L 9 AS 1705/16 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 323/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 1705/16 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 6. April 2016 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auch im Beschwerdeverfahren.

Der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung wird abgelehnt.

Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin G., H., Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn (SG) vom 06.04.2016 ist zulässig, aber nicht begründet.

Das SG hat den Antragsgegner zu Recht verpflichtet, der Antragstellerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ab 02.02.2016 bis längstens 31.05.2016 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von monatlich 276,48 EUR zu gewähren.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustandes geht (§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 01.08.2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17.08.2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der ZPO). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, sondern in einer Wechselbeziehung, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Keller in M./K./L., Sozialgerichtsgesetz, 11. Aufl., § 86b Rdnr. 27, m.w.N). Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann (Keller, a.a.O., Rdnr. 29, m.w.N.). Dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (vgl. etwa LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 06.09.2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - jeweils Juris, jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).

Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Die in § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II genannten Voraussetzungen für die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II sind erfüllt. Danach erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Die im Jahr 1966 geborene Antragstellerin, die sich seit dem 02.02.2014 in H. aufhält und damit in der Bundesrepublik Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, ist erwerbsfähig.

Die Antragstellerin hat auch ihre Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 SGB II in geltend gemachtem Umfang (80 % der Regelleistung und Abzug des unter Berücksichtigung der Freibeträge anzurechnenden Einkommens) glaubhaft gemacht. Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind gemäß § 9 Abs. 2 SGB II auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Zur Bedarfsgemeinschaft gehören als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigen gemäß § 7 Abs. 3 Ziff. 3a SGB II eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Dieser wechselseitige Wille wird gemäß § 7 Abs. 3a SGB II wiederum vermutet, wenn Partner länger als ein Jahr zusammenleben, mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen. Die Antragstellerin hat mit den eidesstattlichen Versicherungen von Herrn D. vom 17.03.2016 und vom 18.05.2016 glaubhaft gemacht, dass eine Bedarfsgemeinschaft zwischen ihr und Herrn D. nicht besteht. Insbesondere hat Herr D. angegeben, die Antragstellerin finanziell nicht zu unterstützen, so dass der Wille, füreinander Verantwortung zu tragen und füreinander einzustehen, nicht ersichtlich ist. Mangels Befugnis, über das Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen, greift auch die Vermutungsregel des § 7 Abs. 3a Ziff. 4 SGB II nicht. Das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft kann auch nicht nach § 7 Abs. 3a SGB II vermutet werden, da ein Zusammenleben von länger als einem Jahr nicht gegeben ist. Allein der Umstand, dass die Antragstellerin und Herr D. seit Februar 2014 in einer Wohnung leben, begründet noch kein Zusammenleben im Sinne der Vermutungsregelung. Das bloße Zusammenleben in einer Wohnung macht die Antragstellerin und Herrn D. noch nicht zu Partnern. Die eidesstattliche Versicherung wird auch nicht dadurch unschlüssig, dass Herr D. (in Übereinstimmung mit Frau K. P.) erklärt hat, dass diese monatlich zwischen 400,00 und 450,00 EUR an ihn zahle, der mietvertraglich vereinbarte Mietanteil aber nur jeweils 160,00 EUR beträgt. Herr D. hat in der eidesstattlichen Versicherung vom 18.05.2016 klargestellt, dass es sich bei dem Differenzbetrag zwischen der geschuldeten Miete und den tatsächlich gezahlten Beträgen um die Begleichung von Mietrückständen handelt. Einkommen oder Vermögen von Herrn D. sind daher nicht nach § 9 Abs. 2 SGB II bedarfsmindernd zu berücksichtigen.

Nach summarischer Prüfung ist die Bedürftigkeit der Antragstellerin auch nicht gemäß § 9 Abs. 5 SGB II entfallen. Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann. Der Eintritt dieser widerlegbaren gesetzlichen Vermutung ist an zwei Voraussetzungen geknüpft; zum einen ist das Zusammenleben in einer Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten erforderlich, zum anderen muss von diesen ganz oder teilweise erwartet werden dürfen, dass sie für den Hilfebedürftigen Leistungen zum Lebensunterhalt erbringen. Angesichts der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung der Tochter der Antragstellerin vermochte sich der Senat, ebenso wie das SG, nicht vom Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft zu überzeugen. Eine Haushaltsgemeinschaft erfordert ein nicht nur vorübergehendes Zusammenwohnen und ein gemeinsames Wirtschaften. Es ist mehr erforderlich als das in Wohngemeinschaften anzutreffende gemeinsame Wohnen, innerhalb derer grundsätzlich getrennt gewirtschaftet wird, d.h. anfallende Kosten strikt aufgeteilt und abgerechnet werden. Es bedarf des Wirtschaftens "aus einem Topf" (BT-Drucksache 15/1516, S. 53). Die Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften gehen dabei über die gemeinsame Nutzung von Bad, Küche und ggf. Gemeinschaftsräumen hinaus (Karl in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 9 Rdnr. 175). Das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft muss positiv festgesellt werden, d. h. die Feststellungslast liegt beim Grundsicherungsträger (Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 9 Rdnr. 88, m.w.N.). Der Senat verkennt nicht, dass zahlreiche Argumente für das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft zwischen der Antragstellerin und deren Tochter besprechen. Sie bewohnen gemeinsam eine Wohnung, für die die Tochter seit der Aufnahme einer Beschäftigung im Juli 2015 die gesamte Miete (jeweils 160,00 EUR für Mutter und Tochter) trägt und zugleich die Mietschulden beider in monatlich unterschiedlich hohen Raten abträgt. Die Tochter kauft auch Lebensmittel für beide ein. Eine strikte Trennung und Aufteilung der anfallenden Kosten ist daher nicht ersichtlich. Andererseits spricht gegen das Wirtschaften "aus einem Topf", dass die Tochter der Antragstellerin in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 17.03.2016 angegeben hat, die Mutter allein mit Lebensmitteln zu unterstützen; ein gemeinsames Wirtschaften ist daher nicht ersichtlich. Die Antragstellerin hat daher in dem im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes erforderlichen Umfang hinreichend glaubhaft gemacht, weder von ihrer Tochter noch von Herrn D. bedarfsmindernd anzurechnende Unterstützung zu erhalten. Dies ergibt sich auch aus ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 02.02.2016.

Soweit trotz des Inhalts der eidesstattlichen Versicherungen der Antragstellerin, des Herrn D. und der Frau K. P. Zweifel in Bezug auf das Bestehen einer Bedarfs- oder Haushaltsgemeinschaft verbleiben, können diese durch Ermittlungen im Hauptsacheverfahren aufgeklärt werden. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sind sie als Mittel der Glaubhaftmachung zulässig (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 294 Abs. 1 ZPO) und zur Überzeugung des Senats vorliegend auch (noch) schlüssig und ausreichend.

Die Antragstellerin ist auch nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, seit dem 01.12.2015 Arbeitnehmerin im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU) zu sein, was den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entfallen lässt. Auf die Frage der Europarechtskonformität dieser Regelung kommt es vorliegend daher nicht an.

Maßgeblich für die Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU ist der gemeinschaftsrechtliche Arbeitnehmerbegriff (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 23/10 R, Juris). Der in Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verwendete Begriff des Arbeitnehmers hängt nicht von der Arbeitnehmerdefinition des jeweiligen nationalen Rechts ab, sondern wird für alle Mitgliedstaaten einheitlich durch das Unionsrecht bestimmt. Da die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu den Grundlagen der Gemeinschaft gehört, sind die Vorschriften, die über den Geltungsberiech entscheiden, weit auszulegen; auch der Arbeitnehmerbegriff des Art. 45 AEUV ist daher weit zu verstehen (vgl. u.a. Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 07.09.2004, C-456/02 - Trojani -, Urteil vom 04.06.2009, C-22/08 - Vatsouras und Koupatantze -, Urteil vom 11.09.2008, C-228/07 - Petersen -, Juris). Danach ist Arbeitnehmer jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Die Antragstellerin erhält nach den vorgelegten Gehaltsabrechnungen für die Monate Dezember 2015 bis April 2016 für ihre Tätigkeit als Reinigungskraft bei der Firma Mehmeti Bau GmbH monatlich 160,00 EUR brutto. Diese Vergütung erhält sie als Gegenleistung für die von ihr für die M. B. GmbH nach dortiger Weisung erbrachten Leistungen, womit bereits festgestellt ist, dass nach dem gemeinschaftsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff, wie ihn der EuGH entwickelt hat, die Grundmerkmale eines Arbeitsverhältnisses - das Abhängigkeitsverhältnis und die Zahlung einer Vergütung - vorliegen (EuGH, Rs. Trojani, a.a.O., Juris). Dagegen ist für die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Gemeinschaftsrechts ohne Bedeutung, ob das Beschäftigungsverhältnis nach nationalem Recht ein Rechtsverhältnis sui generis ist, wie hoch die Produktivität des Betreffenden ist, woher die Mittel für die Vergütung stammen oder dass sich die Höhe der Vergütung in Grenzen hält (EuGH, Rs. Trojani, a.a.O., Juris). Demgemäß schließt der Umstand, dass die Antragstellerin nur ein geringes, nicht zur Deckung ihres Lebensunterhalts ausreichendes Einkommen bezieht, die Annahme eines Arbeitsverhältnisses nach Unionsrecht nicht aus. Das BSG hat insoweit entschieden, dass bereits eine wöchentliche Stundenzahl von 7,4 Stunden ausreicht, um die Arbeitnehmereigenschaft zu begründen, und das Einkommen von lediglich 100,00 EUR dem nicht entgegen steht (BSG, Urteil vom 19.10.2010, a.a.O.). Nachdem die Antragstellerin ausweislich der vorgelegten Lohnabrechnungen in einem zeitlichen Umfang von vier Stunden wöchentlich tätig ist und dabei einen Verdienst in Höhe von 160,00 EUR brutto monatlich erzielt, liegt hier (noch) keine völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit vor. Als tatsächliche und echte Tätigkeiten im Sinne der Rechtsprechung des EuGH können indes nur solche tatsächlich erbrachten Leistungen angesehen werden, die auf dem Beschäftigungsmarkt üblich sind (EuGH, Rs. Trojani a.a.O., Juris). Eine Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist nämlich nur dann statthaft, wenn die ausgeübte Tätigkeit "Teil des Wirtschaftslebens" ist (Schneider/Wunderlich in Jürgen Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 3. Aufl., Art. 45 AEUV, Rdnr. 18). Bedenken, dass es sich bei der Tätigkeiten als Reinigungskraft, die die Antragstellerin im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnis zu erbringen hat, nicht um eine solche, auf dem regulären Beschäftigungsmarkt übliche Tätigkeit handelt, hat der Senat nicht. Die Unschädlichkeit einer Teilzeitbeschäftigung für die Bejahung des gemeinschaftsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs hat der EuGH bereits in seinem Urteil vom 23.03.1982 bejaht (C-53/81 Levin, Slg. 1982 I-01035, Juris). Die Tätigkeit der Antragstellerin ist demnach dem allgemeinen Wirtschaftsleben zuzuordnen. Auch die konkrete Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses ist für das Unionsrecht irrelevant (EuGH, Rs. 344/87, Bettray, Slg. 1989, 1621, Rdnr. 16). Ein Unionsbürger kann den Schutz des Art. 45 AEUV selbst bei einem fehlerhaften Arbeitsverhältnis in Anspruch nehmen, soweit er zum maßgeblichen Zeitpunkt nur den Willen hatte, einer unselbstständigen Tätigkeit nachzugehen (Schneider/Wunderlich, a.a.O., Art. 45 AEUV, Rdnr. 13, m.w.N.). Auf die Frage, ob ein Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall besteht, kommt es daher nicht streitentscheidend an, wobei - entgegen der Angaben in der Arbeitgeberbescheinigung vom 16.12.2015 - diese im Arbeitsvertrag vom 30.11.2015 ausdrücklich vereinbart wurde. Soweit der Antragsgegner darauf abstellt, dass die Tätigkeit der Antragstellerin "auf Abruf", d.h. ohne feste Arbeitszeiten erfolgt, schließt dies die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Art. 45 AEUV nicht von vornherein aus (EuGH, Urteil vom 26.02.1992, C-357/89, Raulin, Juris). Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit ausweislich der zwischenzeitlich vorliegenden Gehaltsabrechnungen regelmäßig monatlich 16 Stunden ausgeübt wird.

Die Antragstellerin hat auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht. Die besondere Eilbedürftigkeit ergibt sich bereits aus dem existenzsichernden Charakter der begehrten Leistungen. Nachdem die Antragstellerin die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung im Eilverfahren nicht geltend macht, kommt es nicht darauf an, ob der Verlust der Wohnung konkret droht. Der Antragstellerin kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass sie - vorläufig - ihr Begehren auf 80 % der Regelleistung abzüglich des anzurechnenden Erwerbseinkommens beschränkt. Sie trägt damit dem Ergebnis der vorherigen Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz Rechnung, in denen keine Kosten der Unterkunft und lediglich 80 % der Regelleistung zugesprochen wurden (zuletzt LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.05.2015, L 3 AS 1150/15 ER-B). Dass eine über den Einkauf von Lebensmitteln hinausgehende Unterstützung nicht erfolgt, ergibt sich aus der eidesstattlichen Versicherung der Tochter. Die Notwendigkeit des Krankenversicherungsschutzes wurde durch die eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin glaubhaft gemacht.

Dem hilfsweise gestellten Antrag, die Vollstreckung aus dem angegriffenen Beschluss gemäß § 199 Abs. 2 SGG auszusetzen, über den der Senat entscheiden kann, war vor dem Hintergrund, dass mit diesem Beschluss eine abschließende Entscheidung im Eilverfahren getroffen worden ist, nicht zu entsprechen.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Der Antragstellerin war unter Beiordnung von Rechtsanwältin G., H., Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen. Gemäß § 73 a SGG in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Antragstellerin ist ausweislich der vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bedürftig im Sinne des Gesetzes. Aufgrund des § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO, wonach in einem höheren Rechtszug nicht zu prüfen ist, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn der Gegner - wie hier der Antragsgegner - das Rechtsmittel eingelegt hat, kam es auf die Erfolgsaussichten der Antragstellerin nicht an. Daher hat die Antragstellerin Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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