L 8 U 4235/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 1722/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 4235/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 14.08.2013 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte der Klägerin wegen des Arbeitsunfalles vom 24.08.2009 vom 21.02.2011 bis zum 19.04.2012 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 60 v.H. zu gewähren hat.

Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten auch im Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin gegen die Beklagte unter Berücksichtigung weiterer Unfallfolgen (Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und Depression) ein Anspruch auf Zahlung einer vorläufigen Unfallrente nach einem höheren Vomhundertsatz der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) aufgrund des anerkannten Arbeitsunfalles vom 24.08.2009 (bisher MdE 40 v.H.), bei dem sie sich beide Daumen abgetrennt hatte, zusteht.

Die.1965 in der Türkei geborene Klägerin, türkische Staatsangehörige, ist verheiratet und hat drei Kinder. Sie war zuletzt als Maschinenarbeiterin bei einem Mitgliedsunternehmen der Beklagten sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Zwischenzeitlich ist sie nicht mehr erwerbstätig und bezieht Rente wegen Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung.

Am 24.08.2009 zog sie sich im Rahmen der bei der Beklagten versicherten Tätigkeit als Maschinenarbeiterin an ihrem Arbeitsplatz beim Stanzen mit einer 100-Tonnen-Presse schwere Quetsch- und Schnittverletzungen an beiden Händen (Daumen) zu (zur Unfallanzeige vgl. Blatt 1 bzw. 3/4 der Beklagtenakte; zum D-Arztbericht Prof. Dr. S. vom 25.08.2009 vgl. Blatt 18/19 der Beklagtenakte). Letztlich musste der linke Daumen im Grundgelenk amputiert werden, der rechte Daumen wurde replantiert. Nachdem sich zunehmend Nekrosen entwickelt hatten, erfolgte am 28.08.2009 eine Vollhauttransplantation und am 03.09.2009 eine Stumpfbildung am linken Daumen (zum Zustand vom Oktober 2009 vgl. die Bilder auf Blatt 47 der Beklagtenakte; zum Zustand vom 16.12.2009 vgl. Blatt 123 der Beklagtenakte). Anschließend erfolgte zunächst bis zum 29.10.2009 stationäre, auch krankengymnastische und ergotherapeutische Behandlung (zum ärztlichen Bericht von Prof. Dr. S. vom 04.11.2009 vgl. Blatt 67/69 der Beklagtenakte). Am linken Daumen wurde zunächst eine provisorische, später dann eine endgültige Silikonprothese angepasst. Aus dem Bericht von Prof. Dr. S. ist zu entnehmen, dass die Klägerin trotz kurzer Übezeit mit der Daumen-Gegengriff-Prothese sehr gut zurecht kommt, der rechte Daumen dagegen trotz intensiver Beübung im Grund- und Mittelgelenk weitestgehend steif ist (Blatt 69 der Beklagtenakte).

Die Klägerin gab am 07.10.2009 gegenüber einem Mitarbeiter der Beklagten an, sie sei von Alpträumen geplagt und sie habe immer wieder das Bild vor Augen, wie der Maschinenhubauslöser und das Werkzeugteil herunterfahren. Sie wolle ihre Tätigkeit unabhängig davon, ob es für sie überhaupt noch Einsatzmöglichkeiten gäbe, nicht mehr aufnehmen (Blatt 46/47 der Beklagtenakte).

Ab dem 10.11.2009 erfolgte eine weitere stationäre Behandlung in der BG-Klinik zunächst bis zum 17.12.2009. Aus dem Bericht des Besuchsdienstes vom 18.11.2009 (Blatt 79/80 der Beklagtenakte) ist zu entnehmen, dass die Klägerin angegeben hatte, starke Schmerzen und psychische Probleme zu haben. Wegen der starken Schmerzen war sie auf Schmerztherapie angewiesen (vgl. Bericht vom 24.11.2009, Blatt 81/82 der Beklagtenakte). Dr. W. teilte der Beklagten am 08.12.2009 telefonisch mit, dass die Klägerin an einer hochgradigen PTBS leide (Blatt 89 der Beklagtenakte). Prof. Dr. S. und Dr. W. von der Klinik für Hand-, plastische, rekonstruktive und Verbrennungschirurgie beschrieben in ihrem Entlassbericht vom 17.12.2009 (Blatt 125/127 der Beklagtenakte), dass die Klägerin mit der Prothese links sehr gut zurecht komme. Die Klägerin sei auch der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uni T. vorgestellt worden, wo die behandelnden Ärzte den hochgradigen Verdacht auf PTBS geäußert, differentialdiagnostisch eine mittelgradige depressive Episode in Betracht gezogen hätten.

Während der anschließenden psychosomatisch ausgerichteten stationären Behandlung in der Klinik am Schönen Moos vom 30.12.2009 bis 10.02.2010 teilte der Stationsarzt und Psychotherapeut Ipek der Beklagten mit (Blatt 154/155 der Beklagtenakte), es sei eine deutliche Tendenz zur PTBS zu erkennen, wobei das klassische Bild der PTBS nicht vorliege. Im Abschlussbericht der Klinik am schönen M. vom 22.02.2010 (Blatt 167/173 der Beklagtenakte) wird eine depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, sowie eine PTBS angegeben. Die depressive Symptomatik sei erstmalig seit dem Arbeitsunfall aufgetreten und verlaufe seither chronisch (mit massiven Schlafstörungen, Antriebsminderung, sozialem Rückzug, ständiger Sorge um körperliche Symptome, grundloses Weinen, schreckhafte Erinnerungen an den Arbeitsunfall, Flash-backs, Erschöpfung, Müdigkeit, Hoffnungslosigkeit, Furcht etc.).

Die Klägerin führte sodann weiterhin durchgehend neben der Physiotherapie auch ambulante und teilstationäre und stationäre Psychotherapie fort, federführend über das C. in G.; u.a. ambulant vom 13.02.2010 bis 24.03.2010 in der Abteilung für Neurologie und Psychiatrie. Die ambulante Behandlung wurde in der Folgezeit über 2010 und 2011 hinaus insbesondere durch Dr. H., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. A. fortgefühlt. Aus deren Berichte sind vor allem Schmerzen, Schlafstörungen und Flashbacks zu entnehmen (zum Bericht der Klinik C. vgl. Blatt 237, 238 der Beklagtenakte; zu den Berichten von Dr. H. vgl. Blatt 240, 242, 263, 295, 311, 336, 360,. 403, 431, 447, 479, 486, 551 der Beklagtenakte; zu den Berichten von Dr. A. vgl. z.B. Blatt 473 (wo dieser eine Behandlung wegen Depression oder einen Suizidversuch der Klägerin vor dem Unfall verneint) ). Dr. B., Chirurg und Orthopäde, gab unter dem Datum des 21.01.2011 an, dass eine Besserung durch Psychotherapie nicht eingetreten sei (Blatt 329 der Beklagtenakte).

Am 21.01.2011 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Unfallrente (Blatt 326 der Beklagtenakte), nachdem zum 20.02.2011 das Verletztengeld endete (Blatt 350 der Beklagtenakte).

Nach Auswahl der Klägerin und im Auftrag der Beklagten erstellte der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. ein Gutachten (Blatt 409/415 der Beklagtenakte). Dieser gab in seinem Gutachten vom 17.04.2011 an, es bestehe ein Zustand nach Arbeitsunfall 2009 mit Quetschverletzung beider Daumen sowie eine depressive Verstimmung spätestens seit 2001 mit einem Suizidversuch 2001. Für die wiederholt gestellte Diagnose der PTBS gebe es keine Hinweise. Es sei von einer ausgeprägten, vorbestehenden Depression, die schon viele Jahre vor dem Unfall bestanden habe, auszugehen. Darüber hinaus erstellte Dr. B. nach Auswahl durch die Klägerin und im Auftrag der Beklagten ein chirurgisches Gutachten (Blatt 449/458 der Beklagtenakte). Dieser kommt in seinem Gutachten vom 01.06.2011 zu dem Ergebnis, dass die MdE auf orthopädisch/unfallchirurgischen Fachgebiet 30 v.H. betrage.

Der Beratungsarzt der Beklagten schätzte in seiner Stellungnahme vom 12.07.2011 (Blatt 472 der Beklagtenakte) die MdE links auf 20 v.H. auf Dauer ein. Auf der rechten Seite sei der Befund gleichzusetzen mit einer Replantation des Daumens. Für die Dauer der vorläufigen Entschädigung schlug er vor, die MdE wie bei einer Amputation anzusetzen. Die Gesamt-MdE bewertete er mit 40 v.H.

Mit Bescheid vom 27.09.2011 (Blatt 493/497 der Beklagtenakte) anerkannte die Beklagte das Ereignis vom 24.08.2009 als Arbeitsunfall, stellte als Unfallfolgen links einen vollständigen Verlust des Daumens mit Phantomschmerz nach Quetschung und rechts eine Amputation des Daumens mit nachfolgender Replantation und dadurch verbliebener Bewegungseinschränkung des Daumens mit Berührungsschmerzen, knöchernen Veränderungen und Kraftminderung der (Hand nach Quetschung, fest und gewährte eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 40 v.H. ab 21.02.2011. Nicht als Unfallfolge anerkannt wurde eine vorbestehende Depression.

Hiergegen erhob die Klägerin am 20.10.2011 Widerspruch (Blatt 506/507 der Beklagtenakte). Die MdE sei unzutreffend festgestellt und insbesondere habe Dr. K. zu Unrecht eine PTBS mit einer Depression nicht als Folge des Unfalles bewertet. Sie habe bis dato den Unfall nicht verarbeiten können und sämtliche Therapien hätten keine Besserung erbracht (Blatt 529/532, 541/542, 574/576 der Beklagtenakte).

Zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung nahm die Klägerin eine stationäre Heilbehandlung vom 09.11.2011 bis 14.12.2011 in der M.-B.-Klinik in Anspruch. Bei Entlassung beschrieben die behandelnden Ärzte im Wesentlichen eine PTBS und eine mittelgradige depressive Episode (zum Bericht vgl. Blatt 544/550 der Beklagtenakte).

Die Beklagte holte nach Auswahl durch die Klägerin das Zweite Rentengutachten bei Dr. M., plastische Chirurgie und Handchirurgie, ein. Dieser gab in seinem Gutachten vom 29.03.2012 (Blatt 577/590 der Beklagtenakte) eine traumatische Amputation des Daumens links an sowie eine weitgehende funktionelle Minderung des Daumens rechts durch glaubhafte Schmerzhaftigkeit, erhebliche funktionelle Minderung und weitgehende Gefühlsminderung. Im Vordergrund stehe eine Depression mit stattgehabtem Suizidversuch 2001. Dr. M. schätzte die unfallbedingte MdE auf 30. v.H.

Mit Bescheid vom 17.04.2012 gewährte die Beklagte Rente auf unbestimmte Zeit anstelle der vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 40 v. H. (Blatt 594/601 der Beklagtenakte). Auch hiergegen erhob die Klägerin am 24.04.2012 Widerspruch (Blatt 603/606 der Beklagtenakte).

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2012 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.09.2011 (vorläufige Rente) zurück (Blatt 609/612 der Beklagtenakte). Die unfallchirurgischen Befunde bedingten als Unfallfolgen auch unter Berücksichtigung der Beschwerden und Schmerzen insgesamt eine MdE um 40 v.H. Ein wesentlicher Zusammenhang zwischen der psychischen Beeinträchtigung und dem Unfall könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, insbesondere gestützt auf das Gutachten des Dr. K ... Das klassische Bild einer PTBS liege nicht vor und auch eine unfallbedingte Depression bestehe nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.07.2012 (Blatt 4/6 der SG-Akte zum Verfahren S 11 U 2616/12) wies die Beklagte im Wesentlichen mit gleicher Begründung auch den Widerspruch gegen den Bescheid vom 17.04.2012 (Dauerrente) zurück.

Am 25.05.2012 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Ulm Klage gegen den Bescheid vom 27.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.05.2012 (vorläufige Rente) erhoben (Verfahren S 11 U 1722/12, nachgehend L 8 U 4235/13) und am 10.08.2012 gegen den Bescheid vom 17.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.07.2012 (Dauerrente; Verfahren S 11 U 2616/12, nachgehend L 8 U 4262/13).

Mit ihrer Klage gegen die Gewährung der vorläufigen Rente nach einer MdE von 40 v.H. hat sich die Klägerin mit dem Ziel einer MdE von wenigstens 60 v.H. gegen die Bewertung der MdE mit 40 v.H. gewandt (Blatt 17/26 der SG-Akte S 8 U 1722/12). Es bestünden massive psychische Beeinträchtigungen, die in einem direkten und wesentlichen Zusammenhang mit den primären Verletzungen beim Arbeitsunfall bestünden. Lebensqualität und Lebenssituation hätten sich vollständig verändert. Suizidgedanken bestünden. Sie leide des nachts unter Albträumen und habe Angstzustände. Wie Dr. K. ihren Angaben entnommen habe, bereits vor Jahren habe eine depressive Symptomatik vorgelegen, sei kaum nachvollziehbar. Jedenfalls sei dies falsch.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 34 und 35/47 der SG-Akte S 8 U 1722/12 Bezug genommen. Dr. B. hat in seiner Antwort vom 17.09.2012 einen Totalverlust des Daumens links, eine schwere Bewegungseinschränkung des Daumens rechts, den dringenden Verdacht auf Neurinombildung rechts und eine ausgeprägte Minderung der Gebrauchsfähigkeit beider Hände mitgeteilt. Dr. H. hat (Schreiben vom 18.09.2012) eine PTBS, eine mittelgradige depressive Episode, einen Zustand nach schwerster Zerquetschung beider Daumen, einen Zustand nach Amputation des linken Daumens mit Daumenprothese, ein chronisches Schmerzsyndrom (neuropathische Schmerzen) und rezidivierende Cephalgien (bekannte Migräne) angegeben.

Das SG hat des Weiteren ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK, bei der die Klägerin krankenversichert ist, beigezogen (dazu vgl. Blatt 51/55 der SG-Akte S 8 U 1722/12) und ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten beim Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 05.02.2013 (Blatt 63/83 der SG-Akte S 11 U 1722/12) u.a. ausgeführt, es handele sich um eine ängstlich-depressive Symptomatik mit Rückzugstendenzen in aktuell leichtgradiger Ausprägung. Psychische Symptome seien überlagert durch die Folgen der organischen Schmerzerkrankung. Unfallunabhängige und vorbestehende psychische Erkrankungen seien nicht mit ausreichender Sicherheit zu diagnostizieren. Hinweise auf eine im Jahr 2001 stattgehabte depressive Symptomatik ergäben sich nicht. Es habe sich damals wohl um eine vorübergehende Reaktion im Sinne einer Anpassungsstörung auf den Herzinfarkt des Ehemanns gehandelt. Aus dieser ängstlichen Reaktion sei nicht auf eine fortbestehende leichtere Ansprechbarkeit für psychische Störungen zu schließen. Die nach dem Unfall verstärkt aufgetretene und bereits in der BG-Klinik T. psychologisch behandelte psychische Störung sei wohl initial Folge des Vollbilds einer PTBS. Diese habe sich aber doch deutlich gebessert mit jetzt geringer affektiver Belastung, besser affektiver Schwingungsfähigkeit, jedoch verbleibender ängstlicher Symptomatik mit Rückzugstendenzen. Den Unfallzusammenhang für die psychische Störung im geschilderten Ausmaße halte er im Vollbeweis für gesichert. Für die ersten zwei Jahre nach dem Unfall sehe er eine MdE aufgrund der psychischen Störung unabhängig von der MdE für den Verlust beider Daumen von 20 v.H. als gegeben, ab dem dritten Unfalljahr mit 10 v.H. Eine weitere Besserung sei dabei denkbar. Es handele sich um einen positiven Verlauf einer posttraumatischen Belastungsstörung mit deutlichen Erholungstendenzen.

Im Verfahren S 8 U 2621/12 hat die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. S. vorgelegt. Dieser hat u.a. ausgeführt (Blatt 58/72 der SG-Akte S 8 U 2612/12) weder für die depressive Störung noch für die Diagnose einer PTBS sei eine systematische Erhebung der diagnostischen Kriterien erfolgt. Keine der genannten Diagnosen werde unter Bezugnahme auf die diagnostischen Kriterien der Psychiatrie begründet. Nach den dokumentierten Beschwerden und Befunden sei keine der Diagnosen im Vollbeweis gesichert. Eine PTBS liege nicht vor und habe aus mehreren Gründen nicht vorgelegen: Das Unfallereignis sei grds. nicht geeignet eine PTBS herbeizuführen, dazu seien weitaus schwerere Verletzungen bzw. dramatische und anhaltende Unfallhergänge (verschüttet werden in einem Graben, in einem Bergwerk, sexueller Gewaltakt, Entführung, Raubüberfall mit bedrohlichen Handlungen, etwa eingesperrt werden im Kühlraum) erforderlich. Auch das A2-Kriterium, eine erhebliche psychische Initialreaktion fordernd, sei nach den Berichten der Erstbehandler, einschließlich des Notarztes und des erstbehandelnden Krankenhauses, nicht erfüllt gewesen. Die Symptomkriterien B-D seien in dem Gutachten nicht systematisch erhoben, sie seien offensichtlich nicht erfüllt. Ganz sicher nicht erfüllt seien B4, B5, C1, C2, C3, C4, C6 und C7, D2, D3, D4 und D5. Auch sei die Möglichkeit der Beschwerdenübertreibung weder bedacht noch ausgeschlossen worden. Aufgabe des Sachverständigen wäre gewesen, darzulegen - und zwar unter Benennung des relevanten medizinischen Schrifttums -, inwiefern die Daumenverletzung grds. geeignet sein soll, eine depressive Störung oder eine PTBS herbeizuführen. Es existiere kein Schrifttum, auch nicht für analoge Verletzungen, welches einen solchen Zusammenhang belege. Ein solcher Zusammenhang sei nach medizinischem Kenntnisstand nicht wahrscheinlich. Ganz gravierende Unfallereignisse könnten zu einer nachvollziehbaren Trauerreaktion führen, in einzelnen Fällen und bei entsprechender Veranlagung auch zu einzelnen depressiven Episoden, nicht aber, wie hier geltend gemacht, zu einer über 4 Jahre anhaltenden depressiven Störung. Als depressive Störung werde in der Psychiatrie die unerklärliche und grundlose tiefe depressive Verstimmung bezeichnet, nicht die traurige Verstimmung über den Verlust eines oder beider Daumen. Auch fehle jede Darlegung, aufgrund welcher konkreter Funktions- und Teilhabestörungen eine MdE vorliegen solle. Es sei nur nachvollziehbar, dass die Klägerin sich durch die Daumenprothese links und den funktionsgeminderten Daumen rechts kosmetisch beeinträchtigt fühle und durch den Funktionsverlust verstimmt sei, darin liege aber eben kein eigenständiges psychisches Krankheitsbild. Dies sei dann anzunehmen, wenn bspw. eine außerordentliche Depression, eine körperdysmorphe Störung oder eine wahnhafte Verarbeitung des Unfallgeschehens vorläge. All dies sei nicht der Fall.

Die Klägerin hat hierzu ausgeführt (Schreiben vom 05.08.2013, Blatt 76/78 = 80/82 der SG-Akte S 8 U 2612/12), der Gutachter habe entgegen der Meinung der Beklagten und ihres Beratungsarztes die seiner Bewertung zugrundeliegende Anamnese vollständig erhoben. Mit überzeugenden Gründen habe Dr. K.ausgeführt, dass bei ihr im relevanten Zeitraum das Vollbild einer PTBS vorgelegen habe und weshalb er den Unfallzusammenhang dafür "im Vollbeweis für gesichert" ansehe. Die davon abweichende Meinung der Beklagten sei für die Entscheidung ohne Relevanz.

Mit Urteil vom 14.08.2013 hat das SG den Bescheid vom 27.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2012 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin vorläufige Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 24.08.2009 nach einer MdE um 60 v.H. ab dem 21.02.2011 in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. Der angefochtene Bescheid hinsichtlich der vorläufigen Rente nach einer MdE von 40 v.H. sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Die Gesamt-MdE sei für die Zeit ab dem 21.02 2011 bis zum Beginn der Dauerrente mit 60 v.H. zu bewerten. Das Gericht sei zur Überzeugung gelangt, dass die Klägerin eine PTBS entwickelt habe, und dass hierdurch auch eine depressive Störung aufgetreten sei.

Gegen das ihr am 05.09.2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30.09.2013 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Gemäß dem Diagnoseschlüsselsystem DSM IV sei die im angefochtenen Urteil als weitere Unfallfolge angenommene PTBS nicht nachzuvollziehen. So erfordere das A-1 Kriterium, dass ein Ereignis außerordentlicher Schwere eingetreten sei, welches eine äußerst schwere körperliche Verletzung oder den drohenden Tod des Betroffenen bedeuten könne. Ob das vorliegende Unfallereignis diesem Kriterium entspricht, müsse jedoch stark angezweifelt werden, da hierzu weitaus schwerwiegendere Verletzungen bzw. Ereignisse erforderlich seien. Fest stehe jedoch, dass zumindest das Vorliegen des subjektiven Traumakriteriums A-2 unter Berücksichtigung der dokumentierten Krankenunterlagen nicht erfüllt sei. Dieses Kriterium fordere in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Trauma eine erhebliche psychische Initialreaktion, die aus den Berichten der erstbehandelnden Ärzten nicht zu entnehmen sei. So habe bei der Klägerin unmittelbar nach dem Unfall gemäß dem Notarztprotokoll ein normaler Blutdruck und eine regelmäßige Herzfrequenz bestanden, psychische Auffälligkeiten seien nicht dokumentiert. Ferner seien auch die C-1 und C-2 Kriterien nach DSM IV, die ein bewusstes Vermeiden von Reizen und Erinnerungen an den Unfall forderten, nicht in vollem Umfang erfüllt, da es der Klägerin gelinge, ohne psychische Auffälligkeiten ausführlich über das Unfallereignis zu berichten. Da Dr. K. von einer stattgehabten PTBS spreche, gehe er zum Untersuchungszeitpunkt lediglich noch vom Vorliegen einer leichten ängstlich-depressiven Symptomatik aus. Ferner lasse sich aber auch die Annahme einer depressiven Störung als Unfallfolge nicht nachweisen. Gravierende Unfallereignisse könnten zwar zu einzelnen depressiven Episoden, nicht aber zu einer über vier Jahre anhaltenden depressiven Störung führen. Aber selbst wenn man davon ausginge, dass die im Urteil angenommenen weiteren Unfallfolgen vorlägen, sei die vorgenommene Einschätzung der Gesamt-MdE nicht nachzuvollziehen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 14.08.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Mit zutreffenden Erwägungen habe sich das SG davon überzeugt, dass sich ihr ein PTBS entwickelt habe und hierdurch eine depressive Störung I.S. eines eigenständigen Krankheitsbildes aufgetreten ist. Das Krankheitsbild der PTBS habe der Gutachter auch direkt und unter Ausschluss von Zweifeln den primären Unfallverletzungen zugeordnet. Folgebehandlungen hätten das Krankheitsbild einer PTBS objektiviert, zum Beispiel in der Klinik "Am schönen Moos" in Bad Saulgau, wo nicht nur das Bild einer PTBS sondern auch einer depressiven Erkrankung beschrieben worden sei. Nicht ohne Grund habe sie diesbezüglich auch die entsprechenden Fachbehandlungen in Anspruch genommen. Überzeugend habe das SG ausgeführt, dass sie vor dem Arbeitsunfall psychisch ohne jede Einschränkung gesund gewesen sei. Wie bei diesen sich aufdrängenden Zusammenhängen überhaupt in Frage gezogen werden könne, dass es als Folge der primären Verletzungen sekundär auch zu einer PTBS und einer depressiven Störung kommen konnte, sei gewiss nicht nachzuvollziehen. Das Unfallereignis sei von ihr als dramatisch erlebt worden, ganz besonders auch deshalb, weil beide Hände und deren Funktionsfähigkeit im Kern betroffen waren, wobei die generell und für eine Frau erst recht als schwerwiegend zu bewertende optische Beeinträchtigung zusätzlich zu berücksichtigen war und ist. Es liege das Vollbild einer PTBS vor (Blatt 35/36 der Senatsakte).

Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Wegen die Inhalts und Ergebnisses wird auf Blatt 48/52 und 54/56 der Senatsakte). Dr. A. hat in seinem Schreiben vom 13.05.2015 eine PTBS, eine Depression, Schlafstörung, Angststörung, einen Zustand nach schwerster Zerquetschung beider Daumen, einen Zustand nach Amputation des linken Daumens, Daumenprothese, Fingerschmerzen, ein chronisches Schmerzsyndrom, Vergesslichkeit, rezidivierende Cephalgie, einen Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit und eine Gonalgie mitgeteilt. Dr. H. hat (Schreiben vom 21.05.2015) eine PTBS, eine mittelgradige depressive Episode, einen Zustand nach schwerster Zerquetschung beider Daumen, einen Zustand nach Amputation des linken Daumens, Daumenprothese, ein chronisches Schmerzsyndrom (neuropathische Schmerzen) sowie eine rezidivierende Cephalgie (bekannte Migräne) angegeben.

Der Senat hat des weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens beim Facharzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S ... Dieser hat in seinem Gutachten vom 17.12.2015 (Untersuchung der Klägerin am 15.12.2015; Blatt 68/125 der Senatsakte) u.a. ausgeführt, es hätten sich aufgrund der sozialen Situation und ehelicher Schwierigkeiten, die mehrmals in der Gutachtensituation angedeutet worden seien, depressive Verstimmungen i.S. einer Dysthymia entwickelt. Entsprechend den Angaben der Klägerin sei es auch im weiteren sozialen Umfeld zu unglücklichen Äußerungen hinsichtlich der Verletzungen bzw. somatischen Verletzungsfolgen gekommen. Insgesamt sehe er die Diagnosen von chronischen depressiven Verstimmungen i.S. einer Dysthymia nach dem ICD 10 F 34.1 als erfüllt an. Verständlicherweise habe sich die Klägerin sich bei dem Arbeitsunfall sehr stark erschrocken. Sie habe nachvollziehbar auch starke Schmerzen an beiden Händen. Es ergebe sich kein Anhalt dafür, dass eine akute PTBS längeren Ausmaßes vorgelegen habe. Es liege auch keine Posttraumatische Belastungsstörung vor noch habe diese vorgelegen. Insbesondere seien die Diagnosekriterien nach dem DSM IV für die Vergangenheit und aktuell nicht erfüllt. Es lägen keine psychiatrischen Gesundheitsstörungen vor, die mit Wahrscheinlichkeit Folge des Ereignisses vom 24.08.2009 nach den Maßstäben der Gesetzlichen Unfallversicherung seien. Unfallunabhängig bestehe die Dysthymia. Hier spielten auch persönlichkeitsimmanente Faktoren und biografische Gegebenheiten eine Rolle. Weitere auslösende Momente seien die soziale Situation und dann auch wohl die Probleme im familiären Umfeld. Die Klägerin habe nach dem Unfall ein stark regressives Verhalten auch mit dem Entschädigungsbegehren gezeigt. Sie projiziere ihre schwierige Situation auf den Unfall an sich. Sie versuche, eine soziale Gratifikation zu erreichen (ärztliche Zuwendung, Renten- und Entschädigungsbegehren, sekundärer Krankheitsgewinn mit einer Entlastung im häuslichen Umfeld). Sie vermittele den Eindruck einer schwerkranken Frau und delegiere die Verantwortung für ihr Lebensschicksal an äußere Bedingungen. Die psychischen Beschwerden seien bedingt durch die sozialen Folgen nach dem Arbeitsunfall.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Blatt 130, 131 der Senatsakte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des Verfahrens L 8 U 4262/13, des SG in beiden Verfahren und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG), ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin hat vom 21.02.2011 bis zum 19.04.2012 Anspruch auf Gewährung einer vorläufigen Verletztenrente nach einer MdE von 60 v.H., weshalb der angefochtene Bescheid vom 27.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2012 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Dieses hatte das SG so auch ausgeurteilt, weshalb die Berufung der Beklagten zurückzuweisen war.

Vorliegend ist die Gewährung einer vorläufigen Verletztenrente streitig, beginnend ab dem 21.02.2011. Da die Beklagte mit am 20.04.2012 durch Bekanntgabe (Aufgabe zur Post am 17.04.2012) wirksam gewordenem Bescheid (§§ 37 Abs. 2 Satz 1, 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 187 BGB) die vorläufige Rente in eine Rente auf Dauer umgewandelt hat, ist der Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren begrenzt bis zum 19.04.2012 (zum Verfahren bezüglich der nachfolgenden Rente vgl. das Verfahren L 8 U 4262/13).

Gesetzlich Unfallversicherte - wie die Klägerin -, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Anspruch auf eine Rente. Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger die Rente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann (§ 62 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der MdE abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben (§ 62 Abs. 2 SGB VII).

Die Klägerin hat am 24.08.2009 einen Arbeitsunfall während einer versicherten Tätigkeit erlitten. Als dessen Folge hat die Beklagten zutreffend Gesundheitsstörungen anerkannt (links: vollständiger Verlust des Daumens mit Phantomschmerz nach Quetschung; rechts: Amputation des Daumens mit nachfolgender Replantation und dadurch verbliebener Bewegungseinschränkung des Daumens mit Berührungsschmerzen, knöchernen Veränderungen und Kraftminderung der Hand nach Quetschung).

Der Senat konnte sich auch nicht davon überzeugen, dass eine PTBS Folge des Arbeitsunfalles vom 24.08.2009 ist. Bei der PTBS handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10-GM-2015 F 43.1 beziehungsweise DSM-IV-TR 309.81. Danach gelten folgende Grundsätze: Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, zum Beispiel zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung über. (dazu vgl. LSG Baden-Württemberg 22.01.2015 – L 6 U 5221/12 – juris RdNr. 56).

Nach DSM-IV-TR 309.81 gelten demgegenüber folgende Kriterien: Das Hauptmerkmal der PTBS ist die Entwicklung charakteristischer Symptome nach der Konfrontation mit einem extrem traumatischen Ereignis. Das traumatische Ereignis beinhaltet unter anderem das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat (Kriterium A1). Die Reaktion der Person auf das Ereignis muss intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen umfassen (Kriterium A2). Charakteristische Symptome, die aus der Konfrontation mit der extrem traumatischen Situation resultieren, sind das anhaltende Wiedererleben des traumatischen Ereignisses in Form von wiederholten und aufdringlichen Erinnerungen an das Ereignis (Kriterium B1), von wiederkehrenden, quälenden Träumen, in denen das Erlebnis nachgespielt wird oder in anderer Form auftritt (Kriterium B2), von Erleben von oft als "flashbacks" bezeichneten dissoziativen Zuständen, während derer einzelne Bestandteile des Ereignisses wieder erlebt werden (Kriterium B3) oder, wenn die Person mit Ereignissen konfrontiert wird, die sie an Aspekte des traumatischen Ereignisses erinnern oder die diese symbolisieren, in Form von intensiver psychischer Belastung (Kriterium B4) oder physiologischer Reaktionen (Kriterium B5). Charakteristische Symptome sind auch die andauernde Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma assoziiert sind, und eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität in der Form, dass die Person im Allgemeinen versucht, Gedanken, Gefühle oder Gespräche über das traumatische Ereignis (Kriterium C1) und Aktivitäten, Situationen oder Personen, die die Erinnerung an das Ereignis wachrufen (Kriterium C2) absichtlich zu vermeiden, wobei die Vermeidung des Erinnerns die Unfähigkeit mit einschließen kann, sich an einen wichtigen Aspekt des traumatischen Ereignisses zu erinnern (Kriterium C3), oder in Form von verminderter Reaktionsbereitschaft auf die Umwelt, welche üblicherweise sehr bald nach dem traumatischen Erlebnis eintritt (Kriterium C4), eines Gefühls der Isolierung und Entfremdung von Anderen (Kriterium C5) oder einer deutlich reduzierten Fähigkeit, Gefühle zu empfinden (Kriterium C6) oder in der Form, dass betroffene Personen das Gefühl einer eingeschränkten Zukunft haben (Kriterium C7). Charakteristische Symptome sind auch anhaltende Symptome erhöhten Arousals in Form von Ein- oder Durchschlafschwierigkeiten, die durch wiederholte Albträume, in denen das traumatische Erlebnis wieder erlebt wird, hervorgerufen werden können (Kriterium D1), Hypervigilanz (Kriterium D4) und übertriebener Schreckreaktion (Kriterium D5), wobei manche Personen über Reizbarkeit oder Wutausbrüche (Kriterium D2) oder Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren oder Aufgaben zu vollenden (Kriterium D3), berichten. Das vollständige Symptombild muss länger als einen Monat anhalten (Kriterium E) und die Störung muss in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen (Kriterium F). Traumatische Erfahrungen, die direkt erlebt wurden, umfassen insbesondere kriegerische Auseinandersetzungen, gewalttätige Angriffe auf die eigene Person, Entführung, Geiselnahme, Terroranschlag, Folterung, Kriegsgefangenschaft, Gefangenschaft in einem Konzentrationslager, Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen, schwere Autounfälle oder die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit. Hinsichtlich Beginn und Dauer der Symptome wird unterschieden zwischen der akuten posttraumatischen Belastungsstörung (wenn die Dauer der Symptome weniger als drei Monate beträgt), der chronischen posttraumatischen Belastungsstörung (wenn die Symptome drei Monate oder länger andauern) und der posttraumatischen Belastungsstörung mit verzögertem Beginn (wenn mindestens sechs Monate zwischen dem traumatischen Ereignis und dem Beginn der Symptome vergangen sind). Die Symptome, wie beispielsweise verminderte affektive Schwingungsfähigkeit, dissoziative Symptome, somatische Beschwerden, Gefühle der Insuffizienz in Form von Hoffnungslosigkeit, sozialer Rückzug, ständiges Gefühl des Bedrohtseins oder beeinträchtigte Beziehung zu anderen oder Veränderung der Persönlichkeit im Vergleich zu früher beginnen normalerweise innerhalb der ersten drei Monate nach dem Trauma, obwohl sich die Ausbildung der Symptome aber auch um Monate oder sogar Jahre verzögern kann. Die Schwere, Dauer und Nähe der Person bei Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis sind die wichtigsten Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit bestimmen, mit der die Störung sich entwickelt. Es gibt Hinweise, dass soziale Unterstützung, Familienanamnese, Kindheitserfahrungen, Persönlichkeitsvariablen und vorbestehende psychische Störungen die Ausbildung einer posttraumatischen Belastungsstörung beeinflussen können. Die Störung kann sich auch bei Personen entwickeln, bei denen zuvor keine besondere Auffälligkeit vorhanden war, besonders dann, wenn es sich um eine besonders extreme Belastung handelt (dazu vgl. LSG Baden-Württemberg 22.01.2015 – L 6 U 5221/12 – juris RdNr. 57).

Das seit Mitte 2013 in den USA geltende neue Diagnose-System DSM-V führt vorliegend nicht zu einer anderen Bewertung. Dieses Diagnosemanual liegt bisher nur in englischer Sprache vor und wird in den Leitlinien und einschlägigen deutschen Standardwerken noch nicht diskutiert, so dass sich die Frage stellt, ob dieses System in Deutschland überhaupt schon dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht (LSG Baden-Württemberg 22.01.2015 – L 6 U 5221/12 – juris RdNr. 58; Hessisches LSG 25.03.2014 - L 3 U 207/11 - juris). DSM-V verzichtet auf das nach DSM-IV bedeutsame A2-Kriterium und die dort genannte Qualität der Reaktion auf das Ereignis. Dies bedeutet aber nicht, dass nunmehr alle später auftretenden Symptome, bei denen Intrusionen, Vermeidungsverhalten und Hyperarousal geltend gemacht werden, zwingend zur Diagnose einer PTBS führen (vgl. Widder, MED SACH 5/2013, S. 109) oder dass auf eine zeitnah zum Ereignis vorliegende psychische Reaktion juristisch verzichtet werden kann.

Zwar stellt der Unfall der Klägerin am 24.08.2009, als sie beide Daumen quetschte und den linken ganz, den rechten funktionell verlor, durchaus ein besonderes und gewichtiges Ereignis dar. Ein Erlebnis, das mit dem tatsächlichen oder drohenden Tod einhergeht, hat die Klägerin nicht erlitten. Ob das Zerquetschen beider Daumen i.S.d. Diagnosemanuale der PTBS eine schwere Verletzung oder eine andere Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit darstellt (in ihren jeweiligen Gutachten verneinend Dr. S., bejahend Dr. K.) kann offen bleiben. Denn Diagnosevoraussetzung ist, dass die betroffene Person auf das Ereignis mit intensiver Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen reagiert. Dies kann dem Notarztbericht nicht entnommen werden (Blatt 102/104 der Beklagtenakte). In diesem detaillierten Bericht ist zwar von starken Schmerzen aber nicht von Schock oder ähnlichem berichtet. Dr. K. gegenüber hat die Klägerin angegeben, zunächst gar nicht gemerkt zu haben, wie schwer sie verletzt war, da sie schwarze Gummihandschuhe getragen habe (Blatt 73 der SG-Akte S 8 U 1722/12 = Seite 11 des Gutachtens); vergleichbares hat sie auch Dr. S. mitgeteilt (Blatt 88 der Senatsakte = Seite 21 des Gutachtens). Auch den Berichten der BG-Klinik T. oder der Klinik am schönen M. kann solches nicht entnommen werden. Dort wird eine besondere Schmerzhaftigkeit mit dem Erfordernis von Schmerztherapie (z.B. Blatt 125/127 der Beklagtenakte) und psychische Reaktionen geschildert, die zu einer Vorstellung in der Klinik für Psychiatrie geführt haben (Blatt 126 der Beklagtenakte). Aus dem Bericht der Klinik am schönen M. ist ersichtlich, dass die Klägerin massive Schlafstörungen, Antriebsminderung, innerliche Unruhe, sozialer Rückzug, ständige Sorge um körperliche Symptome, Neigung zu starkem Zweifel, stark schwankende Gefühle, grundloses Weinen, schreckhafte Erinnerungen an den Arbeitsunfall, Flashbacks, anhaltende grundlose Erschöpfung und Müdigkeit Hoffnungslosigkeit und Furcht, den sicheren Ort zu verlassen, aufgewiesen hat. Berichtet ist auch, dass die Klägerin massive Ängste davor hatte, nie wieder etwas selbständig zu tun können und immer auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Diese Angst bzw. Hoffnungslosigkeit ist jedoch nicht mit dem Kriterium A 2 gemeint. Vielmehr muss es sich insoweit um eine aktuelle Reaktion auf das traumatisierende Ereignis (A 1 Kriterium) handeln, das den Betroffenen in der Ereignissituation einer intensiven Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen aussetzt. Dies konnte der Senat angesichts der vorliegenden Befunde und Angaben der Klägerin nicht feststellen. Soweit Dr. S. – anders als Dr. K. – die Ausrufe der Klägerin "ich sterbe" mitgeteilt hatte, hat er zutreffend und überzeugend diese nicht auf den Unfallschock sondern die histrionische Komponente der Persönlichkeit der Klägerin zurückgeführt (Blatt 108 der Senatsakte = Seite 41 des Gutachtens). Mithin konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass das A 2 Kriterium erfüllt ist. Das haben auch Prof. Dr. S. und im Ergebnis Dr. K. bestätigt. Darüber hinaus erscheint auch angesichts der Fähigkeit der Klägerin, sachlich und unbeteiligt über den Unfall reden zu können, eine PTBS als eher fraglich. Damit konnte der Senat das Vorliegen einer PTBS als Unfallfolge nicht feststellen.

Dagegen konnte der Senat über die von der Beklagten anerkannten Unfallfolgen hinaus auch eine chronisch depressive Verstimmung i.S. einer Dysthymie als Unfallfolge feststellen. Dr. S. konnte in seinem Gutachten das Vorliegen dieser Gesundheitsstörung bestätigen. Dr. K. hat mit anderen Worten im Wesentlichen denselben Befund erhoben und die Erkrankung als ängstlich-depressive Symptomatik bezeichnet. Im Ergebnis handelt es sich jedoch um dieselbe Erkrankung. Durch Dr. H. sowie die behandelnden Ärzte der BGU Tübingen bestätigt, hatte die Klägerin nach dem Unfall psychische Probleme, sich an die neue gesundheitliche Situation anzupassen. Dabei handelt es sich nicht bloß um eine kurzzeitige akute Belastungsreaktion, sondern um eine das Unfallgeschehen nicht nur kurzzeitig überdauernde, krankhafte psychische Reaktion. Dies wird auch von Dr. S. und Dr. K. bestätigt. Für den Senat ist diese depressive Verstimmung auch hinreichend wahrscheinlich wesentlich auf das Unfallgeschehen vom 24.08.2009 zurückzuführen. Mag die Klägerin auch im Zusammenhang mit dem Herzinfarkt des Ehemannes 2001 ängstlich oder psychisch auffällig gewesen sein, doch konnte außer Dr. K. keiner der Behandler oder Gutachter eine seither durchgehend bestehende psychiatrische Erkrankung mitteilen. Das bestätigt auch das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK (Blatt 51/55 der SG-Akte S 11 U 1722/12). Dass Dr. S. die psychischen Probleme der Klägerin eher im Zusammenhang mit ihrer Persönlichkeit sowie Schwierigkeiten mit dem Ehemann und dem sozialen Umfeld, die sich nach dem Unfall wenig rücksichtsvoll oder einfühlend geäußert hatten (vgl. Gutachten Dr. S. Blatt 108/109 der Senatsakte = Seite 41/42 des Gutachtens), steht der Bewertung des Senats nicht entgegen. Denn nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (grundlegend: Reichsversicherungsamt, AN 1912, Seite 930 f; übernommen vom BSG in BSGE 1, 72, 76; BSGE 1, 150, 156 f; st.Rspr. vgl. zuletzt BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15, jeweils RdNr 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76). So ist die Kausalitätsbewertung in der gesetzlichen Unfallversicherung vom ex-post-Standpunkt aus anhand individualisierender und konkretisierender Merkmale des jeweiligen Einzelfalles vorzunehmen. Daher kommt es bei der Wertung im Bereich der Kausalität vor allem darauf an, welche Auswirkungen das Unfallgeschehen gerade bei der betreffenden Einzelperson mit ihrer jeweiligen Struktureigenheit im körperlich-seelischen Bereich hervorgerufen hat (vgl. BSGE 66, 156 , 158 = SozR 3-2200 § 553 Nr. 1 m.w.N.). Gleichzeitig ist im Rahmen der gegenseitigen Abwägung mehrerer, zu einem bestimmten "Erfolg" führender Umstände der Schutzzweck sowohl der gesetzlichen Unfallversicherung im Allgemeinen als auch der jeweils anzuwendenden Norm - hier der §§ 45, 56 SGB VII - zu berücksichtigen. Dies führt zu der Wertbestimmung, bis zu welcher Grenze der Versicherungsschutz im Einzelfall reicht (vgl. insgesamt BSG SozR 4-2200 § 589 Nr. 1 m.w.N.; SozR 2200 § 589 Nr. 96).

Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (BSG SozR Nr. 69 zu § 542 aF RVO; BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO; vgl. Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2006, § 8 RdNr. 314, Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Kap 1.3.6.1, S 80 f). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (BSGE 12, 242, 245 = SozR Nr 27 zu § 542 RVO; BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO). Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden (BSGE 62, 220, 222 f = SozR 2200 § 589 Nr 10; BSG SozR 2200 § 548 Nr 75; BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15 jeweils RdNr 11). Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSGE 62, 220, 222 f = SozR 2200 § 589 Nr 10; BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15 jeweils RdNr 11; ähnlich Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO). Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der Gelegenheitsursache durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen oder besonderen Problemen in der anschließenden Heilbehandlung, ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne weiteres zu unterstellen ist (vgl. insgesamt zum Vorstehenden BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, SozR 4 2700 § 8 Nr, 17; B 2 U 40/05 R, UV Recht Aktuell 2006, 419; B 2 U 26/04 R , UV Recht Aktuell 2006, 497; alle auch veröffentlicht in juris).

Ausgehend von diesen Grundsätzen konnte der Senat feststellen, dass das Unfallgeschehen für die depressive Verstimmung der Klägerin i.S. einer Dysthymia wesentlich ursächlich ist. Denn gerade das Unfallgeschehen hat den Boden dafür gelegt, dass die Klägerin zunächst mit den Unfallfolgen nicht adäquat umgehen und sie verarbeiten konnte. Auch hat das Unfallgeschehen den Grund dafür gelegt, dass die Klägerin i.S. einer Dysthymia, wie sie Dr. S. aufgezeigt hatte, auf die zurückweisenden Reaktionen des Umfeldes reagiert hatte. Dabei mag zwar die besondere Persönlichkeitsstruktur der Klägerin, wie sie im Gutachten von Dr. S. beschrieben ist, eine Rolle gespielt haben, jedoch sind gerade diese Aspekte im Rahmen der wertenden Betrachtung im Vergleich zum Unfallgeschehen nicht alleine wesentlich. Damit ist Unfallfolge auch eine Dysthymia.

Der Senat konnte auch feststellen, dass trotz der nach wie vor beschriebenen Schmerzen an den unfallgeschädigten Daumen bzw. Daumenstümpfen eine eigenständige Schmerzerkrankung nicht vorliegt. Eine solche Erkrankung konnte Dr. S. in seinem Gutachten nicht darlegen. Auch Dr. K. hat in seinem Gutachten eine solche psychiatrische/psychosomatische Schmerzerkrankung nicht darlegen können. Soweit er von einer organischen Schmerzerkrankung spricht (Blatt 81 der SG-Akte S 11 U 1722/12 = Seite 19 des Gutachtens), so beschreibt er die organischen Schmerzen an den Daumen, mithin keine psychische bzw. psychosomatische Erkrankung.

Die MdE für die unfallabhängigen Gesundheitsstörungen richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 SGB VII). Die Bemessung der MdE ist die Feststellung von Tatsachen, die das Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 2; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 m.w.N.). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der tägliche Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG a.a.O.; zuletzt BSG Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1).

Vorliegend hat die Beklagte die aus dem Verlust des linken Daumens und den Folgen der Replantation des rechten Daumens folgenden Einschränkungen in der Ausübung einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zutreffend mit 40 v.H. bewertet. Dies entspricht der jeweiligen Bewertung eines Verlustes eines Fingers an einer Hand ohne Beteiligung des Mittelhandknochens (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seite 565). Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass die Klägerin nach den Berichten der behandelnden Ärzte mit der Prothese links gut zurecht kommt und rechts der Daumen wieder angenäht werden konnte. Zwar ist der Daumen rechts im Grund- und Mittelgelenk im Wesentlichen eingesteift, auch besteht ein Berührungsschmerz, doch ist der Daumen noch vorhanden. Soweit die Beklagte damit von funktioneller Amputation ausgeht, ist diese Bewertung im Hinblick auf die vorhandenen Schmerzen begründet.

Die unfallbedingte Dysthymia war bis zum 19.04.2012, dem Tag vor Wirksamwerden der Feststellung einer Dauerrente mit Bescheid vom 17.04.2012 nach Überzeugung des Senats mit einer MdE von 20 v.H. zu bewerten. Dabei war bei der MdE-Bewertung zu berücksichtigen, dass die Klägerin zwar tatsächlich nicht mehr arbeitet und dies auch außerhalb ihres früheren Arbeitsplatzes nicht mehr will, jedoch medizinisch leichte Tätigkeiten ohne erhöhten Kraftbedarf an den Daumen durchaus noch möglich und zumutbar sind. Auch war die Klägerin zwar sozial zurückgezogen, dies ist auch nicht alleine durch die vielen Krankenhausaufenthalte bedingt. Dass sie sich jedoch sozial völlig zurückgezogen hätte ergibt sich aus den vorliegenden Unterlagen und Befunden nicht. Zwar hat sie dies behauptet und angegeben, sie könne gar nichts mehr machen, sie warte auf den Tod (vgl. Gutachten Dr. S., Blatt 91/94 der Senatsakte = Seite 24/27 des Gutachtens), doch hat sie auch mitgeteilt, im weiteren sozialen Umfeld sei es im Hinblick auf ihre Erkrankung zu unglücklichen Äußerungen gekommen (Blatt 109 der Senatsakte = Seite 42 des Gutachtens Dr. S.), woraus abzuleiten ist, dass es über die eigentliche Familie hinaus zu weiteren sozialen Kontakten gekommen war. So hat sie auch Dr. K. gesagt, sie fühle sich minderwertig und habe Angst vor dem Ausgelacht werden. Für den Senat war nachvollziehbar, dass die unfallbedingte Herabsetzung des Selbstwertgefühls, wie von Dr. K. beschrieben, unter dem frischen Eindruck des Unfallgeschehens auch zu der Beeinträchtigung der Alltagskompetenz der Klägerin führte, was letztlich Dr. K. veranlasste, eine MdE um 20 v.H. für diese tatsächlich gegebenen Einschränkungen – wenn auch unter der von ihm getroffenen Diagnose einer PTBS – für die ersten beiden Jahre nach dem Unfall anzunehmen. Dass insoweit zu Beginn des dritten Unfalljahres ab 24.08.2011 eine mit einer MdE um 10 v.H. zu bewertende Besserung eingetreten war, hat Dr. K. jedoch nicht hinreichend dargelegt. Im Zeitpunkt seiner Untersuchung am 23.01.2013 war diese MdE-Bewertung der psychisch bedingten Funktioneinschränkung gerechtfertigt, eine konkrete Anknüpfung für das Vorliegen dieses Befunds in der Vergangenheit ist jedoch nicht erkennbar und wird vom Sachverständigen Dr. K. auch nicht ausgeführt. Die angegebenen massiven Einschränkungen in den Alltagsaktivitäten bzw. Alltagskompetenzen konnte Dr. S. jedenfalls im Zeitpunkt seiner Begutachtung nicht als plausibel und nachvollziehbar erkennen. Kognitive oder mnestische Defizite konnte Dr. S. nicht erheben. In ihrer Grundpersönlichkeit hat Dr. S. die Klägerin als eingeschränkt introspektions- und reflektionsfähig, wenig differenziert bei Hinweis auf eine histrionische Persönlichkeitsakzentuierung erlebt. Dr. H. und Dr. K. hatten dagegen in der Zeit nach dem Unfall die Klägerin als deutlich eingeschränkter ihn ihrer Lebensgestaltung und psychischen Verfassung beschrieben, was sich auch mit den Berichten der Klinik am E. deckt. Vor diesem Hintergrund ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Dysthymia i.S. einer depressiven Verstimmung eine MdE von 20 v.H. bis zum Wirksamwerden des Dauerrentenbescheids begründet. Dieser Zeitpunkt liegt im Zeitraum der vom Gesetzgeber angenommenen, längstens drei Jahre dauernden Phase der Anpassung und Gewöhnung an die psychischen und physischen Unfallfolgen, die es rechtfertigen in maßvoller Abweichung von den MdE-Bewertungsgrundsätzen unter Berücksichtigung der erforderlichen Anpassungs- und Gewöhnungsanstrengungen die unfallbedingte MdE einzustufen. Insoweit sieht sich der Senat durch die Bewertung des Gutachters Dr. K. bestätigt.

In der Zusammenschau ergibt sich daher zur Überzeugung des Senats, dass die Gesamt-MdE ab dem 20.02.2011 bis zum 19.04.2012 mit 60, gebildet aus Einzel-MdE-Werten von 40 v.H. und 20 v.H. zu bewerten ist. Überschneidungen zwischen den Einzel-MdE-Werten bestehen nicht, eher verstärken sich die Unfallfolgen, weshalb die MdE-Werte zu addieren waren.

Da der Senat somit in dem schon zuvor vom SG ausgeurteilten Zeitraum zu einer Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE für die unfallabhängigen Gesundheitsstörungen von 60 v.H. gekommen ist, war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Die lediglich klarstellende Maßgabe, dass die Verletztenrente bis zum Tag vor dem Wirksamwerden des Dauerrentenbescheids vom 17.04.2012 am 20.04.2012 nach einer MdE von 60 v.H. zu gewähren ist, enthält insoweit keine inhaltliche Änderung des zutreffenden Urteils des SG, da ab dem 20.04.2012 die Verletztenrente als Unfallrente auf Dauer zu leisten war und sich mit dem Bescheid vom 17.04.2012 die Fortgewährung der vorläufigen Rente erledigt hatte. Damit war die Berufung der Beklagten unbegründet.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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