L 8 AL 2653/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AL 2653/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Befangenheitsantrag des Klägers vom 13.10.2017, wiederholt unter dem 16.10.2017, gegen die Richter K. , L. und B. wird zurückgewiesen.

2. Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren L 8 AL 2155/13 durch den Abschluss des gerichtlichen Vergleichs vom 04.07.2014 beendet ist. Im Übrigen wird das Rechtsschutzbegehren des Klägers als unzulässig verworfen.

3. Außergerichtliche Kosten des vorliegenden Verfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Rechtsstreit durch Abschluss eines im Berufungsverfahren L 8 AL 2155/13 geschlossenen Vergleichs erledigt ist. In der Sache begehrt der Kläger den Erlass von der Beklagten zurückgeforderten Arbeitslosengeldes in Höhe des noch offenen Rückforderungsbetrages.

Der Kläger meldete sich bei der Beklagten mit Wirkung zum 02.01.2008 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld I (Alg). Dabei verneinte er - nach Belehrung - die Frage, ob er eine Nebenbeschäftigung als Arbeitnehmer ausübt. Er versicherte mit seiner Unterschrift die Richtigkeit seiner Angaben. Tatsächlich stand der Kläger bei der Firma S. S. vom 06.04.2006 bis 31.12.2010 in Teilzeit (29 Stunden pro Woche) als Chauffeur in einem Arbeitsverhältnis (Arbeitgeberbescheinigung vom 07.01.2011). Mit bestandskräftigem Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 23.03.2011 nahm die Beklagte - nach Anhörung des Klägers - die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 01.01.2008 bis 27.08.2008 zurück und verlangte die Erstattung überzahlten Alg (6.207,03 EUR) sowie der Beiträge zur Kranken- (1.944,92 EUR) und Pflegeversicherung (222,29 EUR), insgesamt 8.374,24 EUR, da der Kläger wöchentlich 15 Stunden oder mehr tätig und damit nicht arbeitslos gewesen sei.

Auf Mahnung der Inkassostelle der Beklagten (Regionaldirektion H. ) beantragte der Kläger (sinngemäß) den Erstattungsbetrag zu erlassen. Zur Begründung machte er die Gesamtumstände sowie seinen Gesundheitszustand geltend.

Mit Bescheid vom 29.08.2011 lehnte die Regionaldirektion H. den Antrag des Klägers auf Erlass der Forderung - unter Hinweis auf die Möglichkeit einer Ratenzahlung - ab (Restforderung 7.618,44 EUR). Die weitere Einziehung der Forderung sei nicht unbillig. Ein Erlass der Forderung komme nicht in Betracht.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 13.09.2011 Widerspruch ein. Er machte zur Begründung geltend, trotz Kenntnis seiner existenziellen Lage würden in unbilliger Weise größere Geldbeträge eingefordert.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2011 wies die Regionaldirektion H. den Widerspruch des Klägers zurück.

Mit Schreiben vom 29.01.2013 und 23.06.2014 teilte das Hauptzollamt L. - Vollstreckungsstelle - der Regionaldirektion H. mit, dass Vollstreckungsmaßnahmen aussichtslos seien, bzw. dass keine Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers vorliege.

Gegen den Bescheid vom 29.08.2011 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG). Mit Urteil vom 14.03.2013 wies das SG die Klage ab. Eine persönliche Unbilligkeit als Voraussetzung eines Erlasses läge nicht vor. Die wirtschaftliche Existenz des Klägers werde durch Pfändungsschutzvorschriften gesichert. Ein vom Kläger geltend gemachter Schaden durch die Beitreibungsmaßnahme der Beklagten könne nicht für die Beurteilung einer persönlichen Unbilligkeit herangezogen werden. Das vom Kläger Begehrte entspreche in etwa einem Folgenbeseitigungsanspruch. Dieser sei gegebenenfalls im Rahmen eines Amtshaftungsanpruches geltend zu machen.

Hiergegen legte der Kläger durch seinen vormaligen Prozessbevollmächtigten Berufung ein (L 8 AL 2155/13). Die Beklagte trat der Berufung entgegen. Durch den Berichterstatter unterbreitete der Senat den Beteiligten zur gütlichen Beilegung des Rechtsstreites gemäß §§ 202 SGG, 278 Abs. 6 ZPO einen Vergleichsvorschlag dahin, dass der Beklagte den vom Kläger zu erstattenden überzahlten Betrag sowie Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zeitlich befristet niederschlägt (Senatsschreiben vom 27.02.2014). Weiter wurde dem Kläger im Hinblick auf den vorgeschlagenen Vergleich mit Beschluss vom 27.02.2014 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt. Dem Vergleichsvorschlag vom 27.02.2014 trat die Beklagte (Agentur für Arbeit F. ) entgegen (Schriftsatz vom 20.03.2014), da das Institut der Niederschlagung kein selbstständig zu prüfender Anspruch, sondern ein innerdienstlich zu prüfendes Verwaltungsinternum sei.

In der nichtöffentlichen Sitzung am 04.07.2014 schlossen die Beteiligten - nach Erörterung der Sach- und Rechtslage - einen Vergleich dahin, dass der vom Kläger aufgrund des Rücknahme- und Erstattungsbescheids vom 23.03.2011 der Beklagten noch zu erstattende überzahlte Betrag sowie Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (offene Gesamtforderung) von der Beklagten zeitlich befristet niedergeschlagen wird und die Beklagte nach Ablauf der zeitlichen Befristung prüfen wird, ob die Forderung unbefristet niedergeschlagen wird. Hierzu wird auf die den Beteiligten mit Empfangsbekenntnis zugestellte Niederschrift vom 04.07.2014 Bezug genommen.

Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 04.03.2015 machte der Kläger gegenüber der Beklagten wegen erheblicher Schäden aufgrund der Rückforderung und der Vollstreckung, wodurch seine wirtschaftliche Existenz vernichtet worden sei, einen "Folgenbeseitigungsanspruch" geltend. Die Beklagte wies den geltend gemachten "Folgenbeseitigungsanspruch" zurück, da keinerlei Anhaltspunkte für einen Schadensersatzanspruch erkennbar seien (Schreiben an den Kläger vom 08.04.2015).

Mit Schreiben vom 04.10.2016 beantragte der Kläger (persönlich) sowie mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 07.10.2016 bei der Beklagten die zeitlich unbefristete Niederschlagung der bestehenden Forderung gemäß dem Vergleich vom 04.07.2014 bzw. den endgültigen Verzicht. Die Beklagte trat in ein Prüfverfahren ein und teilte dem Kläger mit, dass bis zu einer Entscheidung über den Antrag von Einziehungsmaßnahmen abgesehen werde (Schreiben vom 08.12.2016). Eine Entscheidung über den Antrag des Klägers auf eine zeitlich unbefristete Niederschlagung/Verzicht ist nach Aktenlage bislang nicht ergangen.

Am 04.07.2017 hat der Kläger (persönlich) den im Verfahren L 8 AL 2155/13 am 04.07.2014 geschlossenen Vergleich widerrufen. Er machte zur Begründung geltend, von der Beklagten sei eine streitige Nachforderung gegen ihn gestellt worden, mit der Folge, dass er einen völlig unverhältnismäßig hohen Folgeschaden erlitten habe. Es habe sich herausgestellt, dass er durch den am 04.07.2014 geschlossenen Vergleich arglistig getäuscht und betrogen worden sei. Am 04.07.2014 habe der Berichterstatter unter Androhung von Streichung der Prozesskostenhilfe und weiterer zu erwartender Maßnahmen sowie unzutreffender Unterstellungen auf die Annahme des Vergleiches bestanden. Weiter sei in Aussicht gestellt worden, dass er auch nach Annahme des Vergleiches über eine "Folgeschadenanspruchsklage" seine Forderungen geltend machen könne. Als ihm sein damaliger Prozessbevollmächtigte zugesichert habe, seine Forderungen gegen die Agentur für Arbeit auch nachträglich noch geltend zu machen, habe er dem Vergleich zugestimmt. Nachdem sein Prozessbevollmächtigter die ihm zugesicherten Forderungen an die Agentur gestellt habe, habe diese völlig unverständlich reagiert. Sein neuer Bevollmächtigte habe ihm Ende 2016 zu verstehen gegeben, dass für seine solche Klage nach dem Vergleich gar keine Rechtsgrundlage mehr gegeben sei. Weil sein vormaliger Prozessbevollmächtigter also gewusst habe, dass die besagte "Folgeschadenanspruchsklage" gegen die Agentur nach dem Vergleich gar nicht mehr zum Erfolg führen könne, sehe er sich durch den Berichterstatter getäuscht und genötigt und durch seinen damaligen Prozessbevollmächtigten zu seinem großen finanziellen und gesundheitlichen Nachteil und Schaden arglistig getäuscht und betrogen. Weiter sei am 04.07.2014 bei der Verhandlung klar gesagt worden, dass nach zwei Jahren ein Antrag auf unbefristete Niederschlagung gestellt werden könne. An seinen finanziellen Verhältnissen habe sich seither nichts geändert. Er bzw. sein neuer Bevollmächtigte hätten am 04.10.2016 bzw. 07.10.2016 einen solchen Antrag gestellt. Seither sei noch kein Bescheid von der Agentur erfolgt. Der Kläger hat zum Beleg und zur Verdeutlichung seines Vorbringens weiteren Schreiben vorgelegt.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung am 20.10.2017 erklärt, er habe einen Vergleich bekommen, der kein Vergleich war. Er will die Forderungen aus der Anlage 1. Nach Hinweis des Vorsitzenden hat der Kläger weiter erklärt, er möchte keinen Antrag stellen, weil es nichts bringt. Der Kläger hat sich auf seine schriftlichen Ausführungen berufen.

Die Beklagte beantragt, festzustellen, dass das Berufungsverfahren erledigt ist, hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat um Prüfung gebeten, ob der Vergleich möglicherweise deswegen nicht zustande gekommen sei, weil im Protokoll - soweit ersichtlich - kein Genehmigungsvermerk aufgenommen worden sei.

Einen Prozesskostenhilfeantrag des Klägers vom 18.09.2017 hat der Senat mit Beschluss vom 02.10.2017 mangels Erfolgsaussichten abgelehnt.

Mit Schreiben vom 13.10.2017, wiederholt unter dem 16.10.2017, hat der Kläger die am Prozesskostenhilfebeschluss mitwirkenden Richter K. , B. und L. wegen Befangenheit abgelehnt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten - insbesondere des Klägers - wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Senatsakte L 8 AL 2155/13 und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Der Senat konnte abweichend von § 45 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) unter Mitwirkung der abgelehnten Richter K. , L. und B. über das Befangenheitsgesuch vom 13.10.2017 und 16.10.2017 und die Berufung des Klägers entscheiden, denn der Befangenheitsantrag ist rechtsmissbräuchlich und auch aus anderen Gründen offensichtlich unzulässig (vgl. zu diesen Voraussetzungen: Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 12. Auflage, § 60 RdNr. 10d). Das rechtsmissbräuchliche Ablehnungsgesuch hinderte die abgelehnten Richter auch nicht an Verfahrenshandlungen bis zur Entscheidung über diesen Antrag. Die Einschränkung des § 47 ZPO stand nicht entgegen (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 38. Aufl., § 47 RdNr. 1b).

In der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichtshöfe und des BVerfG ist anerkannt, dass rechtsmissbräuchliche oder gänzlich untaugliche Ablehnungsgesuche ausnahmsweise im vereinfachten Ablehnungsverfahren in der Ausgangsbesetzung des Gerichts unter Beteiligung der abgelehnten Richter behandelt werden können, wenn für die Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist. Dies ist der Fall, wenn das Gericht einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts für sachfremde Zwecke verhindern will oder lediglich eine bloße Formalentscheidung über ein offensichtlich unzulässiges Gesuch trifft, die keinerlei Beurteilung des eigenen Verhaltens durch die entscheidenden Richter und kein Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erfordert (BSG, 07.09.2016 - B 10 SF 2/16 C m.w.N., juris).

Vorliegend ist das Ablehnungsgesuch gegen Richter am Landessozialgericht (RLSG) L. als wiederholender Antrag, mit dem keine neue Ablehnungsgründe geltend gemacht werden, bereits deshalb offensichtlich unzulässig, weil der Senat den vorangegangenen Befangenheitsantrag des Klägers gegen RLSG L. mit Beschluss vom 19.10.2017, verkündet in der mündlichen Verhandlung am 20.10.2017, abgelehnt hatte.

Auch ist das Ablehnungsgesuch gegen Vorsitzender RLSG K. , RLSG L. und RLSG B. rechtsmissbräuchlich und offensichtlich unzulässig. Der Kläger verfolgt mit der Ablehnung der Richter des Senats die Übertragung der Entscheidung an ein anderes Gerichts, wie seinen Ausführungen im Schreiben vom 11.10.2017 zu entnehmen ist, in dem er das "LSG" wegen Befangenheit ablehnte und um die "Möglichkeit zur Klage bei einer weiteren ggf. höheren Instanz" bittet. Das Befangenheitsgesuch dient daher erkennbar einer Verschleppungsabsicht, weil der Kläger aus der ablehnenden PKH-Entscheidung der abgelehnten Richter die geringe Erfolgsaussicht seines Begehrens in der Hauptsache hat erkennen können. Darüber hinaus ist der Befangenheitsantrag auch offensichtlich unzulässig, weil keine substanziellen Ablehnungsgründe gegen die Richter auch nur im Ansatz geltend gemacht werden.

Nach § 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 42 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit von einem Prozessbeteiligten abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus nach vernünftigen Erwägungen Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Richters haben kann (vgl. Keller a.a.O., § 60 RdNr. 7). Zur Zulässigkeit eines Befangenheitsantrages ist der geltend gemachte Ablehnungsgrund durch nachvollziehbaren Bezug zum konkreten Rechtsstreit wenigstens ansatzweise zu substantiieren (Keller, a. a. O., RdNr. 10 b). Ein Ablehnungsgesuch ist unzulässig, wenn der Ablehnungsgrund völlig ungeeignet ist oder nur Tatsachen benannt werden, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Befangenheit begründen. Ein im Rahmen gebotener richterlicher Verfahrensweise liegendes Verhalten kann einem Ablehnungsgesuch von vornherein nicht zum Erfolg verhelfen (BSG, 31.08.2015 - B 9 V 26/15 B, juris). Unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ist die Befangenheit auch dann begründet, wenn lediglich eine für den Betroffenen ungünstige Rechtsansicht beanstandet wird, ohne dass Umstände angeführt werden, die eine mögliche Fehlerhaftigkeit auf Grund unsachlicher Einstellung des Richters belegen können (Keller, a.a.O., RdNr. 10 b). Eine unzureichende Begründung liegt darüber hinaus dann vor, wenn pauschal, ohne konkrete Anhaltspunkte zu benennen, alle Mitglieder eines Spruchkörpers abgelehnt werden (BVerfG, 11.03.2013 - 1 BvR 2853/11 -, juris).

Das Befangenheitsgesuch in den Schreiben des Klägers vom 13. und 16.10.2017 bezieht sich auf die den PKH-Beschluss vom 02.10.2017 erlassenden Richter und ist augenscheinlich trotz Namensnennung allein gegen den Spruchkörper gerichtet, da eine Individualisierung einzelner Handlungen insoweit nicht erfolgt ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Kollegialentscheidung selbst eine Voreingenommenheit der Entscheider erkennen lässt, z.B. eine Willkürentscheidung, sind nicht vorgetragen (vgl. Keller a.a.O., § 60 RdNr. 10b zu den Voraussetzungen einer zulässigen Ablehnung eines Spruchkörpers unter dem Aspekt mangelnder Individualisierung aufgrund des Beratungsgeheimnisses). Die Ausführungen im PKH-Beschluss zur Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs des Klägers beruht auf der pflichtgemäßen Wahrnehmung des Richteramts der zur Entscheidung über den PKH-Antrag berufenen Richter, wie im Beschluss des Senats vom 19.10.2017 zum vorangegangenen Ablehnungsgesuch des Klägers bereits ausgeführt worden ist. Darauf wird verwiesen.

2. Auch wenn der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 20.10.2017 einen Antrag hinsichtlich des im Schriftsatz vom 30.06.2017 ausdrücklich erklärten Widerrrufs seiner im Verfahren L 8 AL 2155/13 am 04.07.2014 abgegebenen Vergleichszustimmung nicht gestellt hat, war vom Senat gleichwohl hierüber zu entscheiden, da der Kläger eine prozesserledigende Erklärung bezüglich seinen erklärten Widerrufs in der mündlichen Verhandlung nicht abgegeben und die Beklagte u.a. beantragt hat, festzustellen, dass das Berufungsverfahren erledigt ist. Bei einem Streit über die Unwirksamkeit eines Vergleichs muss der ursprüngliche Rechtsstreit fortgeführt werden. Macht ein Kläger geltend, es sei überhaupt kein Vergleich abgeschlossen worden oder erhebt er Einwände gegen die Wirksamkeit eines Vergleichs, so lebt die Rechtshängigkeit des ursprünglichen Verfahrens rückwirkend wieder auf (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG, 12. Auflage § 101 RdNr. 17). Das Gericht, vor dem der Vergleich geschlossen worden ist, entscheidet dann entweder dahin, dass die Beendigung des Rechtsstreits durch den Vergleich durch Endurteil festgestellt wird oder, wenn die Beendigung verneint wird, in der Sache selbst (BSG 28.11.2002, B 7 AL 26/02 R, juris). Letzteres trifft nicht zu, vielmehr ist das Berufungsverfahren L 8 AL 2155/13 durch den am 04.07.2014 abgeschlossenen Vergleich beendet.

Der Kläger hat im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 04.07.2014 einen Vergleich geschlossen. Der Abschluss dieses Vergleichs bewirkt die vollständige Erledigung des Rechtsstreites (§ 101 Abs. 1 SGG). Der Senat kann daher nicht in Fortsetzung des Rechtsstreits über das Sachbegehren des Klägers, die Forderung der Beklagten aus dem Bescheid vom 23.03.2011 zu erlassen, entscheiden.

Der Kläger und die durch eine Terminsvollmacht vom 03.06.2014 ordnungsgemäß vertretene Beklagte haben im Termin am 04.07.2014 den Abschluss eines Vergleichs zur Niederschrift erklärt. Der Vergleich wurde vom Berichterstatter vorgelesen und vom Prozessbevollmächtigten des Klägers, im Einvernehmen mit dem Kläger, sowie der Beklagten genehmigt (§ 162 ZPO). Der Hinweis der Beklagten, soweit ersichtlich sei im Protokoll kein Genehmigungsvermerk aufgenommen worden, trifft nicht zu. Die in der Senatsakte enthaltene Niederschrift enthält den Genehmigungsvermerk ("v. u. g."), wie auch eine vom Kläger vorgelegte, ihm übersandte Ausfertigung der Niederschrift vom 04.07.2014 zeigt. Dies gilt auch für die im Termin am 04.07.2014 gefertigte "Originalniederschrift" des Vergleichs.

Der Kläger kann den geschlossenen Vergleich nicht wirksam widerrufen. Ein Widerrufsrecht hat sich der Kläger nicht vorbehalten und war von ihm auch nicht gewollt. Die Zustimmung des Klägers zu dem Vergleich ist (sonst) grundsätzlich unwiderruflich. Ein Widerruf ist nur unter den Voraussetzungen möglich, die für die Wiederaufnahme des Verfahrens nach §§ 179, 180 SGG gelten. Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sind nicht ersichtlich und werden vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Er stützt seinen Widerruf maßgeblich darauf, arglistig getäuscht worden zu sein, weshalb er sich betrogen fühlt. Darüber hinaus kommt ein Widerruf nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der auch im Prozessrecht zu beachtende Grundsatz von Treu und Glauben das Festhalten an der Prozesshandlung verbietet (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Auflage, Vorbemerkung vor § 60 RdNr. 12a). Das ist beispielsweise in einem Fall angenommen worden, in dem die Rücknahme für den Gegner und das Gericht sogleich als Versehen offenbar war (vgl. BGH NJW 1991, 2839 m.H. auf BGH VersR 1977, 574). Ein solcher Sachverhalt ist - bezogen auf den Vergleich - hier nicht gegeben.

Der Kläger kann den am 08.03.2013 geschlossenen gerichtlichen Vergleich - über seine Widerrufserklärung hinaus - auch nicht mit Erfolg anfechten. Zwar ist eine Anfechtung des Vergleichs, wegen Inhalts- oder Erklärungsirrtum nach § 119 ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), bzw. wegen einer arglistigen Täuschung nicht ausgeschlossen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl., § 101 Rdnr.13, 13a m.w.N.; BSG, Urteil vom 24.01.1991 - 2 RU 51/90 -).

Der Anfechtungstatbestand einer arglistigen Täuschung, wie der Kläger geltend macht, liegt zur Überzeugung des Senats jedoch nicht vor. Soweit der Kläger geltend macht, der Berichterstatter habe unter Androhung einer von Streichung der Prozesskostenhilfe und weiterer zu erwartender Maßnahmen sowie unzutreffender Unterstellungen auf die Annahme des Vergleiches bestanden, trifft dies nicht zu. Ausweislich der vom Kläger nicht beanstandenden Niederschrift vom 04.07.2014 wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass sein Begehren auf Forderungserlass aussichtslos erscheint. Nachdem der Kläger nach der - nunmehr - geäußerten Bereitschaft der Beklagtenvertreterin, dem Vergleichsvorschlag vom 27.02.2014 zuzustimmen, seine Zustimmung zum Vergleichsvorschlag abgelehnt hat, wurde er, zur Wahrung der prozessualen Fürsorgepflicht, darauf hingewiesen, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufgrund des Vergleichsvorschlags vom 27.02.2014 erfolgt sei und dass (im Hinblick auf seine Weigerung) zu prüfen sein dürfte, ob die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Zukunft wegen mutwilliger Prozessführung aufgehoben wird. Des Weiteren wurde er - entsprechend der rechtlichen Vorgaben des SGG - auf die Möglichkeit einer Verhängung von Verschuldenskosten nach § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG hingewiesen. Mit der Belehrung über die in Betracht kommende Kostenfolge bei Fortsetzung des Verfahrens musste der Kläger entsprechend der gesetzlichen Intention für sich entscheiden, ob er die Berufung mit dem Ziel "Erlass der Forderung" bei drohender Missbrauchsgebühr aufrecht erhält oder er die Berufung zurücknimmt, was er als Nötigung bezeichnet, aber der Sinn der Gehörsgewährung vor Verhängung von Verschuldenskosten ist. Vorliegend war zugunsten des Klägers sogar eine weitere Option gegeben, da der Kläger kostenfrei zwar nicht einen Forderungserlass aber eine zeitweise Kostenniederschlagung durch den Vergleichsvorschlag des Berichterstatters hatte erreichen können, wodurch er sogar besser gestellt war, als wenn ihm der Hinweis auf Verschuldenskosten ohne zustimmungsfähigen Vergleich erteilt worden wäre. Eine zur Anfechtung berechtigende Nötigung des Berichterstatters lag nicht vor. Nach Unterbrechung des Termins und Beratung mit seinem Prozessbevollmächtigten außerhalb des Sitzungssaales hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten (im Einvernehmen des Klägers) dem Vergleich zugestimmt. Der Kläger beruft sich damit auf Vorgänge im Termin am 04.07.2014, die ihm bei der Entscheidung über die Zustimmung zum Vergleich bekannt waren, weshalb eine Täuschung bzw. ein Irrtum des Klägers ausscheidet. Soweit der Kläger weiter geltend macht, ihm sei vom Berichterstatter in Aussicht gestellt worden, dass er auch nach Annahme des Vergleiches über eine "Folgeschadenanspruchsklage" seine Forderungen geltend machen könne, und er habe dem Vergleich zugestimmt, als ihm sein damaliger Prozessbevollmächtigte zugesichert habe, seine Forderungen gegen die Agentur für Arbeit nachträglich noch geltend zu machen, kann der Kläger nicht mit Erfolg ein Anfechtungsrecht geltend machen. Ob dem Kläger Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zustehen, war nicht Gegenstand des Rechtsstreites, sondern lediglich, ob dem Kläger ein Anspruch auf Erlass der offenen Gesamtforderung aus dem Bescheid vom 23.03.2011 zusteht. Eine Regelung in Bezug auf vom Kläger behauptete Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte enthält der Vergleich nicht. Ein Hinweis des Berichterstatters zu Schadensersatzansprüchen gegen die Beklagte ist im Termin am 04.07.2017 allenfalls dahin erfolgt, dass dem Kläger die Geltendmachung einer Schadensersatzforderung auch bei Abschluss des Vergleichs unbenommen bleibt. Eine Aussage, er könne mit Erfolg Schadensersatzansprüche gegenüber der Beklagten geltend machen, ist dem Kläger sicher nicht gemacht worden. Dass für eine Schadensersatzklage gegen die Beklagte - nur - wegen des am 04.07.2014 geschlossenen Vergleichs keine Rechtsgrundlage mehr gegeben sei, wie der Kläger glaubt, ist nicht festzustellen. Vielmehr hat die Beklagte vom Kläger geltend gemachte Schadenersatzansprüche zurückgewiesen, weil aus ihrer Sicht keinerlei Anhaltspunkte für einen Schadensersatzanspruch zu erkennen seien, mithin deshalb, weil sie sich entgegen der Ansicht des Klägers materiell rechtlich nicht schadensersatzpflichtig sieht. Der am 04.07.2014 geschlossene Vergleich war für die Ansicht der Beklagten damit ohne jeden Belang, wie der Senat dem Schreiben der Agentur für Arbeit Freiburg vom 08.04.2015 an den Kläger entnimmt. Auch sonst enthält das Vorbringen des Klägers keine Gesichtspunkte, die ein Anfechtungsrecht begründen. Insbesondere ist die Beklagte ihrer Verpflichtung aus dem Vergleich, nach Ablauf der zeitlichen Befristung der Niederschlagung zu prüfen, ob die Forderung unbefristet niedergeschlagen wird, ausweislich der dem Senat vorgelegten Verwaltungsakte nachgekommen. Eine Verpflichtung der Beklagten zur unbefristeten Niederschlagung der Forderung besteht nach dem eindeutigen Wortlaut des geschlossenen Vergleichs nicht. Weitere Gesichtspunkte, die es auch im Hinblick auf den Grundsatz von Treu und Glauben gebieten würden, den Kläger nicht am Vergleich festzuhalten, sind nicht gegeben.

Damit ist das Berufungsverfahren L 8 AL 2155/13 durch den am 04.07.2014 geschlossenen Vergleich beendet.

Im Übrigen wäre, selbst wenn zu Gunsten des Klägers angenommen würde, dass das Berufungsverfahren des Klägers fortzuführen ist, die Berufung des Klägers unbegründet. Ein Anspruch des Klägers auf Erlass des Erstattungsbetrages aus dem Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 23.03.2011 besteht nicht, wie in der nichtöffentlichen Sitzung am 04.07.2014 durch den Berichterstatter erörtert worden ist und wie das SG im angefochtenen Urteil vom 14.03.2013 zutreffend entschieden hat. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des SG im angefochtenen Urteil Bezug, auf die verwiesen wird (§ 153 Abs. 2 SGG). Gesichtspunkte, die zu Gunsten des Klägers eine andere Entscheidung rechtfertigen, hat der Kläger im Verfahren zweiter Instanz nicht aufgezeigt.

Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 20.10.2017 die in der Anlage 1 zum Schriftsatz vom 30.06.2017 genannten Forderungen (Fahrkostenzuschüsse, Schadenersatz ("Gläubigerverprellungsfolgeschaden") sowie Schmerzensgeld) gegen die Beklagte geltend gemacht hat, ist sein Rechtsschutzbegehren unzulässig. Nachdem - wie oben ausgeführt - festzustellen war, dass das Berufungsverfahren L 8 AL 2155/13 durch den abgeschlossenen Vergleich vom 04.07.2014 beendet ist, ist kein Gerichtsverfahren anhängig, das es dem Kläger ermöglicht, die in der mündlichen Verhandlung am 20.10.2017 genannten Forderungen in die Entscheidungsbefugnis des Senats zu stellen. Außerdem war Streitgegenstand des Berufungsverfahrens L 8 AL 2155/13 nach den erst- und zweitinstanzlichen Anträgen des Kläger nur, die Beklagte zu verpflichten, die Erstattungsforderung aus dem Bescheid vom 23.03.2011 zu erlassen. Nur hierüber war vom SG im angefochten Urteil vom 14.03.2013 zu entscheiden. Eine Entscheidung zu den vom Kläger erstmals vor dem Senat am 20.10.2017 geltend gemachten Forderungen ist im angefochtenen Urteil nicht ergangen, weshalb eine Beschwer des Klägers durch das angefochtene Urteil insoweit nicht vorliegt. Sein Begehren hinsichtlich der erstmals in der mündlichen Verhandlung am 20.10.2017 geltend gemachten Forderungen ist weiter als Klage zu werten, über die zu entscheiden der Senat instanziell nicht zuständig ist. Soweit der Kläger einen Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch gegen die Beklagte geltend macht, sind für solche auf § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG gestützten Amtshaftungsansprüche in Geld nicht die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, sondern gem. Art. 34 Satz 3 GG, § 17 Abs. 2 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ausschließlich die Zivilgerichte zuständig (BSGE 47, 194, 200 = SozR 2200 § 1399 Nr. 11; BSGE 50, 25, 29 = SozR 2200 § 172 Nr. 14). Daran ändert auch die Regelung des § 202 SGG i. V. m. § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG nichts, wonach das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten entscheidet (vgl. BSG SozR 3-1200 § 14 Nr. 28). Denn nach § 17 Abs. 2 Satz 2 GVG sind u. a. Amtshaftungsansprüche von dieser Zuständigkeitsregelung ausgeschlossen, da Art. 34 Satz 3 GG insoweit den ordentlichen Rechtsweg vorgibt (Papier in Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage, § 839 RdNr. 379f.). Eine in die Zuständigkeit der Sozialgerichte fallende sozialrechtliche Anspruchsnorm für einen Schadenersatz- und Schmerzensgeldanspruch des Klägers gegen die Beklagte ist nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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