L 11 KR 1393/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 1 KR 2775/16 WA
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 1393/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 17.03.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens, in welchem er Untätigkeitsklage gegen die Beklagte erhoben hatte mit dem Ziel der Verbescheidung eines von ihm im Jahre 2010 – parallel zu einem Verwaltungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg mit demselben Begehren - gestellten Antrags auf eine stationäre medizinische Reha-Maßnahme.

Der am 08.12.1969 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Ende 2009 beantragte er bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg eine stationäre medizinische Reha-Leistung. Diesen Antrag lehnte die Deutsche Rentenversicherung mit Bescheid vom 13.01.2010 ab. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und beantragte am 29.03.2010 während des laufenden Widerspruchsverfahrens bei der Beklagten gleichfalls die Gewährung einer stationären medizinischen Reha-Maßnahme. Mit Schreiben vom 30.03.2010 teilte die Beklagte ihm mit, dass aufgrund des laufenden Verwaltungsverfahrens bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg die Beklagte nicht parallel über einen Antrag mit demselben Gegenstand entscheiden könne. Danach geschah rund sechs Jahre in dieser Sache nichts.

Am 21.01.2016 hat der Kläger Untätigkeitsklage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) gegen die Beklagte erhoben. Die Beklagte habe noch nicht über seinen Reha-Antrag vom Frühjahr 2010 entschieden. Unterlagen, insbesondere den Schriftwechsel vom Frühjahr 2010 mit der Beklagten, legte er trotz Aufforderung des SG nicht vor.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat vorgetragen, sie habe keine Antragsunterlagen mehr.

Mit Urteil vom 08.06.2016 hat das SG die Untätigkeitsklage abgewiesen, da nicht nachgewiesen sei, dass ein Antrag auf Erlass eines Verwaltungsaktes, vorliegend auf Bewilligung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme, bei der Beklagten gestellt worden sei.

Das Urteil des SG ist dem Kläger am 15.06.2016 zugestellt worden. Die vom Kläger eingelegte Berufung ist vom Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Beschluss vom 06.09.2016 als unzulässig verworfen worden (Aktenzeichen L 5 KR 2336/16), nachdem der Kläger im Erörterungstermin vom 03.08.2016 sein Begehren auf Verbescheidung des Reha-Antrags ausdrücklich nicht weiterverfolgt, sondern die Klage auf Geltendmachung eines Anspruchs auf Akteneinsicht umgestellt und das Landessozialgericht diese Klageänderung mangels Sachdienlichkeit als unzulässig bewertet hatte.

Am 23.09.2016 hat der Kläger sodann beim SG die Wiederaufnahme des erstinstanzlichen Klageverfahrens beantragt und hat nunmehr das Schreiben der Beklagten vom 30.03.2010 vorgelegt. Er könne nunmehr beweisen, dass er seinerzeit eine Reha-Maßnahme beantragt habe. Daher müsse das Klageverfahren nochmals von vorne neu begonnen werden.

Mit Gerichtsbescheid vom 17.03.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Wiederaufnahmeklage sei unzulässig, Wiederaufnahmegründe lägen nicht vor. Der Kläger sei vom SG während des Klageverfahrens aufgefordert worden, Unterlagen vorzulegen, aus denen zu ersehen sei, dass er bei der Beklagten einen Reha-Antrag gestellt habe. Nachweise habe er nicht vorgelegt.

Gegen den ihm am 23.03.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 31.03.2017 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Die Beklagte habe wahrheitswidrig bestritten, dass er im Frühjahr 2010 einen Reha-Antrag gestellt habe. Die Beklagte hätte dies jedoch bei ordnungsgemäßer Aktenführung nachprüfen können. Nunmehr müsse auch mal zu seinen Gunsten entschieden werden. Die Beklagte müsse einen Bescheid über den Antrag aus dem Jahr 2010 erlassen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 17.03.2017 aufzuheben und das Verfahren S 1 KR 227/16 wieder aufzunehmen, das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 08.06.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über seinen Reha-Antrag vom 29.03.2010 zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass sie dem Kläger angeboten habe, über einen neuen Reha-Antrag mit noch vorzulegenden aktuellen medizinischen Befunden zu entscheiden. Außerdem habe der Kläger im Berufungsverfahren L 5 KR 2336/16 vor dem Landessozialgericht im Erörterungstermin am 03.08.2016 die ursprünglich erhobene Untätigkeitsklage ausdrücklich nicht weiterverfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft, zulässig aber unbegründet. Zu Recht hat das SG mit dem Gerichtsbescheid vom 17.03.2017 die Wiederaufnahmeklage abgewiesen.

Ein rechtskräftig beendetes Verfahren kann gemäß § 179 Abs 1 SGG nur nach den Vorschriften des Vierten Buches der Zivilprozessordnung (ZPO) wieder aufgenommen werden. Dies erfolgt nach § 578 Abs 1 ZPO durch Nichtigkeitsklage (§ 579 ZPO) oder durch Restitutionsklage (§ 580 ZPO). Die Gründe für eine Wiederaufnahme sind abschließend aufgeführt. Es handelt sich im Wesentlichen um schwerste Verfahrensmängel (§ 579 ZPO) bzw um eine Entscheidung, die auf einer unrichtigen, insbesondere einer verfälschten Grundlage beruht (§ 580 ZPO), wie zB auf einer Urkundenfälschung oder einer strafbaren Urteilserschleichung. Die Wiederaufnahme ist ferner zulässig, wenn ein Beteiligter strafgerichtlich verurteilt worden ist, weil er Tatsachen, die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen hat.

Die Nichtigkeitsklage findet nach § 579 Abs 1 ZPO statt, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war (Nr 1) oder wenn ein Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs oder eines Rechtsmittels ohne Erfolg geltend gemacht ist (Nr 2), wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war (Nr 3) oder wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat (Nr 4).

Keiner dieser Gründe liegt vorliegend vor.

Die Restitutionsklage findet gemäß § 580 ZPO unter den dort unter Nr 1 bis 8 genannten Voraussetzungen statt, wobei § 581 Abs 1 ZPO besondere Voraussetzungen für die Nrn 1 bis 5 des § 580 normiert. Danach ist weitere Voraussetzung, dass wegen der in § 580 Nr 1 bis 5 genannten Straftaten eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist oder die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen kann. Der vom SG geprüfte § 580 Nr 2 ZPO scheidet schon deshalb aus, da vorliegend nicht eine "Urkunde" vorgelegen hat und es nicht ansatzweise um den Straftatbestand der Urkundenfälschung geht. Auch eine Restitutionsklage kommt daher nicht in Betracht.

Der Kläger hat außerdem im Erörterungstermin am 03.08.2016 vor dem Landessozialgericht in der Rechtssache L 5 KR 2336/16 trotz Hinweises des dortigen Berichterstatters selbst entschieden, die Untätigkeitsklage nicht weiter zu verfolgen. Eine Klagerücknahme braucht nicht ausdrücklich erklärt zu werden. Sie ist auch konkludent möglich. Allerdings muss die Klagerücknahme eindeutig sein (BSG 12.06.1992, 11 RAr 139/90). Bei Unklarheit muss das Gericht für eine eindeutige Erklärung sorgen (Leitherer a.a.O., § 102 RdNr 7b). Dies ist im Erörterungstermin am 03.08.2016 geschehen, indem der Berichterstatter den Kläger auf die Unzulässigkeit der Klageänderung und auf eine sachdienliche Antragstellung im Hinblick auf sein bisheriges Klagebegehren hingewiesen hat. Die Klagerücknahme ist eine Prozesshandlung und auf die Erledigung der Hauptsache gerichtet. Sie kann grundsätzlich nicht widerrufen oder wegen Irrtums angefochten werden (BSG 14.06.1978, 9/10 RV 31/77, SozR 1500 § 102 Nr 2; 19.03.2002, B 9 V 75/01 B, HVBG-INFO 2002, 2150; 04.11.2009, B 14 AS 81/08 B), es sei denn, es liegen die Voraussetzungen der §§ 179, 180 SGG vor, was nicht der Fall ist, wie oben dargelegt wurde.

Lediglich ergänzend ist in der Sache darauf hinzuweisen, dass eine Untätigkeit der Beklagten im Jahr 2010 nicht vorgelegen hat. Der Kläger hat den Antrag auf Gewährung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme bei der Deutschen Rentenversicherung gestellt, die gemäß § 6 Abs 1 Nr 3 iVm § 5 Nr 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) auch zuständig für Leistungen der medizinischen Rehabilitation ist. Wegen des Grundsatzes des einheitlichen Verwaltungsverfahrens, der aus § 14 SGB IX folgt, war ein weiterer paralleler Antrag bei der Beklagten untunlich, solange der Kläger ein Verwaltungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung mit dem Ziel der Gewährung einer medizinischen Reha-Maßnahme geführt hat (BSG 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R, BSGE 113, 40, SozR 4-3250 § 14 Nr 19). Das Schreiben des Klägers an die Beklagte war nach der Rechtsprechung nichts weiter als eine Wiederholung seines Widerspruchs gegen die Ablehnungsentscheidung der Deutschen Rentenversicherung. Die Beklagte hätte hierüber mangels sachlicher Zuständigkeit überhaupt nicht entscheiden dürfen (BSG 24.01.2013 aaO). Die Beklagte hat daher mit dem Schreiben vom 30.03.2010 dem Kläger zu Recht mitgeteilt, dass sein Schreiben vom 29.03.2010 nicht als Antrag gewertet werden könne und dass darüber die Beklagte nicht zu entscheiden habe.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved