L 4 KR 2956/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 KR 5973/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 2956/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Juli 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung der Beklagten an den Kläger zur Stellung eines Antrags auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation beim zuständigen Rentenversicherungsträger im Streit.

Der am 1956 geborene Kläger ist bei der Beklagten aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses als Kranführer auf einem Mobil-Schwerlastkran krankenversichert. Wegen akuter zerebraler Ischämie im Stromgebiet der Arteria cerebri posterior links (Thalamus links) und subkortikaler vaskulärer Leukoenzephalopathie wurde er vom 23. Mai bis 3. Juni 2015 stationär behandelt. Aus einer vom Rentenversicherungsträger getragenen Anschlussheilbehandlung in den Kliniken S., K., vom 24. Juni bis 22. Juli 2015 wurde er als arbeitsunfähig entlassen; es bestünden noch erhebliche motorische Defizite; für die bisherige Tätigkeit bestehe ein Leistungsbild von unter drei Stunden täglich. Nach der Entlassung gewährte die Beklagte laufend Krankengeld.

In Auswertung insbesondere des Entlassungsberichts der Kliniken S. vom 29. Juli 2015 stellte Dr. Sc. vom Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) in seinem Gutachten vom 11. September 2015 fest, dass der Kläger weiterhin arbeitsunfähig und seine Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet sei. Es bestehe eine Einschränkung von Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit bei Zustand nach Thalamusinfarkt links am 22. Mai 2015 mit spastischer Hemiparese rechts, Hemihypästhesie und neuropathischen Schmerzen rechts, Feinmotorikstörung der rechten Hand und körperlicher Belastbarkeitsminderung. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers in Bezug auf seine Tätigkeit als Bediener eines Mobilkrans sei gemindert; mit lohnbringender Arbeit in dieser könne in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden. Eine Begutachtung durch den Rentenversicherungsträger zu den Fragen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder der Berufsunfähigkeit sei angezeigt.

Mit Bescheid vom 14. September 2015 forderte die Beklagte den Kläger unter Verweis auf § 51 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) auf, bis spätestens 26. November 2015 beim Rentenversicherungsträger einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation/Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen, andernfalls ende die Zahlung von Krankengeld. Zur Begründung führte sie aus, nach der vorliegenden ärztlichen Stellungnahme sei seine Erwerbsfähigkeit zurzeit erheblich gefährdet oder gemindert. Das Krankengeld sei nach den gesetzlichen Regelungen nicht als Dauerleistung angelegt. Sie sei verpflichtet, die zuständigen Rehabilitationsträger einzuschalten und erforderliche Maßnahmen frühzeitig in die Wege zu leiten. Durch die Rehabilitationsmaßnahme könne der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit verhindert werden. Sie wies den Kläger u.a. darauf hin, dass er für die Abgabe bestimmter Erklärungen gegenüber dem Rentenversicherungsträger ihre Zustimmung benötige, darunter Erklärungen über die Rücknahme des Rehabilitationsantrags, den Verzicht auf Rehabilitationsleistungen oder Rente, über die gewünschte Rentenart oder zum Rentenbeginn, wenn hierdurch auf mögliche Leistungsansprüche gegen die Rentenversicherung ganz oder teilweise verzichtet werde. Des Weiteren enthielt der Bescheid den Hinweis, dass der Rehabilitationsantrag als Rentenantrag gelte, wenn wegen verminderter Erwerbsfähigkeit eine erfolgreiche Rehabilitation nicht zu erwarten sei oder die Leistungen zur Rehabilitation nicht erfolgreich gewesen seien. Dies treffe zu, wenn der Kläger auch nach der Rehabilitationsmaßnahme nicht mehr in der Lage sei, seine letzte Tätigkeit oder eine Tätigkeit von mindestens sechs Stunden täglich auszuüben.

Mit Schreiben vom 23. September 2015 beantragte der Kläger beim Rentenversicherungsträger die Gewährung einer Rehabilitationsmaßnahme sowie gleichzeitig, das Verfahren solange ruhend zu stellen, bis das Verfahren gegen die Beklagte wegen der Aufforderung nach § 51 SGB V abgeschlossen sei. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2015 lehnte der Rentenversicherungsträger ein Ruhen ab und forderte den Kläger auf, mitzuteilen, ob er den Antrag aufrechterhalten wolle, sowie entsprechende Antragsvordrucke vorzulegen.

Am 28. September 2015 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 14. September 2015 Widerspruch ein.

Mit Schreiben vom 26. Oktober 2015 legte die Beklagte dem Kläger dar, unter Beachtung der aktuellen Begutachtungsrichtlinien zur Kraftfahrereignung dürfe dieser dauerhaft keinen Lkw mehr fahren, so dass sich für seine bisherige Tätigkeit als Bediener eines Mobilkrans ein negatives Leistungsbild ergebe. Folglich gehe Dr. Sc. von einer Minderung der Leistungsfähigkeit für die aktuelle Tätigkeit aus. Mit lohnbringender Arbeit in der Bezugstätigkeit könne in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 SGB V lägen vor. Unter Berücksichtigung dieser medizinischen Einschätzung habe sie – die Beklagte – sich entschlossen, den Kläger zur Antragstellung auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beim Rentenversicherungsträger aufzufordern. Ihr Ermessen habe sie damit pflichtgemäß ausgeübt.

Zur Begründung seines Widerspruches führte der Kläger aus, der Bescheid sei wegen Ermessensnichtgebrauch rechtswidrig. Ein Nachschieben der Ermessensgründe sei unzulässig; diese seien ihrerseits wiederum ermessensfehlerhaft. Er sei kurzfristig bereits wieder in stationärer Krankenhausbehandlung gewesen und zum gegenwärtigen Zeitpunkt in keiner Weise rehabilitationsfähig.

Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes stellte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg fest, dass der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 14. September 2015 aufschiebende Wirkung habe (Beschluss vom 14. Januar 2016; L 11 KR 4974/15 ER-B).

Mit Schreiben vom 5. November 2015 hörte die Beklagte den Kläger zum Bescheid vom 14. September 2015 unter Wiederholung der Erwägungen im Schreiben vom 26. Oktober 2015 an. Der Kläger wiederholte seine Einwendungen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 2015 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen für die Aufforderung, einen Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation zu stellen, lägen beim Kläger vor, da dessen Erwerbsfähigkeit ausweislich des Gutachtens des Dr. Sc. in Bezug auf die aktuelle Tätigkeit gemindert sei. Diese Aufforderung sei in das pflichtgemäße Ermessen der Krankenkasse gestellt. Diese müsse bei der Ermessensausübung die Umstände des Einzelfalles sorgfältig abwägen und die Belange des Versicherten beachten. Hierbei räume das Gesetz bei der Abwägung zwischen den Gestaltungsmöglichkeiten des Versicherten und den Befugnissen der Krankenkasse grundsätzlich den Interessen der Krankenkasse den Vorrang ein. Eine Entscheidung zugunsten des Versicherten erfordere, dass seine Belange den bei Dauerzuständen gesetzlich typisierten Vorrang der Interessen der Krankenkassen an einer Begrenzung der Krankengeldaufwendungen sowie der Überantwortung der Kompensation krankheitsbedingten Entgeltausfalls an die Rentenversicherung überwögen. Der Anspruch auf Krankengeld ende, wenn ein Versicherter Rente wegen voller Erwerbsminderung, Erwerbsunfähigkeit oder Vollrente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalte. § 51 SGB V solle zum einen die doppelte Gewährung von Sozialleistungen vermeiden und zum anderen eine sachgerechte Abgrenzung der Leistungszuständigkeit von Kranken- und Rentenversicherung gewähren. Danach hätten Rentenzahlungen Vorrang vor Krankengeldleistungen. Hintergrund sei die vorrangige Aufgabe der Rentenversicherung, bei dauerhafter Erwerbsminderung mit Leistungen einzutreten. Der Krankenkasse werde durch die Aufforderung und Fristsetzung nach § 51 Abs. 1 S. 1 SGB V das Recht eingeräumt, Einfluss auf den Beginn der antragsabhängigen Rente wegen Erwerbsminderung zu nehmen. Die dem Bescheid vom 14. September 2015 zu Grunde liegenden Ermessenserwägungen habe die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 26. Oktober 2015 dargelegt. Das Ermessen sei im Hinblick auf die Umstände in diesem Einzelfall (Lebensalter, Gesundheitszustand, berufliche Anforderungen am Arbeitsplatz) ausgeübt worden. Gegen das persönliche Interesse des Klägers überwiege das Interesse der Versichertengemeinschaft an seiner baldigen Genesung und damit Beendigung der Arbeitsunfähigkeit sowie des Krankengeldbezuges.

Hiergegen erhob der Kläger am 9. Dezember 2015 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG), zu deren Begründung er ausführte, er sei nicht rehabilitierungsfähig, da er die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Kraftfahrer für Speziallastkräne aufgrund des Schlaganfallgeschehens nicht mehr werde ausüben können. Seinen Spezialführerschein dürfe er nicht mehr nutzen. Damit könne er nie wieder die zuletzt verrichtete Tätigkeit ausüben, egal welche Rehabilitationsmaßnahme er durchführe. Die Beklagte verkenne den Begriff der Arbeitsunfähigkeit. Darüber hinaus sei er derzeit aufgrund seines Gesundheitszustandes auch nicht in der Lage, eine Rehabilitationsmaßnahme durchzuführen. Dies gelte in besonderem Maße für eine Erwachsenenfortbildung oder eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Er vollende demnächst das 60. Lebensjahr, so dass eine Umschulung nicht sinnvoll sei. Nach zwei vergleichbaren Krisen sei er am 19. März 2016 wegen des Verdachts auf Schlaganfall stationär aufgenommen worden. Die Beklagte habe Ermessen nicht ausgeübt, was sich bereits aus dem Wortlaut im Bescheid ("wir sind verpflichtet") ergebe. Die Ermessensausübung müsse im Bescheid erfolgen. Eine Nachholung im Widerspruchsverfahren sei nicht möglich. § 51 SGB V sei keine Leistungsverschiebungsvorschrift. Die Norm diene nicht der richtigen Zuordnung von Leistungen. Andernfalls verstieße sie gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Grundgesetz (GG). Es stehe jedem Versicherten zu, die für ihn günstigste Geldleistung in Anspruch zu nehmen, die er mit Beiträgen finanziert habe. Bei § 51 SGB V handele es sich um prüfungslos übernommenes vorkonstitutionelles, obrigkeitsstaatliches Recht, das nicht mehr in unsere Rechtswirklichkeit gehöre. Dies habe auch das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 16. Dezember 2014 (B 1 KR 32/13 R – juris) verkannt. Folgte man diesem, bestünde letztlich die Befugnis der Krankenkasse, zu einem Renten-, nicht zu einem Rehabilitationsantrag aufzufordern. In dieser Entscheidung werde darüber hinaus ein rechtswirksam gestellter Antrag zu einem Nichtantrag gemacht, so dass dem Versicherten trotz Antragstellung die Rückforderung von Krankengeld drohe. Er – der Kläger – habe bei auf Dauer bestehender Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Krankengeld und sei nicht verpflichtet, in einen minderen Leistungsanspruch der gesetzlichen Rente zu wechseln. Bei Erledigung durch gestellten Rehabilitationsantrag bestehe jedenfalls ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse (Verweis auf Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Urteil vom 11. Juli 2006 – L 11 KR 486/06 –). Vorgelegt wurden Atteste des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. O. vom 25. November 2015 (Eine erneute Rehabilitationsmaßnahme werde von den S. Kliniken in so kurzem Abstand nicht empfohlen. Mittlerweile sei eine akute stationäre Behandlung aufgrund einer Blutdruckkrise erfolgt. Notwendig sei eine nochmalige Klärung der Hirnsituation durch MRT), vom 12. April 2016 (vier schwere Bluthochdruckattacken zwischen dem 9. und 28. März 2016; zwei Krankenhausaufenthalte mit MRT-Untersuchung ohne Diagnose der Ursache; der Kläger sei nicht nur physisch, sondern auch psychisch nicht in der Lage, an einer Rehamaßnahme teilzunehmen; die lebensbedrohlichen Attacken behinderten die Behandlung der Schlaganfallfolgen) und vom 14. Juni 2016, ein Entlassungsbericht von Dr. Fr., Spital L., vom 21. März 2016 (stationäre Behandlung vom 19. bis 22. März 2016 wegen hypertensiver Gefahrensituation am 19. März 2016; Entlassung in gutem Allgemeinzustand) und ein vorläufiger Entlassungsbericht der Kliniken S. über einen stationären Aufenthalt vom 19. und 20. Mai 2016 (Morbus Menière mit bereits eingetretener Hypakusis rechts, Z.n. Thalamusinfarkt links 22. Mai 2015 mit Hemiparese rechts, Hemihypästhesie und neuropathische Schmerzen rechts, Feinmotorikstörung rechte Hand, Diabetes mellitus Typ 2, arterielle Hypertonie; aktuelle Unfähigkeit zur Teilnahme am Straßenverkehr; Entlassung in stabilem Allgemeinzustand).

Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid entgegen. Die Ermessensausübung sei im Schreiben vom 26. Oktober 2015 nachgeholt worden. Die Rechtsansicht des Klägers zu § 51 SGB V sei durch das Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 entkräftet.

Mit Urteil vom "11. Juli 2016" (richtig 2017) wies das SG die Klage ab. Die erhobene Anfechtungsklage sei nicht unzulässig geworden, weil durch die Antragstellung bei der Rentenversicherung mit Schreiben vom 23. September 2015 die Erledigung des Bescheides vom 14. September 2015 herbeigeführt worden sei. Dieser Antrag des Klägers genüge nicht den Anforderungen des § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V und könne daher die Aufforderung zur Antragstellung auch nicht erledigen. Ein Antrag, über den der Rentenversicherungsträger gar nicht oder mangels Mitwirkung des Versicherten ablehnend entscheiden solle, genüge nicht dem gesetzlichen Zweck der Regelung. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei infolge des Apoplexes mit Verlust des Lkw-Führerscheins und der Möglichkeit, die Tätigkeit als Kraftfahrer weiterhin auszuüben, erheblich gefährdet. § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V setze nicht die Erfolgsaussicht der Leistung zur Teilhabe voraus. Die Krankenkasse könne Versicherte selbst bei fehlender Erfolgsaussicht zur Antragstellung auffordern, um über die Umdeutung nach § 116 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) eine Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit herbeizuführen. Dies entspreche auch Sinn und Zweck des § 51 SGB V, der die Risikobereiche der Kranken- und Rentenversicherung voneinander abgrenzen und der Krankenkasse ermöglichen solle, über die Umdeutung des Rehabilitations- in einen Rentenantrag die Rentenantragstellung mittelbar zu erzwingen. Die angefochtenen Bescheide seien nicht wegen Ermessensfehlern aufzuheben. Den Fehler der ursprünglich fehlenden Ermessensbetätigung im Bescheid vom 14. September 2015 habe die Beklagte durch Schreiben vom 26. Oktober 2015 und anschließender Anhörung hierzu durch Schreiben vom 5. November 2015 nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) beseitigt. Darüber hinaus habe sie im Widerspruchsbescheid auch die Zweckmäßigkeit des Ausgangsbescheides erneut überprüft und eigene Ermessenserwägungen angestellt.

Gegen dieses ihm am 20. Juli 2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27. Juli 2017 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt, die trotz mehrmaliger Erinnerung nicht begründet worden ist.

Der Kläger beantragt (sachgerecht gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Juli 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 2015 aufzuheben, hilfsweise festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 14. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 2015 rechtswidrig war.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Berichterstatter hat die Beteiligten mit Schreiben vom 6. November 2017 auf die Absicht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Kläger hat sich nicht geäußert. Die Beklagte hat sich mit einer Entscheidung durch Beschluss einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verfahrensakten des Senats und des SG sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

II.

1. Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss, da er die Berufung des Klägers einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat der Senat die Beteiligten angehört.

2. Die gemäß § 143 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere bedurfte die Berufung nicht der Zulassung, da das Begehren des Klägers keine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft.

3. Der Kläger wendet sich gegen die Aufforderung zur Stellung eines Rehabilitationsantrags. Sein Begehren (vgl. § 123 SGG) richtet sich daher auf Aufhebung des Bescheides vom 14. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 2015. Mit einer Kassationsentscheidung wäre diesem Begehren umfänglich entsprochen. Die vom Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren ausdrücklich auch beantragte Feststellung, dass die Aufforderung zum Rehabilitationsantrag rechtswidrig gewesen sei (Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 4. August 2016), ist daher als hilfsweises Begehren für den Fall anzusehen, dass von einer Erledigung des angefochtenen Verwaltungsaktes durch den – mit gleichzeitigem Ruhensantrag verbundenen – Rehabilitationsantrag vom 23. September 2015 ausgegangen werde (Fortsetzungsfeststellungsklage).

4. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

a) Die Klage ist als isolierte Anfechtungsklage statthaft (§ 54 Abs. 1 SGG). Der Bescheid vom 14. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 2015 hat sich durch den Rehabilitationsantrag vom 23. September 2015 nicht erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X). Von einem Verwaltungsakt, der einen Versicherten zur Stellung eines Rehabilitationsantrags auffordert, gehen selbst dann noch den Versicherten belastende Rechtswirkungen aus, wenn dieser der Aufforderung (einschränkungslos) nachgekommen ist. Denn er kann einen solchermaßen gestellten Antrag wirksam nur noch mit Zustimmung der Krankenkasse zurücknehmen oder beschränken (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2004 – B 1 KR 6/03 R – juris, Rn. 22 m.w.N.). Diese Einschränkung seines grundsätzlichen Dispositionsrechts besteht fort.

Darüber hinaus genügte der am 23. September 2015 beim Rentenversicherungsträger gestellte Antrag nicht den Anforderungen des § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Die Norm setzt voraus, dass der Antrag ohne Einschränkungen gestellt wird und vom Rentenversicherungsträger bearbeitet werden kann. Ein Antrag, der gleichzeitig "ruhend" gestellt wird, genügt diesen Anforderungen nach Sinn und Zweck der Norm nicht. Denn ein solcher kann oder soll Teilhabeleistungen gerade nicht auslösen, sondern ist darauf gerichtet, dass der Rentenversicherungsträger über ihn gar nicht oder mangels Mitwirkung des Versicherten ablehnend entscheiden soll (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 1 KR 32/13 R – juris, Rn. 20 ff.). Da der Kläger vorliegend den formlosen Rehabilitationsantrag unmittelbar mit dem Begehren verband, das Verfahren ruhend zu stellen, ist der Kläger hierdurch der Aufforderung im Bescheid vom 14. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 2015 nicht nachgekommen.

b) Die angefochtenen Bescheide sind nicht bereits wegen fehlender Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X aufzuheben. Nach § 41 Abs. 1 SGB X ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die – wie vorliegend – nicht den Verwaltungsakt nach § 40 SGB X nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird (Nr. 3). Handlungen nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 können bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (Abs. 2).

Die Beklagte hatte den Kläger zwar nicht vor Erlass des Bescheides vom 14. September 2015 angehört. Sie holte dies aber mit Schreiben vom 5. November 2015 nach. In diesem gab sie dem Kläger Gelegenheit, zu den von ihr dargestellten Voraussetzungen der Aufforderung zur Antragstellung und den von ihr zuvor im Schreiben vom 26. Oktober 2015 dargelegten und im Anhörungsschreiben wiederholten Ermessenserwägungen Stellung zu nehmen. Der Kläger machte hiervon Gebrauch. Gleichzeitig holte die Beklagte damit auch die formelle Begründung hinsichtlich ihrer Ermessenserwägungen gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X nach (zur materiellen Rechtmäßigkeit s.u.).

c) Der Bescheid vom 14. September 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 2015 ist auch materiell rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

aa) Die Beklagte war berechtigt, den Kläger aufzufordern, beim Rentenversicherungsträger einen Rehabilitationsantrag zu stellen.

Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V kann die Krankenkasse Versicherten, deren Erwerbsfähigkeit nach ärztlichem Gutachten erheblich gefährdet oder gemindert ist, eine Frist von zehn Wochen setzen, innerhalb der sie einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen haben.

(1) Die Erwerbsfähigkeit des Klägers war erheblich gemindert.

Eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit oder Minderung der Erwerbsfähigkeit liegt vor, wenn entweder der gesundheitliche Zustand des Versicherten so schlecht ist, dass mit einer dauerhaften Minderung oder dem Verlust seiner Erwerbsfähigkeit gerechnet werden muss oder eine solche Minderung bereits eingetreten ist. Hierbei handelt es sich nicht um die gleichen Kriterien, die für die Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 und 2, § 240 SGB VI) maßgebend sind. Abzustellen ist vielmehr auf die persönlichen Verhältnisse des Versicherten, also auf dessen aktuelle körperliche sowie geistige Konstitution und die daraus resultierende gesundheitliche Einschränkung seiner konkreten beruflichen Leistungsfähigkeit. Inhaltlich entsprechen diese Voraussetzungen den persönlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe nach § 10 Nr. 1 SGB VI. In Abgrenzung zur Akuterkrankung liegt eine dauerhafte Minderung oder Gefährdung vor, wenn diese voraussichtlich länger als sechs Monate bestehen wird (vgl. § 101 Abs. 1 SGB VI; Brinkhoff in jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 51 SGB V Rn. 13 m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes war die Erwerbsfähigkeit des Klägers erheblich gemindert. Der Senat entnimmt dies zunächst dem Gutachten von Dr. Sc. vom 11. September 2015. Es bestand danach eine Einschränkung von Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit bei Zustand nach Thalamusinfarkt links vom 22. Mai 2015 mit spastischer Hemiparese rechts, Hemihypästhesie und neuropathischen Schmerzen rechts, Feinmotorikstörung der rechten Hand und körperlicher Belastbarkeitsminderung. Dies wird bestätigt durch die vom Kläger vorgelegten medizinischen Unterlagen. Dem vorläufigen Entlassungsbericht der Kliniken S. über einen stationären Aufenthalt vom 19. und 20. Mai 2016 ist zu entnehmen, dass in Folge des Thalamusinfarktes links vom 22. Mai 2015 weiterhin eine Hemiparese rechts, eine Hemihypästhesie und sowie neuropathischen Schmerzen rechts bestanden. Auch die Feinmotorikstörung der rechten Hand wurde unverändert angegeben. Hinzugetreten war darüber hinaus ein Morbus Menière mit bereits eingetretener Hypakusis rechts. Dr. O. verwies insbesondere in seinem Attest vom 12. April 2016 schlüssig darauf, dass zusätzlich wiederholte, stationäre Behandlungen notwendig machende Bluthochdruckattacken die Behandlung der Schlaganfallfolgen behinderten. Nachvollziehbar war der Kläger daher nicht nur unmittelbar in seiner körperlichen Belastbarkeit eingeschränkt, sondern auch nicht in der Lage, am Straßenverkehr teilzunehmen, worauf im vorläufigen Entlassbericht der Kliniken S. ausdrücklich hingewiesen wurde. Seine bisherige Tätigkeit als Führer eines mobilen Schwerlastkrans konnte der Kläger demnach absehbar dauerhaft im o.g. Sinne nicht mehr ausüben. Abweichendes macht auch der Kläger selbst nicht geltend.

(2) Entgegen der Auffassung des Klägers setzt die Aufforderung zur Stellung eines Rehabilitationsantrags nicht voraus, dass die Leistung zur Teilhabe Aussicht auf Erfolg hat (Brinkhoff, a.a.O., Rn. 13).

(a) Im Wortlaut des § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist eine solche Voraussetzung – anders als in § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI – gerade nicht normiert. Dies entspricht auch dem Normzweck. Die Aufforderung unter Fristsetzung, einen Rehabilitationsantrag zu stellen, dient zwar zunächst dazu, bei dem Versicherten mittels Leistungen der medizinischen Rehabilitation und Teilhabe die Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit zu beseitigen. Dies ist Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes, wonach die Leistungen zur Teilhabe Vorrang haben vor Rentenleistungen, die bei erfolgreichen Leistungen zur Teilhabe nicht oder voraussichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen sind (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist aber auch im Zusammenhang mit den Regelungen des § 50 SGB V und § 116 Abs. 2 SGB VI zu sehen. Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V endet für Versicherte, die Rente wegen voller Erwerbsminderung, Erwerbsunfähigkeit oder Vollrente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, ein Anspruch auf Krankengeld vom Beginn dieser Leistungen an. Ist über den Beginn der in Satz 1 genannten Leistungen hinaus Krankengeld gezahlt worden und übersteigt dieses den Betrag der Leistungen, kann die Krankenkasse den überschießenden Betrag vom Versicherten nicht zurückfordern (Satz 2). § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V soll diesen Vorrang der Rentenzahlungen vor Krankengeldleistungen bei dauerhafter Erwerbsminderung sicherstellen. Hierzu räumt die Regelung den Krankenkassen die Möglichkeit ein, ihre Versicherten zu veranlassen, mittelbar einen Rentenantrag zu stellen, und hierdurch Einfluss auf den Beginn der antragsabhängigen Leistung zu nehmen. Denn nach § 116 Abs. 2 SGB VI gilt der Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben als Antrag auf Rente, wenn Versicherte vermindert erwerbsfähig sind und (1.) ein Erfolg von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erwarten ist oder (2.) Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht erfolgreich gewesen sind, weil sie die verminderte Erwerbsfähigkeit nicht verhindert haben. Der Rehabilitationsantrag, zu dem die Krankenkasse ihren Versicherten auffordert, kann somit zum Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung werden, die bei Gewährung die Krankengeldzahlung nach § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V beendet. Dies kann einen Wegfall Leistungszuständigkeit der Krankenkasse für das Krankengeld schon vor Erreichen der Anspruchshöchstdauer (§ 48 SGB V) bewirken. Gleichzeitig wird die nicht rechtzeitige Antragstellung durch das Entfallen des Anspruchs auf Auszahlung von Krankengeld sanktioniert (§ 51 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Die Regelung in § 50 SGB V könnte ohne Unterstützung durch § 51 SGB V unterlaufen werden, wenn der Versicherte die erforderliche Antragstellung (willkürlich) unterlässt (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 1 KR 32/13 R –, juris, Rn. 21 f.). Die Krankenkasse kann daher – entsprechend dem Normzweck sachgerecht – Versicherte selbst bei fehlender Erfolgsaussicht zur Antragstellung auffordern, um über die Umdeutung nach § 116 Abs. 2 SGB VI eine Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit herbeizuführen. Die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Rehabilitationsleistung ist danach dem Rentenversicherungsträger zugewiesen, der im Falle fehlender Erfolgsaussicht oder fehlenden Erfolges leistungspflichtig wird.

(b) Dem Einwand des Klägers, § 51 Abs. 1 SGB V sei keine "Leistungsverschiebungsvorschrift" und diene nicht der richtigen Zuordnung von Leistungen, kann daher nicht gefolgt werden. Es handelt es sich auch nicht um "prüfungslos übernommenes vorkonstitutionelles, obrigkeitsstaatliches Recht, das nicht mehr in unsere Rechtswirklichkeit gehört". Die dargestellten Rechtsprechungsgrundsätze beruhen auf einer langjährigen Judikatur des BSG, die bereits unter Geltung der Reichsversicherungsordnung (RVO) ergangen und unter dem SGB VI fortgeführt worden ist. Trotz Ablösung der RVO durch das SGB VI und obwohl inzwischen sogar § 116 Abs. 1 SGB VI aufgehoben und § 116 Abs. 2 SGB VI geändert worden sind (vgl. Art. Nr. 33 Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000, BGBl. I S. 1827), hat der Gesetzgeber – anders als in anderen Bereichen des Rentenversicherungsrechts – keine Regelungen geschaffen, mit denen die Rechtsprechung aufgegriffen und durch eine Gesetzesänderung obsolet gemacht wurde; dann aber kann unterstellt werden, dass die gewonnene Auslegung vom Willen des – nachkonstitutionellen – Gesetzgebers gedeckt ist (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2004 – B 1 KR 6/03 R – juris, Rn. 23). Dieser Auslegung kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der gesetzliche Wortlaut nur die Aufforderung zum Rehabilitations-, nicht aber zum Rentenantrag regle. Im Hinblick auf die Regelung des § 116 Abs. 2 SGB VI über die Umdeutung eines Rehabilitations- in einen Rentenantrag, war eine ausdrückliche Ermächtigung zur Aufforderung zum Rentenantrag nicht nötig.

(c) Ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Mit seinen im Rahmen der Versicherungspflicht erbrachten Beiträgen zur Kranken- und Rentenversicherung erwirbt der Versicherte eine Absicherung bei Eintritt des jeweils in den einzelnen Sozialversicherungszweigen versicherten Risikos. Die vorliegende Regelung des § 51 Abs. 1 SGB V stellt lediglich sicher, dass im Sicherungssystem die Leistung angesteuert und erbracht wird, die dem tatsächlich verwirklichten Risiko entspricht. Die Beiträge zu den einzelnen Sozialversicherungszweigen sind entsprechend dem versicherten Risiko unterschiedlich bemessen. Der Versicherte erwirbt daher durch die Beitragszahlung gerade keinen Anspruch auf die für ihn günstigste Geldleistung.

(d) Der Kläger kann somit im Rahmen der Aufforderung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht mit Erfolg einwenden, eine Rehabilitationsleistung biete von vornherein keine Aussicht auf Erfolg, weil sie die bereits eingetretene und dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht beseitigen könne. Ist dies der Fall, ergibt sich die Berechtigung zur Aufforderung aus der möglichen Umdeutung des zustellenden Rehabilitations- in einen Rentenantrag nach § 116 Abs. 2 SGB VI. Dies gilt auch dann, wenn sein Gesundheitszustand bereits die Teilnahme an einer Rehabilitationsmaßnahme nicht zulässt.

bb) Der Bescheid vom 14. September 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 2015 ist nicht wegen fehlerhafter Ermessensausübung rechtswidrig.

(1) Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V vor, liegt es im (pflichtgemäßen) Ermessen der Krankenkasse, ob sie von Befugnis zur Aufforderung Gebrauch macht ("kann"; BSG, Urteil vom 7. Dezember 2004 – B 1 KR 6/03 R – juris, Rn. 24, 32).

Die gerichtliche Kontrolle von Ermessensentscheidungen ist eingeschränkt auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung; deren Zweckmäßigkeit ist vom Gericht nicht zu beurteilen. Rechtswidrig ist eine Ermessensentscheidung bei Ermessensnichtgebrauch, wenn also die Behörde ihr Ermessen nicht ausgeübt oder im Bescheid nicht zum Ausdruck gebracht hat, bei Ermessensunterschreitung, wenn sie ihr Ermessen zu eng eingeschätzt hat, bei Ermessensüberschreitung, wenn eine gesetzlich nicht vorgesehene Rechtsfolge gesetzt wird, und bei Ermessensfehlgebrauch (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Letzteres liegt vor, wenn die Behörde ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt, wenn sie nicht alle maßgebenden Ermessensgesichtspunkte in die Entscheidung einbezogen oder wenn sie die abzuwägenden Gesichtspunkte fehlerhaft gewichtet oder einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Für die Rechtskontrolle durch das Gericht ist die Begründung des Verwaltungsakts und des Widerspruchsbescheides wesentlich. Aus dieser muss sich ergeben, dass vom Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht worden ist (zum Ganzen Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl., § 54 Rn. 27 ff. m.w.N.).

(2) Ein Ermessensnichtgebrauch liegt nicht vor. Der Bescheid vom 14. September 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 2015 ist nicht schon deswegen aufzuheben, weil die Beklagte im Ausgangsbescheid ein Ermessen nicht erkennbar ausgeübt hat.

Fehlt nicht nur die Ermessensbegründung, sondern ist auch die Ermessensbetätigung wegen Ermessensnichtgebrauchs fehlerhaft, verstößt dies gegen § 39 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) und macht den Verwaltungsakt auch materiell rechtswidrig. Dieser – materielle – Fehler kann nicht nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X geheilt werden. Aus § 95 SGG ergibt sich aber, dass ein Nachholen der Ermessensausübung oder ein Nachschieben von Ermessenserwägungen bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens unbeschränkt zulässig ist (Schneider-Danwitz in jurisPK-SGB X, § 41 SGB X, Rn. 24). Denn danach ist Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Der Ausgangsbescheid vom 14. September 2015 steht nicht isoliert zur gerichtlichen Überprüfung, sondern mit dem Inhalt, den er bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat.

Ein Ermessensnichtgebrauch liegt danach nicht vor. Denn die Ermessensausübung wurde im Widerspruchsverfahren zulässig nachgeholt und fand im Widerspruchsbescheid Niederschlag. Während des Widerspruchsverfahrens hat die Beklagte mit Schreiben vom 26. Oktober 2015 gegenüber dem Kläger deutlich gemacht, dass die Aufforderung zum Rehabilitationsantrag in Ausübung des ihr zustehenden pflichtgemäßen Ermessens erfolgt sei. Im Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 2015 nahm der Widerspruchsausschuss der Beklagten dies ausdrücklich auf und wies den Widerspruch nach eigener Ermessensausübung zurück. Nach den Ausführungen im Widerspruchsbescheid wurde demnach berücksichtigt, dass das Gesetz bei der Abwägung der Interessen des Versicherten und der Krankenkasse grundsätzlich denen der Krankenkasse den Vorrang einräume. Eine Entscheidung zugunsten des Versicherten erfordere, dass seine Belange den bei Dauerzuständen gesetzlich typisierten Vorrang der Interessen der Krankenkassen überwögen. § 51 SGB V solle zum einen die doppelte Gewährung von Sozialleistungen vermeiden und zum anderen eine sachgerechte Abgrenzung der Leistungszuständigkeit von Kranken- und Rentenversicherung gewähren. Danach hätten Rentenzahlungen Vorrang vor Krankengeldleistungen. Es sei vorrangige Aufgabe der Rentenversicherung, bei dauerhafter Erwerbsminderung mit Leistungen einzutreten. Der Krankenkasse werde durch die Aufforderung und Fristsetzung nach § 51 Abs. 1 Satz1 1 SGB V das Recht eingeräumt, Einfluss auf den Beginn der antragsabhängigen Rente wegen Erwerbsminderung zu nehmen. Das Ermessen sei im Hinblick auf die Umstände in diesem Einzelfall (Lebensalter, Gesundheitszustand, berufliche Anforderungen am Arbeitsplatz) ausgeübt worden. Gegen das persönliche Interesse des Klägers überwiege das Interesse der Versichertengemeinschaft an seiner baldigen Genesung und damit Beendigung der Arbeitsunfähigkeit sowie des Krankengeldbezuges.

(3) Die Ermessensausübung mit diesem Inhalt ist rechtlich nicht zu beanstanden. Es liegt weder eine Ermessensunter- noch eine -überschreitung vor. Die Beklagte hat keine gesetzlich nicht vorgesehene Rechtsfolge gesetzt oder ihr Ermessen zu eng eingeschätzt. Ebenso wenig besteht ein Ermessensfehlgebrauch. Die Ermessensausübung der Beklagten entspricht dem Zweck der Ermächtigungsnorm (dazu (a)), hat keinen zugunsten des Klägers einzustellenden Belang unbeachtet gelassen und nicht unzutreffend gewichtet (dazu (b)).

(a) Die Beklagte hat den Zweck der Ermächtigungsnorm des § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V zutreffend berücksichtigt. Dieser soll den Vorrang der Rentenzahlungen vor Krankengeldleistungen bei dauerhafter Erwerbsminderung sicherstellen (s.o.). Dies hat die Beklagte nach den bereits dargestellten Ausführungen im Widerspruchsbescheid als Ausgangspunkt der Ermessensentscheidung ausdrücklich berücksichtigt.

(b) Die individuellen Umstände des Klägers sind in die Ermessensentscheidung eingeflossen. Die Beklagte führt im Widerspruchsbescheid diesbezüglich Lebensalter, Gesundheitszustand und berufliche Anforderungen am Arbeitsplatz an. Es ist nicht erkennbar, dass sie einen zugunsten des Klägers einzustellenden Belang unbeachtet gelassen hat.

Bei der Ausübung muss die Krankenkasse alle Umstände des Einzelfalls sorgfältig abwägen und die Belange der Versicherten beachten. Das Gesetz räumt bei der Abwägung zwischen den Gestaltungsmöglichkeiten des Versicherten (Stellen oder Rücknahme von Rehabilitations- oder Rentenanträgen) und den Befugnissen der Krankenkasse nach § 51 SGB V allerdings grundsätzlich den Interessen der Krankenkasse den Vorrang ein. Eine Entscheidung zugunsten des Versicherten erfordert daher, dass seine Belange den bei Dauerzuständen gesetzlich typisierten Vorrang der Krankenkasseninteressen an einer Begrenzung der Krankengeldaufwendungen sowie der Überantwortung der Kompensation krankheitsbedingten Entgeltausfalls an die Rentenversicherungsträger überwiegen (BSG, Urteil vom 7. Dezember 2004 – B 1 KR 6/03 R – juris, Rn. 32 ff., auch zum Folgenden). Das bloße Interesse des Versicherten, weiterhin und möglichst lange das im Vergleich zu Rentenleistungen höhere Krankengeld in Anspruch nehmen zu wollen, ist nicht schützenswert und kann regelmäßig kein durchgreifender Umstand für das Abgehen von der Antragsfiktion sein. Gleiches gilt für das Interesse an höheren Rentenleistungen unter Berücksichtigung zusätzlicher Anrechnungszeiten wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) bzw. Beitragszeiten wegen Krankengeldbezugs (§ 247 Abs. 1 SGB VI) oder das Vermeiden der mit dem Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung verbundenen Abschläge durch die Absenkung des Zugangsfaktors (§ 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 SGB VI). Diese Folgen sind nach gesetzgeberischer Vorgabe typischerweise mit der vorrangigen Rentenleistung verbunden.

Der Kläger hat weder im Rahmen der nachgeholten Anhörung noch im Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren besondere, in seinem Einzelfall bestehende Umstände mitgeteilt, die ein Überwiegen seines Interesse an der Vermeidung eines – mittelbaren – Rentenantrags begründen könnten (vgl. zu relevanten Umständen BSG, Urteil vom 7. Dezember 2004 – B 1 KR 6/03 R – juris, Rn. 34 f.). Vielmehr beruft er sich allein auf die eine mögliche Rente wegen Erwerbsminderung übersteigende Höhe des Krankengeldes und die Vermeidung von Abschlägen aufgrund der Absenkung des Zugangsfaktors.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

6. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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