Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SO 773/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 1512/16 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 14. April 2016 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 26. Februar 2016 bis zum 30. Juni 2016 - längstens bis zur Bestandskraft des Bescheids vom 3. Februar 2016 - Leistungen der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch in Höhe von monatlich 323,20 Euro zu gewähren.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren ab dem 4. Mai 2016 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung bewilligt und Rechtsanwalt W., F., beigeordnet.
Gründe:
I.
Der 1978 geborene Antragsteller ist t. Staatsangehöriger und hält sich nach eigener Angabe seit dem 1. Oktober 2009 im Bundesgebiet auf. Mit Bescheid vom 9. Dezember 2015 lehnte das Jobcenter F. (zukünftig nur Jobcenter) seinen Leistungsantrag vom 7. Oktober 2015 ab. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), weil er von den Leistungen ausgeschlossen sei. Sein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet ergebe sich alleine zum Zweck der Arbeitsuche. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Antragstellers (Schreiben vom 13. Januar 2016) wies die Widerspruchsstelle des Jobcenters mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2016 zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller nicht über ein Daueraufenthaltsrecht verfüge, weil er in den letzten fünf Jahren nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt habe. Eine Klage hat der Antragsteller dagegen - soweit ersichtlich - nicht erhoben.
Mit (Form-)Antrag vom 22. Januar 2016 hatte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Gewährung von Sozialhilfe beantragt. Mit Bescheid vom 3. Februar 2016 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag unter Hinweis auf die Regelung des § 23 Abs. 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) ab. Am 26. Februar 2016 erhob der Antragsteller dagegen Widerspruch - über den am Beschlusstag noch nicht entschieden ist -, mit dem er für die Zeit ab dem 7. Oktober 2015 Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII geltend gemacht hat.
Am selben Tag hat der Antragsteller beim Sozialgericht Freiburg (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf die vorläufige Erbringung von Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII bis zum 30. Juni 2016 - längstens bis zur Bestandskraft des Ablehnungsbescheids - und die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Rechtsanwaltsbeiordnung beantragt. Mit Beschluss vom 14. April 2016 - dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 15. April 2016 zugestellt - hat das SG den Eilantrag und den Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses Bezug genommen. Hiergegen hat der Antragsteller am 22. April 2016 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Beschwerde erhoben, mit dem er sein Eilbegehren für die Zeit ab dem 26. Februar 2016 bis zum 30. Juni 2016 - längstens bis zur Bestandskraft des Bescheids vom 11. Januar 2016 (gemeint: 3. Februar 2016) - weiterverfolgt. Zugleich hat er die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt W., F., beantragt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Antragsgegnerin und die Verfahrensakten des SG sowie des Senats Bezug genommen.
II.
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte (§ 172 Abs. 1 SGG) Beschwerde ist zulässig und begründet. Im Rahmen der vom Senat vorzunehmenden Folgenabwägung sind dem Antragsteller Leistungen der Sozialhilfe in Höhe von 80 vom Hundert des Regelsatzes nach Regelbedarfsstufe 1 nach dem SGB XII für die Zeit vom 26. Februar 2016 (Tag der Anbringung des Eilrechtsschutzgesuches) bis zum 30. Juni 2016 (wie beantragt) vorläufig zu gewähren.
1. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist das Eilbegehren des Antragstellers auf die vorläufige Gewährung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in Höhe des für ihn maßgeblichen Regelsatzes nach der Regelbedarfsstufe 1 (derzeit monatlich 404 Euro) für die Zeit vom 26. Februar 2016 bis zum 30. Juni 2016, nachdem die Antragsgegnerin den Leistungsantrag vom 22. Januar 2016 mit Bescheid vom 3. Februar 2016, der Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens (vgl. Widerspruch des Antragstellers vom 26. Februar 2016) und damit nicht bindend (§ 77 SGG) geworden ist, abgelehnt hat. Nicht geltend gemacht werden von dem derzeit obdachlosen Antragsteller Kosten der Unterkunft und Heizung (vgl. dazu § 35 SGB XII).
2. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in dessen Abs. 1, für Vornahmesachen in dessen Abs. 2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache - im vorliegenden Beschwerdeverfahren der mit der Sache gemäß § 29 Abs. 1 SGG befasste Senat (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rdnr. 11) - auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Nach § 86b Abs. 4 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.
a) Hinsichtlich der begehrten vorläufigen Leistungsgewährung kommt vorliegend allein der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt - neben der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs - das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrunds voraus (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 26. Januar 2016 - L 7 AS 41/16 ER-B - (juris Rdnr. 11) und 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - (juris Rdnr. 7)). Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Die Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann und darf grundsätzlich nur summarisch erfolgen, es sei denn, dass sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebende Gebot der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie der grundrechtlich geschützte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erfordern eine abschließende Überprüfung. Ist in diesen Fällen im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Beschlüsse vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (juris Rdnr. 3) und 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - (juris Rdnr. 9), jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG); z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07 - (juris Rdnr. 16) und Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - (juris Rdnr. 26)). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 26. Januar 2016 a.a.O. und 17. August 2005 a.a.O.).
b) Der Senat vermag im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend zu entscheiden, ob und ggf. in welcher Höhe dem Antragsteller ein Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nach Maßgabe des § 23 Abs. 1 SGB XII zusteht.
aa) Es ist bereits fraglich, ob der Antragsteller - unter Zugrundelegung der Ablehnungsentscheidung des Jobcenters - nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist. Denn nach seiner nicht widerlegten Angabe hält er sich seit mehr als fünf Jahren ständig im Bundesgebiet auf. Soweit das Jobcenter im Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2016 - dessen ordnungsgemäße Bekanntgabe und damit dessen Bestandskraft der Senat im vorliegenden Verfahren nach Aktenlage nicht beurteilen kann - ausgeführt hat, dem Antragsteller stehe kein Daueraufenthaltsrecht nach Maßgabe des § 2 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 4a Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) zu, weil er im maßgeblichen Zeitraum nicht über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügt habe, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Jobcenter die sog. Freizügigkeitsvermutung zu Lasten des Antragstellers unberücksichtigt gelassen hat. Ein Unionsbürger hält sich danach grundsätzlich solange rechtmäßig im Bundesgebiet auf und unterliegt dem FreizügG/EU, bis die Ausländerbehörde eine Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU erlassen hat (statt vieler Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 4a FreizügG/EU Rdnrn. 15 f. unter Hinweis auf BT-Drs. 15/420 S. 106; Kurzidem in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 5 FreizügG/EU Rdnr. 14, Stand: 1. Februar 2016; siehe auch Harms in Storr/Wenger/Eberle u.a., Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 4a FreizügG/EU Rdnr. 6). Bis zum Abschluss der ausländerbehördlichen Prüfung, ob ein Freizügigkeitsrecht besteht, respektive bis zur Feststellung des Nichtvorliegens der Freizügigkeitsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU vermittelt das FreizügG/EU dem Unionsbürger einen rechtmäßigen Aufenthalt; bis dahin dürfte auch ein etwaiger Sozialhilfebezug nicht zum Wegfall des rechtmäßigen Aufenthalts führen (Dienelt a.a.O., § 4a FreizügG/EU Rdnr. 16). Bezeichnenderweise ist die vom Jobcenter zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 16. Juli 2015 (- 1 C 22/14 - (juris)) auch in einem Rechtsstreit über die Verlustfeststellung ergangen. Ob indes die Ausländerbehörde im Fall des Antragstellers das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts festgestellt oder sonstige aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet hat, lässt sich der Entscheidung des Jobcenters nicht entnehmen.
bb) Sollte sich unter Zugrundelegung dessen - dem im vorliegenden summarischen Eilverfahren nicht weiter nachgegangen werden kann - ergeben, dass der Antragsteller nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen ist, stellt sich die weitere Frage, ob der Antragsteller mangels Erwerbsfähigkeit auf nicht absehbare Zeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 8 Abs. 1 SGB II) - wie er unter Hinweis auf psychische Leiden und seine Alkoholabhängigkeit vorbringt - gleichwohl dem Rechtskreis des SGB XII unterfällt, wobei allerdings zu beachten ist, dass eine Feststellung der Erwerbsfähigkeit (§ 44a Abs. 1 Satz 1 SGB II) bisher ersichtlich nicht stattgefunden hat und dass das Jobcenter einstweilen - bei Vorliegen der übrigen Leistungsvoraussetzungen - SGB II-Leistungen zu erbringen hätte (§ 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II).
cc) Geht man gleichwohl mit der ablehnenden Entscheidung des Jobcenters im vorliegenden summarischen Eilverfahren davon aus, dass der Antragsteller von SGB II-Leistungen wegen § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen ist, dass dieser Ausschluss europarechts- und verfassungskonform ist (dazu nur BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 - B 14 AS 35/15 R - (juris Rdnrn. 31 f.) m.w.N.) und dass der Antragsteller in Ermangelung einer anderweitigen Feststellung erwerbsfähig ist, kann der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin nach der jüngsten, nunmehr ständigen Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 3. Dezember 2015 a.a.O. (juris Rdnrn. 36 ff.); Urteil vom 20. Januar 2016 a.a.O. (juris Rdnrn. 33 ff.)) jedenfalls einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII haben. Der Senat verweist insofern auf seinen - sowohl dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers als auch der Antragsgegnerin bekannten - Beschluss vom 12. Mai 2016 (- L 7 SO 1150/16 ER-B - (juris Rdnrn. 10 f.) m.w.N.) und sieht weiterhin keine Veranlassung, im Eilverfahren von der Rechtsprechung beider Grundsicherungssenate des BSG abzuweichen. Da der Antragsteller im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei einem Abweichen des Senats von der Rechtsprechung des BSG auch keine Möglichkeit hätte, durch ein ordentliches Rechtsmittel eine Entscheidung des obersten Fachgerichts in Grundsicherungssachen herbeizuführen, würde die Abweichung auch den Rechtsschutz des Antragstellers in nicht mehr zu rechtfertigender Weise verkürzen (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG).
Unter Beachtung der vom BSG in den genannten Entscheidungen aufgestellten Maßstäbe und unter Annahme des Leistungsausschlusses nach dem SGB II - der wie oben bereits dargelegt allerdings zweifelhaft ist, ebenso wie die geltend gemachte Erwerbsminderung auf nicht absehbare Zeit - können in einem solchen Fall nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden, wenn dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Das Ermessen des Sozialhilfeträgers ist nach der Rechtsprechung des BSG aus verfassungsrechtlichen Gründen dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert, wenn sich das Aufenthaltsrecht des Ausländers verfestigt hat, regelmäßig ab einem sechsmonatigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Hinsichtlich der Verfestigung des Aufenthaltsrechts nach einer Aufenthaltsdauer von sechs Monaten orientiert sich das BSG an der zeitlich begrenzten Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche (§ 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU). Danach endet die Freizügigkeitsberechtigung zum Zwecke der Arbeitsuche nach dem Ablauf von sechs Monaten, wenn nicht weiterhin eine begründete Aussicht auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit besteht. Das BSG ist weiterhin der Auffassung, dass der Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt im Sozialhilferecht weder nach dem Grund der Einreise noch nach der Berechtigung oder Dauer des Aufenthalts fragt und es bei der Leistungsgewährung nach dem SGB XII in erster Linie auf die Tatsache einer gegenwärtigen Hilfebedürftigkeit ankommt. Der Umstand, dass es an einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung oder einem anderen materiellen Aufenthaltsrecht fehlt, rechtfertigt es nach der Rechtsprechung des BSG im Hinblick auf den durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts nach Ablauf von regelmäßig sechs Monaten faktisch verfestigten tatsächlichen Aufenthalt des Unionsbürgers im Inland und unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht, die Entscheidung über die Gewährung existenzsichernder Leistungen dem Grunde und der Höhe nach in das Ermessen des Sozialhilfeträgers zu stellen. Nur unter besonderen tatsächlichen Umständen ist es nach dieser Rechtsprechung zulässig, ausnahmsweise von einer Ermessensreduzierung trotz des Zeitablaufs abzusehen. Derartige Umstände können insbesondere vorliegen, wenn die tatsächlichen Lebensumstände des Unionsbürgers darauf schließen lassen, dass er nicht auf Dauer im Inland verweilen wird. Gleiches gilt, wenn die Ausländerbehörde bereits konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet hat (Senatsbeschluss vom 12. Mai 2016 a.a.O. m.w.N.).
Der Antragsteller hält sich unwidersprochen bereits seit dem 1. Oktober 2009 durchgehend im Bundesgebiet auf. Dass von Seiten der Ausländerbehörde konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet worden sind, hat weder einer der Beteiligten vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich. Zu den tatsächlichen Lebens- und Aufenthaltsverhältnissen des Antragstellers seit seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland sowie zu den seinerzeitigen Umständen der Einreise hat die Antragsgegnerin bisher keinerlei Ermittlungen angestellt und lediglich die - möglicherweise fehlerhaften - Feststellungen des Jobcenters zugrunde gelegt. Es muss vor diesem Hintergrund dem Hauptsacheverfahren - vorliegend dem Widerspruchsverfahren - vorbehalten bleiben, die komplexe Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen und dabei insbesondere - ggf. mit Hilfe des Antragstellers - seinen aufenthaltsrechtlichen Status im Einzelnen und seine tatsächlichen Lebens- und Aufenthaltsverhältnisse seit der Einreise in das Bundesgebiet zu ermitteln.
Bei der danach anzustellenden Folgenabwägung sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers mit in die Abwägung einzustellen. Zu beachten ist, dass die begehrten Leistungen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen, was bereits nach dem Verfassungsrecht Pflicht des Staates ist (Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 GG; BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 a.a.O. (juris Rdnr. 26)). Auf Seiten des Sozialhilfeträgers ist das Interesse zu beachten, dass vorläufig gewährte Leistungen angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers von diesem voraussichtlich nicht erstattet werden können - möglicherweise aber seitens des Jobcenters im Falle dortiger Leistungspflicht -, wenn sich im Hauptsacheverfahren herausstellen sollte, dass ein Anspruch tatsächlich nicht bestanden hat. Dem Antragsteller seinerseits würden die Leistungen vorenthalten, die er zur Aufrechterhaltung seines Existenzminimums und damit für ein der Menschenwürde entsprechendes Leben benötigt, wobei der Senat auf Grundlage der nicht widerlegten Angaben des Antragstellers (vgl. u.a. die Versicherung an Eides statt vom 16. März 2016) und in Ermangelung entgegenstehender belastbarer Anhaltspunkte es als glaubhaft gemacht ansieht, dass der Antragsteller hilfebedürftig und nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt mit eigenem Einkommen oder Vermögen zu decken. Er kann dabei nicht auf etwaige mildtätige Sachleistungen caritativer Organisationen verwiesen werden. Die damit verbundenen Einschränkungen während des Zeitraums ohne existenzsichernde Leistungen sind auch im Falle einer Nachzahlung bei Erfolg in der Hauptsache nicht mehr zu beseitigen.
In Abwägung dieser Interessen erscheint es dem Senat angemessen, dass dem Antragsteller vorläufig Sozialhilfeleistungen in Höhe von 80 vom Hundert des für ihn maßgeblichen Regelsatzes von 404 Euro (= 323,20 Euro) gewährt werden. Dabei berücksichtigt der Senat, dass die Regelsatzleistung auch Bedarfe (vgl. § 5 Regelbedarfsermittlungsgesetz; z.B. Abteilungen 4 und 5) abdeckt, die in der konkreten Situation des Antragstellers (Obdachlosigkeit) nicht anfallen. Für eine darüber hinausgehende Begrenzung der vorläufigen Leistungserbringung besteht vorliegend kein Anlass.
c) Der angefochtene Beschluss des SG war nach alledem abzuändern und der Antragsgegner wie ausgesprochen zu verpflichten. Der Senat hat wegen der Eilbedürftigkeit von der Beiladung des Jobcenters (§ 75 Abs. 2 und 5 SGG) abgesehen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
4. Dem Antragsteller ist für das Beschwerdeverfahren gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 114, 115, 121 Abs. 2 ZPO für die Zeit ab dem 4. Mai 2016 (Eingang der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse) Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung zu bewilligen und antragsgemäß Rechtsanwalt W. beizuordnen, da er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, die Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren ab dem 4. Mai 2016 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung bewilligt und Rechtsanwalt W., F., beigeordnet.
Gründe:
I.
Der 1978 geborene Antragsteller ist t. Staatsangehöriger und hält sich nach eigener Angabe seit dem 1. Oktober 2009 im Bundesgebiet auf. Mit Bescheid vom 9. Dezember 2015 lehnte das Jobcenter F. (zukünftig nur Jobcenter) seinen Leistungsantrag vom 7. Oktober 2015 ab. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), weil er von den Leistungen ausgeschlossen sei. Sein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet ergebe sich alleine zum Zweck der Arbeitsuche. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Antragstellers (Schreiben vom 13. Januar 2016) wies die Widerspruchsstelle des Jobcenters mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2016 zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller nicht über ein Daueraufenthaltsrecht verfüge, weil er in den letzten fünf Jahren nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt habe. Eine Klage hat der Antragsteller dagegen - soweit ersichtlich - nicht erhoben.
Mit (Form-)Antrag vom 22. Januar 2016 hatte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Gewährung von Sozialhilfe beantragt. Mit Bescheid vom 3. Februar 2016 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag unter Hinweis auf die Regelung des § 23 Abs. 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) ab. Am 26. Februar 2016 erhob der Antragsteller dagegen Widerspruch - über den am Beschlusstag noch nicht entschieden ist -, mit dem er für die Zeit ab dem 7. Oktober 2015 Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII geltend gemacht hat.
Am selben Tag hat der Antragsteller beim Sozialgericht Freiburg (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf die vorläufige Erbringung von Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII bis zum 30. Juni 2016 - längstens bis zur Bestandskraft des Ablehnungsbescheids - und die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Rechtsanwaltsbeiordnung beantragt. Mit Beschluss vom 14. April 2016 - dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 15. April 2016 zugestellt - hat das SG den Eilantrag und den Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses Bezug genommen. Hiergegen hat der Antragsteller am 22. April 2016 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Beschwerde erhoben, mit dem er sein Eilbegehren für die Zeit ab dem 26. Februar 2016 bis zum 30. Juni 2016 - längstens bis zur Bestandskraft des Bescheids vom 11. Januar 2016 (gemeint: 3. Februar 2016) - weiterverfolgt. Zugleich hat er die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt W., F., beantragt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Antragsgegnerin und die Verfahrensakten des SG sowie des Senats Bezug genommen.
II.
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte (§ 172 Abs. 1 SGG) Beschwerde ist zulässig und begründet. Im Rahmen der vom Senat vorzunehmenden Folgenabwägung sind dem Antragsteller Leistungen der Sozialhilfe in Höhe von 80 vom Hundert des Regelsatzes nach Regelbedarfsstufe 1 nach dem SGB XII für die Zeit vom 26. Februar 2016 (Tag der Anbringung des Eilrechtsschutzgesuches) bis zum 30. Juni 2016 (wie beantragt) vorläufig zu gewähren.
1. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist das Eilbegehren des Antragstellers auf die vorläufige Gewährung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in Höhe des für ihn maßgeblichen Regelsatzes nach der Regelbedarfsstufe 1 (derzeit monatlich 404 Euro) für die Zeit vom 26. Februar 2016 bis zum 30. Juni 2016, nachdem die Antragsgegnerin den Leistungsantrag vom 22. Januar 2016 mit Bescheid vom 3. Februar 2016, der Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens (vgl. Widerspruch des Antragstellers vom 26. Februar 2016) und damit nicht bindend (§ 77 SGG) geworden ist, abgelehnt hat. Nicht geltend gemacht werden von dem derzeit obdachlosen Antragsteller Kosten der Unterkunft und Heizung (vgl. dazu § 35 SGB XII).
2. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in dessen Abs. 1, für Vornahmesachen in dessen Abs. 2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache - im vorliegenden Beschwerdeverfahren der mit der Sache gemäß § 29 Abs. 1 SGG befasste Senat (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rdnr. 11) - auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Nach § 86b Abs. 4 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.
a) Hinsichtlich der begehrten vorläufigen Leistungsgewährung kommt vorliegend allein der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt - neben der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs - das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrunds voraus (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 26. Januar 2016 - L 7 AS 41/16 ER-B - (juris Rdnr. 11) und 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - (juris Rdnr. 7)). Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Die Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann und darf grundsätzlich nur summarisch erfolgen, es sei denn, dass sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebende Gebot der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie der grundrechtlich geschützte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erfordern eine abschließende Überprüfung. Ist in diesen Fällen im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Beschlüsse vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (juris Rdnr. 3) und 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - (juris Rdnr. 9), jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG); z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07 - (juris Rdnr. 16) und Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - (juris Rdnr. 26)). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 26. Januar 2016 a.a.O. und 17. August 2005 a.a.O.).
b) Der Senat vermag im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend zu entscheiden, ob und ggf. in welcher Höhe dem Antragsteller ein Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nach Maßgabe des § 23 Abs. 1 SGB XII zusteht.
aa) Es ist bereits fraglich, ob der Antragsteller - unter Zugrundelegung der Ablehnungsentscheidung des Jobcenters - nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist. Denn nach seiner nicht widerlegten Angabe hält er sich seit mehr als fünf Jahren ständig im Bundesgebiet auf. Soweit das Jobcenter im Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2016 - dessen ordnungsgemäße Bekanntgabe und damit dessen Bestandskraft der Senat im vorliegenden Verfahren nach Aktenlage nicht beurteilen kann - ausgeführt hat, dem Antragsteller stehe kein Daueraufenthaltsrecht nach Maßgabe des § 2 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 4a Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) zu, weil er im maßgeblichen Zeitraum nicht über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügt habe, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Jobcenter die sog. Freizügigkeitsvermutung zu Lasten des Antragstellers unberücksichtigt gelassen hat. Ein Unionsbürger hält sich danach grundsätzlich solange rechtmäßig im Bundesgebiet auf und unterliegt dem FreizügG/EU, bis die Ausländerbehörde eine Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU erlassen hat (statt vieler Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 4a FreizügG/EU Rdnrn. 15 f. unter Hinweis auf BT-Drs. 15/420 S. 106; Kurzidem in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 5 FreizügG/EU Rdnr. 14, Stand: 1. Februar 2016; siehe auch Harms in Storr/Wenger/Eberle u.a., Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 4a FreizügG/EU Rdnr. 6). Bis zum Abschluss der ausländerbehördlichen Prüfung, ob ein Freizügigkeitsrecht besteht, respektive bis zur Feststellung des Nichtvorliegens der Freizügigkeitsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU vermittelt das FreizügG/EU dem Unionsbürger einen rechtmäßigen Aufenthalt; bis dahin dürfte auch ein etwaiger Sozialhilfebezug nicht zum Wegfall des rechtmäßigen Aufenthalts führen (Dienelt a.a.O., § 4a FreizügG/EU Rdnr. 16). Bezeichnenderweise ist die vom Jobcenter zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 16. Juli 2015 (- 1 C 22/14 - (juris)) auch in einem Rechtsstreit über die Verlustfeststellung ergangen. Ob indes die Ausländerbehörde im Fall des Antragstellers das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts festgestellt oder sonstige aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet hat, lässt sich der Entscheidung des Jobcenters nicht entnehmen.
bb) Sollte sich unter Zugrundelegung dessen - dem im vorliegenden summarischen Eilverfahren nicht weiter nachgegangen werden kann - ergeben, dass der Antragsteller nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen ist, stellt sich die weitere Frage, ob der Antragsteller mangels Erwerbsfähigkeit auf nicht absehbare Zeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 8 Abs. 1 SGB II) - wie er unter Hinweis auf psychische Leiden und seine Alkoholabhängigkeit vorbringt - gleichwohl dem Rechtskreis des SGB XII unterfällt, wobei allerdings zu beachten ist, dass eine Feststellung der Erwerbsfähigkeit (§ 44a Abs. 1 Satz 1 SGB II) bisher ersichtlich nicht stattgefunden hat und dass das Jobcenter einstweilen - bei Vorliegen der übrigen Leistungsvoraussetzungen - SGB II-Leistungen zu erbringen hätte (§ 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II).
cc) Geht man gleichwohl mit der ablehnenden Entscheidung des Jobcenters im vorliegenden summarischen Eilverfahren davon aus, dass der Antragsteller von SGB II-Leistungen wegen § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen ist, dass dieser Ausschluss europarechts- und verfassungskonform ist (dazu nur BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 - B 14 AS 35/15 R - (juris Rdnrn. 31 f.) m.w.N.) und dass der Antragsteller in Ermangelung einer anderweitigen Feststellung erwerbsfähig ist, kann der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin nach der jüngsten, nunmehr ständigen Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 3. Dezember 2015 a.a.O. (juris Rdnrn. 36 ff.); Urteil vom 20. Januar 2016 a.a.O. (juris Rdnrn. 33 ff.)) jedenfalls einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII haben. Der Senat verweist insofern auf seinen - sowohl dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers als auch der Antragsgegnerin bekannten - Beschluss vom 12. Mai 2016 (- L 7 SO 1150/16 ER-B - (juris Rdnrn. 10 f.) m.w.N.) und sieht weiterhin keine Veranlassung, im Eilverfahren von der Rechtsprechung beider Grundsicherungssenate des BSG abzuweichen. Da der Antragsteller im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei einem Abweichen des Senats von der Rechtsprechung des BSG auch keine Möglichkeit hätte, durch ein ordentliches Rechtsmittel eine Entscheidung des obersten Fachgerichts in Grundsicherungssachen herbeizuführen, würde die Abweichung auch den Rechtsschutz des Antragstellers in nicht mehr zu rechtfertigender Weise verkürzen (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG).
Unter Beachtung der vom BSG in den genannten Entscheidungen aufgestellten Maßstäbe und unter Annahme des Leistungsausschlusses nach dem SGB II - der wie oben bereits dargelegt allerdings zweifelhaft ist, ebenso wie die geltend gemachte Erwerbsminderung auf nicht absehbare Zeit - können in einem solchen Fall nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden, wenn dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Das Ermessen des Sozialhilfeträgers ist nach der Rechtsprechung des BSG aus verfassungsrechtlichen Gründen dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert, wenn sich das Aufenthaltsrecht des Ausländers verfestigt hat, regelmäßig ab einem sechsmonatigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Hinsichtlich der Verfestigung des Aufenthaltsrechts nach einer Aufenthaltsdauer von sechs Monaten orientiert sich das BSG an der zeitlich begrenzten Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche (§ 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU). Danach endet die Freizügigkeitsberechtigung zum Zwecke der Arbeitsuche nach dem Ablauf von sechs Monaten, wenn nicht weiterhin eine begründete Aussicht auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit besteht. Das BSG ist weiterhin der Auffassung, dass der Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt im Sozialhilferecht weder nach dem Grund der Einreise noch nach der Berechtigung oder Dauer des Aufenthalts fragt und es bei der Leistungsgewährung nach dem SGB XII in erster Linie auf die Tatsache einer gegenwärtigen Hilfebedürftigkeit ankommt. Der Umstand, dass es an einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung oder einem anderen materiellen Aufenthaltsrecht fehlt, rechtfertigt es nach der Rechtsprechung des BSG im Hinblick auf den durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts nach Ablauf von regelmäßig sechs Monaten faktisch verfestigten tatsächlichen Aufenthalt des Unionsbürgers im Inland und unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht, die Entscheidung über die Gewährung existenzsichernder Leistungen dem Grunde und der Höhe nach in das Ermessen des Sozialhilfeträgers zu stellen. Nur unter besonderen tatsächlichen Umständen ist es nach dieser Rechtsprechung zulässig, ausnahmsweise von einer Ermessensreduzierung trotz des Zeitablaufs abzusehen. Derartige Umstände können insbesondere vorliegen, wenn die tatsächlichen Lebensumstände des Unionsbürgers darauf schließen lassen, dass er nicht auf Dauer im Inland verweilen wird. Gleiches gilt, wenn die Ausländerbehörde bereits konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet hat (Senatsbeschluss vom 12. Mai 2016 a.a.O. m.w.N.).
Der Antragsteller hält sich unwidersprochen bereits seit dem 1. Oktober 2009 durchgehend im Bundesgebiet auf. Dass von Seiten der Ausländerbehörde konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet worden sind, hat weder einer der Beteiligten vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich. Zu den tatsächlichen Lebens- und Aufenthaltsverhältnissen des Antragstellers seit seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland sowie zu den seinerzeitigen Umständen der Einreise hat die Antragsgegnerin bisher keinerlei Ermittlungen angestellt und lediglich die - möglicherweise fehlerhaften - Feststellungen des Jobcenters zugrunde gelegt. Es muss vor diesem Hintergrund dem Hauptsacheverfahren - vorliegend dem Widerspruchsverfahren - vorbehalten bleiben, die komplexe Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen und dabei insbesondere - ggf. mit Hilfe des Antragstellers - seinen aufenthaltsrechtlichen Status im Einzelnen und seine tatsächlichen Lebens- und Aufenthaltsverhältnisse seit der Einreise in das Bundesgebiet zu ermitteln.
Bei der danach anzustellenden Folgenabwägung sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers mit in die Abwägung einzustellen. Zu beachten ist, dass die begehrten Leistungen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen, was bereits nach dem Verfassungsrecht Pflicht des Staates ist (Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 GG; BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 a.a.O. (juris Rdnr. 26)). Auf Seiten des Sozialhilfeträgers ist das Interesse zu beachten, dass vorläufig gewährte Leistungen angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers von diesem voraussichtlich nicht erstattet werden können - möglicherweise aber seitens des Jobcenters im Falle dortiger Leistungspflicht -, wenn sich im Hauptsacheverfahren herausstellen sollte, dass ein Anspruch tatsächlich nicht bestanden hat. Dem Antragsteller seinerseits würden die Leistungen vorenthalten, die er zur Aufrechterhaltung seines Existenzminimums und damit für ein der Menschenwürde entsprechendes Leben benötigt, wobei der Senat auf Grundlage der nicht widerlegten Angaben des Antragstellers (vgl. u.a. die Versicherung an Eides statt vom 16. März 2016) und in Ermangelung entgegenstehender belastbarer Anhaltspunkte es als glaubhaft gemacht ansieht, dass der Antragsteller hilfebedürftig und nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt mit eigenem Einkommen oder Vermögen zu decken. Er kann dabei nicht auf etwaige mildtätige Sachleistungen caritativer Organisationen verwiesen werden. Die damit verbundenen Einschränkungen während des Zeitraums ohne existenzsichernde Leistungen sind auch im Falle einer Nachzahlung bei Erfolg in der Hauptsache nicht mehr zu beseitigen.
In Abwägung dieser Interessen erscheint es dem Senat angemessen, dass dem Antragsteller vorläufig Sozialhilfeleistungen in Höhe von 80 vom Hundert des für ihn maßgeblichen Regelsatzes von 404 Euro (= 323,20 Euro) gewährt werden. Dabei berücksichtigt der Senat, dass die Regelsatzleistung auch Bedarfe (vgl. § 5 Regelbedarfsermittlungsgesetz; z.B. Abteilungen 4 und 5) abdeckt, die in der konkreten Situation des Antragstellers (Obdachlosigkeit) nicht anfallen. Für eine darüber hinausgehende Begrenzung der vorläufigen Leistungserbringung besteht vorliegend kein Anlass.
c) Der angefochtene Beschluss des SG war nach alledem abzuändern und der Antragsgegner wie ausgesprochen zu verpflichten. Der Senat hat wegen der Eilbedürftigkeit von der Beiladung des Jobcenters (§ 75 Abs. 2 und 5 SGG) abgesehen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
4. Dem Antragsteller ist für das Beschwerdeverfahren gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 114, 115, 121 Abs. 2 ZPO für die Zeit ab dem 4. Mai 2016 (Eingang der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse) Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung zu bewilligen und antragsgemäß Rechtsanwalt W. beizuordnen, da er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, die Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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