Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 2227/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5371/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 04.12.2015 aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 15.12.2014 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 30.03.2015 und des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2015 insoweit aufgehoben, als dieser eine Erstattungsforderung iHv 1.158,18 EUR festsetzt.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der teilweisen Rücknahme der Bewilligung von Witwerrente wegen Einkommensanrechnung und die Rückforderung einer Überzahlung iHv 1.158,18 EUR.
Der 1956 geborene Kläger ist selbstständiger IT-Dienstleister und bezieht seit 01.11.2006 große Witwerrente nach der Versicherten Judith Schäfer sowie einen Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung von der Beklagten.
Mit Bescheid vom 16.05.2012 berechnete die Beklagte aufgrund der Vorlage des Einkommensteuerbescheides für 2011, der Einkünfte aus Gewerbebetrieb iHv 14.836 EUR auswies, die Rente neu und stellte einen monatlichen Zahlbetrag ab 01.07.2012 iHv 631,65 EUR fest. Mit Bescheid vom 15.07.2013 berechnete die Beklagte die Rente unter Vorbehalt neu, weil zu diesem Zeitpunkt der Einkommensteuerbescheid für 2012 noch nicht vorlag. Als monatliche Zahlbeträge ergaben sich 634,79 EUR ab 01.08.2013 und 633,22 EUR ab 01.09.2013. Nach mehrfacher Erinnerung durch die Beklagte übersandte der Steuerberater des Klägers am 11.08.2014 das ausgefüllte Formular R666 (Arbeitseinkommen) für 2012 und gab für dieses Jahr einen Gewinn iHv 26.915 EUR an.
Mit Bescheid vom 20.08.2014 berechnete die Beklagte die Rente ab 01.07.2009 neu, stellte einen monatlichen Zahlbetrag iHv 494,04 EUR ab 01.09.2014 fest und machte eine Überzahlung für die Zeit vom 01.07.2009 bis 31.08.2014 iHv 278,36 EUR geltend. Als Grund für die Neuberechnung gab die Beklagte an, dass ein Zuschlag für Kindererziehung zusätzlich zu berücksichtigen sei, eine Rentenanpassung durchzuführen gewesen sei, sich das auf die Rente anzurechnende Einkommen geändert habe und sich Daten zur freiwilligen bzw privaten Krankenversicherung geändert hätten. In Anlage 8 des Bescheides (Ermittlung des auf die Rente anzurechnenden Einkommens) waren 14.836 EUR bei der Berechnung für die Zeit ab 01.07.2013 als Arbeitseinkommen für 2012 angegeben. Bei der Berechnung für die Zeit ab 01.07.2014 wurden 26.915 EUR als Arbeitseinkommen für 2013 ausgewiesen. In Anlage 1 (Berechnung der Monatsrente) wurde die Überzahlung ermittelt, die sich aus den Monaten Juli und August 2014 ergibt. Der Kläger erstattete die Überzahlung.
Am 05.12.2014 ging bei der Beklagten der Einkommensteuerbescheid für 2012 ein, der als Einkünfte aus Gewerbebetrieb wiederum 26.915 EUR auswies.
Mit Bescheid vom 15.12.2014 nahm die Beklagte den Bescheid "vom 19.08.2014" gemäß § 45 SGB X hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab 01.07.2013 zurück, berechnete die Rente ab 01.07.2013 neu und machte eine Überzahlung iHv 2.316,36 EUR geltend. Bei dieser Berechnung legte sie für die Zeit ab 01.07.2013 das Arbeitseinkommen für 2012 iHv 26.915 EUR zugrunde. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass sich der Kläger nicht auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides berufen könne. Der Bescheid vom 19.08.2014 habe den Hinweis enthalten, dass Einkommen Einfluss auf die Rentenhöhe habe. Der Kläger habe somit gewusst, dass sich das von ihm erzielte Einkommen unmittelbar auf die Höhe der Rente auswirke und diese insoweit unzutreffend sei.
Hiergegen erhob der Kläger am 22.12.2014 Widerspruch. Er machte geltend, dass er die Rechtswidrigkeit des Rentenbescheides nicht gekannt habe und auch keine grobe Fahrlässigkeit vorliege. Der Steuerberater habe im August 2014 das Arbeitseinkommen für 2012 bescheinigt, das exakt dem des Einkommensteuerbescheides 2012 entspreche. Insofern habe er nach dem Bescheid vom 20.08.2014 darauf vertraut, dass eine rückwirkende Neuberechnung der Rente höchstens im Falle einer wesentlichen Abweichung des vom Steuerberater bescheinigten Arbeitseinkommens und dem tatsächlich Arbeitseinkommen erfolgen werde. Der Umstand, dass die vom Steuerberater für das Jahr 2012 bescheinigten Einkünfte von der Beklagten nur für das Jahr 2013 verwendet worden seien, sei nicht ihm anzulasten.
Der für den Fall zuständige Sonderteamleiter der Beklagten führte in einem nachfolgenden Aktenvermerk aus, dass die Fehlerhaftigkeit des Bescheides vom 20.08.2014 für den Witwer nicht ohne weiteres sofort erkennbar gewesen sei. Er schlug eine Rückforderung im Wege des Ermessens nur in Höhe der Hälfte vor.
Mit Teilabhilfe-Bescheid vom 30.03.2015 reduzierte die Beklagte den Erstattungsbetrag auf 1.158,18 EUR im Wege einer Ermessensentscheidung. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, soweit ihm nicht abgeholfen worden sei.
Hiergegen hat der Kläger am 28.07.2015 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren vertieft. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 04.12.2015 hat der Kläger ausgeführt, dass im durchaus klar gewesen sei, dass aufgrund des höheren Einkommens wohl eine Rückforderung auf ihn zukommen müsse. Ihm sei jedoch nicht klar gewesen, in welcher Höhe diese ausfallen würde.
Mit Urteil vom 04.12.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger die Unrichtigkeit des Bescheides vom 20.08.2014 infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Er hätte anhand der Ausführungen zur Berechnung der Monatsrente iVm der Anlage 8 des Bescheides auch als Laie erkennen können, dass für das Jahr 2012 nicht das von ihm angegebene Einkommen, welches immerhin mehr als 10.000 EUR über demjenigen gelegen habe, welches im Jahr 2011 erwirtschaftet worden war, angerechnet worden sei. Hinzu komme, dass der Kläger nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung aufgrund des gestiegenen Einkommens im Jahr 2012 eine Überzahlungsforderung von der Beklagten erwartet habe. Da diese angesichts des erheblichen Einkommensunterschieds in den Jahren 2011 und 2012 mit der Festsetzung eines Überzahlungsbetrages iHv 278,36 EUR vergleichsweise gering ausgefallen sei und die Rente von dem in der Vergangenheit regelmäßig gezahlten über 600 EUR liegenden monatlichen Rentenbetrag auf 494,04 EUR reduziert worden sei, hätte ihn dies veranlassen müssen, den Bescheid vom 20.08.2014 zumindest vollständig zu lesen. Dass er dies gerade nicht getan habe, ergebe sich aus der Klageschrift. Dort habe er ausgeführt, dass er lediglich die erste Seite des Bescheides gelesen habe. Dies belege insbesondere vor dem geschilderten Hintergrund eine mangelnde Sorgfalt. Die übrigen Voraussetzungen des § 45 Abs 1 SGB X seien erfüllt. Das Ermessen sei zutreffend ausgeübt worden.
Gegen das dem Kläger am 21.12.2015 zugestellte Urteil hat der Klägerbevollmächtigte am 31.12.2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.
Der Kläger ist der Ansicht, dass hinsichtlich der teilweisen Aufhebung des Bescheides vom 20.08.2014 schon kein wirksamer Bescheid vorliege, weil es an der nach § 33 Abs 3 SGB X erforderlichen Unterschrift und Namenswiedergabe des Behördenleiters oder eines Vertreters mangle. Zudem habe er seine Mitteilungspflicht gegenüber der Beklagten in vollem Umfang erfüllt. Grobe Fahrlässigkeit liege nicht vor. Ihm sei allenfalls bekannt gewesen, dass er höhere Betriebseinnahmen als im Vorjahr gehabt habe. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 20.08.2014 habe er dessen Unrichtigkeit nicht erkennen können, weil erst mit dem Erlass des Einkommensteuerbescheides am 28.11.2014 die Höhe des Einkommens festgestanden habe. Der Kläger ist weiter der Auffassung, dass in der Akte keinerlei Anhaltspunkte für eine Ermessensausübung zu finden seien und der Bescheid schon deshalb rechtswidrig sei.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 04.12.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15.12.2014 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 30.03.2015 und des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2015 insoweit aufzuheben, als dieser eine Erstattungsforderung in Höhe von 1.158,18 EUR festsetzt.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig sowie in der Sache begründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 15.12.2014 in Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 30.03.2015 und des Widerspruchsbescheids vom 16.07.2015, mit dem der Rentenbescheid vom 20.08.2014 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung für die Vergangenheit ab 01.07.2013 nach § 45 SGB X zurückgenommen und eine Erstattungsforderung iHv 1.158,18 EUR festgesetzt worden ist.
Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Entgegen der Ansicht der Beklagten und des SG kann der Senat nicht erkennen, dass im vorliegenden Einzelfall dem Kläger grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X vorzuwerfen ist.
Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nach § 45 Abs 1 SGB X unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind nach § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Die Rücknahmeentscheidung steht dabei im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten.
Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf gem § 45 Abs 2 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Nach § 45 Abs 3 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Dies gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn 1. die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder 2. der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde. In diesen Fällen kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.
Gem § 45 Abs 4 SGB X wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Die Aufhebung des Bescheides vom 20.08.2014 für die Vergangenheit (ab 01.07.2013 bis 31.12.2014) ist rechtswidrig, weil hier kein Fall des § 45 Abs 2 Satz 3 oder Abs 3 Satz 2 SGB X vorliegt. Der Kläger hat zur Überzeugung des Senats die Rentenneuberechnung vom 20.08.2014 weder durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt, noch beruht die Neuberechnung auf Angaben, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Für diese beiden Alternativen gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Der Kläger kannte aber auch nicht die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Dies ist auch zwischen den Beteiligten nicht umstritten.
Die fehlende Kenntnis der Rechtswidrigkeit beruht aber auch nicht auf grober Fahrlässigkeit. Denn der Kläger hat bezogen auf den hier konkret zu beurteilenden Sachverhalt die erforderliche Sorgfalt nicht in besonders schwerem Maße verletzt.
Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße hat danach verletzt, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (stRspr seit BSG 31.08.1976, 7 RAr 112/74).
Insoweit besteht zunächst im Allgemeinen kein Anlass, einen Verwaltungsakt jedenfalls des Näheren auf Richtigkeit zu überprüfen, wenn - wie hier - im Verwaltungsverfahren zutreffende Angaben gemacht worden sind. Andernfalls würde das Risiko der rechtmäßigen Umsetzung der korrekten Angaben des Begünstigten in einer von § 45 SGB X nicht vorgegebenen Weise von der Behörde auf diesen übergewälzt. Eine Rechtspflicht, den erlassenen Verwaltungsakt umfassend auf Richtigkeit zu überprüfen, besteht deshalb nicht. Andererseits sind die Beteiligten im Sozialrechtsverhältnis verpflichtet, "sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren". Dem entsprechend ist der Bescheidadressat rechtlich gehalten, einen ihm günstigen Bewilligungsbescheid auch zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen (vgl BSG 08.02.2001, B 11 AL 21/00 R mwN). Danach ist die Unkenntnis grob fahrlässig im Sinne von § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X, wenn der Adressat, hätte er den Bewilligungsbescheid gelesen und zur Kenntnis genommen, auf Grund einfachster und nahe liegender Überlegungen sicher hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht oder jedenfalls so nicht besteht. Davon ist bei Fehlern auszugehen, die sich erstens aus dem begünstigenden Verwaltungsakt selbst oder anderen Umständen ergeben und zweitens für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind. Das ist anzunehmen bei solchen Fehlern, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Persönlichkeit des Betroffenen und seines Verhaltens augenfällig sind. Augenfällig in diesem Sinne sind Fehler zunächst, wenn die Begünstigung dem Verfügungssatz nach ohne weitere Überlegungen als unzutreffend erkannt werden kann. Ausschlaggebend für die nach diesen Kriterien zu beurteilende Erkennbarkeit eines Fehlers ist der individuelle Verständnishorizont des Begünstigten. Mussten sich einem Bescheidempfänger allerdings Zweifel an der Richtigkeit der ergangenen Entscheidung aufdrängen, besteht eine Verpflichtung zu Erkundigungen (v. Wulffen/Schütze/Schütze SGB X § 45 Rn 46-61 mwN).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist der Senat der Ansicht, dass die Fehlerhaftigkeit des Bescheides vom 20.08.2014 für den Kläger nicht ohne weiteres sofort erkennbar war. Dies folgt insbesondere daraus, dass der Bescheid unmittelbar nach zutreffender Mitteilung des Arbeitseinkommens für 2012 erlassen wurde und tatsächlich eine Überzahlung auswies. Auch wenn die Überzahlung tatsächlich im Verhältnis zur Änderung der Einkommensverhältnisse von 2011 zu 2012 verhältnismäßig niedrig ist, so musste sich dem Kläger kein Fehler hinsichtlich der Berücksichtigung seines Einkommens und dessen Auswirkungen auf die Rentenhöhe aufdrängen. Denn die Beklagte wies im Bescheid darauf hin, dass eine Neuberechnung rückwirkend ab 01.07.2009 erfolgt sei und stützte diese Neuberechnung auf mehrere Gründe (Berücksichtigung eines zusätzlichen Zuschlags für Kindererziehung, Rentenanpassung, Änderung des auf die Rente anzurechnenden Einkommens, Änderung der Daten zur freiwilligen bzw privaten Krankenversicherung) und nicht nur auf das geänderte Arbeitseinkommen.
Der Senat kann offenlassen, ob der Kläger nun den gesamten Bescheid tatsächlich gelesen hat (- so seine Angabe im Erörterungstermin vom 22.08.2016 -), oder nur die ersten Seiten (- siehe Urteilsgründe des SG -). Denn dies ändert im vorliegenden Fall nichts am Fehlen von grober Fahrlässigkeit. Bei genauem Studium der Anlage 8 des Bescheides vom 20.08.2014, welche im Übrigen für die unterschiedlichen Jahre unterschiedliche Textbausteine verwendet, hätte dem Kläger zwar auffallen können, dass bei der Berechnung für die Zeit ab 01.07.2013 als Arbeitseinkommen für 2012 ein zu niedriger Betrag ausgewiesen war. Dies kann jedoch hier im Zusammenhang mit den oben aufgezeigten übrigen Umständen nur einfache Fahrlässigkeit begründen.
Da schon die Tatbestandvoraussetzungen des § 45 SGB X nicht erfüllt sind, erübrigen sich Ausführungen zu § 33 SGB X, zur Anhörungspflicht gemäß § 24 SGB X und zur Ermessensausübung.
Nachdem die Aufhebung des Bescheides vom 20.08.2014 hinsichtlich der Rentenhöhe für die Vergangenheit rechtswidrig ist, besteht auch kein Erstattungsanspruch gemäß § 50 SGB X.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der teilweisen Rücknahme der Bewilligung von Witwerrente wegen Einkommensanrechnung und die Rückforderung einer Überzahlung iHv 1.158,18 EUR.
Der 1956 geborene Kläger ist selbstständiger IT-Dienstleister und bezieht seit 01.11.2006 große Witwerrente nach der Versicherten Judith Schäfer sowie einen Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung von der Beklagten.
Mit Bescheid vom 16.05.2012 berechnete die Beklagte aufgrund der Vorlage des Einkommensteuerbescheides für 2011, der Einkünfte aus Gewerbebetrieb iHv 14.836 EUR auswies, die Rente neu und stellte einen monatlichen Zahlbetrag ab 01.07.2012 iHv 631,65 EUR fest. Mit Bescheid vom 15.07.2013 berechnete die Beklagte die Rente unter Vorbehalt neu, weil zu diesem Zeitpunkt der Einkommensteuerbescheid für 2012 noch nicht vorlag. Als monatliche Zahlbeträge ergaben sich 634,79 EUR ab 01.08.2013 und 633,22 EUR ab 01.09.2013. Nach mehrfacher Erinnerung durch die Beklagte übersandte der Steuerberater des Klägers am 11.08.2014 das ausgefüllte Formular R666 (Arbeitseinkommen) für 2012 und gab für dieses Jahr einen Gewinn iHv 26.915 EUR an.
Mit Bescheid vom 20.08.2014 berechnete die Beklagte die Rente ab 01.07.2009 neu, stellte einen monatlichen Zahlbetrag iHv 494,04 EUR ab 01.09.2014 fest und machte eine Überzahlung für die Zeit vom 01.07.2009 bis 31.08.2014 iHv 278,36 EUR geltend. Als Grund für die Neuberechnung gab die Beklagte an, dass ein Zuschlag für Kindererziehung zusätzlich zu berücksichtigen sei, eine Rentenanpassung durchzuführen gewesen sei, sich das auf die Rente anzurechnende Einkommen geändert habe und sich Daten zur freiwilligen bzw privaten Krankenversicherung geändert hätten. In Anlage 8 des Bescheides (Ermittlung des auf die Rente anzurechnenden Einkommens) waren 14.836 EUR bei der Berechnung für die Zeit ab 01.07.2013 als Arbeitseinkommen für 2012 angegeben. Bei der Berechnung für die Zeit ab 01.07.2014 wurden 26.915 EUR als Arbeitseinkommen für 2013 ausgewiesen. In Anlage 1 (Berechnung der Monatsrente) wurde die Überzahlung ermittelt, die sich aus den Monaten Juli und August 2014 ergibt. Der Kläger erstattete die Überzahlung.
Am 05.12.2014 ging bei der Beklagten der Einkommensteuerbescheid für 2012 ein, der als Einkünfte aus Gewerbebetrieb wiederum 26.915 EUR auswies.
Mit Bescheid vom 15.12.2014 nahm die Beklagte den Bescheid "vom 19.08.2014" gemäß § 45 SGB X hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab 01.07.2013 zurück, berechnete die Rente ab 01.07.2013 neu und machte eine Überzahlung iHv 2.316,36 EUR geltend. Bei dieser Berechnung legte sie für die Zeit ab 01.07.2013 das Arbeitseinkommen für 2012 iHv 26.915 EUR zugrunde. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass sich der Kläger nicht auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides berufen könne. Der Bescheid vom 19.08.2014 habe den Hinweis enthalten, dass Einkommen Einfluss auf die Rentenhöhe habe. Der Kläger habe somit gewusst, dass sich das von ihm erzielte Einkommen unmittelbar auf die Höhe der Rente auswirke und diese insoweit unzutreffend sei.
Hiergegen erhob der Kläger am 22.12.2014 Widerspruch. Er machte geltend, dass er die Rechtswidrigkeit des Rentenbescheides nicht gekannt habe und auch keine grobe Fahrlässigkeit vorliege. Der Steuerberater habe im August 2014 das Arbeitseinkommen für 2012 bescheinigt, das exakt dem des Einkommensteuerbescheides 2012 entspreche. Insofern habe er nach dem Bescheid vom 20.08.2014 darauf vertraut, dass eine rückwirkende Neuberechnung der Rente höchstens im Falle einer wesentlichen Abweichung des vom Steuerberater bescheinigten Arbeitseinkommens und dem tatsächlich Arbeitseinkommen erfolgen werde. Der Umstand, dass die vom Steuerberater für das Jahr 2012 bescheinigten Einkünfte von der Beklagten nur für das Jahr 2013 verwendet worden seien, sei nicht ihm anzulasten.
Der für den Fall zuständige Sonderteamleiter der Beklagten führte in einem nachfolgenden Aktenvermerk aus, dass die Fehlerhaftigkeit des Bescheides vom 20.08.2014 für den Witwer nicht ohne weiteres sofort erkennbar gewesen sei. Er schlug eine Rückforderung im Wege des Ermessens nur in Höhe der Hälfte vor.
Mit Teilabhilfe-Bescheid vom 30.03.2015 reduzierte die Beklagte den Erstattungsbetrag auf 1.158,18 EUR im Wege einer Ermessensentscheidung. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, soweit ihm nicht abgeholfen worden sei.
Hiergegen hat der Kläger am 28.07.2015 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren vertieft. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 04.12.2015 hat der Kläger ausgeführt, dass im durchaus klar gewesen sei, dass aufgrund des höheren Einkommens wohl eine Rückforderung auf ihn zukommen müsse. Ihm sei jedoch nicht klar gewesen, in welcher Höhe diese ausfallen würde.
Mit Urteil vom 04.12.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger die Unrichtigkeit des Bescheides vom 20.08.2014 infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Er hätte anhand der Ausführungen zur Berechnung der Monatsrente iVm der Anlage 8 des Bescheides auch als Laie erkennen können, dass für das Jahr 2012 nicht das von ihm angegebene Einkommen, welches immerhin mehr als 10.000 EUR über demjenigen gelegen habe, welches im Jahr 2011 erwirtschaftet worden war, angerechnet worden sei. Hinzu komme, dass der Kläger nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung aufgrund des gestiegenen Einkommens im Jahr 2012 eine Überzahlungsforderung von der Beklagten erwartet habe. Da diese angesichts des erheblichen Einkommensunterschieds in den Jahren 2011 und 2012 mit der Festsetzung eines Überzahlungsbetrages iHv 278,36 EUR vergleichsweise gering ausgefallen sei und die Rente von dem in der Vergangenheit regelmäßig gezahlten über 600 EUR liegenden monatlichen Rentenbetrag auf 494,04 EUR reduziert worden sei, hätte ihn dies veranlassen müssen, den Bescheid vom 20.08.2014 zumindest vollständig zu lesen. Dass er dies gerade nicht getan habe, ergebe sich aus der Klageschrift. Dort habe er ausgeführt, dass er lediglich die erste Seite des Bescheides gelesen habe. Dies belege insbesondere vor dem geschilderten Hintergrund eine mangelnde Sorgfalt. Die übrigen Voraussetzungen des § 45 Abs 1 SGB X seien erfüllt. Das Ermessen sei zutreffend ausgeübt worden.
Gegen das dem Kläger am 21.12.2015 zugestellte Urteil hat der Klägerbevollmächtigte am 31.12.2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.
Der Kläger ist der Ansicht, dass hinsichtlich der teilweisen Aufhebung des Bescheides vom 20.08.2014 schon kein wirksamer Bescheid vorliege, weil es an der nach § 33 Abs 3 SGB X erforderlichen Unterschrift und Namenswiedergabe des Behördenleiters oder eines Vertreters mangle. Zudem habe er seine Mitteilungspflicht gegenüber der Beklagten in vollem Umfang erfüllt. Grobe Fahrlässigkeit liege nicht vor. Ihm sei allenfalls bekannt gewesen, dass er höhere Betriebseinnahmen als im Vorjahr gehabt habe. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 20.08.2014 habe er dessen Unrichtigkeit nicht erkennen können, weil erst mit dem Erlass des Einkommensteuerbescheides am 28.11.2014 die Höhe des Einkommens festgestanden habe. Der Kläger ist weiter der Auffassung, dass in der Akte keinerlei Anhaltspunkte für eine Ermessensausübung zu finden seien und der Bescheid schon deshalb rechtswidrig sei.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 04.12.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15.12.2014 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 30.03.2015 und des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2015 insoweit aufzuheben, als dieser eine Erstattungsforderung in Höhe von 1.158,18 EUR festsetzt.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig sowie in der Sache begründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 15.12.2014 in Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 30.03.2015 und des Widerspruchsbescheids vom 16.07.2015, mit dem der Rentenbescheid vom 20.08.2014 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung für die Vergangenheit ab 01.07.2013 nach § 45 SGB X zurückgenommen und eine Erstattungsforderung iHv 1.158,18 EUR festgesetzt worden ist.
Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Entgegen der Ansicht der Beklagten und des SG kann der Senat nicht erkennen, dass im vorliegenden Einzelfall dem Kläger grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X vorzuwerfen ist.
Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nach § 45 Abs 1 SGB X unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind nach § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Die Rücknahmeentscheidung steht dabei im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten.
Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf gem § 45 Abs 2 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Nach § 45 Abs 3 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Dies gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn 1. die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder 2. der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde. In diesen Fällen kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.
Gem § 45 Abs 4 SGB X wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Die Aufhebung des Bescheides vom 20.08.2014 für die Vergangenheit (ab 01.07.2013 bis 31.12.2014) ist rechtswidrig, weil hier kein Fall des § 45 Abs 2 Satz 3 oder Abs 3 Satz 2 SGB X vorliegt. Der Kläger hat zur Überzeugung des Senats die Rentenneuberechnung vom 20.08.2014 weder durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt, noch beruht die Neuberechnung auf Angaben, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Für diese beiden Alternativen gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Der Kläger kannte aber auch nicht die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Dies ist auch zwischen den Beteiligten nicht umstritten.
Die fehlende Kenntnis der Rechtswidrigkeit beruht aber auch nicht auf grober Fahrlässigkeit. Denn der Kläger hat bezogen auf den hier konkret zu beurteilenden Sachverhalt die erforderliche Sorgfalt nicht in besonders schwerem Maße verletzt.
Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße hat danach verletzt, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (stRspr seit BSG 31.08.1976, 7 RAr 112/74).
Insoweit besteht zunächst im Allgemeinen kein Anlass, einen Verwaltungsakt jedenfalls des Näheren auf Richtigkeit zu überprüfen, wenn - wie hier - im Verwaltungsverfahren zutreffende Angaben gemacht worden sind. Andernfalls würde das Risiko der rechtmäßigen Umsetzung der korrekten Angaben des Begünstigten in einer von § 45 SGB X nicht vorgegebenen Weise von der Behörde auf diesen übergewälzt. Eine Rechtspflicht, den erlassenen Verwaltungsakt umfassend auf Richtigkeit zu überprüfen, besteht deshalb nicht. Andererseits sind die Beteiligten im Sozialrechtsverhältnis verpflichtet, "sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren". Dem entsprechend ist der Bescheidadressat rechtlich gehalten, einen ihm günstigen Bewilligungsbescheid auch zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen (vgl BSG 08.02.2001, B 11 AL 21/00 R mwN). Danach ist die Unkenntnis grob fahrlässig im Sinne von § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X, wenn der Adressat, hätte er den Bewilligungsbescheid gelesen und zur Kenntnis genommen, auf Grund einfachster und nahe liegender Überlegungen sicher hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht oder jedenfalls so nicht besteht. Davon ist bei Fehlern auszugehen, die sich erstens aus dem begünstigenden Verwaltungsakt selbst oder anderen Umständen ergeben und zweitens für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind. Das ist anzunehmen bei solchen Fehlern, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Persönlichkeit des Betroffenen und seines Verhaltens augenfällig sind. Augenfällig in diesem Sinne sind Fehler zunächst, wenn die Begünstigung dem Verfügungssatz nach ohne weitere Überlegungen als unzutreffend erkannt werden kann. Ausschlaggebend für die nach diesen Kriterien zu beurteilende Erkennbarkeit eines Fehlers ist der individuelle Verständnishorizont des Begünstigten. Mussten sich einem Bescheidempfänger allerdings Zweifel an der Richtigkeit der ergangenen Entscheidung aufdrängen, besteht eine Verpflichtung zu Erkundigungen (v. Wulffen/Schütze/Schütze SGB X § 45 Rn 46-61 mwN).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist der Senat der Ansicht, dass die Fehlerhaftigkeit des Bescheides vom 20.08.2014 für den Kläger nicht ohne weiteres sofort erkennbar war. Dies folgt insbesondere daraus, dass der Bescheid unmittelbar nach zutreffender Mitteilung des Arbeitseinkommens für 2012 erlassen wurde und tatsächlich eine Überzahlung auswies. Auch wenn die Überzahlung tatsächlich im Verhältnis zur Änderung der Einkommensverhältnisse von 2011 zu 2012 verhältnismäßig niedrig ist, so musste sich dem Kläger kein Fehler hinsichtlich der Berücksichtigung seines Einkommens und dessen Auswirkungen auf die Rentenhöhe aufdrängen. Denn die Beklagte wies im Bescheid darauf hin, dass eine Neuberechnung rückwirkend ab 01.07.2009 erfolgt sei und stützte diese Neuberechnung auf mehrere Gründe (Berücksichtigung eines zusätzlichen Zuschlags für Kindererziehung, Rentenanpassung, Änderung des auf die Rente anzurechnenden Einkommens, Änderung der Daten zur freiwilligen bzw privaten Krankenversicherung) und nicht nur auf das geänderte Arbeitseinkommen.
Der Senat kann offenlassen, ob der Kläger nun den gesamten Bescheid tatsächlich gelesen hat (- so seine Angabe im Erörterungstermin vom 22.08.2016 -), oder nur die ersten Seiten (- siehe Urteilsgründe des SG -). Denn dies ändert im vorliegenden Fall nichts am Fehlen von grober Fahrlässigkeit. Bei genauem Studium der Anlage 8 des Bescheides vom 20.08.2014, welche im Übrigen für die unterschiedlichen Jahre unterschiedliche Textbausteine verwendet, hätte dem Kläger zwar auffallen können, dass bei der Berechnung für die Zeit ab 01.07.2013 als Arbeitseinkommen für 2012 ein zu niedriger Betrag ausgewiesen war. Dies kann jedoch hier im Zusammenhang mit den oben aufgezeigten übrigen Umständen nur einfache Fahrlässigkeit begründen.
Da schon die Tatbestandvoraussetzungen des § 45 SGB X nicht erfüllt sind, erübrigen sich Ausführungen zu § 33 SGB X, zur Anhörungspflicht gemäß § 24 SGB X und zur Ermessensausübung.
Nachdem die Aufhebung des Bescheides vom 20.08.2014 hinsichtlich der Rentenhöhe für die Vergangenheit rechtswidrig ist, besteht auch kein Erstattungsanspruch gemäß § 50 SGB X.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
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