L 4 KR 1361/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 2920/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1361/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 8. März 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Kostenübernahme für eine Tätowierung des Areola-Komplexes (Brustwarzenhof) nach beidseitiger Mastektomie zur Komplettierung der Brustrekonstruktion.

Die 1982 geborene Klägerin ist versicherungspflichtig beschäftigt und bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Im Juni 2012 unterzog sie sich aufgrund eines genetisch erhöhten Brustkrebsrisikos einer hautsparenden beidseitigen Mastektomie, wobei beidseitig das gesamte Brustgewebe einschließlich Mamille und Warzenhof entfernt wurden. Anschließend erfolgte eine Rekonstruktion der Brust durch Entnahme des Musculus Gracilis aus den Oberschenkeln.

Unter dem 14. Oktober 2012 beantragte die Klägerin unter Vorlage eines ärztliches Attestes des ärztlichen Direktors des Zentrums für Plastische Chirurgie des M.-hospitals Stuttgart Prof. Dr. S. vom 8. Oktober 2012 sowie einer Honorarvereinbarung vom selben Tag über EUR 650,00 (Gesamtkosten unter Berücksichtigung von Gebührenziffern der Gebührenordnung für Ärzte [GOÄ] und Sachkosten EUR 677,26) die Kostenübernahme der Tätowierung des Areola-Komplexes zur Komplettierung der Brustrekonstruktion.

Auf Veranlassung der Beklagten gab der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) unter dem 5. November 2012 eine sozialmedizinische Stellungnahme ab. Darin legte Dr. D. dar, bei der Areolatätowierung handele es sich um eine neue Behandlungsmethode, die bisher nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) bewertet worden und deshalb in der vertragsärztlichen Versorgung nicht zugelassen sei. Die Entfernung der Brust im Rahmen der Behandlung eines Mamma-Karzinoms sei zweifelsfrei notwendig gewesen und führe zu einem regelwidrigen Körperzustand. Die Klägerin habe daher im Rahmen der Behandlung Anspruch auf Wiederherstellungschirurgie, d.h. einen Brustaufbau. Dies stelle in der Regel an den Operateur die Anforderung, sowohl die Silhouette der Brust symmetrisch zur Gegenseite wiederherzustellen, mit Implantat oder körpereigenem Material, als auch im zweiten Schritt die Anforderung, den Nippel- und Areola-Komplex ästhetisch zu gestalten. In Anlehnung an die Sozialrechtsprechung zur Augenbrauen- und Wimperntätowierung bestehe jedoch durch die Areolatätowierung nicht die Möglichkeit, elementare Körperfunktionen der weiblichen Brust (z.B. Brustdrüse mit Stillfunktion, variable Farbe des Areola-Komplexes bei Wechsel der Durchblutung und Aktivität der Hautmuskeln) wiederherzustellen. Da nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zugleich auch Krankheitswert zukomme, habe die Rechtsprechung jedoch diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliege, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt werde oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirke. Durch die Areolatätowierung würden die oben beschriebenen Körperfunktionen nicht wiederhergestellt, die Tätowierung sei also zur Krankenbehandlung nicht geeignet. Auch liege nach Wiederaufbauplastik der Brust keine anatomische Abweichung vor, die im Sinne der Sozialrechtsprechung als Entstellung bezeichnet werden könne. Nach Brustrekonstruktion sei in der Regel die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen - auch aktiv an Sportveranstaltungen einschließlich des Besuchs einer Badeanstalt - nicht eingeschränkt. Die Prüfung des erweiterten grundrechtsorientierten Anspruches auf Leistung entfalle, weil vertragsmedizinische Behandlungsmethoden zur Verfügung stünden. Prinzipiell könne für die Wiederherstellung der Farbe der Brustwarze auf Mittel der Rekonstruktionschirurgie verwiesen werden (z. B. Transplantation von Vollhaut aus der Leiste, aus Haut im äußeren Schambereich [Innenseite Oberschenkel] oder Lidhaut [nach Augenlifting]). Außerdem diene die Areolatätowierung nicht der Behandlung einer unmittelbar lebensbedrohlichen Erkrankung. Als Risiken werde auch noch auf die Entstehung von Fremdkörpergranulomen oder eine spätere Farbveränderung hingewiesen. Die begehrte Leistung erscheine außerdem nicht wirtschaftlich, weil sie nach wenigen Jahren ersetzt werden müsse.

Mit Bescheid vom 15. November 2012 lehnte die Beklagte unter Wiederholung des Inhaltes der Stellungnahme des MDK den Antrag der Klägerin ab.

Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 6. Dezember 2012 Widerspruch. Eine vollständige optische Rekonstruktion mittels Areolatätowierung sei für sie nicht nur von ganz erheblicher Bedeutung und therapeutischem Nutzen, sondern auch medizinisch notwendig. Ferner seien die durch die schwere Operation und die durch die bei der Zwillingsschwester ausgebrochene Krebserkrankung aufgetretenen psychischen Belastungen zu berücksichtigen. Selbstverständlich sei sie zur Anwendung einer anderen Methode bereit, sofern diese weniger invasiv sei, zu gleichen bzw. vergleichbaren Ergebnissen führe und kostengünstiger sei. Allerdings seien ihr derartige Methoden nicht bekannt. Letztlich beseitige das Risiko der Entstehung von Fremdkörpergranulomen und späterer Farbveränderung die Leistungspflicht der Beklagten nicht.

Auf weitere Veranlassung der Beklagten erstattete Dr. Z. vom MDK unter dem 25. März 2013 ein sozialmedizinisches Gutachten. Unter Wiederholung der Stellungnahme des Dr. D. sowie auf einer von ihm durchgeführten strukturierten Recherche gelangte auch er zu dem Ergebnis, dass eine außervertragliche Kostenübernahme nicht empfohlen werden könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2013 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch der Klägerin zurück. Unter Wiederholung und Vertiefung der Begründung des Bescheides des Beklagten vom 5. November 2012 berief er sich auf die Stellungnahme und das Gutachten des MDK. Zudem komme eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung nach § 2 Abs. 1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ebenfalls nicht in Betracht. Die beantragte Leistung erscheine zudem nicht wirtschaftlich, da nach wenigen Jahren eine Nachtätowierung erforderlich sei, um ein Verblassen zu verhindern.

Die Klägerin erhob am 23. Mai 2013 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Die vollständige Rekonstruktion ihrer Brust sei für sie sehr wichtig. Hierzu gehöre auch die entsprechende naturgetreue Farbgebung. Nicht richtig sei, dass nach wenigen Jahren eine Nachtätowierung notwendig sei. Auch sei das Risiko von Fremdkörpergranulomen nach ärztlicher Mitteilung ausgesprochen niedrig, da es sich um eine medizinische Tätowierung handele, die nicht im Tattoo-Studio erfolge. Die Gesamtsituation sei für sie äußerst belastend. Heutzutage allgemein nicht unübliche Besuche öffentlicher Badeanstalten mit Saunabereich kämen für sie absolut nicht mehr in Betracht. Ihren Körperzustand empfinde sie als entstellend, was eine erhebliche psychische Belastung mit sich bringe. Eine Alternative zum Erreichen des notwendigen Zwecks sei nicht ersichtlich. Die im Widerspruchsbescheid (unter Bezugnahme auf die Stellungnahme und das Gutachten des MDK) beschriebenen Verfahren zur Rekonstruktion der Brustwarze würden teilweise das vollständige Vorhandensein einer Brust voraussetzen. Allein die genannte Transplantation von Vollhaut aus dem äußeren Schambereich sei bereits erfolgt. Auf eine entstellende Wirkung komme es nicht an, denn bei der angeborenen Mutation zum BRCAl-Gen handele es sich um eine Krankheit. Eine angleichende operative Maßnahme inklusive entsprechender Farbgebung des Brustwarzenhofes sei damit eine geeignete und erforderliche Behandlungsmaßnahme, deren Kosten von der Krankenkasse zu tragen seien. Ihr psychischer Leidensdruck bewirke einen Anspruch genauso wie der Anspruch transsexueller auf geschlechtsanpassend Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe in gesunde Organe. Dass der GBA über die streitige Maßnahme noch nicht entschieden habe, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Kenntnis des genannten Gens und die Möglichkeiten zur genetischen Untersuchung verhältnismäßig jung seien sowie die Mutation nicht weit verbreitet sei. Eine andere Krankenkasse, bei der ihre ältere Schwester versichert sei, habe im gleichgelagerten Sachverhalt die Leistung bewilligt und die Kosten für die Tätowierung übernommen. Am 28. Mai 2013 sei die ambulante Tätowierung im Marienhospital Stuttgart erfolgt. Hierfür habe sie EUR 650,00 in bar gezahlt. Am 15. Oktober 2013 sei die Brustwarze nach der Skate-Flap-Technik rekonstruiert worden. Sie legte die Rechnung des Prof. Dr. S. vom 28. Mai 2013 über EUR 650,00, in der keine Gebührenziffern nach der GOÄ angeführt sind.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und verwies auf den Widerspruchsbescheid.

Das SG befragte den die Klägerin behandelnden Prof. Dr. S. schriftlich als sachverständigen Zeugen. Dieser führte unter dem 6. Dezember 2013 aus, bei fehlendem Brustwarzenhof habe die Heilanzeige zur Nachbildung des Brustwarzenhofes bestanden. Es habe das Risiko einer Wundheilungsstörung, von Farbunterschieden und -veränderungen sowie allergischen Reaktionen bestanden. Dasselbe Ergebnis habe nicht durch eine andere Maßnahme erzielt werden können.

Mit Urteil vom 8. März 2016 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Erstattung der Kosten für die mittlerweile erfolgte ambulante Areolatätowierung. Die Areolatätowierung zur Wiederherstellung der Brustwarzen nach Operationen wegen Brustkrebs stelle eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode dar, da sie nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM) enthalten sei. Eine positive Empfehlung des GBA liege nicht vor (https://www.g-ba.de/informationen/beschlüsse). Eine Leistungspflicht der Beklagten bestehe auch nicht ausnahmsweise, da die fehlende Anerkennung der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode nicht darauf zurückzuführen sei, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. Ein sog. Seltenheitsfall liege ebenfalls nicht vor. Auch seien die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a SGB V nicht erfüllt, da die Areolatätowierung nicht zur Behebung einer lebensbedrohlichen Erkrankung - der Rekonstruktion des Brustwarzenhofs - erfolge.

Gegen das ihr am 21. März 2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin beim SG am 8. April 2016 – die vom SG zugelassene – Berufung eingelegt. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens trägt sie vor, entgegen der Feststellung des SG ergebe sich aus der Stellungnahme des Prof. Dr. S. keine alternative vertragsärztliche Behandlungsmethode, um das Ziel der vollständigen Rekonstruktion zu erreichen. Zudem sei der medizinische Fortschritt zu berücksichtigen. Zur Linderung des psychischen Leidensdrucks sei die begehrte Maßnahme erforderlich gewesen. Da die Kosten einer Areolatätowierung bei ihrer Schwester getragen worden seien, stehe nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz auch ihr die Leistung zu. In der Verweigerung der Leistung liege eine Missachtung der Menschenwürde und des Sozialstaatsprinzips.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 8. März 2016 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 15. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2013 zu verpflichten, die im Rahmen der durchgeführten Warzenhofrekonstruktion entstandenen Kosten der medizinischen Tätowierung in Höhe von EUR 650,00 zu erstatten, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) entschieden hat, ist auch im Übrigen zulässig. Das SG hatte die Berufung zugelassen (§ 144 Abs. 2 SGG). Hieran ist der Senat gebunden (§ 144 Abs. 3 SGG).

2. Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 15. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2013 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat rechtmäßig die Gewährung der Areolatätowierung als Sachleistung abgelehnt; der Klägerin steht nach Durchführung der ambulanten Maßnahme im Mai 2013 kein Anspruch auf Erstattung der von ihr geltend gemachten Kosten zu.

a) Ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin folgt nicht aus § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Var. SGB V. Nach dieser Norm sind dem Versicherten die für eine von ihm selbst beschaffte Leistung entstandenen Kosten von der Krankenkasse zu erstatten, wenn die Krankenkasse diese Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, soweit die Leistung notwendig war.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin eine Tätowierung des Areola-Komplexes zu gewähren. Deshalb kann die Klägerin auch nicht beanspruchen, dass ihr die Kosten, die durch die selbstbeschaffte Leistung entstanden sind, von der Beklagten erstattet werden.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst unter anderem die ärztliche Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V) und die Krankenhausbehandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V). Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst ärztliche Behandlung die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Nach § 39 Abs. 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs. 1 SGB V unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Krankheit im Sinne des SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 3/03 R –juris, Rn. 12; BSG, Urteil vom 28. September 2010 – B 1 KR 5/10 R –juris, Rn. 10; BSG, Urteil vom 11. September 2012 – B 1 KR 9/12 R –juris, Rn. 10). Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Eine Krankheit liegt nur vor, wenn der Versicherte in den Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 – B 1 KR 3/03 R – juris, Rn. 12; BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 19/07 R – juris, Rn. 11; BSG, Urteil vom 28. September 2010 – B 1 KR 5/10 R –juris, Rn. 10; BSG, Urteil vom 6. März 2012 – B 1 KR 17/11 R – juris, Rn. 24; Urteil des Senats vom 26. Juni 2009 – L 4 KR 3386/08 – nicht veröffentlicht; Hessisches Landessozialgericht [LSG], Urteil vom 15. April 2013 – L 1 KR 119/11 – juris, Rn. 18; Urteil des Senats vom 27. März 2015 – L 4 KR 4697/14 – nicht veröffentlicht).

aa) Bei der Klägerin liegt bereits keine Krankheit (mehr) vor, die eine Leistungsverpflichtung der Beklagten auslösen würde. Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Bei der Klägerin bestand ursprünglich eine Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V. Es bestand bei ihr ein genetisch bedingtes erhöhtes Brustkrebsrisiko, weshalb sie eine Mastektomie beidseits durchführen ließ, im Rahmen derer anschließend eine Rekonstruktion der Brust erfolgte. Eine Rekonstruktion der Mamille erfolgte im Oktober 2013 nach der Skate-Flap-Technik. Die Kosten hierfür übernahm die Beklagte. Zuletzt begehrte die Klägerin noch die Tätowierung des Areola-Komplexes, da an Stelle des bisherigen Brustwarzenhofs die bei der Mastektomie an den Oberschenkeln entnommenen Hautlappen eingenäht wurden, jedoch keine Pigmentierung hatten, die derjenigen des Brustwarzenhofs im Allgemeinen entspricht. Dies ergibt sich für den Senat aus dem eigenen Vortrag der Klägerin im Klageverfahren sowie aus der Stellungnahme des Dr. D. und dem Gutachten des Dr. Z., das bereits im Widerspruchsverfahren von der Beklagten eingeholt wurde und im Rahmen des Urkundsbeweises verwertet werden kann.

Der Senat kann bereits nicht feststellen, dass nach der Mastektomie mit anschließender Rekonstruktion der Brust noch eine Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V vorlag; denn der insoweit bei der Klägerin vorliegende körperliche Zustand stellt keine Beeinträchtigung von Körperfunktionen dar, der einer körperlichen Behandlung bedurfte. Unter dem Gesichtspunkt der körperlichen Fehlfunktion kann der Zustand der Klägerin schon deshalb nicht als behandlungsbedürftige Krankheit bewertet werden, weil weder die begehrte Areolatätowierung noch ein anderes Mittel in der Lage ist, elementare Körperfunktionen der weiblichen Brust wiederherzustellen. Insofern fehlt es - und zwar auch bezogen auf die Linderung einer durch die Regelwidrigkeit möglicherweise verursachten körperlichen Beeinträchtigung - am Merkmal der Behandlungsbedürftigkeit, das seinerseits die Behandlungsfähigkeit voraussetzt.

bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt sich die Leistungspflicht der Beklagten auch nicht damit begründen, dass die Klägerin wegen äußerlicher Entstellung als behandlungsbedürftig anzusehen wäre. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit erzeugt und damit zugleich erwarten lässt, dass der Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, so dass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist. Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein. Es genügt nicht allein ein markantes Gesicht oder generell die ungewöhnliche Ausgestaltung von Organen. Vielmehr muss die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi im Vorbeigehen bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 19/07 R – juris, Rn. 14; BSG, Urteil vom 6. März 2012 – B 1 KR 17/11 R – juris, Rn. 25; Urteil des Senats vom 26. Juni 2009 – L 4 KR 3386/08 – und vom 11. April 2014 – L 4 KR 2907/11 – beide nicht veröffentlicht; Hessisches LSG, Urteil vom 15. April 2013 – L 1 KR 119/11 – juris, Rn. 22). Der Umstand, dass maßgeblich alltägliche Situationen sind, bedeutet, dass die Frage, ob eine Entstellung vorliegt, anhand des bekleideten Körpers zu beurteilen ist (LSG Hamburg, Urteil vom 17. Juli 2014 – L 1 KR 160/13 – juris, Rn. 25; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 7. Oktober 2013 – L 4 KR 477/11 – juris, Rn. 28; Hessisches LSG, Urteil vom 15. April 2013 – L 1 KR 119/11 – juris, Rn. 22; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. November 2006 – L 4 KR 60/04 – juris, Rn. 24; vgl. auch Urteile des Senats vom 11. April 2014 – L 4 KR 2907/11 –, vom 20. November 2009 – L 4 KR 942/08 –, vom 26. Juni 2009 – L 4 KR 3386/08 – und vom 27. März 2015 - L 4 KR 4697/14 - alle nicht veröffentlicht). Die bei der Klägerin festgestellte mangelnde natürliche Färbung des rekonstruierten Areola-Komplexes ist danach nicht als entstellend zu werten.

cc) Die Notwendigkeit der von der Klägerin begehrten Areolatätowierung ergibt sich auch nicht aus ihrem Vorbringen, ihre psychischen Beschwerden würden durch diese merklich gelindert. Eine Krankenbehandlung durch ärztliche Behandlung muss unmittelbar an der Krankheit selbst ansetzen. Liegt eine Krankheit vor, wird Behandlungsbedürftigkeit und Behandlungsfähigkeit verlangt, die anhand der genannten Behandlungsziele zu beurteilen ist. Behandlungsbedürftigkeit liegt vor, wenn die Behandlungsziele ohne die beabsichtigte ärztliche Behandlung wahrscheinlich nicht und auch nicht mit Aussicht auf Erfolg zu erreichen sind. Die Prüfung der Wahrscheinlichkeit ist als Prognose unter Berücksichtigung aller Umstände vorzunehmen, wobei auch ein wissenschaftlich begründeter Nachweis der Wirksamkeit der begehrten Behandlung hinsichtlich des Behandlungsziels verlangt wird (Urteil des Senats vom 2. Dezember 2011 – L 4 KR 3514/10 – nicht veröffentlicht, m.w.N.). Soweit also bei der Klägerin vorrangig nervenfachärztliche Probleme vorliegen, sind diese Erkrankungen durch entsprechende nervenfachärztliche Therapiemöglichkeiten zu behandeln.

dd) Vor diesem Hintergrund kommt es auf die Frage, ob eine Tätowierung des Areola-Komplexes überhaupt den erforderlichen Qualitätsanforderungen genügt, die an eine zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchzuführende Behandlungsmethode zu stellen sind, nicht an.

b) Auch die Tatsache, dass die Schwester der Klägerin von ihrer Krankenkasse die Kosten einer Areolatätowierung erstattet bekam, verpflichtet die Beklagte nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu einer Kostenerstattung gegenüber der Klägerin.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved