdE um 20 v.H.
Soweit sich die Klägerin für die Bewertung der Gesamt-MdE auf die Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen beruft, folgt ihr der Senat nicht. Die Klägerin übersieht bereits, dass Dr. B. in seiner ergänzenden Stellungnahme an der Beurteilung seiner Gesamt-MdE im ursprünglichen Gutachten im Hinblick auf die Einwände der Beklagten und insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen von Dr. S. nicht mehr festgehalten hat. Prof. Dr. S. wiederum hat sich zwar auf der Grundlage seines Gutachtens und des Gutachtens von Dr. B. der Beurteilung seines neurologischen Kollegen angeschlossen, dabei aber unberücksichtigt gelassen, dass Dr. B. selbst an seiner ursprünglichen Beurteilung gerade nicht festgehalten hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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