Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 SO 6662/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 1669/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts S. vom 28. März 2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) ab Juli 2016 im Streit.
Die am 26. März 1997 geborene Klägerin wohnt bei ihren Eltern und leidet an einer Intelligenzminderung mit autistischen Zügen, einer Autoimunthyreoiditis (Euthyreose) sowie einer Ganzkörper-Neurodermitis. Sie befindet sich seit dem 12. September 2016 im Eingangsverfahren/Berufsbildungsbereich der Neckartalwerkstätten in S. und erhält laut Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 12. Juni 2016 hierfür Ausbildungsgeld in Höhe von monatlich 67,- EUR (seit dem 12. September 2017 80,- EUR - s. Bl. 7/2 Verwaltungsakte - VA -). Daneben ist bei der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 und sind ferner die Merkzeichen G und B festgestellt (Bescheid des Versorgungsamtes S. vom 1. Juli 2016).
Am 28. Juli 2016 stellte die Klägerin in Begleitung ihrer Eltern einen Antrag nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Dieser Antrag wurde am 28. Juli 2016 an das Jobcenter der Landeshauptstadt S. weitergeleitet. Dort wurde nach Auskunft des Stiefvaters der Klägerin der Antrag abgelehnt, da sein monatliches Einkommen in Höhe von ca. 3000,- EUR der Klägerin im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft zuzurechnen und daher Hilfebedürftigkeit zu verneinen sei.
Mit Bescheid vom 18. August 2016 (Bl. 6 VA) und Widerspruchsbescheid vom 2. November 2016 (Bl. 8/1 VA) lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII ab. Zur Begründung führte sie aus, es bestehe (noch) keine dauerhafte Erwerbsminderung, da die Klägerin zunächst in den Eingangsbereich der Neckartalwerkstätten aufgenommen worden sei und Ausbildungsgeld von der Bundesagentur für Arbeit erhalte. Ziel der Maßnahme sei es unter anderem wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistungen zu ermöglichen. Somit zähle sie (noch) nicht zu den Leistungsberechtigten für Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Die dauerhafte volle Erwerbsminderung könne erst im Anschluss an diese Maßnahme und durch ein Gutachten der Deutschen Rentenversicherung festgestellt werden. Personen, die sich im Eingangsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) befinden würden und die einer Bedarfsgemeinschaft mit mindestens einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten angehörten, hätten dem Grunde nach Anspruch auf Sozialgeld nach dem SGB II.
Hiergegen hat die Klägerin am 1. Dezember 2016 Klage zum Sozialgericht (SG) S. erhoben. Zur Begründung hat die Klägerin geltend gemacht, die Beklagte habe die Verpflichtung gehabt, gemäß § 45 SGB XII ein Gutachten des Rentenversicherungsträgers einzuholen. Hiervon hätte nur abgesehen werden dürfen, wenn bereits z. B. eine Stellungnahme des Fachausschusses der WfbM vorgelegen hätte. Die Aufnahme in eine WfbM sei aber insofern ein eindeutiges Zeichen für das Vorliegen einer Behinderung. Ob diese dauerhaft sei, bestimme sich dem gegenüber nach medizinischen Kriterien. Die lediglich abstrakte Möglichkeit im Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer WfbM einen Übergang zum allgemeinen Arbeitsmarkt zu erreichen, könne nicht die gesetzliche Wertung korrigieren (Hinweis auf Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht vom 18. März 2015 - L 9 SO 41/12 - in juris).
Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat an ihrer Auffassung festgehalten.
Mit Gerichtsbescheid vom 28. März 2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat hierbei die Auffassung vertreten, dass die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthafte Klage unbegründet sei, da die Klägerin für den Zeitraum ab dem 1. Juli 2016 keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII habe, da sie nicht zum Personenkreis der Leistungsberechtigten nach § 41 SGB XII gehöre. Danach sei leistungsberechtigt wegen einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung nach § 41 Abs. 1 SGB XII, wer das 18. Lebensjahr vollendet habe, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) sei und bei dem unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne (§ 41 Abs. 3 SGB XII). Die Klägerin habe zwar das 18. Lebensjahr vollendet und gelte unabhängig von der Arbeitsmarktlage als voll erwerbsgemindert. Jedoch sei es seit Juli 2016 auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch) nicht unwahrscheinlich, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Das Merkmal, das eine Behebung der vollen Erwerbsminderung unwahrscheinlich sein müsse ("dauerhafte" Erwerbsminderung) entspreche den Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI für eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die volle Erwerbsminderung sei in diesem Sinne dauerhaft, ihre Behebung also unwahrscheinlich, wenn unter Ausschöpfung aller Rehabilitationsmöglichkeiten keine Möglichkeit bestehe, die Erwerbsminderung zu beheben. Hiervon könne, solange sich die Klägerin noch im Berufsbildungsbereich der Neckartalwerkstätten befinde, nicht ausgegangen werden. Und gerade weil sich die Klägerin im Berufsbildungsbereich befinde, sei auch ein Ersuchen des Beklagten als Träger der Sozialhilfe an den zuständigen Träger der Rentenversicherung, die medizinischen Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB VI (gemeint wohl XII) zu prüfen, nicht erforderlich. § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB XII verlange ein solches Ersuchen nur, wenn es auf Grund der Angaben und Nachweise des Leistungsberechtigten als wahrscheinlich erscheine, dass diese erfüllt seien. Eine Prüfung der vollen Erwerbsminderung sei nicht notwendig, weil diese auf Grund gesetzlicher Fiktion feststehe und unstreitig sei. Nach § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI seien auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein könnten, voll erwerbsgemindert. Dies treffe auf die Klägerin zu. Sie arbeite in einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen und sei auf Grund dessen versicherungspflichtig gemäß § 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI. Eine Prüfung der Dauerhaftigkeit der vollen Erwerbsminderung sei entbehrlich, weil die derzeitigen Verhältnisse der Klägerin es (noch) nicht als wahrscheinlich erscheinen lassen würden, dass die volle Erwerbsminderung von Dauer sei. Die Teilnahme an den Maßnahmen im Berufsbildungsbereich solle die Klägerin gerade in die Lage versetzen, anschließend ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen. Die Förderung im Berufsbildungsbereich solle Fertigkeiten vermitteln, solche Arbeitsleistungen gegebenenfalls auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erbringen. Dies folge aus § 4 Werkstättenverordnung (WVO). Ob dieses Ziel erreicht werde, könne erst nach dem Ende der Maßnahmen beurteilt werden (vgl. § 4 Abs. 6 WVO). Solange also ein behinderter Mensch - wie die Klägerin - an Maßnahmen im Berufsbildungsbereich teilnehme, stehe die volle Erwerbsminderung, das bedeute die Unfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Beschäftigung von wirtschaftlichem Wert nachzugehen, (noch) nicht als dauerhaft fest (mit Hinweis auf Bundesministerium für Arbeit und Soziales - BMAS - , Schreiben vom 21. Oktober 2008, Aktenzeichen V a 2 - 58162 - 2; Richtlinien der Bundesagentur für Arbeit zu § 8 SGB II, Ziffer 1.2 Abs. 3). Eine Überprüfung dieser Einschätzung sei erst mit Beendigung der Maßnahme - voraussichtlich im Dezember 2018 - vorzunehmen. Hieraus sowie auf Grund der Tatsache, dass selbst die von der Klägerin ins Feld geführte gutachterliche Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit lediglich eine voraussichtlich über sechs Monate, nicht aber auf Dauer aufgehobene Leistungsfähigkeit bescheinige, lasse sich indes der Nachweis oder wenigstens die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer vollen Erwerbsminderung der Klägerin, insbesondere aber die Dauerhaftigkeit einer eventuell bestehenden vollen Erwerbsminderung, nicht begründen. Die Beklagte sei deshalb nicht verpflichtet, ein Feststellungsersuchen nach § 109 a Abs. 1 SGB VI an die zuständige Rentenversicherungsträger zu stellen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Die Dauerhaftigkeit der vollen Erwerbsminderung könne auch nicht aus § 45 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB XII hergeleitet werden. Nach dieser Vorschrift finde ein Ersuchen des Sozialhilfeträgers an den Träger der Rentenversicherung, die medizinischen Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII zu prüfen, nicht statt, wenn der Fachausschuss einer Werkstatt für behinderte Menschen über die Aufnahme in eine Werkstatt oder Einrichtung eine Stellungnahme abgegeben habe (§§ 2 und 3 WVO) und der Leistungsberechtigte kraft Gesetzes nach § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI als voll erwerbsgemindert gelte. Die Klägerin gelte zwar kraft Gesetzes als voll erwerbsgemindert, weil sie nach § 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI rentenversicherungspflichtig sei. Es fehle jedoch an einer Stellungnahme des zuständigen Fachausschusses im Sinne von §§ 2 bzw. 3 WVO betreffend die Dauerhaftigkeit der Erwerbsminderung. Bei diesen Stellungnahmen handele es sich um qualifizierte Stellungnahmen. Vor der Aufnahme des behinderten Menschen in die Werkstatt gebe der Fachausschuss gegenüber dem zuständigen Reha-Träger eine Stellungnahme ab, ob der behinderte Mensch für seine Teilhabe am Arbeitsleben und zu seiner Eingliederung in das Arbeitsleben Leistungen einer Werkstatt für behinderte Menschen benötige oder ob andere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Betracht kämen (§ 2 Abs. 2 WVO). Zum Abschluss des Eingangsverfahrens gebe der Fachausschuss auf Vorschlag des Trägers der Werkstatt und nach Anhörung des behinderten Menschen, gegebenenfalls auch seines gesetzlichen Vertreters, unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Persönlichkeit des behinderten Menschen und seines Verhaltens während des Eingangsverfahrens, eine Stellungnahme gegenüber dem zuständigen Rehabilitationsträger dahingehend ab, ob die Werkstatt die geeignete Einrichtung zur Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben und zur Eingliederung in das Arbeitsleben sei sowie welche Bereiche der Werkstatt und welche Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und ergänzende Leistungen oder Leistungen zur Eingliederung in das Arbeitsleben in Betracht kämen (§ 3 Abs. 3 WVO). Der zuständige Fachausschuss habe im Falle der Klägerin weder eine qualifizierte Stellungnahme nach § 2 WVO (vor der Aufnahme) noch eine solche nach § 3 WVO (nach Beendigung des Eingangsverfahrens) abgegeben. Selbst wenn aber der zuständige Fachausschuss eine solche qualifizierte Stellungnahme abgegeben hätte und somit die Voraussetzungen nach § 45 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB XII erfüllt wären, würde allein dadurch nicht fingiert, dass die Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII - dauerhafte volle Erwerbsminderung - erfüllt seien. Eine derartige Fiktion sei der genannten Vorschrift nicht zu entnehmen. Wenn nämlich der Fachausschuss eine Stellungnahme dahingehend abgebe, dass der behinderte Mensch zunächst im Berufsbildungsbereich aufgenommen werden solle, bringe er damit offensichtlich zum Ausdruck, dass für den behinderten Menschen noch Leistungen erforderlich seien, aber auch möglich seien, um seine Erwerbsfähigkeit soweit zu entwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen, dass er nach Teilnahme an der Maßnahme in der Lage sei, ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung gegebenenfalls auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erbringen (Hinweis auf LSG Niedersachsen - Bremen, Beschluss vom 9. November 2007 - L 13 SO 31/07 ER - ). § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII besage nur, dass es keines Ersuchens an den Rentenversicherungsträger bedürfe. Weder § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII noch andere Vorschriften enthielten eine dem § 45 Satz 2 SGB XII entsprechende Bindung des Grundsicherungsträgers an die Stellungnahme des Fachausschusses der Werkstatt für behinderte Menschen. Daher wäre es dem Grundsicherungsträger bei begründeten Zweifeln an der Stellungnahme weiterhin möglich, von ihr abzuweichen. Gehöre die Klägerin nach alledem (noch) nicht zum Kreis der Leistungsberechtigten nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, so sei sie grundsätzlich dem Kreis der Leistungsberechtigten nach dem Dritten Kapitel des SGB XII zuzuordnen. Einen Sozialhilfeanspruch nach dem §§ 27 ff SGB XII stehe jedoch der Ausschlusstatbestand des § 21 Satz 1 SGB XII entgegen. Danach würden Personen, die nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) entweder als Erwerbsfähige oder als Angehörige von Erwerbsfähigen dem Grunde nach leistungsberechtigt seien, keine Leistungen für den Lebensunterhalt unterhalten. Da die Klägerin mit ihren Eltern zusammen lebe, bilde sie mit ihnen eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 SGB II und sei deshalb als nicht erwerbsfähige Angehörige grundsätzlich leistungsberechtigt nach dem SGB II (Hinweis auf § 7 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 4 i. V. m. § 28 SGB II). Einem Leistungsanspruch nach dem SGB II stehe jedoch das Einkommen des Stiefvaters der Klägerin entgegen (§ 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II). Eine dem § 43 Abs. 3 Satz 3 (gemeint wohl Abs. 5 der seit 1. Januar 2016 bzw. 1. Juli 2017 geltenden Fassung) SGB XII vergleichbare Vorschrift existiere im Leistungssystem nach dem SGB II nicht. Von einer Beiladung des Jobcenters der Landeshauptstadt S. habe daher abgesehen werden können. Erst recht nachdem der ablehnende Bescheid des Jobcenters - nach Auskunft des Stiefvaters der Klägerin - mittlerweile bestandskräftig geworden sei.
Die Klägerin hat gegen den ihren Eltern als den damaligen Bevollmächtigten am 1. April 2017 mit Postzustellungsurkunde zugestellten Gerichtsbescheid am 27. April 2017 durch ihren Bevollmächtigten Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung macht der Klägerbevollmächtigte geltend, die Klägerin sei derzeit voll erwerbsgemindert, und zwar unabhängig von der Arbeitsmarktlage. Sie befinde sich in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen. Das SG habe in seiner Entscheidung sich nicht mit einem neuen Urteil des LSG Schleswig-Holstein (L 9 SO 41/12) beschäftigt, das zu dem Ergebnis komme, dass ein Anspruch auch dann bestehe, wenn sich ein behinderter Mensch im Eingangsbereich einer WfbM-Maßnahme befinde. Es bestehe nämlich im Eingangsbereich nur die abstrakte Möglichkeit eines Überganges in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Tatsächlich bedeute schon die Aufnahme in eine WfbM, dass eine Behinderung und zwar auch dauerhaft vorliege. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den bisher vorgelegten Unterlagen. Daher wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, ein Gutachten einzuholen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts S. sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin am dem 1. Juli 2016 Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend und führt im Weiteren aus, dass der von Klägerseite zitierten Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen LSG zu entnehmen sei, dass dort eine entsprechende Stellungnahme des Fachausschusses der Werkstatt über die Aufnahme als dauerhaft voll erwerbsgemindert vorgelegen habe, hier jedoch gerade eine solche Stellungnahme bislang nicht vorliege.
Die Klägerin hat des Weiteren noch über ihren Bevollmächtigten eine ärztliche Beurteilung der gesundheitlichen Situation/Behinderung des Gesundheitsamtes S. vom 12. Mai 2016 vorgelegt.
Diesbezüglich hat die Beklagte entgegnet, dass sich diese Stellungnahme lediglich auf den Antrag für ambulant betreutes Wohnen (als Maßnahme der Eingliederungshilfe) beziehe und danach das Vorliegen einer wesentlichen Behinderung im Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII Voraussetzung für die Bewilligung von Leistungen nach dem Sechsten Kapitel SGB XII sei. Davon unabhängig sei die Feststellung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung als Voraussetzung für die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII. Bei Personen im Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen, oder einer vergleichbaren Einrichtung, könne die Dauerhaftigkeit einer vollen Erwerbsminderung erst nach Beendigung des Berufsbildungsbereiches festgestellt werden. Daher erfolge für diesen Personenkreis auch kein Ersuchen an den Rentenversicherungsträger.
Die Neckartalwerkstätten (WfbM) haben mit Schreiben vom 9. Oktober 2017 auf Anfrage des Senates mitgeteilt, dass die Klägerin sich im ersten Förderjahr Berufsbildungsbereich der Neckartalwerkstätten befinde und ab dem 12. Dezember 2017 in das zweite Förderjahr kommen werde. Erst im Dezember 2018 stehe voraussichtlich der Wechsel in den Arbeitsbereich der Werkstatt an. Beigefügt war eine Empfehlung des Fachausschusses, vom 8. Dezember 2016, hinsichtlich der Aufnahme der Klägerin in den Berufsbildungsbereich erstes Förderjahr.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig.
II.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Grundsicherung nach den §§ 41 ff. SGB XII für die hier streitige Zeit ab Juli 2016 verneint.
Zutreffend hat das SG im Ergebnis auf der Grundlage der hier maßgeblichen gesetzlichen Normen (§§ 41 ff., 45 SGB XII, §§ 2, 3 WVO) einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Grundsicherung während der Zeit der Teilnahme im Berufsbildungsbereich der Neckartalwerkstätten verneint, da auch nach Auffassung des Senates im Falle der Klägerin die derzeitigen Verhältnisse es (noch) nicht als wahrscheinlich erscheinen lassen, dass die volle Erwerbsminderung von Dauer ist. Der Senat nimmt insoweit auch auf die Entscheidungsgründe im Gerichtsbescheid des SG gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug und sieht insoweit von weiteren Ausführungen ab.
Ergänzend ist noch auszuführen: Da zwar die Phase der Berufsbildung einschließlich des Eingangsverfahrens gerade dazu dient, dem behinderten Menschen den Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen, kann hier – auch nach Auffassung des Senates - jedenfalls nicht (zwingend) von einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung im Sinne von § 41 Abs. 3 SGB XII ausgegangen werden, sodass Beschäftigte im Eingangs-/Berufsbildungsbereich einer Werkstatt daher in der Regel keine Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII beanspruchen können (siehe H. Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Scheider SGB XII 19. Aufl. 2015 § 45 Rdnr. 9). Aber umgekehrt kann auch nicht zwingend aus der Teilnahme des behinderten Menschen im Berufsbildungsbereich darauf geschlossen werden, dass damit der behinderte Mensch – hier die Klägerin – keinesfalls dauerhaft erwerbsgemindert sein kann. Aus Sicht des Senates sind durchaus Konstellationen denkbar, in denen von vornherein feststeht, dass der betroffene behinderte Mensch dauerhaft nicht in der Lage sein wird auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können und die Zuweisung in den Berufsbildungsbereich allein dazu dient den Betreffenden zumindest werkstattfähig zu machen (so etwa in dem vom Landessozialgericht Schleswig Holstein entschiedenen Fall mit Urteil vom 18. März 2015 – L 9 SO 41/12 – in juris). Auf der anderen Seite sind aber auch für den Senat auf der Grundlage der vorliegenden ärztlichen Unterlagen keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, wonach es bei der Klägerin bereits zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung noch behoben werden kann und damit schon jetzt von einer dauerhaften Erwerbsminderung auszugehen ist. Daher bestand auch aus Sicht des Senates für die Beklagte keine Veranlassung den Träger der Rentenversicherung zu ersuchen, die medizinischen Voraussetzungen nach § 41 Abs. 3 SGB XII (dauerhafte volle Erwerbsminderung) zu prüfen.
Damit aber hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht und wie auch vom SG zutreffend festgestellt einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Grundsicherung während ihrer Teilnahme im Berufsbildungsbereich der Neckartalwerkstätten verneint.
Aus diesen Gründen ist die Berufung zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) ab Juli 2016 im Streit.
Die am 26. März 1997 geborene Klägerin wohnt bei ihren Eltern und leidet an einer Intelligenzminderung mit autistischen Zügen, einer Autoimunthyreoiditis (Euthyreose) sowie einer Ganzkörper-Neurodermitis. Sie befindet sich seit dem 12. September 2016 im Eingangsverfahren/Berufsbildungsbereich der Neckartalwerkstätten in S. und erhält laut Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 12. Juni 2016 hierfür Ausbildungsgeld in Höhe von monatlich 67,- EUR (seit dem 12. September 2017 80,- EUR - s. Bl. 7/2 Verwaltungsakte - VA -). Daneben ist bei der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 und sind ferner die Merkzeichen G und B festgestellt (Bescheid des Versorgungsamtes S. vom 1. Juli 2016).
Am 28. Juli 2016 stellte die Klägerin in Begleitung ihrer Eltern einen Antrag nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Dieser Antrag wurde am 28. Juli 2016 an das Jobcenter der Landeshauptstadt S. weitergeleitet. Dort wurde nach Auskunft des Stiefvaters der Klägerin der Antrag abgelehnt, da sein monatliches Einkommen in Höhe von ca. 3000,- EUR der Klägerin im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft zuzurechnen und daher Hilfebedürftigkeit zu verneinen sei.
Mit Bescheid vom 18. August 2016 (Bl. 6 VA) und Widerspruchsbescheid vom 2. November 2016 (Bl. 8/1 VA) lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII ab. Zur Begründung führte sie aus, es bestehe (noch) keine dauerhafte Erwerbsminderung, da die Klägerin zunächst in den Eingangsbereich der Neckartalwerkstätten aufgenommen worden sei und Ausbildungsgeld von der Bundesagentur für Arbeit erhalte. Ziel der Maßnahme sei es unter anderem wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistungen zu ermöglichen. Somit zähle sie (noch) nicht zu den Leistungsberechtigten für Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Die dauerhafte volle Erwerbsminderung könne erst im Anschluss an diese Maßnahme und durch ein Gutachten der Deutschen Rentenversicherung festgestellt werden. Personen, die sich im Eingangsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) befinden würden und die einer Bedarfsgemeinschaft mit mindestens einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten angehörten, hätten dem Grunde nach Anspruch auf Sozialgeld nach dem SGB II.
Hiergegen hat die Klägerin am 1. Dezember 2016 Klage zum Sozialgericht (SG) S. erhoben. Zur Begründung hat die Klägerin geltend gemacht, die Beklagte habe die Verpflichtung gehabt, gemäß § 45 SGB XII ein Gutachten des Rentenversicherungsträgers einzuholen. Hiervon hätte nur abgesehen werden dürfen, wenn bereits z. B. eine Stellungnahme des Fachausschusses der WfbM vorgelegen hätte. Die Aufnahme in eine WfbM sei aber insofern ein eindeutiges Zeichen für das Vorliegen einer Behinderung. Ob diese dauerhaft sei, bestimme sich dem gegenüber nach medizinischen Kriterien. Die lediglich abstrakte Möglichkeit im Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer WfbM einen Übergang zum allgemeinen Arbeitsmarkt zu erreichen, könne nicht die gesetzliche Wertung korrigieren (Hinweis auf Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht vom 18. März 2015 - L 9 SO 41/12 - in juris).
Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat an ihrer Auffassung festgehalten.
Mit Gerichtsbescheid vom 28. März 2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat hierbei die Auffassung vertreten, dass die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthafte Klage unbegründet sei, da die Klägerin für den Zeitraum ab dem 1. Juli 2016 keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII habe, da sie nicht zum Personenkreis der Leistungsberechtigten nach § 41 SGB XII gehöre. Danach sei leistungsberechtigt wegen einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung nach § 41 Abs. 1 SGB XII, wer das 18. Lebensjahr vollendet habe, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) sei und bei dem unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne (§ 41 Abs. 3 SGB XII). Die Klägerin habe zwar das 18. Lebensjahr vollendet und gelte unabhängig von der Arbeitsmarktlage als voll erwerbsgemindert. Jedoch sei es seit Juli 2016 auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch) nicht unwahrscheinlich, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Das Merkmal, das eine Behebung der vollen Erwerbsminderung unwahrscheinlich sein müsse ("dauerhafte" Erwerbsminderung) entspreche den Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI für eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die volle Erwerbsminderung sei in diesem Sinne dauerhaft, ihre Behebung also unwahrscheinlich, wenn unter Ausschöpfung aller Rehabilitationsmöglichkeiten keine Möglichkeit bestehe, die Erwerbsminderung zu beheben. Hiervon könne, solange sich die Klägerin noch im Berufsbildungsbereich der Neckartalwerkstätten befinde, nicht ausgegangen werden. Und gerade weil sich die Klägerin im Berufsbildungsbereich befinde, sei auch ein Ersuchen des Beklagten als Träger der Sozialhilfe an den zuständigen Träger der Rentenversicherung, die medizinischen Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB VI (gemeint wohl XII) zu prüfen, nicht erforderlich. § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB XII verlange ein solches Ersuchen nur, wenn es auf Grund der Angaben und Nachweise des Leistungsberechtigten als wahrscheinlich erscheine, dass diese erfüllt seien. Eine Prüfung der vollen Erwerbsminderung sei nicht notwendig, weil diese auf Grund gesetzlicher Fiktion feststehe und unstreitig sei. Nach § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI seien auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein könnten, voll erwerbsgemindert. Dies treffe auf die Klägerin zu. Sie arbeite in einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen und sei auf Grund dessen versicherungspflichtig gemäß § 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI. Eine Prüfung der Dauerhaftigkeit der vollen Erwerbsminderung sei entbehrlich, weil die derzeitigen Verhältnisse der Klägerin es (noch) nicht als wahrscheinlich erscheinen lassen würden, dass die volle Erwerbsminderung von Dauer sei. Die Teilnahme an den Maßnahmen im Berufsbildungsbereich solle die Klägerin gerade in die Lage versetzen, anschließend ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen. Die Förderung im Berufsbildungsbereich solle Fertigkeiten vermitteln, solche Arbeitsleistungen gegebenenfalls auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erbringen. Dies folge aus § 4 Werkstättenverordnung (WVO). Ob dieses Ziel erreicht werde, könne erst nach dem Ende der Maßnahmen beurteilt werden (vgl. § 4 Abs. 6 WVO). Solange also ein behinderter Mensch - wie die Klägerin - an Maßnahmen im Berufsbildungsbereich teilnehme, stehe die volle Erwerbsminderung, das bedeute die Unfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Beschäftigung von wirtschaftlichem Wert nachzugehen, (noch) nicht als dauerhaft fest (mit Hinweis auf Bundesministerium für Arbeit und Soziales - BMAS - , Schreiben vom 21. Oktober 2008, Aktenzeichen V a 2 - 58162 - 2; Richtlinien der Bundesagentur für Arbeit zu § 8 SGB II, Ziffer 1.2 Abs. 3). Eine Überprüfung dieser Einschätzung sei erst mit Beendigung der Maßnahme - voraussichtlich im Dezember 2018 - vorzunehmen. Hieraus sowie auf Grund der Tatsache, dass selbst die von der Klägerin ins Feld geführte gutachterliche Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit lediglich eine voraussichtlich über sechs Monate, nicht aber auf Dauer aufgehobene Leistungsfähigkeit bescheinige, lasse sich indes der Nachweis oder wenigstens die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer vollen Erwerbsminderung der Klägerin, insbesondere aber die Dauerhaftigkeit einer eventuell bestehenden vollen Erwerbsminderung, nicht begründen. Die Beklagte sei deshalb nicht verpflichtet, ein Feststellungsersuchen nach § 109 a Abs. 1 SGB VI an die zuständige Rentenversicherungsträger zu stellen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Die Dauerhaftigkeit der vollen Erwerbsminderung könne auch nicht aus § 45 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB XII hergeleitet werden. Nach dieser Vorschrift finde ein Ersuchen des Sozialhilfeträgers an den Träger der Rentenversicherung, die medizinischen Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII zu prüfen, nicht statt, wenn der Fachausschuss einer Werkstatt für behinderte Menschen über die Aufnahme in eine Werkstatt oder Einrichtung eine Stellungnahme abgegeben habe (§§ 2 und 3 WVO) und der Leistungsberechtigte kraft Gesetzes nach § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI als voll erwerbsgemindert gelte. Die Klägerin gelte zwar kraft Gesetzes als voll erwerbsgemindert, weil sie nach § 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI rentenversicherungspflichtig sei. Es fehle jedoch an einer Stellungnahme des zuständigen Fachausschusses im Sinne von §§ 2 bzw. 3 WVO betreffend die Dauerhaftigkeit der Erwerbsminderung. Bei diesen Stellungnahmen handele es sich um qualifizierte Stellungnahmen. Vor der Aufnahme des behinderten Menschen in die Werkstatt gebe der Fachausschuss gegenüber dem zuständigen Reha-Träger eine Stellungnahme ab, ob der behinderte Mensch für seine Teilhabe am Arbeitsleben und zu seiner Eingliederung in das Arbeitsleben Leistungen einer Werkstatt für behinderte Menschen benötige oder ob andere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Betracht kämen (§ 2 Abs. 2 WVO). Zum Abschluss des Eingangsverfahrens gebe der Fachausschuss auf Vorschlag des Trägers der Werkstatt und nach Anhörung des behinderten Menschen, gegebenenfalls auch seines gesetzlichen Vertreters, unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Persönlichkeit des behinderten Menschen und seines Verhaltens während des Eingangsverfahrens, eine Stellungnahme gegenüber dem zuständigen Rehabilitationsträger dahingehend ab, ob die Werkstatt die geeignete Einrichtung zur Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben und zur Eingliederung in das Arbeitsleben sei sowie welche Bereiche der Werkstatt und welche Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und ergänzende Leistungen oder Leistungen zur Eingliederung in das Arbeitsleben in Betracht kämen (§ 3 Abs. 3 WVO). Der zuständige Fachausschuss habe im Falle der Klägerin weder eine qualifizierte Stellungnahme nach § 2 WVO (vor der Aufnahme) noch eine solche nach § 3 WVO (nach Beendigung des Eingangsverfahrens) abgegeben. Selbst wenn aber der zuständige Fachausschuss eine solche qualifizierte Stellungnahme abgegeben hätte und somit die Voraussetzungen nach § 45 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB XII erfüllt wären, würde allein dadurch nicht fingiert, dass die Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII - dauerhafte volle Erwerbsminderung - erfüllt seien. Eine derartige Fiktion sei der genannten Vorschrift nicht zu entnehmen. Wenn nämlich der Fachausschuss eine Stellungnahme dahingehend abgebe, dass der behinderte Mensch zunächst im Berufsbildungsbereich aufgenommen werden solle, bringe er damit offensichtlich zum Ausdruck, dass für den behinderten Menschen noch Leistungen erforderlich seien, aber auch möglich seien, um seine Erwerbsfähigkeit soweit zu entwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen, dass er nach Teilnahme an der Maßnahme in der Lage sei, ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung gegebenenfalls auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erbringen (Hinweis auf LSG Niedersachsen - Bremen, Beschluss vom 9. November 2007 - L 13 SO 31/07 ER - ). § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII besage nur, dass es keines Ersuchens an den Rentenversicherungsträger bedürfe. Weder § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII noch andere Vorschriften enthielten eine dem § 45 Satz 2 SGB XII entsprechende Bindung des Grundsicherungsträgers an die Stellungnahme des Fachausschusses der Werkstatt für behinderte Menschen. Daher wäre es dem Grundsicherungsträger bei begründeten Zweifeln an der Stellungnahme weiterhin möglich, von ihr abzuweichen. Gehöre die Klägerin nach alledem (noch) nicht zum Kreis der Leistungsberechtigten nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, so sei sie grundsätzlich dem Kreis der Leistungsberechtigten nach dem Dritten Kapitel des SGB XII zuzuordnen. Einen Sozialhilfeanspruch nach dem §§ 27 ff SGB XII stehe jedoch der Ausschlusstatbestand des § 21 Satz 1 SGB XII entgegen. Danach würden Personen, die nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) entweder als Erwerbsfähige oder als Angehörige von Erwerbsfähigen dem Grunde nach leistungsberechtigt seien, keine Leistungen für den Lebensunterhalt unterhalten. Da die Klägerin mit ihren Eltern zusammen lebe, bilde sie mit ihnen eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 SGB II und sei deshalb als nicht erwerbsfähige Angehörige grundsätzlich leistungsberechtigt nach dem SGB II (Hinweis auf § 7 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 4 i. V. m. § 28 SGB II). Einem Leistungsanspruch nach dem SGB II stehe jedoch das Einkommen des Stiefvaters der Klägerin entgegen (§ 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II). Eine dem § 43 Abs. 3 Satz 3 (gemeint wohl Abs. 5 der seit 1. Januar 2016 bzw. 1. Juli 2017 geltenden Fassung) SGB XII vergleichbare Vorschrift existiere im Leistungssystem nach dem SGB II nicht. Von einer Beiladung des Jobcenters der Landeshauptstadt S. habe daher abgesehen werden können. Erst recht nachdem der ablehnende Bescheid des Jobcenters - nach Auskunft des Stiefvaters der Klägerin - mittlerweile bestandskräftig geworden sei.
Die Klägerin hat gegen den ihren Eltern als den damaligen Bevollmächtigten am 1. April 2017 mit Postzustellungsurkunde zugestellten Gerichtsbescheid am 27. April 2017 durch ihren Bevollmächtigten Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung macht der Klägerbevollmächtigte geltend, die Klägerin sei derzeit voll erwerbsgemindert, und zwar unabhängig von der Arbeitsmarktlage. Sie befinde sich in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen. Das SG habe in seiner Entscheidung sich nicht mit einem neuen Urteil des LSG Schleswig-Holstein (L 9 SO 41/12) beschäftigt, das zu dem Ergebnis komme, dass ein Anspruch auch dann bestehe, wenn sich ein behinderter Mensch im Eingangsbereich einer WfbM-Maßnahme befinde. Es bestehe nämlich im Eingangsbereich nur die abstrakte Möglichkeit eines Überganges in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Tatsächlich bedeute schon die Aufnahme in eine WfbM, dass eine Behinderung und zwar auch dauerhaft vorliege. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den bisher vorgelegten Unterlagen. Daher wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, ein Gutachten einzuholen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts S. sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin am dem 1. Juli 2016 Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend und führt im Weiteren aus, dass der von Klägerseite zitierten Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen LSG zu entnehmen sei, dass dort eine entsprechende Stellungnahme des Fachausschusses der Werkstatt über die Aufnahme als dauerhaft voll erwerbsgemindert vorgelegen habe, hier jedoch gerade eine solche Stellungnahme bislang nicht vorliege.
Die Klägerin hat des Weiteren noch über ihren Bevollmächtigten eine ärztliche Beurteilung der gesundheitlichen Situation/Behinderung des Gesundheitsamtes S. vom 12. Mai 2016 vorgelegt.
Diesbezüglich hat die Beklagte entgegnet, dass sich diese Stellungnahme lediglich auf den Antrag für ambulant betreutes Wohnen (als Maßnahme der Eingliederungshilfe) beziehe und danach das Vorliegen einer wesentlichen Behinderung im Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII Voraussetzung für die Bewilligung von Leistungen nach dem Sechsten Kapitel SGB XII sei. Davon unabhängig sei die Feststellung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung als Voraussetzung für die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII. Bei Personen im Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen, oder einer vergleichbaren Einrichtung, könne die Dauerhaftigkeit einer vollen Erwerbsminderung erst nach Beendigung des Berufsbildungsbereiches festgestellt werden. Daher erfolge für diesen Personenkreis auch kein Ersuchen an den Rentenversicherungsträger.
Die Neckartalwerkstätten (WfbM) haben mit Schreiben vom 9. Oktober 2017 auf Anfrage des Senates mitgeteilt, dass die Klägerin sich im ersten Förderjahr Berufsbildungsbereich der Neckartalwerkstätten befinde und ab dem 12. Dezember 2017 in das zweite Förderjahr kommen werde. Erst im Dezember 2018 stehe voraussichtlich der Wechsel in den Arbeitsbereich der Werkstatt an. Beigefügt war eine Empfehlung des Fachausschusses, vom 8. Dezember 2016, hinsichtlich der Aufnahme der Klägerin in den Berufsbildungsbereich erstes Förderjahr.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig.
II.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Grundsicherung nach den §§ 41 ff. SGB XII für die hier streitige Zeit ab Juli 2016 verneint.
Zutreffend hat das SG im Ergebnis auf der Grundlage der hier maßgeblichen gesetzlichen Normen (§§ 41 ff., 45 SGB XII, §§ 2, 3 WVO) einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Grundsicherung während der Zeit der Teilnahme im Berufsbildungsbereich der Neckartalwerkstätten verneint, da auch nach Auffassung des Senates im Falle der Klägerin die derzeitigen Verhältnisse es (noch) nicht als wahrscheinlich erscheinen lassen, dass die volle Erwerbsminderung von Dauer ist. Der Senat nimmt insoweit auch auf die Entscheidungsgründe im Gerichtsbescheid des SG gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug und sieht insoweit von weiteren Ausführungen ab.
Ergänzend ist noch auszuführen: Da zwar die Phase der Berufsbildung einschließlich des Eingangsverfahrens gerade dazu dient, dem behinderten Menschen den Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen, kann hier – auch nach Auffassung des Senates - jedenfalls nicht (zwingend) von einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung im Sinne von § 41 Abs. 3 SGB XII ausgegangen werden, sodass Beschäftigte im Eingangs-/Berufsbildungsbereich einer Werkstatt daher in der Regel keine Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII beanspruchen können (siehe H. Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Scheider SGB XII 19. Aufl. 2015 § 45 Rdnr. 9). Aber umgekehrt kann auch nicht zwingend aus der Teilnahme des behinderten Menschen im Berufsbildungsbereich darauf geschlossen werden, dass damit der behinderte Mensch – hier die Klägerin – keinesfalls dauerhaft erwerbsgemindert sein kann. Aus Sicht des Senates sind durchaus Konstellationen denkbar, in denen von vornherein feststeht, dass der betroffene behinderte Mensch dauerhaft nicht in der Lage sein wird auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können und die Zuweisung in den Berufsbildungsbereich allein dazu dient den Betreffenden zumindest werkstattfähig zu machen (so etwa in dem vom Landessozialgericht Schleswig Holstein entschiedenen Fall mit Urteil vom 18. März 2015 – L 9 SO 41/12 – in juris). Auf der anderen Seite sind aber auch für den Senat auf der Grundlage der vorliegenden ärztlichen Unterlagen keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, wonach es bei der Klägerin bereits zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung noch behoben werden kann und damit schon jetzt von einer dauerhaften Erwerbsminderung auszugehen ist. Daher bestand auch aus Sicht des Senates für die Beklagte keine Veranlassung den Träger der Rentenversicherung zu ersuchen, die medizinischen Voraussetzungen nach § 41 Abs. 3 SGB XII (dauerhafte volle Erwerbsminderung) zu prüfen.
Damit aber hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht und wie auch vom SG zutreffend festgestellt einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Grundsicherung während ihrer Teilnahme im Berufsbildungsbereich der Neckartalwerkstätten verneint.
Aus diesen Gründen ist die Berufung zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved