Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 24 SB 6395/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 1516/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. März 2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) mit mindestens 50 und damit die Schwerbehinderteneigenschaft.
Der 1972 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger, verheiratet und hat vier Kinder. Er ist bei der D. am Fließband beschäftigt und arbeitet 35 Stunden je Woche. Am 27. Mai 2016 beantragte er unter Hinweis auf einen Diabetes mellitus Typ 1 und eine Stammvarikosis die Feststellung des GdB.
Das Landratsamt B. zog mehrere Arztberichte bei, unter anderem denjenigen von Dr. Th., Facharzt für Innere Medizin (Diabetologie), von Juni 2016. Inzwischen finde eine intensivierte Insulintherapie mit täglich vier Injektionen und mindestens drei Messungen statt. Es bestehe mittlerweile eine gute Stoffwechselkontrolle. Vorgelegt wurden Aufzeichnungen des Klägers über die Selbstkontrolle des Blut- oder Urinzuckers ab Mitte Februar bis Ende März 2016. Dr. M., Facharzt für Allgemeinmedizin, übersandte einen Laborbefund, nach dem die Serumglukose im September 2012 bei einem Referenzbereich von 60 bis 105 mg/dl mit 103 mg/dl ermittelt worden sei. Dr. K., praktische Ärztin, diagnostizierte nach einer Untersuchung des Klägers im September 2012 eine Varikophlebitis der Vena saphena parva links, welche bis an die Mündung ins tiefe Venensystem reichte, was sich mittels einer Duplexsonografie habe erheben lassen. Das tiefe Beinvenensystem selbst sei beidseits frei gewesen. Verordnet worden seien Kompressionsstrümpfe der Klasse 2 für die Oberschenkel. Dr. L., Facharzt für Urologie, diagnostizierte im November 2011 eine seit zwei Monaten bestehende Epididymitis links, deren Therapie abgeschlossen sei. Seit zwei Wochen bestehe eine schmerzhafte Schwellung des Inhalts des linken Skrotums. Mit der Miktion sei er zufrieden. Ein relevanter Restharn sei sonografisch nicht erhoben worden.
Der Versorgungsarzt V. bewertete im Juli 2016 die Funktionseinschränkungen wegen des Diabetes mellitus mit einem Einzel-GdB von 40. Die Krampfadern hätten keinen GdB zur Folge. Daraufhin stellte das Landratsamt B. mit Bescheid vom 28. Juli 2016 den GdB mit 40 seit 27. Mai 2016 fest. Der Widerspruch wurde vom Regierungspräsidium St. mit Widerspruchsbescheid vom 3. November 2016 zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 23. November 2016 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben, welches schriftliche sachverständige Zeugenaussagen bei Dr. M. sowie Dr. F., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, eingeholt hat, welche im Januar 2017 vorgelegt worden sind.
Dr. M. hat ausgeführt, der Kläger befinde sich seit 1989 in seiner hausärztlichen Betreuung. Mitte Mai 2016 habe dieser ihn wegen einer Quetschung des rechten Mittelfußes aufgesucht. Diagnostiziert habe er einen Diabetes mellitus und eine Thrombophlebitis. Er hat einen Befundbericht von Prof. Dr. H., Facharzt für Chirurgie, von Juni 2016 beigelegt, wonach im Rahmen einer Kernspintomografie eine geringe medial-betonte Gonarthrose beidseits festgestellt worden sei. Diagnostiziert worden seien Senk- und Spreizfüße, der regelrechte Zustand nach einer Venenexhairese bei Diabetes mellitus.
Dr. F. hat mitgeteilt, der Kläger befinde sich bei ihm seit September 2010 in Behandlung. Diagnostiziert habe er den Verdacht auf eine Störung des Lymphabflusses im rechten Fuß, eine leichte diabetische Polyneuropathie und den regelrechten Zustand nach einer Venenexhairese. Er hat einen Befundbericht von Priv.-Doz. Dr. B., Facharzt für Neurologie, von Oktober 2016 mitübersandt, wonach Sensibilitätsstörungen im Bereich D3 bis D5 und am Fußrücken rechts bestanden hätten. Ursache dieser Beschwerden sei mit hoher Wahrscheinlichkeit eine leichte diabetische Polyneuropathie, auch wenn sich diese elektrophysiologisch nicht habe abbilden lassen. Er habe eine symptomatische Therapie mit zweimal 50 mg Pregabalin veranlasst.
Die Anfrage des SG bei Priv.-Doz. Dr. Sch. hat dessen Praxiskollege Priv.-Doz. Dr. B. im Januar 2017 dahingehend beantwortet, es seien eine diabetische Polyneuropathie und ein Diabetes mellitus Typ 1 mit Erstdiagnose 2016 und einem HbA1c-Wert von 13 % diagnostiziert worden. Der Kläger habe sich erstmals Anfang Juni 2016 bei ihm ambulant vorgestellt und über eine seit etwa einem Jahr bestehende unangenehme Missempfindung in beiden Füßen beidseits geklagt. Die Beschwerden hätten sich unter Einnahme von Ibuprofen, 800 mg gut gebessert. Ihre Ursache sei mit hoher Wahrscheinlichkeit eine leichte diabetische Polyneuropathie gewesen, auch wenn sich diese elektrophysiologisch nicht habe sichern lassen. Diese Erkrankung führe nicht zu einer Behinderung.
Auf die Anfrage bei Dr. St., Facharzt für Innere Medizin, hat sich dessen Praxiskollege Dr. Th. im Januar 2017 gemeldet. Der Diabetes mellitus, welcher seit Januar 2016 bestehe, sei als schwer einzustufen. Die Erkrankung sei durch Diät und Insulin-injektionen, viermal täglich, gut einstellbar. Diabetesbedingte Folgeschäden lägen bislang nicht vor.
Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. März 2017 abgewiesen. Die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen des Klägers seien mit einem Gesamt-GdB von 40 ausreichend bewertet.
Hiergegen hat er am 19. April 2017 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt und zur Begründung unter anderem vorgetragen, die Venenproblematik sei nicht von Dr. F., sondern von Prof. Dr. H. untersucht und behandelt worden.
Daraufhin ist Dr. F. ergänzend befragt worden, welcher im Juni 2017 kundgetan hat, die schriftliche sachverständige Zeugenauskunft sei nach Aktenlage erfolgt. Er habe den Befund von Mitte Mai 2016 wiedergegeben, welchen Prof. Dr. H. erhoben habe. Dieser arbeite als angestellter Arzt in der Praxis. Später seien noch Kontrollen erfolgt, zuletzt Ende November 2016. Es sei keine spezielle Therapie vorgeschlagen worden. Eine weitere sei für März 2017 vorgesehen gewesen. Diesen Termin habe der Kläger jedoch nicht wahrgenommen.
In der nichtöffentlichen Sitzung beim LSG am 14. Juli 2017 ist er gehört worden. Krankheitsbedingte und beschäftigungsbezogene Ausfallzeiten wegen des Diabetes mellitus habe er nicht gehabt. Wenn er einen Ausflug mit der Familie unternehme, spritze er sich zu Hause. Danach richteten sich die Planungen. Die Injektionen verabreiche er sich viermal täglich. Bis zu viermal im Monat träten Hypoglykämien mit Werten unter 60 beziehungsweise 65 mg/dl auf. Der Kläger hat daraufhin die Bescheinigung von Dr. Th. von Ende Juli 2017 vorgelegt, wonach sich die Stoffwechsellage im zweiten und dritten Quartal 2017 gegenüber dem ersten, trotz der Bemühungen des Klägers, verschlechtert habe.
Er trägt im Wesentlichen vor, die Krampfadern seien zweimal operativ entfernt worden. Die Funktionsbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit dem Diabetes mellitus seien derart schwer, dass mindestens ein Einzel-GdB von 50 gerechtfertigt sei. Einem seiner Arbeitskollegen bei vergleichbarer Sachlage ein GdB von 50 zugebilligt worden. Für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung sei ob seiner türkischen Staatsangehörigkeit ein Dolmetscher für die türkische Sprache hinzuzuziehen.
Er beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. März 2017 aufzuheben und den Bescheid vom 28. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2016 teilweise aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, bei ihm den Grad der Behinderung mit mindestens 50 ab 27. Mai 2016 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er trägt im Wesentlichen vor, ein höherer Gesamt-GdB als 40 sei nicht gerechtfertigt.
In der mündlichen Verhandlung beim LSG hat er den Bericht von Dr. Th. von Ende November 2017 vorgelegt, wonach sich der Kläger gewissenhaft um den Diabetes kümmere und die Termine regelmäßig wahrnehme. Er messe seinen Blutzucker gewissenhaft. Seine Insulinpläne seien regelmäßig den Verläufen der gemessenen Werte angepasst. Wegen der Schichtarbeit ließen sie sich schwer einstellen, so dass sie in 40 % der Fälle außerhalb des Zielbereiches lägen. Der jeweils erhobene HbA1c-Wert habe im Juli und Oktober 2016 sowie im Januar, April, Juli und November 2017 mit bis zu 8,3 % jedes Mal außerhalb des Normbereiches gelegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 i. V. m. § 105 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 Halbsatz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 SGG), aber unbegründet. Das SG hat die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, vgl. zur Klageart BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 6/12 R -, juris, Rz. 25 m. w. N.) zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40 ab 27. Mai 2016, wie ihn der Beklagte bereits festgestellt hat.
Gegenstand der Klage ist ein Anspruch des Klägers auf Feststellung des GdB mit mindestens 50 ab 27. Mai 2016 aufgrund seiner Erstantragstellung an diesem Tag. Diesem Begehren steht der Bescheid vom 28. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2016 entgegen, da ihn das SG nicht teilweise aufgehoben hat. Die gerichtliche Nachprüfung richtet sich in Fällen einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 54 Rz. 34), vorliegend am 7. Dezember 2017.
Der Anspruch des Klägers gründet auf § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der aktuellen Fassung durch Art. 2 Ziff. 2 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 70 Abs. 2 SGB IX). Von dieser Ermächtigung hat das BMAS Gebrauch gemacht und die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412) erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (etwa "Altersdiabetes" oder "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R -, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B -, juris, Rz. 5).
Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzel-fall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R -, juris, Rz. 13). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.
In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen des Klägers ab 27. Mai 2016 mit einem GdB von 40 ausreichend bewertet sind.
Das Funktionssystem "innere Sekretion und Stoffwechsel" bedingt ob des erstmals im Januar 2016 diagnostizierten Diabetes mellitus Typ 1 allenfalls einen Teil-GdB von 40.
Die hieran erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, welche die Feststellung eines GdB rechtfertigt; dieser beträgt 0 (siehe hierzu und zum Folgenden: VG, Teil B, Nr. 15.1). Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB beträgt 20. Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB beträgt 30 bis 40. Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdB beträgt 50. Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdB-Werte bedingen.
Für einen GdB von mindestens 50 enthalten die VG, Teil B, Nr. 15.1 somit drei Beurteilungskriterien: täglich mindestens vier Insulininjektionen, selbstständige Variierung der Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung sowie eine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung durch erhebliche Einschnitte. Diese Kriterien sind nach Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht jeweils gesondert für sich genommen starr anzuwenden, sie sollen vielmehr eine sachgerechte Beurteilung des Gesamtzustandes erleichtern (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 SB 2/13 R -, SozR 4-3250 § 69 Nr. 18, Rz. 16 m. w. N.).
Über den Therapieaufwand hinaus, also die beiden erstgenannten Beurteilungskriterien, erfordert ein Einzel-GdB von mindestens 50, dass die betreffende Person durch die Auswirkungen des Diabetes mellitus auch insgesamt gesehen erheblich in ihrer Lebensführung beeinträchtigt ist. Hierbei handelt es sich um eine zusätzlich zu erfüllende Anforderung (BSG, a. a. O., Rz. 18). Das kommt bereits durch die Verwendung des Wortes "und" deutlich zum Ausdruck. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Verordnungsgeber, der ausdrücklich an die vorausgegangene Rechtsprechung des BSG angeknüpft hat (siehe BR-Drucks 285/10 S. 3), davon ausgegangen ist, dass bei einem entsprechenden Therapieaufwand immer eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung vorliegt. Zudem ist für die Beurteilung des GdB bei Diabetes mellitus die jeweilige Stoffwechsellage bedeutsam. Der darin zum Ausdruck kommende Therapieerfolg kann aber nur im Rahmen der Prüfung der gravierenden Beeinträchtigung der Lebensführung, also des dritten Merkmals, berücksichtigt werden.
Danach ist der beim Kläger vorhandene Diabetes mellitus Typ 1 mit keinem höheren Einzel-GdB als 40 zu bewerten. Abgesehen davon, dass die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht dokumentiert sind, arbeitet er in Vollzeit bei der D. am Fließband. Krankheitsbedingte und beschäftigungsbezogene Ausfallzeiten wegen des Diabetes mellitus sind bislang nicht aufgetreten, wie er ausweislich der im Wege des Urkundenbeweises (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung - ZPO) verwerteten Niederschrift über die nichtöffentliche Sitzung beim LSG Mitte Juli 2017 eingeräumt hat. Die Unternehmungen mit seiner Familie sind danach lediglich geringfügig dadurch beeinträchtigt, dass sich deren Beginn daran orientiert, wann er sich die erste Insulindosis zu Hause verabreicht. Die Angaben des Klägers sind verwertbar, auch wenn er zuletzt ob seiner Staatsangehörigkeit um die Hinzuziehung eines Dolmetschers für die türkische Sprache gebeten hat. Er ist der deutschen Sprache hinreichend mächtig, was sich bereits der Niederschrift über die mehr als eine halbe Stunde dauernde nichtöffentliche Sitzung beim LSG ergibt. Obwohl ein Sprachmittler nicht anwesend war, konnte der Kläger differenzierte Angaben zu seiner beruflichen Tätigkeit, seinem Privatleben und den krankheitsbedingten Beeinträchtigungen in deutscher Sprache machen. Darüber hinaus nimmt er seit Jahren Arztbesuche wahr, ohne dass sich den Berichten hierüber entnehmen lässt, dass er Äußerungen nur in türkischer Sprache tätigte. Diesen Eindruck hat auch der Senat in der mündlichen Verhandlung gewonnen, während der er weitere Ausführungen zu seiner Lebensgestaltung in deutscher Sprache machte. Bezogen auf den Diabetes mellitus hat zuletzt Dr. Th. zwar bestätigt, dass sich die Stoffwechsellage im zweiten und dritten Quartal 2017 verschlechtert hat, indes weder erhoben, dass sie nicht regulierbar oder gar außergewöhnlich schwer regulierbar ist, was auch die von ihm zwischen Juli 2016 und November 2017 erhobenen HbA1c-Werte, mittels derer der durchschnittliche Zuckergehalt im Blut ausgewiesen wird, mit bis zu 8,3 % bei einem Normbereich von 3,4 bis 6 % nicht belegen. Diabetische Folgeschäden sind nach seiner Auskunft im erstinstanzlichen Verfahren nicht objektiviert. Eine diabetische Polyneuropathie ist nicht gesichert, da sie sich nach dem Bericht von Priv.-Doz. Dr. B. bislang elektrophysiologisch nicht objektivieren ließ. Unterstellt sie liegt vor, sind hierauf nach seinen Erhebungen ohnehin allenfalls leichtgradige Funktionsstörungen wie Sensibilitätsstörungen im Bereich D3 bis D5 und am Fußrücken, jeweils rechts, sowie Missempfindungen an beiden Beinen zurückzuführen. Diese Beschwerden haben sich durch die symptomatische Therapie mit zweimal 50 mg Pregabalin und Ibuprofen, 800 mg rasch gebessert. Priv.-Doz. Dr. B. ist daher nachvollziehbar davon ausgegangen, dass hierdurch keine Behinderung eingetreten ist, also die körperliche Funktion mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter des Klägers typischen Zustand abgewichen ist und daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nicht beeinträchtigt hat (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Wegen der bis zu viermal im Monat auftretenden Hypoglykämien, welche der Kläger in der nichtöffentlichen Sitzung beim LSG angeführt hat, und der aktuell bis zu fünfmal täglich vorgenommenen Insulininjektionen, was er in der mündlichen Verhandlung betont hat, mag ein Einzel-GdB von 40 gerechtfertigt sein. Ein höherer ist allerdings nicht begründbar.
Das Funktionssystem "Herz-Kreislauf" hat wegen der Krampfadern keinen Teil-GdB im messbaren Bereich zur Folge.
Unkomplizierte Krampfadern haben nach den VG, Teil B, Nr. 9.2.3 einen GdB von 0 zur Folge. Eine chronisch-venöse Insuffizienz (z. B. bei Krampfadern), ein postthrombotisches Syndrom ein- oder beidseitig mit einem geringen belastungsabhängigen Ödem, nicht ulzerösen Hautveränderungen, ohne wesentliche Stauungsbeschwerden eröffnen einen GdB Rahmen zwischen 0 und 10, mit erheblicher Ödembildung, häufig (mehrmals im Jahr) rezidivierenden Entzündungen zwischen 20 und 30 sowie mit chronischen rezidivierenden Geschwüren, je nach Ausdehnung und Häufigkeit (einschließlich arthrogenes Stauungssyndrom) zwischen 30 und 50.
Die bereits im Herbst 2012 aufgetretene Varikophlebitis der Vena saphena parva links, welche zwar bis an die Mündung ins tiefe Beinvenensystem reichte, allerdings dieses selbst beidseits frei war, wurde von Dr. K. mit mittelkräftigen Kompressionsstrümpfen im Bereich der Oberschenkel behandelt. Nach schließlich stattgehabten zwei Venenexhairesen vor etwa zwei und vier Jahren, wie der Kläger kundtat, lag ein regelrechter Zustand vor, was die sachverständigen Zeugen Dr. M. und Dr. F. bestätigten. Letzterer hat im Berufungsverfahren klargestellt, seine Bewertung auf einen von Prof. Dr. H., einen Praxiskollegen und Facharzt für Chirurgie, erhobenen Befund gestützt zu haben, was seine Schlussfolgerung hinreichend nachvollziehbar macht. Eine letzte Kontrolle erfolgte nach dessen weiteren Ausführungen Ende November 2016, ohne dass eine Therapienotwendigkeit bestand. Einen weiteren Kontrolltermin im Frühjahr 2017 nahm der Kläger nicht einmal mehr wahr. Funktionsstörungen, welche einen messbaren GdB stützen, sind damit nicht nachgewiesen.
Sonst sind insbesondere wegen der im November 2011, also lange vor dem streitgegenständlichen Zeitraum, seit zwei Monaten bestehenden Epididymitis, einer vorübergehenden Entzündungskrankheit des Nebenhodens, deren Therapie zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. L. abgeschlossen war und deren begleitende schmerzhafte Schwellung des Inhalts des linken Skrotums vom Kläger später nicht mehr beklagt worden ist (VG, Teil B, Nr. 13.2) sowie ohne aufgetretene Miktionsbeschwerden und relevante Restharnbildung (VG, Teil B, Nr. 12.2), was dieser ebenfalls feststellte, sowie ob der von Dr. M. angeführten Quetschung des rechten Mittelfußes im Mai 2016, der kernspintomografisch gesicherten medial-betonten Gonarthrose beidseits und der Senk- und Spreizfüße (VG, Teil B, Nr. 18.14) keine Gesundheitsstörungen nachgewiesen worden, derentwegen einem Funktionssystem zuzuordnende Einschränkungen vorliegen, welche überhaupt erst geeignet wären, den Gesamt-GdB zu erhöhen. Auf eine Störung des Lymphabflusses im rechten Fuß äußerte Dr. F. nur einen Verdacht, sie ist damit bereits nicht erwiesen.
Unter Berücksichtigung der Grundsätze für die Bildung des Gesamt-GdB (VG, Teil A, Nr. 3 a) ist im Falle des Klägers der Gesamt-GdB allein aus dem Teil-GdB für das Funktionssystem "innere Sekretion und Stoffwechsel" zu bilden und erreicht daher bis aktuell keinen höheren als 40. Dahinstehen kann, ob einem seiner Arbeitskollegen bei vergleichbarer Sachlage ein GdB von 50 zugebilligt wurde. Aus einer solchen rechtswidrigen Rechtsposition eines Dritten vermag der Kläger auch vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichbehandlungsgebotes von Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) keinen Anspruch herzuleiten. Denn auf eine so genannte "Gleichheit im Unrecht" kann er sich berechtigterweise nicht berufen.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) mit mindestens 50 und damit die Schwerbehinderteneigenschaft.
Der 1972 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger, verheiratet und hat vier Kinder. Er ist bei der D. am Fließband beschäftigt und arbeitet 35 Stunden je Woche. Am 27. Mai 2016 beantragte er unter Hinweis auf einen Diabetes mellitus Typ 1 und eine Stammvarikosis die Feststellung des GdB.
Das Landratsamt B. zog mehrere Arztberichte bei, unter anderem denjenigen von Dr. Th., Facharzt für Innere Medizin (Diabetologie), von Juni 2016. Inzwischen finde eine intensivierte Insulintherapie mit täglich vier Injektionen und mindestens drei Messungen statt. Es bestehe mittlerweile eine gute Stoffwechselkontrolle. Vorgelegt wurden Aufzeichnungen des Klägers über die Selbstkontrolle des Blut- oder Urinzuckers ab Mitte Februar bis Ende März 2016. Dr. M., Facharzt für Allgemeinmedizin, übersandte einen Laborbefund, nach dem die Serumglukose im September 2012 bei einem Referenzbereich von 60 bis 105 mg/dl mit 103 mg/dl ermittelt worden sei. Dr. K., praktische Ärztin, diagnostizierte nach einer Untersuchung des Klägers im September 2012 eine Varikophlebitis der Vena saphena parva links, welche bis an die Mündung ins tiefe Venensystem reichte, was sich mittels einer Duplexsonografie habe erheben lassen. Das tiefe Beinvenensystem selbst sei beidseits frei gewesen. Verordnet worden seien Kompressionsstrümpfe der Klasse 2 für die Oberschenkel. Dr. L., Facharzt für Urologie, diagnostizierte im November 2011 eine seit zwei Monaten bestehende Epididymitis links, deren Therapie abgeschlossen sei. Seit zwei Wochen bestehe eine schmerzhafte Schwellung des Inhalts des linken Skrotums. Mit der Miktion sei er zufrieden. Ein relevanter Restharn sei sonografisch nicht erhoben worden.
Der Versorgungsarzt V. bewertete im Juli 2016 die Funktionseinschränkungen wegen des Diabetes mellitus mit einem Einzel-GdB von 40. Die Krampfadern hätten keinen GdB zur Folge. Daraufhin stellte das Landratsamt B. mit Bescheid vom 28. Juli 2016 den GdB mit 40 seit 27. Mai 2016 fest. Der Widerspruch wurde vom Regierungspräsidium St. mit Widerspruchsbescheid vom 3. November 2016 zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 23. November 2016 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben, welches schriftliche sachverständige Zeugenaussagen bei Dr. M. sowie Dr. F., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, eingeholt hat, welche im Januar 2017 vorgelegt worden sind.
Dr. M. hat ausgeführt, der Kläger befinde sich seit 1989 in seiner hausärztlichen Betreuung. Mitte Mai 2016 habe dieser ihn wegen einer Quetschung des rechten Mittelfußes aufgesucht. Diagnostiziert habe er einen Diabetes mellitus und eine Thrombophlebitis. Er hat einen Befundbericht von Prof. Dr. H., Facharzt für Chirurgie, von Juni 2016 beigelegt, wonach im Rahmen einer Kernspintomografie eine geringe medial-betonte Gonarthrose beidseits festgestellt worden sei. Diagnostiziert worden seien Senk- und Spreizfüße, der regelrechte Zustand nach einer Venenexhairese bei Diabetes mellitus.
Dr. F. hat mitgeteilt, der Kläger befinde sich bei ihm seit September 2010 in Behandlung. Diagnostiziert habe er den Verdacht auf eine Störung des Lymphabflusses im rechten Fuß, eine leichte diabetische Polyneuropathie und den regelrechten Zustand nach einer Venenexhairese. Er hat einen Befundbericht von Priv.-Doz. Dr. B., Facharzt für Neurologie, von Oktober 2016 mitübersandt, wonach Sensibilitätsstörungen im Bereich D3 bis D5 und am Fußrücken rechts bestanden hätten. Ursache dieser Beschwerden sei mit hoher Wahrscheinlichkeit eine leichte diabetische Polyneuropathie, auch wenn sich diese elektrophysiologisch nicht habe abbilden lassen. Er habe eine symptomatische Therapie mit zweimal 50 mg Pregabalin veranlasst.
Die Anfrage des SG bei Priv.-Doz. Dr. Sch. hat dessen Praxiskollege Priv.-Doz. Dr. B. im Januar 2017 dahingehend beantwortet, es seien eine diabetische Polyneuropathie und ein Diabetes mellitus Typ 1 mit Erstdiagnose 2016 und einem HbA1c-Wert von 13 % diagnostiziert worden. Der Kläger habe sich erstmals Anfang Juni 2016 bei ihm ambulant vorgestellt und über eine seit etwa einem Jahr bestehende unangenehme Missempfindung in beiden Füßen beidseits geklagt. Die Beschwerden hätten sich unter Einnahme von Ibuprofen, 800 mg gut gebessert. Ihre Ursache sei mit hoher Wahrscheinlichkeit eine leichte diabetische Polyneuropathie gewesen, auch wenn sich diese elektrophysiologisch nicht habe sichern lassen. Diese Erkrankung führe nicht zu einer Behinderung.
Auf die Anfrage bei Dr. St., Facharzt für Innere Medizin, hat sich dessen Praxiskollege Dr. Th. im Januar 2017 gemeldet. Der Diabetes mellitus, welcher seit Januar 2016 bestehe, sei als schwer einzustufen. Die Erkrankung sei durch Diät und Insulin-injektionen, viermal täglich, gut einstellbar. Diabetesbedingte Folgeschäden lägen bislang nicht vor.
Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. März 2017 abgewiesen. Die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen des Klägers seien mit einem Gesamt-GdB von 40 ausreichend bewertet.
Hiergegen hat er am 19. April 2017 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt und zur Begründung unter anderem vorgetragen, die Venenproblematik sei nicht von Dr. F., sondern von Prof. Dr. H. untersucht und behandelt worden.
Daraufhin ist Dr. F. ergänzend befragt worden, welcher im Juni 2017 kundgetan hat, die schriftliche sachverständige Zeugenauskunft sei nach Aktenlage erfolgt. Er habe den Befund von Mitte Mai 2016 wiedergegeben, welchen Prof. Dr. H. erhoben habe. Dieser arbeite als angestellter Arzt in der Praxis. Später seien noch Kontrollen erfolgt, zuletzt Ende November 2016. Es sei keine spezielle Therapie vorgeschlagen worden. Eine weitere sei für März 2017 vorgesehen gewesen. Diesen Termin habe der Kläger jedoch nicht wahrgenommen.
In der nichtöffentlichen Sitzung beim LSG am 14. Juli 2017 ist er gehört worden. Krankheitsbedingte und beschäftigungsbezogene Ausfallzeiten wegen des Diabetes mellitus habe er nicht gehabt. Wenn er einen Ausflug mit der Familie unternehme, spritze er sich zu Hause. Danach richteten sich die Planungen. Die Injektionen verabreiche er sich viermal täglich. Bis zu viermal im Monat träten Hypoglykämien mit Werten unter 60 beziehungsweise 65 mg/dl auf. Der Kläger hat daraufhin die Bescheinigung von Dr. Th. von Ende Juli 2017 vorgelegt, wonach sich die Stoffwechsellage im zweiten und dritten Quartal 2017 gegenüber dem ersten, trotz der Bemühungen des Klägers, verschlechtert habe.
Er trägt im Wesentlichen vor, die Krampfadern seien zweimal operativ entfernt worden. Die Funktionsbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit dem Diabetes mellitus seien derart schwer, dass mindestens ein Einzel-GdB von 50 gerechtfertigt sei. Einem seiner Arbeitskollegen bei vergleichbarer Sachlage ein GdB von 50 zugebilligt worden. Für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung sei ob seiner türkischen Staatsangehörigkeit ein Dolmetscher für die türkische Sprache hinzuzuziehen.
Er beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. März 2017 aufzuheben und den Bescheid vom 28. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2016 teilweise aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, bei ihm den Grad der Behinderung mit mindestens 50 ab 27. Mai 2016 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er trägt im Wesentlichen vor, ein höherer Gesamt-GdB als 40 sei nicht gerechtfertigt.
In der mündlichen Verhandlung beim LSG hat er den Bericht von Dr. Th. von Ende November 2017 vorgelegt, wonach sich der Kläger gewissenhaft um den Diabetes kümmere und die Termine regelmäßig wahrnehme. Er messe seinen Blutzucker gewissenhaft. Seine Insulinpläne seien regelmäßig den Verläufen der gemessenen Werte angepasst. Wegen der Schichtarbeit ließen sie sich schwer einstellen, so dass sie in 40 % der Fälle außerhalb des Zielbereiches lägen. Der jeweils erhobene HbA1c-Wert habe im Juli und Oktober 2016 sowie im Januar, April, Juli und November 2017 mit bis zu 8,3 % jedes Mal außerhalb des Normbereiches gelegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 i. V. m. § 105 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 Halbsatz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 SGG), aber unbegründet. Das SG hat die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, vgl. zur Klageart BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 6/12 R -, juris, Rz. 25 m. w. N.) zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40 ab 27. Mai 2016, wie ihn der Beklagte bereits festgestellt hat.
Gegenstand der Klage ist ein Anspruch des Klägers auf Feststellung des GdB mit mindestens 50 ab 27. Mai 2016 aufgrund seiner Erstantragstellung an diesem Tag. Diesem Begehren steht der Bescheid vom 28. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2016 entgegen, da ihn das SG nicht teilweise aufgehoben hat. Die gerichtliche Nachprüfung richtet sich in Fällen einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 54 Rz. 34), vorliegend am 7. Dezember 2017.
Der Anspruch des Klägers gründet auf § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der aktuellen Fassung durch Art. 2 Ziff. 2 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 70 Abs. 2 SGB IX). Von dieser Ermächtigung hat das BMAS Gebrauch gemacht und die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412) erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (etwa "Altersdiabetes" oder "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R -, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B -, juris, Rz. 5).
Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzel-fall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R -, juris, Rz. 13). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.
In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen des Klägers ab 27. Mai 2016 mit einem GdB von 40 ausreichend bewertet sind.
Das Funktionssystem "innere Sekretion und Stoffwechsel" bedingt ob des erstmals im Januar 2016 diagnostizierten Diabetes mellitus Typ 1 allenfalls einen Teil-GdB von 40.
Die hieran erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, welche die Feststellung eines GdB rechtfertigt; dieser beträgt 0 (siehe hierzu und zum Folgenden: VG, Teil B, Nr. 15.1). Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB beträgt 20. Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB beträgt 30 bis 40. Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdB beträgt 50. Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdB-Werte bedingen.
Für einen GdB von mindestens 50 enthalten die VG, Teil B, Nr. 15.1 somit drei Beurteilungskriterien: täglich mindestens vier Insulininjektionen, selbstständige Variierung der Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung sowie eine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung durch erhebliche Einschnitte. Diese Kriterien sind nach Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht jeweils gesondert für sich genommen starr anzuwenden, sie sollen vielmehr eine sachgerechte Beurteilung des Gesamtzustandes erleichtern (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 SB 2/13 R -, SozR 4-3250 § 69 Nr. 18, Rz. 16 m. w. N.).
Über den Therapieaufwand hinaus, also die beiden erstgenannten Beurteilungskriterien, erfordert ein Einzel-GdB von mindestens 50, dass die betreffende Person durch die Auswirkungen des Diabetes mellitus auch insgesamt gesehen erheblich in ihrer Lebensführung beeinträchtigt ist. Hierbei handelt es sich um eine zusätzlich zu erfüllende Anforderung (BSG, a. a. O., Rz. 18). Das kommt bereits durch die Verwendung des Wortes "und" deutlich zum Ausdruck. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Verordnungsgeber, der ausdrücklich an die vorausgegangene Rechtsprechung des BSG angeknüpft hat (siehe BR-Drucks 285/10 S. 3), davon ausgegangen ist, dass bei einem entsprechenden Therapieaufwand immer eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung vorliegt. Zudem ist für die Beurteilung des GdB bei Diabetes mellitus die jeweilige Stoffwechsellage bedeutsam. Der darin zum Ausdruck kommende Therapieerfolg kann aber nur im Rahmen der Prüfung der gravierenden Beeinträchtigung der Lebensführung, also des dritten Merkmals, berücksichtigt werden.
Danach ist der beim Kläger vorhandene Diabetes mellitus Typ 1 mit keinem höheren Einzel-GdB als 40 zu bewerten. Abgesehen davon, dass die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht dokumentiert sind, arbeitet er in Vollzeit bei der D. am Fließband. Krankheitsbedingte und beschäftigungsbezogene Ausfallzeiten wegen des Diabetes mellitus sind bislang nicht aufgetreten, wie er ausweislich der im Wege des Urkundenbeweises (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung - ZPO) verwerteten Niederschrift über die nichtöffentliche Sitzung beim LSG Mitte Juli 2017 eingeräumt hat. Die Unternehmungen mit seiner Familie sind danach lediglich geringfügig dadurch beeinträchtigt, dass sich deren Beginn daran orientiert, wann er sich die erste Insulindosis zu Hause verabreicht. Die Angaben des Klägers sind verwertbar, auch wenn er zuletzt ob seiner Staatsangehörigkeit um die Hinzuziehung eines Dolmetschers für die türkische Sprache gebeten hat. Er ist der deutschen Sprache hinreichend mächtig, was sich bereits der Niederschrift über die mehr als eine halbe Stunde dauernde nichtöffentliche Sitzung beim LSG ergibt. Obwohl ein Sprachmittler nicht anwesend war, konnte der Kläger differenzierte Angaben zu seiner beruflichen Tätigkeit, seinem Privatleben und den krankheitsbedingten Beeinträchtigungen in deutscher Sprache machen. Darüber hinaus nimmt er seit Jahren Arztbesuche wahr, ohne dass sich den Berichten hierüber entnehmen lässt, dass er Äußerungen nur in türkischer Sprache tätigte. Diesen Eindruck hat auch der Senat in der mündlichen Verhandlung gewonnen, während der er weitere Ausführungen zu seiner Lebensgestaltung in deutscher Sprache machte. Bezogen auf den Diabetes mellitus hat zuletzt Dr. Th. zwar bestätigt, dass sich die Stoffwechsellage im zweiten und dritten Quartal 2017 verschlechtert hat, indes weder erhoben, dass sie nicht regulierbar oder gar außergewöhnlich schwer regulierbar ist, was auch die von ihm zwischen Juli 2016 und November 2017 erhobenen HbA1c-Werte, mittels derer der durchschnittliche Zuckergehalt im Blut ausgewiesen wird, mit bis zu 8,3 % bei einem Normbereich von 3,4 bis 6 % nicht belegen. Diabetische Folgeschäden sind nach seiner Auskunft im erstinstanzlichen Verfahren nicht objektiviert. Eine diabetische Polyneuropathie ist nicht gesichert, da sie sich nach dem Bericht von Priv.-Doz. Dr. B. bislang elektrophysiologisch nicht objektivieren ließ. Unterstellt sie liegt vor, sind hierauf nach seinen Erhebungen ohnehin allenfalls leichtgradige Funktionsstörungen wie Sensibilitätsstörungen im Bereich D3 bis D5 und am Fußrücken, jeweils rechts, sowie Missempfindungen an beiden Beinen zurückzuführen. Diese Beschwerden haben sich durch die symptomatische Therapie mit zweimal 50 mg Pregabalin und Ibuprofen, 800 mg rasch gebessert. Priv.-Doz. Dr. B. ist daher nachvollziehbar davon ausgegangen, dass hierdurch keine Behinderung eingetreten ist, also die körperliche Funktion mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter des Klägers typischen Zustand abgewichen ist und daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nicht beeinträchtigt hat (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Wegen der bis zu viermal im Monat auftretenden Hypoglykämien, welche der Kläger in der nichtöffentlichen Sitzung beim LSG angeführt hat, und der aktuell bis zu fünfmal täglich vorgenommenen Insulininjektionen, was er in der mündlichen Verhandlung betont hat, mag ein Einzel-GdB von 40 gerechtfertigt sein. Ein höherer ist allerdings nicht begründbar.
Das Funktionssystem "Herz-Kreislauf" hat wegen der Krampfadern keinen Teil-GdB im messbaren Bereich zur Folge.
Unkomplizierte Krampfadern haben nach den VG, Teil B, Nr. 9.2.3 einen GdB von 0 zur Folge. Eine chronisch-venöse Insuffizienz (z. B. bei Krampfadern), ein postthrombotisches Syndrom ein- oder beidseitig mit einem geringen belastungsabhängigen Ödem, nicht ulzerösen Hautveränderungen, ohne wesentliche Stauungsbeschwerden eröffnen einen GdB Rahmen zwischen 0 und 10, mit erheblicher Ödembildung, häufig (mehrmals im Jahr) rezidivierenden Entzündungen zwischen 20 und 30 sowie mit chronischen rezidivierenden Geschwüren, je nach Ausdehnung und Häufigkeit (einschließlich arthrogenes Stauungssyndrom) zwischen 30 und 50.
Die bereits im Herbst 2012 aufgetretene Varikophlebitis der Vena saphena parva links, welche zwar bis an die Mündung ins tiefe Beinvenensystem reichte, allerdings dieses selbst beidseits frei war, wurde von Dr. K. mit mittelkräftigen Kompressionsstrümpfen im Bereich der Oberschenkel behandelt. Nach schließlich stattgehabten zwei Venenexhairesen vor etwa zwei und vier Jahren, wie der Kläger kundtat, lag ein regelrechter Zustand vor, was die sachverständigen Zeugen Dr. M. und Dr. F. bestätigten. Letzterer hat im Berufungsverfahren klargestellt, seine Bewertung auf einen von Prof. Dr. H., einen Praxiskollegen und Facharzt für Chirurgie, erhobenen Befund gestützt zu haben, was seine Schlussfolgerung hinreichend nachvollziehbar macht. Eine letzte Kontrolle erfolgte nach dessen weiteren Ausführungen Ende November 2016, ohne dass eine Therapienotwendigkeit bestand. Einen weiteren Kontrolltermin im Frühjahr 2017 nahm der Kläger nicht einmal mehr wahr. Funktionsstörungen, welche einen messbaren GdB stützen, sind damit nicht nachgewiesen.
Sonst sind insbesondere wegen der im November 2011, also lange vor dem streitgegenständlichen Zeitraum, seit zwei Monaten bestehenden Epididymitis, einer vorübergehenden Entzündungskrankheit des Nebenhodens, deren Therapie zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. L. abgeschlossen war und deren begleitende schmerzhafte Schwellung des Inhalts des linken Skrotums vom Kläger später nicht mehr beklagt worden ist (VG, Teil B, Nr. 13.2) sowie ohne aufgetretene Miktionsbeschwerden und relevante Restharnbildung (VG, Teil B, Nr. 12.2), was dieser ebenfalls feststellte, sowie ob der von Dr. M. angeführten Quetschung des rechten Mittelfußes im Mai 2016, der kernspintomografisch gesicherten medial-betonten Gonarthrose beidseits und der Senk- und Spreizfüße (VG, Teil B, Nr. 18.14) keine Gesundheitsstörungen nachgewiesen worden, derentwegen einem Funktionssystem zuzuordnende Einschränkungen vorliegen, welche überhaupt erst geeignet wären, den Gesamt-GdB zu erhöhen. Auf eine Störung des Lymphabflusses im rechten Fuß äußerte Dr. F. nur einen Verdacht, sie ist damit bereits nicht erwiesen.
Unter Berücksichtigung der Grundsätze für die Bildung des Gesamt-GdB (VG, Teil A, Nr. 3 a) ist im Falle des Klägers der Gesamt-GdB allein aus dem Teil-GdB für das Funktionssystem "innere Sekretion und Stoffwechsel" zu bilden und erreicht daher bis aktuell keinen höheren als 40. Dahinstehen kann, ob einem seiner Arbeitskollegen bei vergleichbarer Sachlage ein GdB von 50 zugebilligt wurde. Aus einer solchen rechtswidrigen Rechtsposition eines Dritten vermag der Kläger auch vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichbehandlungsgebotes von Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) keinen Anspruch herzuleiten. Denn auf eine so genannte "Gleichheit im Unrecht" kann er sich berechtigterweise nicht berufen.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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