L 10 R 4394/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 3228/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 4394/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 22.09.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die am 1958 geborene Klägerin hat keine Berufsausbildung abgeschlossen. Sie war von Oktober 1985 an bis zuletzt bei der B. als Schneiderin beschäftigt und dort, nachdem sie 1987 eine verwaltungsinterne Prüfung als Schneiderin abgelegt hatte, als Facharbeiterin anerkannt und entlohnt. Hinsichtlich der Anforderungen dieser Tätigkeit wird auf die Tätigkeitsdarstellung Bl. 95 der SG-Akte Bezug genommen. Allerdings wurden der Klägerin ab März 2011 nur noch sitzende Tätigkeiten ohne Akkord- und Schichtarbeit abverlangt (vgl. die Arbeitgeberauskunft Bl. 81 ff. SG-Akte, insbesondere Bl. 83), sodass sie nur noch mit Näharbeiten im Sitzen beschäftigt war. Seit Januar 2014 ist sie arbeitsunfähig.

Die Klägerin leidet seit vielen Jahren neben einer Hauterkrankung (Herpes simplex) mit Hautausschlägen vor allem an Schmerzzuständen (vordiagnostiziert Fibromyalgie) und Wirbelsäulenbeschwerden, insbesondere an einem Lumbalsyndrom. Deshalb führte sie im März/April 2014 eine stationäre medizinische Rehabilitation in der F. Bad B. durch (Einweisungsdiagnosen: chronisch rezidivierende Lumbalgie bei Facettengelenksarthrose, chronisch rezidivierende Cervicoomalgie im Sinne eines myofascialen Schmerzsyndroms, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren bei vorbefundeter Fibromyalgie sowie Herpes simplex und Herpes-assoziiertes Erythama exudativum multiforme seit 20 Jahren), aus der sie für die letzte Tätigkeit für drei bis unter sechs Stunden, für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes allerdings für sechs Stunden und mehr leistungsfähig entlassen wurde. Zu vermeiden seien Zwangshaltungen und fixierte Körperhaltungen, Tätigkeiten bei stark schwankenden Temperaturen und Akkordarbeiten.

Kurz nach der Entlassung aus dieser stationären Behandlung trat bei der Klägerin ein Schwindelanfall beim morgendlichen Aufstehen auf, wobei Residuen von Schwindelanfällen verblieben sind. Vor diesem Hintergrund beantragte die Klägerin am 01.07.2014 wegen der vordiagnostizierten Fibromyalgie, dem Lumbalsyndrom und den Schwindelbeschwerden die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05.09.2014 und Widerspruchsbescheid vom 15.12.2014 ab. Dem lag neben dem Entlassungsbericht der F. das Gutachten des Facharztes für Innere Medizin und Psychotherapeutische Medizin (Zusatzbezeichnung u.a. Sozialmedizin) Dr. W. zu Grunde, der nach Untersuchung der Klägerin im August 2014 vor allem die bereits bekannte Lumbalgie mit leichten Funktionseinschränkungen, die bekannte chronische Schmerzstörung und unspezifische Schwindelbeschwerden im Sinne einer Somatisierungsstörung (differenzialdiagnostisch Lagerungsschwindel, vertebragener Schwindel, Orthostase) diagnostizierte und die Klägerin sowohl für die letzte Tätigkeit als auch für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig leistungsfähig erachtete. Auszuschließen seien Nachtschichttätigkeiten und wegen der Schwindelsymptomatik Tätigkeiten in Gefahrenbereichen. Im Rahmen seiner Untersuchung fand er mehrmals Hinweise auf Aggravation und sah die Klägerin durch die Schmerzzustände nicht auffällig beeinträchtigt. Er ging von einer Somatisierungstendenz unter spürbarer finaler Intention aus.

Das gegen die Rentenablehnung am 18.12.2014 angerufene Sozialgericht Konstanz hat zunächst die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Der Arzt für Allgemeinmedizin und Leiter der stationären multimodalen Schmerztherapie in der Helios-Klinik Dr. W. , wo die Klägerin im November 2013 zur stationären Behandlung war, aus der sie in zu 70 bis 80% gebessertem Zustand entlassen wurde und bei dem sie nachfolgend ambulant behandelt wurde, hat die Klägerin wegen der Fibromyalgie und den Schwindelanfällen hochgradig eingeschränkt gesehen und eine Berufsausübung für unmöglich erachtet. Ebenso hat die Ärztin für Allgemeinmedizin und Hausärztin R. wegen der Schwindelanfälle eine geregelte Arbeit ausgeschlossen. Demgegenüber hat der Facharzt für Neurologie Dr. V. von einer Zurückbildung der Schwindelsymptomatik im Rahmen der von ihm durchgeführten Behandlung ab Mitte August 2014 berichtet und Einschränkungen für das zeitliche Leistungsvermögen verneint. Der Facharzt für Orthopädie Dr. K. hat über therapieresistente Schmerzen und Schwindelanfälle berichtet und Funktionseinschränkungen für längere Phasen von Stehen bzw. Sitzen in vorgebeugter Haltung sowie Nähen mit der Maschine bei der Konzentration auf den kleinen Bereich des Nähfußes angenommen, deshalb sowohl Tätigkeiten als Verkäuferin bzw. Näherin/Schneiderin als auch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. hat eine andauernde somatoforme Schmerzstörung, eine mittelgradige depressive Episode und Schwindelanfälle unklarer Genese beschrieben und die Klägerin für in der Lage erachtet, ihre bisherige Tätigkeit, eine Tätigkeit als Verkäuferin und leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von drei bis vier Stunden täglich auszuüben.

Daraufhin hat das Sozialgericht ein Gutachten beim Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. W. eingeholt, der nach Untersuchung der Klägerin im Juni 2015 ein chronisches Schmerzsyndrom im Bereich der Extremitäten und der gesamten Wirbelsäule sowie einen unsystematischen Schwindel diagnostiziert hat. Relevante depressive Störungen hat er ausgeschlossen. Er hat die Klägerin für in der Lage erachtet, Tätigkeiten als Verkäuferin, Näherin, Schneiderin sowie leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig auszuüben. Zu vermeiden seien wegen des chronischen Schmerzsyndroms schwere körperliche Tätigkeiten und überwiegendes Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne Hilfsmittel über 5 kg, Tätigkeiten mit überwiegendem Gehen oder Stehen und gleichförmiger Körperhaltung, häufigem Bücken und Treppensteigen, wegen des Schwindels Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten, an gefährdenden Maschinen sowie Akkord- und Fließbandarbeiten, Arbeiten bei großer Hitze, Kälte, Nässe und Zugluft. Angesichts von Schlafstörungen seien auch Wechsel- und Nachtschicht ausgeschlossen. Im Rahmen seiner Exploration hat Prof. Dr. Dr. W. auch nach zweistündiger Untersuchung keine Einschränkungen der Aufmerksamkeit und der Koordination, wohl aber Aggravationstendenzen festgestellt. Im Ergebnis hat Prof. Dr. Dr. W. in Zusammenschau von Exploration, Untersuchung und Verhaltensbeobachtung die geklagten Beschwerden nur zum Teil für nachvollziehbar und überzeugend erachtet, sodass - so der Sachverständige - davon auszugehen sei, dass die Klägerin bei zumutbarer Willensanstrengung in der Lage sei, leichte bis mittelschwere Arbeiten und damit auch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Schneiderin vollschichtig auszuüben.

Mit Urteil vom 22.09.2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat sich den Ausführungen von Prof. Dr. Dr. W. angeschlossen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin jedenfalls noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit den von Prof. Dr. Dr. W. aufgeführten qualitativen Einschränkungen ausüben kann. Die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwände gegen das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen hat es nicht für durchschlagend erachtet und den abweichenden Einschätzungen der behandelnden Ärzte hat es sich angesichts der Ausführungen von Prof. Dr. Dr. W. nicht angeschlossen. In Bezug auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit hat es die letzte Tätigkeit der Klägerin noch für mindestens sechs Stunden am Tag zumutbar erachtet, jedenfalls sei der Klägerin eine Tätigkeit als Registratorin sozial und gesundheitlich möglich.

Hiergegen hat die Klägerin am 20.10.2015 Berufung eingelegt und die in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht vorgebrachten Einwände gegen das Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. wiederholt und vertieft. Sie stützt sich auf das vom Senat eingeholte Gutachten des Dr. W ...

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 22.09.2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2014 zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat zunächst Prof. Dr. Dr. W. um eine Stellungnahme zu den von der Klägerin erhobenen Einwänden gebeten. Der Sachverständige hat einige Einwände der Klägerin bestätigt (Schreibfehler, Wechsel des Untersuchungszimmers), in Bezug auf andere Einwände seine Ausführungen erläutert und insbesondere dargelegt, dass sich im Bereich der Hände angesichts fehlender Gelenkschwellungen kein entzündliches Geschehen gezeigt habe, eine normale Handbeschwielung vorgelegen habe, die Klägerin bei objektiver Prüfung der Handkraft mittels Messinstrumenten Werte gezeigt hätte, wie sie nur bei bettlägerigen Bewohnern von Pflegeheimen zu finden seien, was zur ersichtlichen Ausprägung der Unterarm- und Handmuskulatur ausgeprägt kontrastiert habe, beim sogenannten Romberg-Stehversuch ein demonstriertes Schwanken bei Ablenkung verschwunden sei und ein Augenzittern (Nystagmus) nach schnellen Kopfbewegungen bei der Untersuchung unter der Fernsehbrille nicht ersichtlich gewesen sei. All dies sei im Rahmen der Beschwerdevalidierung ein wesentlicher Baustein der Leistungsbeurteilung.

Der Senat hat darüber hinaus auf den Antrag der Klägerin nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein Gutachten beim Facharzt für Allgemeinmedizin, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Dr. W. eingeholt. Der Sachverständige hat nach Untersuchung der Klägerin im März 2016 ein Fibromyalgiesyndrom, einen Verdacht auf Zustand nach Vestibula-risausfall und sekundärem phobischem Schwankschwindel, Verschleißerkrankungen der HWS, BWS und LWS sowie die bereits bekannte Hauterkrankung diagnostiziert und ist von einer komplexen Symptomatik, die sich schwerpunktmäßig aus Schmerzen und einer hartnäckigen Schwindelsymptomatik zusammensetze, ausgegangen. Eine wesentliche Diskrepanz zwischen der Beschwerdeschilderung und dem Verhalten in der Untersuchungssituation sei nicht feststellbar gewesen. Im Zuge der Leistungsbeurteilung hat er auf die Leidensgeschichte der Klägerin seit der Entlassung aus der Rehabilitation verwiesen und angesichts der verbliebenen Schwindelsymptomatik und unter Berücksichtigung der chronischen Schmerzerkrankung die Summe der Beschwerden so ausgeprägt erachtet, dass eine Berufstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Gefährdung der Gesundheit nur unter drei Stunden ausgeübt werden könne. Hierzu hat die Beklagte die beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie B. vorgelegt, der dem Gutachten von Dr. W. nicht zugestimmt hat, weil sich aus dem Befund funktionelle Einschränkungen nicht herleiten ließen. Im Übrigen hat er auf die vorbeschriebene Tendenz zur Ausgestaltung bei der Klägerin hingewiesen.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier in Betracht kommende Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB VI -) und eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) dargelegt und ist zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für eine solche Rente nicht erfüllt sind. Es hat auf der Grundlage des Gutachtens von Prof. Dr. Dr. W. überzeugend dargelegt, dass der Klägerin jedenfalls leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung der von Prof. Dr. Dr. W. angeführten qualitativen Einschränkungen noch sechs Stunden und mehr zumutbar sind, sodass weder volle noch teilweise Erwerbsminderung im Sinne des § 43 SGB VI vorliegt und aus welchen Gründen der Leistungsbeurteilung der behandelnden Ärzte nicht gefolgt werden kann. Der Senat sieht daher gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und folgt den Gründen der angefochtenen Entscheidung.

Dies gilt auch in Bezug auf einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Auch insoweit hat das Sozialgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils dargelegt, dass nach der überzeugenden Leistungsbeurteilung von Prof. Dr. Dr. W. schon nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Klägerin ihre letzte Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Darüber hinaus hat das Sozialgericht die Klägerin auf eine Tätigkeit als Registratorin verwiesen und auch insoweit zutreffend ausgeführt, dass eine solche Tätigkeit der Klägerin sozial und gesundheitlich zumutbar ist, was der Rechtsprechung des Senats entspricht (Beschluss vom 11.04.2016, L 10 R 5272/12). Auch insoweit nimmt der Senat auf die Ausführungen des Sozialgerichts Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG), zumal die Klägerin gegen diese Ausführungen des Sozialgerichts keine Einwände erhoben hat.

Die von der Klägerin im Berufungsverfahren wiederholten und vertieften Einwände gegen das Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. greifen nicht durch. Prof. Dr. Dr. W. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme insoweit ausführlich und zutreffend dargelegt, aus welchen Gründen die von der Klägerin erhobenen Einwände für die Leistungsbeurteilung nicht ausschlaggebend sind bzw. von welchen Umständen er bei seiner Leistungsbeurteilung ausgegangen ist und aus welchen Gründen. Soweit die Klägerin weiterhin auf von ihr bemängelte gravierende Fehler des Gutachtens verweist, ergibt sich nicht, welche gravierenden Fehler die Klägerin angesichts der von Prof. Dr. Dr. W. abgegebenen ergänzenden Stellungnahme weiterhin sieht. Entsprechend nimmt der Senat auf die Ausführungen von Prof. Dr. Dr. W. Bezug. Die von der Klägerin gestellte Frage nach der Qualität eines Gutachtens bedarf keiner allgemeinen Erläuterung. Insoweit ist der Senat - wie das Sozialgericht - der Überzeugung, dass das Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. auch im Zusammenhang mit seiner ergänzenden Stellungnahme jedenfalls den Ansprüchen im sozialgerichtlichen Verfahren genügt. Insbesondere hat Prof. Dr. Dr. W. die wesentlichen, an den Beschwerdeangaben der Klägerin orientierten Untersuchungen auf der Grundlage einer Voruntersuchung durch Dr. L. selbst durchgeführt und insbesondere hat er - wie im sozialgerichtlichen Verfahren unerlässlich - im Rahmen der Beschwerdevalidierung die Beschwerdeangaben der Klägerin einer kritischen Überprüfung unterzogen und dabei aggravative Tendenzen dokumentiert.

Entsprechend beruft sich die Klägerin zur Begründung des geltend gemachten Rentenanspruchs im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. W ... Indessen folgt der Senat der Leistungsbeurteilung von Dr. W. nicht. Seine Ausführungen sind nicht überzeugend.

So begründet Dr. W. die von ihm angenommene zeitliche Leistungseinschränkung auf unter drei Stunden nicht hinreichend. Er behauptet lediglich, die Summe der Beschwerden aus der Schmerzerkrankung und der Schwindelsymptomatik lasse eine dreistündige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zu. Dabei erschließt sich schon nicht, aus welchen Gründen die Schwindelanfälle überhaupt das zeitliche Leistungsvermögen beeinträchtigen sollen. Entsprechend hat Dr. V. in seiner Auskunft gegenüber dem Sozialgericht keine Einschränkungen für das zeitliche Leistungsvermögen angenommen. Auch findet keine Erwähnung, dass die Klägerin trotz der bei ihr vorhandenen Schmerzsymptomatik über viele Jahre hinweg die Tätigkeit bei der B. ausüben konnte. Schon deshalb, mangels hinreichender Begründung einer zeitlichen Leistungseinschränkung, folgt der Senat der Beurteilung von Dr. W. nicht.

Darüber hinaus hat Dr. W. bei seiner Leistungsbeurteilung die Beschwerdeangaben der Klägerin ("die Summe der Beschwerden", vgl. Bl. 73 LSG-Akte) zu Grunde gelegt, ohne sie einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Schwerwiegende objektive Befunde hat Dr. W. nicht erhoben, worauf der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie B. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme für die Beklagte hingewiesen hat. Entsprechend beruht seine Leistungsbeurteilung maßgeblich auf den Angaben der Klägerin. Dies überzeugt angesichts der von Prof. Dr. Dr. W. und Dr. W. beschriebenen Aggravation der Klägerin nicht. Auch deshalb ist das Gutachten von Dr. W. nicht überzeugend.

Zwar hat Dr. W. vermerkt, eine Simulation, Aggravation oder eine relevante Verdeutlichungstendenz sei nicht erkennbar. Für eine Beschwerdevalidierung genügt es aber nicht, wenn er - so Bl. 69 LSG-Akte - eine wesentliche Diskrepanz zwischen der Beschwerdeschilderung und dem Verhalten der Klägerin in der Untersuchungssituation nicht hat feststellen können. Denn dass die Klägerin versucht hat, ihre Beschwerdeschilderung mit ihrem Verhalten in der Untersuchungssituation in Einklang zu bringen, hat auch Prof. Dr. Dr. W. dargestellt, jedoch dann überzeugend beschrieben, dass gerade die Demonstrationen der Klägerin in der Untersuchungssituation einer kritischen Prüfung nicht haben standhalten können (Einzelheiten nachfolgend). Vergleichbare Auffälligkeiten i. S. aggravativer Tendenzen dokumentierte auch Dr. W. in seinem im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten (Einzelheiten nachfolgend), was ihn veranlasste, von einer Somatisierungstendenz unter spürbarer finaler Intention auszugehen. Gerade wegen dieser, von Prof. Dr. Dr. W. und Dr. W. beschriebenen Aggravation der Klägerin bei der Untersuchung hätte Dr. W. besonderen Anlass gehabt, das Verhalten der Klägerin in der Untersuchungssituation einer kritischen Prüfung zu unterziehen, anstatt lediglich eine Übereinstimmung von Beschwerdeangaben und Verhalten zu konstatieren. Stattdessen hat Dr. W. - eher im Sinne einer Ehrenerklärung anmutend, statt auf kritischer Beobachtung beruhend - auf eine Leistungsbereitschaft der Klägerin hingewiesen (es handle sich "offensichtlich um eine leistungsbewusste, pflichtbewusste und eher übermotivierte Person, die seit früher Kindheit gewohnt ist, Leistung für sich und ihre Familie zu erbringen", Bl. 70 LSG-Akte). Die von Prof. Dr. Dr. W. und Dr. W. beschriebenen Auffälligkeiten lassen sich hierdurch nicht relativieren.

Soweit Dr. W. in Bezug auf die Schwindelsymptomatik von einem ursprünglichen Vestibularisausfall ausgeht, übersieht er, dass eine solche Störung durch den HNO-Arzt Wallmeier bereits im April 2014 ausgeschlossen wurde (Vestibularisprüfung unauffällig, keine peripher vestibuläre Störung, vgl. VA M9) und - soweit er einen phobischen Schwankschwindel in Gefolge eines Vestibularisausfalls annimmt - dass Dr. V. , nachdem sich die Lagerungsprobe auffällig gezeigt und er deshalb einen Lagerungsschwindel diagnostiziert hatte, nach entsprechender Behandlung (Lagerungstraining) eine Besserung der Symptomatik beschrieben und trotz beschriebener Restsymptomatik keine zeitliche Leistungseinschränkung angenommen hat. Dabei legt Dr. W. auch insoweit die Angaben der Klägerin zu Grunde, ohne zu berücksichtigen, dass sowohl Prof. Dr. Dr. W. als auch Dr. W. Inkonsistenzen gerade auch bei der Prüfung dieser Symptomatik aufgedeckt haben. So hat Prof. Dr. Dr. W. im Gutachten (Bl. 110, 118 SG-Akte) beim Seiltänzergang ein demonstrativ schwankendes Gangbild beschrieben, beim Finger-Nase-Versuch hat die Klägerin den Finger gezielt und zielsicher unter die Nase geführt und nach dreißigminütigem Sitzen hat sie ostentativ anmutende Ausgleichsbewegungen durchgeführt. In seiner Stellungnahme für den Senat hat der Sachverständige insoweit ergänzend beschrieben (Bl. 22 LSG-Akte), dass ein Schwanken beim Romberg-Stehversuch bei Ablenkung verschwunden ist. Dabei sind die durchgeführten Untersuchungen, insbesondere unter Zuhilfenahme der Frenzel-Brille ohne auffälligen Befund (kein Nystagmus = Augenzittern) geblieben. Auch Dr. W. beschrieb vergleichbare Auffälligkeiten bei der Prüfung der Koordination (diskret unsicher) und einen ostentativ unsicheren Tretversuch.

In Bezug auf die Schmerzzustände räumt Dr. W. ein, dass Schmerzen nicht messbar sind (Bl. 65 LSG-Akte) und er erläutert, dass auf Hilfsmittel (Anamnese, Beschwerdeangaben, auch in Fragebögen) zurückgegriffen werden muss. Wie bereits dargelegt, mangelt es dem Gutachten von Dr. W. insoweit allerdings an einer kritischen Prüfung und Einbeziehung der von den Vorgutachtern dokumentierten Diskrepanzen in den Beschwerdeangaben und dem Verhalten bzw. den objektivierbaren Befunden. Bereits Dr. W. legte in seinem Gutachten seinen Eindruck dar, dass die Klägerin nicht auffällig gequält oder durch Schmerzen beeinträchtigt wirkte. Prof. Dr. Dr. W. hat - veranlasst durch die Angaben der Klägerin, sie habe vor allem Schmerzen in den Händen, könne deswegen nicht richtig zugreifen (Bl. 108 SG-Akte) - im Rahmen der Messung der Handkraft zwar massive Einschränkungen insoweit beschrieben. Der Sachverständige hat aber auch dargelegt, dass derartige Einschränkungen sonst nur von - bettlägerigen - Bewohnern von Pflegeheimen bekannt sind und mit Muskelatrophien einhergehen, während bei der Klägerin gerade keine solchen Atrophien festzustellen gewesen sind und die Klägerin die - im Übrigen seitengleich beschwielten - Hände beim An- und Auskleiden seitengleich benutzt hat (Bl. 110, 118 SG-Akte), die von ihr demonstrierten Messwerte also zur Ausprägung der Muskulatur in ausgeprägtem Kontrast gestanden haben (Bl. 22 LSG-Akte). Dass Dr. W. diese Umstände, die die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeangaben der Klägerin widerlegen, nicht in seine Beurteilung einbezogen hat, ist nicht nachvollziehbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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