L 6 SB 3300/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 11 SB 456/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 3300/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts U. vom 21. Juli 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Zuerkennung (behördliche Feststellung) eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 und damit der Eigenschaft eines schwerbehinderten Menschen.

Der Kläger ist im Oktober 1964 geboren und wohnt im Inland. Er absolvierte nach der Hauptschule eine Wirtschaftsschule, die er mit der Fachhochschulreife verließ. Nach einer Ausbildung zum Gärtner und dem Zivildienst arbeitete er als Gartenbauer. Wegen psychischer Beschwerden gab er diesen Beruf auf und ließ sich zum Offsetdrucker umschulen. In diesem Bereich arbeitete er acht Jahre. Nach einer weiteren Aus- bzw. Fortbildung zum Mediengestalter war er noch kurz berufstätig. Ab etwa 1998 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand und es entwickelte sich ein Alkoholmissbrauch. Seitdem ist er arbeitslos. Er bezieht seit 2004 Arbeitslosengeld II. Er ist ledig, hat bislang nicht in Partnerschaften gelebt und hat keine Kinder (Angaben des Klägers gegenüber dem Sachverständigen Dr. T.).

Der Beklagte hatte bei ihm erstmals mit Bescheid vom 5. Oktober 2010 wegen einer "seelischen Störung" einen GdB von 20 festgestellt. Dem hatte unter anderem der Entlassungsbericht der K.-Klinik St. B. vom 2. Mai 2007 zu Grunde gelegen, in dem eine Dysthymia (F34.1 ICD-10 GM) und eine narzisstische Persönlichkeitsstörung (F60.8) sowie ein LWS-Syndrom (Syndrom der Lendenwirbelsäule) diagnostiziert worden waren. Mit Bescheid vom 17. September 2013 hatte der Beklagte den GdB mit 30 festgestellt. Dem lagen Einzel-GdB-Werte von – nunmehr – 30 für die seelische Störung und 10 für degenerative Veränderungen der Wirbelsäule zu Grunde. Der damals eingereichte Entlassungsbericht der Schloss¬klinik Bad B. über eine Rehabilitation des Klägers vom 11. Juni bis 16. Juli 2013 hatte als Diagnosen eine rezidivierende depressive Episode (F33.0: gegenwärtig leichte Episode) und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (F68.0: "Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen") sowie weiterhin ein LWS-Syndrom genannt.

Am 29. Januar 2015 stellte der Kläger erneut Antrag auf Neufeststellung. Er gab an, er leide an einer verminderten allgemeinen Leistungsfähigkeit, Rückenschmerzen mit Ausstrahlungen und Bewegungseinschränkungen an der Schulter. Sein emotional-seelischer Zustand habe sich verschlechtert. Er reichte ärztliche Unterlagen ein, darunter die Befundberichte des Psychiaters Dr. A. S. vom 3. Februar 2015 (depressive Störung und Persönlichkeitsstörung, mehrere berufliche Integrationsmaßnahmen gescheitert, auch eine stationäre Rehabilitation habe keine Besserung ergeben) und der HNO-Ärztin Dr. T. vom 13. Mai 2015 (Tinnitus aurium rechts).

Der Beklagte zog verschiedene ärztliche Unterlagen bei.

Die Internistin und Psychiaterin Dr. B. hatte in ihrem Gutachten vom 4. März 2015, das die DRV B. in Auftrag gegeben hatte, eine mittelgradige depressive Episode im Rahmen einer Anpassungsstörung, aktuell ohne suffiziente Medikation (F43.2), eine Persönlichkeitsstörung mit dependenten, neurasthenischen und pessimistischen Anteilen (F61.0), ein Zustand nach Trichterbrustoperation mit gutem Resultat, ein LWS-Syndrom mit gelegentlichen Schmerzen ohne Minderbelastbarkeit, eine Tendinose der rechten Supraspinatus- und Subscapularissehne mit Schulterschmerzen rechts ohne Minderbelastbarkeit sowie eine Migräne und eine arterielle Hypertonie festgestellt und die Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit einigen qualitativen Leistungseinschränkungen mit sechs Stunden und mehr arbeitstäglich eingeschätzt. Dies ergebe sich auch daraus, dass der Kläger kurz zuvor – von Januar bis Oktober 2014 – eine mehrmonatige vollschichtige Berufserprobung bei einem Maßnahmeträger in U. (S. GmbH) absolviert hatte. Dr. B. hatte in ihrem Gutachten auch auf seine ablehnende Haltung gegenüber einer medikamentösen Behandlung (und den entsprechend niedrigen Wirkstoffspiegel bei einer Blutuntersuchung) hingewiesen. Bei ihr hatte der Kläger auch einen aktiven Tagesablauf mit Fahrradtouren, dem Ausführen von Hunden, Besuchen bei den Eltern und Nachbarschaftshilfe angegeben.

Der Neurologe Prof. Dr. S. teilte mit, beim Kläger bestehe Normalhörigkeit und eine MRT-Untersuchung des Kopfes am 8. Juni 2015 habe keine nennenswerten Veränderungen ergeben, sodass der Tinnitus als psychogen bedingt einzustufen sei.

Der Entlassungsbericht der H.-Klinik W. vom 26. November 2015, wo sich der Kläger vom 15. September bis zum 3. November 2015 in einer stationären Behandlung befunden hatte, nannte als Diagnosen eine rezidivierende depressive Episode, gegenwärtig mittelgradig (F33.1), soziale Phobien (F40.1) und eine Dysthymia mit frühem Beginn im Sinne einer "Double Depression" auf dem Boden einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften und selbstunsicher-vermeidenden Anteilen, ferner den Verdacht auf ein ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) im Erwachsenenalter (F90.0) vermutlich vom Träumertypus, einen schädlichen Alkoholgebrauch, gegenwärtig abstinent (F10.10), einen Tinnitus rechts, einen Zustand nach Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule (HWS) und eine Migräne. Der Kläger war bei ausreichender Stabilisierung mit flexiblen und erweiterten Beziehungsfertigkeiten in das häusliche Umfeld entlassen worden. Das komplexe Symptombild hatte während der Behandlung deutlich abgenommen, die Selbstwirksamkeit und das Selbstwertgefühl waren deutlich gesteigert worden, neue Zukunftsperspektiven hätten entwickelt werden können.

Der Versorgungsärztliche Dienst des Beklagten, Dr. L., schlug nach einer Auswertung dieser Unterlagen vor, Einzel-GdB-Werte von 40 für eine "seelische Störung und Depression" und von je 10 für degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und für Ohrgeräusche und daraus folgend einen Gesamt-GdB von 40 zuzuerkennen.

Gestützt hierauf stellte der Beklagte mit Bescheid vom 14. Dezember 2015 den GdB ab Antragstellung mit 40 fest.

Im Vorverfahren trug der Kläger vor, der GdB für die psychische Erkrankung betrage mindestens 50. Er habe noch keine Beziehung gehabt, sei seit 1998 arbeitslos, außer den wenigen Kontakten zu seiner Familie habe er keine gesellschaftlichen Kontakte. Die Besserungen im Gesundheitszustand bei der Entlassung aus der H.klinik seien leider nur von kurzer Dauer gewesen.

Der Beklagte erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2016.

Hiergegen hat der Kläger am 10. Februar 2016 Klage beim Sozialgericht U. (SG) erhoben.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Die Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. P. hat am 28. April 2016 mitgeteilt, der Kläger nehme bei ihr seit April 2016 wöchentlich an einer gruppentherapeutischen Behandlung teil. Er wirke emotional distanziert und affektiv wenig beteiligt, die Stimmung sei gedrückt bei erhaltener Schwingungsfähigkeit, der Antrieb vermindert. Es beständen Zukunfts-, Versagungs- und Verlustängste und Selbstzweifel. Hinweise auf Phobien oder Zwänge lägen nicht vor. Inhaltliche Denkstörungen fehlten bei Tendenzen zu Weitschweifigkeit und zum Grübeln. Die Allgemeinmedizinerin F. hat am 8. Mai 2016 die aktuellen Diagnosen mitgeteilt und eine Behandlungsübersicht eingereicht. Prof. Dr. S. hat am 17. Mai 2016 unter Beifügung eigener Arztbriefe geäußert, der Kläger habe seit längerem wegen Nebenwirkungen die Medikation abgesetzt. Der Tinnitus, die Kopf- und die Wirbelsäulenbeschwerden seien am ehesten als somatische Komorbiditäten in Relation zur psychischen Befindlichkeit aufzufassen. Dr. A. S. hat am 15. Juli 2016 bekundet, der Kläger sei bei gehemmter Art, gedrückter Stimmung und eingeschränkter affektiver Schwingungsfähigkeit gut kontaktfähig, flüssig rapportfähig und antworte prompt und verständlich. Trotz der intensiven Behandlungen auch stationärer Art habe sich keine Besserung eingestellt.

Von Amts wegen hat das SG das neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 20. Februar 2017 bei Dr. T. über den Kläger erhoben.

Der Sachverständige hat anamnestisch mitgeteilt, nach den Angaben des Klägers bestehe die psychische Erkrankung seit Kindheitstagen. Er habe sich in der Schule nicht konzentrieren können und schon damals Ängste gehabt, sei aber nie suizidal gewesen. Aktuell sei er bei Dr. A. S. ein- bis zweimal je Quartal in Behandlung. Er nehme zurzeit Sertralin 50 mg 1-0-0-0, nachdem er verschiedene andere Antidepressiva ausprobiert habe. Zusätzlich absolviere er eine psychotherapeutische Gruppentherapie bei Dr. P ... Der Kläger habe angegeben, morgens gegen 8.00 Uhr aufzustehen, manchmal auch bis 11.00 Uhr zu schlafen, zu frühstücken, habe über das Internet Kontakt zu einer Patientengruppe und lese und schreibe vormittags die Nachrichten. Gelegentlich müsse er einkaufen. Er esse oftmals nicht zu Mittag. Er mache im Haushalt nur das Nötigste. Nachmittags gehe er spazieren, Laufen entspanne ihn, aber bei längerem Gehen schmerzten die Füße, insoweit sei auch schon eine Polyneuropathie gemutmaßt worden. Er habe keine Hobbys mehr. Er habe nur wenige Bekannte und gute Freunde und habe sich aus einem Freundeskreis zurückgezogen, weil dort viel Alkohol getrunken worden sei. Zwischen 18.00 und 20.00 Uhr esse er zu Abend, sehe dann fern und gegen Mitternacht zu Bett. Lesen könne er nicht mehr, weil ihm die Konzentration fehle. Er habe regelmäßig Kontakt zu den Eltern und gelegentlich zu seinem Bruder, zu dem das Verhältnis etwas angespannt sei.

In dem klinisch-neurologischen und dem psychopathologischen Befund hat Dr. T. ausgeführt, die HWS sei in allen Bewegungsrichtungen leicht eingeschränkt, der Kläger weise insgesamt einen sehr guten körperlichen und athletischen Zustand auf, es lägen keine relevanten neurologischen Störungen vor, lediglich das Vibrationsempfinden sei am rechten Handgelenk auf 7/8 und an der rechten Großzehe auf 3/8 abgesunken. Der Finger-Boden-Abstand (FBA) betrage 15 cm, das Gewicht sei mit 83 kg bei 186 cm Körpergröße normal (BMI 24,0). Körperpflege und Kleidung seien leicht ungepflegt gewesen. Der Kläger habe offen und freundlich agiert. Er sei in allen drei Dimensionen orientiert, das Gedächtnis nicht eingeschränkt, die Konzentration und Aufmerksamkeit regelgerecht. Die Intelligenz erscheine unterdurchschnittlich. Es beständen weder formale noch inhaltliche Denkstörungen und auch Kognition und Wahrnehmung seien regelgerecht. Schwingungsfähigkeit und Antrieb seien leicht reduziert. Insgesamt habe der Kläger die gesamte Exploration ohne Hinweise auf Schmerzen, ohne Korrekturen der Sitzposition und ohne Zunahme gedanklicher oder psychischer Einschränkungen absolviert.

Diagnostisch lägen bei ihm eine rezidivierende depressive Episode, zurzeit leichtgradig, eine soziale Phobie, eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften und selbstunsicher-vermeidenden Anteilen, ein schädlicher Gebrauch von Alkohol, ein Tinnitus rechts bei sensorineuraler Schwerhörigkeit, ein chronisches HWS- und LWS-Syndrom und eine Migräne vor. Er sei unzweifelhaft in der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit wesentlich eingeschränkt. Der Kläger habe sein ganzes Leben lang keine Beziehung gehabt. Der Tagesablauf und die Aktivitäten seien geprägt durch die psychische Erkrankung, auch die berufliche Biografie mit häufigem Scheitern und jahrelanger Arbeitslosigkeit hingen damit zusammen. Regelmäßige soziale Kontakte seien nur sehr eingeschränkt möglich. Die körperlichen Beschwerden seien im Sinne eines somatischen Syndroms zu deuten. Ansonsten leider der Kläger aber unter keiner schwerwiegenden körperlichen Erkrankung. Es lägen aber andererseits keine mittelgradigen oder gar schweren sozialen Anpassungsstörungen und damit keine schwere Störung vor. Der GdB für die psychische Erkrankung sei daher auf 40 zu schätzen. Eine wesentliche Verschlechterung seit 2015 sei nicht erkennbar, sodass eine Höherstufung ausscheide. Die weiteren Erkrankungen, soweit körperlich bedingt, führten nur zu GdB-Werten von 10.

Der Kläger ist diesem Gutachten entgegengetreten und hat Bescheinigungen des Dipl.-Psych. Dr. M. vom 28. März 2017 (mehrfach psychotherapeutische Behandlungen seit 1999, zuletzt von 01/2009 bis 09/2012), der Dipl.-Psych. S., Universitätsklinikum U., vom 3. April 2017 (der Kläger nehme seit September 2006 an einer ambulanten Gruppenmusiktherapie teil), von Dr. P. vom 18. April 2017 (Teilnahme an wöchentlich stattfindender gruppentherapeutischer Behandlung seit April 2016), von Frau S., Leiterin der Selbsthilfegruppe "Angst", vom 19. April 2017 (der Kläger nehme seit 2003 wöchentlich an den Treffen der Angstselbsthilfegruppe teil, die zweistündigen Termine seien für ihn weiterhin sehr belastend) sowie von Dr. A. S. vom 3. Mai 2017 (Dysthymia, kombinierte Persönlichkeitsstörung) eingereicht. Ferner hat er vorgetragen, er leide auch an einer Erkrankung der Schilddrüse und hat hierzu das Attest des Internisten Dr. S. vom 21. Februar 2017 (subakute Thyreoiditis de Quervain, euthyreote Stoffwechsellage; angesichts einer nur milden Symptomatik sei nur eine Verlaufsbeobachtung angezeigt) vorgelegt.

Mit Urteil vom 21. Juli 2017 auf Grund mündlicher Verhandlung, an welcher der Kläger teilgenommen hat, hat das SG die Klage abgewiesen. Der GdB betrage weiterhin 40. Seit der letzten bindenden Feststellung hätten sich die psychischen Verhältnisse nicht wesentlich verändert. Dies ergebe sich vor allem aus den Feststellungen des Gerichtssachverständigen Dr. T ... Die weiteren Erkrankungen auf nichtpsychiatrischem Fachgebiet, vor allem der Tinnitus, die Veränderungen an der Wirbelsäule und die Erkrankung der Schilddrüse, bedingten keine Funktionsbeeinträchtigungen, die zu einem die Funktionssyme betreffenden Teil-GdB von mehr als 10 führen könnten.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 23. August 2017 Berufung beim Landessozialgericht B. (LSG) erhoben. Er trägt in der Berufungsbegründung vom 18. Oktober 2017 vor, er esse jeden Tag bei seinen über 80 Jahre alten Eltern. Es bereite ihm immense Zukunftsängste, dass dies dereinst nicht mehr möglich sein werde. Er sei nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen. Im Haushalt erledige er nur das Nötigste, wie z.B. kleine Einkäufe. Außer zu seinen Eltern habe er keine sozialen Kontakte zu Verwandten oder Freunden. Er könne seit vielen Jahren keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen. Dr. T. habe auch eine unterdurchschnittliche Intelligenz festgestellt. In dem Schriftsatz vom 29. Januar 2018 gibt er ergänzend an, Dr. T. habe die funktionellen Beeinträchtigungen nicht in ihrer ganzen Tragweite erfasst. Er habe während der weniger als zwei Stunden andauernden Exploration seine Denk- und Konzentrationsfähigkeit nur wegen einer "entsprechenden mentalen Vorbereitung" aufrechterhalten können. Dies sei ihm für eine längere Zeit nicht möglich.

Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts U. vom 21. Juli 2017 aufzuheben, den Bescheid vom 14. Dezember 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Februar 2016 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, bei ihm unter weiterer Abänderung des Bescheides vom 17. September 2013 ab dem 29. Januar 2015 einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil und seine Entscheidungen. Er trägt vor, der strukturierte Tagesablauf, die geschilderten Alltagskompetenzen und die erhaltenen Sozialkontakte ergäben zwar eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, aber keine schwere seelische Störung mit bereits mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten.

Der Senat hat am 6. November 2017 Hinweise zur Sach- und Rechtslage gegeben sowie mit Schreiben vom 15. Dezember 2017 angekündigt, ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss entscheiden zu wollen, und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 31. Januar 2018 gegeben. Der Kläger hat in dem genannten Schriftsatz vom 29. Januar 2018 Angaben zu seinem Gesundheitszustand gemacht.

Wegen der Angaben der Beteiligten und der Ergebnisse der Beweisaufnahme im Einzelnen wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.

II.

Der Senat konnte über die Berufung nach § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden. Er hält die Berufung einstimmig für unbegründet. Der Rechtsstreit weist nach seiner Einschätzung auch keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Die Beteiligten sind dazu gehört worden. Keine Seite hat gegen diese Verfahrensweise Einwände erhoben. Auch der Kläger hat in dem Schriftsatz vom 29. Januar 2018 nur zur Sache wiederholend vorgetragen, ohne dass ein erneuter Hinweis im Sinne des § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG hätte erfolgen müssen.

Die Berufung ist nach § 143 SGG statthaft, insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, da der Kläger keine Geld-, Sach- oder Dienstleistung im Sinne dieser Vorschrift begehrt, sondern eine behördliche Feststellung. Auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor, insbesondere hat der Kläger die Berufung form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. In der Sache hat die Berufung aber keinen Erfolg. Zu Recht hat das SG die – zulässige - Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) abgewiesen, weil der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 oder mehr hat.

Die materiell-rechtlichen Grundlagen für die Zuerkennung eines GdB bestimmen sich seit den Änderungen des Rechts der schwerbehinderten Menschen durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I 2016, S. 3234 ff.) seit dem 1. Januar 2018 nach § 152 Abs. 1 bis 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Diese neuen Vorschriften sind hier anwendbar. Die Entscheidung eines Gerichts im Rahmen einer Leistungsklage, zu der auch eine Verpflichtungsklage wie hier gehört, richtet sich nach der Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung in einer Tatsacheninstanz. Bei einer schriftlichen Entscheidung wie hier steht der mündlichen Verhandlung der Tag gleich, bis zu dem sich die Beteiligten äußern bzw. Schriftsätze einreichen können (vgl. den Rechtsgedanken des § 128 Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Dies war hier der 31. Januar 2018. Inhaltliche Änderungen haben sich durch das BTHG im Vergleich zu den früheren Regelungen in § 69 SGB IX a.F. auch nicht ergeben.

Nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der Fassung des BTHG stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung oder von Amts wegen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden eine Behinderung und den GdB fest.

Menschen mit Behinderungen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist. Nach § 2 Abs. 2 SGB IX sind Menschen im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden nach § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX weiterhin als GdB nach 10er-Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten die Maßstäbe, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in der nach § 153 Abs. 2 SGB IX vorgesehenen Rechtsverordnung aufstellt. Soweit noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten nach der Übergangsregelung in § 241 Abs. 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Absatz 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend. Bei dieser Rechtsverordnung handelt es sich um die zum 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412). Die Anlage zu § 1 VersMedV enthält die unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellten und fortentwickelten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VG). Sie regeln die Maßstäbe für die Bewertung der aus einer Gesundheitsschädigung folgenden funktionellen Einbußen bei der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (Behinderung) mit einem "Grad der Schädigungsfolgen" (GdS) im Sinne des BVG. In entsprechender Anwendung nach § 241 Abs. 5 SGB IX steht dieser GdS dem GdB nach § 152 Abs. 1 SGB IX gleich.

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen (VG, Teil A, Nr. 2 Buchstabe c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben (§ 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 Buchstabe e).

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktions-beeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei sind die Vorgaben der VG, Teil A Nr. 3, zu beachten. In diesem Rahmen ist der Gesamt-GdB nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R -, juris, Rz. 17 m. w. N.).

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und daher auch die jeweiligen Teil-GdB-Werte dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R -, juris, Rz. 13). Der Teil-GdB erscheint daher nicht im Verfügungssatz des Bescheids und ist nicht isoliert anfechtbar. Veränderungen eines Teil-GdB, aber auch unterschiedliche Bewertungen einer Behinderung mit einem Teil-GdB durch die Versorgungsverwaltung und die Gerichte sind daher unerheblich, solange der Gesamt-GdB nicht betroffen ist.

Begehrt ein Mensch mit Behinderung, bei dem bereits ein GdB festgestellt ist, eine Erhöhung, so muss sein Antrag, um Erfolg zu haben, auf verfahrensrechtlicher Ebene außerdem den Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) genügen. Nach dieser Vorschrift ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Die Zuerkennung eines GdB ist ein solcher Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (BSG, Urteil vom 22. Oktober 1986 - 9a RVs 55/85 – juris, Rz. 8). Eine wesentliche Veränderung der Sachlage liegt bei der Zuerkennung eines GdB z.B. dann vor, wenn sich der Gesundheitszustand des behinderten Menschen so verschlechtert hat, dass eine Erhöhung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 gerechtfertigt ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 11.November 2004 - B 9 SB 1/03 R – juris, Rz. 12). Das Gleiche gilt bei einer Verbesserung des Gesundheitszustandes mit einer anschließenden Herabbemessung des GdB durch die Versorgungsverwaltung (Urteil des Senats vom 17. Dezember 2015 – L 6 SB 3978/14 –, juris, Rz. 30).

Auf diesen Grundlagen ist bei dem Kläger auch unter Berücksichtigung von Veränderungen im Gesundheitszustand seit der letzten bindenden Feststellung des GdB mit 30 durch den Bescheid vom 17. September 2013 kein höherer GdB als 40 festzustellen.

Dieser GdB folgt bereits aus der Bewertung der funktionellen Einbußen im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche".

Nach den VG, Teil B Nr. 3.7, VG ist für Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen im Falle leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen ein GdB von 0 bis 20 anzunehmen. Bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) beträgt der GdB 30 bis 40. Bei schweren Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdB 50 bis 70, mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten 80 bis 100. Aus diesen Vorgaben ergibt sich, dass zu einem höheren GdB insbesondere Einschränkungen auf sozial-kommunikativem Gebiet führen. Weiter sind aber, wie generell bei der Bewertung der Folgen psychischer Erkrankungen, auch die körperlich-funktionelle Leidensdimension, insbesondere Schmerzen, sowie die psychisch-emotionale Ebene (vgl. zu diesen Leidensdimensionen auch Philipp, Vorschlag zur diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten psychischen bzw. psychosomatischen Störungen, MEDSACH 2015, S. 255 ff.) zu berücksichtigen (vgl. Urteile des Senats vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 61 ff). Hierbei ergibt sich aus der psychiatrischen Diagnose zwar eine erste Einordnung, nachdem die Klassifizierungssysteme für Krankheiten (hier die ICD-10 GM, die Internationale statistische Klassifikation der Erkrankungen und verwandter Gesundheitsstörungen, Deutsche Fassung, 10. Auflage 2016/2017) bei einigen Arten psychischer Erkrankungen graduelle Ausprägungen vorsehen. Dies gilt insbesondere für die verschiedenen Grade depressiver Episoden nach F32.- und F33.- ICD-10 GM. Maßgeblich sind aber die aus der psychischen Erkrankung folgenden funktionellen Einbußen auf emotional-psychischer, körperlich-funktioneller und vor allem auf sozial-kommunikativer Leidensebene (vgl. Urteil des Senats vom 7. Dezember 2017 – L 6 VG 4996/15 –, juris, Rz. 99).

Bereits die diagnostische Einordnung der psychischen Erkrankungen des Klägers deutet demnach nicht auf eine schwere seelische Störung hin. Zwar hat bei ihm durchgehend und immer schon – anscheinend seit der Kindheit – eine Persönlichkeitsstörung (F60.- oder F61.-) vorgelegen, deren genaue Symptome allerdings im Laufe der Jahre durchaus unterschiedlich beschrieben worden sind. Aber jene Erkrankung, die für funktionelle Beeinträchtigungen verantwortlich ist, also die depressive Erkrankung, ist in ihrer Ausprägung seit der letzten bindenden Feststellung des GdB im Jahre 2013 sogar eher zurückgegangen. Bei der jüngsten stationären Behandlung in der H.klinik im November 2015 war noch eine mittelgradig ausgeprägte rezidivierende depressive Episode (F33.1) angegeben worden. Bei der Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. T. im Februar 2017 war die Symptomatik dann soweit zurückgegangen, dass nur noch eine leichte depressive Episode (F32.0 oder F33.0) festgestellt werden konnte. Dies deckt sich auch mit den Ausführungen in dem Entlassungsbericht der H.klinik, wonach die Behandlung dort zu einer deutlichen Stabilisierung und Besserung im Gesundheitszustand des Klägers geführt hat. Und einer der ärztlichen Behandler des Klägers, Dr. A. S., hat zuletzt (Attest vom 03.05.2017) sogar nur noch eine Dysthymia angegeben. Hierbei handelt es sich nach F34.1 ICD-10 GM um eine Erkrankung, die "weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder leichten rezidivierenden depressiven Störung zu erfüllen". An dieser Stelle ist auch darauf hinzuweisen, dass für die GdB-Bewertung das – jeweils – aktuelle Ausmaß der funktionellen Beeinträchtigungen relevant ist. Die Ausführungen von Dr. S., der Kläger leide schon seit Jahren unter der Erkrankung und habe deswegen auch persönlich und beruflich im Leben nicht Fuß gefasst, sind daher zwar sicher zutreffend, können aber nicht bei der aktuellen Bewertung mit einem GdB berücksichtigt werden.

Auf der funktionellen Ebene liegen beim Kläger zwar – auf allen drei relevanten Leidensebenen – Störungen vor. Diese erreichen auch bereits das Ausmaß einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Es sind aber keine "schweren Störungen" mit mindestens mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten zu verzeichnen.

Für die gutachtliche Beurteilung sozialer Anpassungsschwierigkeiten hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat "Versorgungsmedizin" beim BMAS in seinem Beschluss vom 18./19. März 1998 Abgrenzungskriterien definiert. Diese betreffen im Wesentlichen die sozial-kommunikative Ebene, weil sie stark auf die Interaktion des behinderten Menschen auf dem Arbeitsmarkt und im sozialen Umfeld abstellen. Hiernach liegen leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten vor, wenn die Berufstätigkeit trotz Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich ist. Eine solche der familiären Situation oder bei Freundschaften ist nicht erforderlich. Eine mittelgradige Anpassungsschwierigkeit ist dann gegeben, wenn in den meisten Berufen auswirkende psychische Veränderungen vorliegen, die zwar weitere Tätigkeiten grundsätzlich noch erlauben, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingen und eine Gefährdung der beruflichen Tätigkeit einschließen. Außerdem liegt eine mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeit vor, wenn erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung bestehen. Es ist aber noch keine Isolierung und noch kein sozialer Rückzug in einem solchen Umfang nötig, der z.B. eine vorher intakte Ehe stark gefährden könnte. Eine schwere soziale Anpassungsschwierigkeit ist dann anzunehmen, wenn eine weitere berufliche Tätigkeit stark gefährdet oder ausgeschlossen ist, außerdem bei schwerwiegenden Problemen in der Familie oder im Freundes- bzw. Bekanntenkreis bis zur Trennung von der Familie, vom Partner oder Bekanntenkreis (Urteil des Senats vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 59 ff.; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21. April 2015 – L 7 VE 5/11 –, juris, Rz. 49).

Bei dem Kläger ist zunächst – entgegen seiner eigenen Einschätzung – die Berufstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiterhin ohne erhebliche qualitative Leistungseinschränkungen vollschichtig, also für mehr als sechs Stunden arbeitstäglich, möglich. Dies entnimmt der Senat den Feststellungen und Schlussfolgerungen des Gutachtens von Dr. B. vom 4. März 2015. Dieses war in einem Verwaltungsverfahren von einem Sozialleistungsträger, der DRV B., bei einer approbierten Ärztin erhoben worden und kann daher nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO als öffentliche Urkunde auch in diesem Verfahren verwertet werden. Inhaltlich sind gegen dieses Gutachten keine Einwände zu erheben. Dr. B. hatte den Kläger umfassend unter sozialmedizinischen Aspekten untersucht und getestet und nachvollziehbar ein quantitativ nur wenig eingeschränktes Leistungsvermögen ermittelt. Auch während der Begutachtung bei ihr war die Durchhaltefähigkeit nicht eingeschränkt. In qualitativer Hinsicht hatte Dr. B. einige Leistungseinschränkungen gesehen, allerdings zum Teil sogar auch auf orthopädischem Gebiet, also nicht als Folge der allein zu bewertenden psychischen Erkrankung. Danach sind keine Gründe ersichtlich, warum der Kläger keine einfache Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens 30 Stunden wöchentlich ausüben könnte. Dies wird dadurch bestätigt, dass er noch im Jahre 2014 eine mehrmonatige Berufserprobung bei einem Maßnahmeträger absolvieren konnte und dort festgehalten worden war, es lägen keine krankheitsbedingten Einschränkungen vor.

Auch im Übrigen sind die Einschränkungen des Klägers zwar erheblich, führen aber noch nicht zu einer schweren seelischen Störung. Dies entnimmt der Senat im Wesentlichen den Befundbeschreibungen in dem von Amts wegen erhobenen Gerichtsgutachten von Dr. T. (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 402 ff. ZPO). Dieses Gutachten ist verwertbar, keine der Voraussetzungen aus § 412 Abs. 1 oder Abs. 2 ZPO liegt vor. Der Sachverständige hat ebenfalls den Kläger umfassend untersucht und in ausreichendem Maße die soziale, familiäre und berufliche Anamnese und den psychischen (psychopathologischen) Befund erhoben. Dabei hat er sich auch mit den vorhandenen ärztlichen Unterlagen, insbesondere mit den aussagekräftigen Entlassungsberichten der Rehabilitationskliniken, vor allem der H.-Klinik W., auseinandergesetzt. Danach ist der Kläger auch im privaten Bereich auf sozial-kommunikativer Ebene nur teilweise beeinträchtigt. Es liegt kein vollständiger sozialer Rückzug vor. Es bestehen Kontakte zur Familie, vor allem regelmäßig zu den Eltern – nach den Angaben des Klägers im Berufungsverfahren sogar jeden Tag – und gelegentlich zum Bruder. Der Kläger kauft im Lebensmittelhandel ein und nimmt regelmäßig an außerhäusigen gruppentherapeutischen Angeboten teil, nämlich bei Dr. P., in einer Angstselbsthilfegruppe und in einer Musiktherapie. Er fährt Fahrrad – im Jahre 2015 auch noch über lange Strecken (Gutachten Dr. B.), geht spazieren bzw. führt Hunde aus. Teilhabe am gesellschaftlichen Leben besteht über das Fernsehen und das Internet (E-Mails). Die kommunikative Seite hat Dr. T. kaum beeinträchtigt gefunden. Der Kläger war im persönlichen Umfang freundlich, hat zugehört und im Gespräch keine Auffälligkeiten gehabt, auch gegenüber dem Sachverständigen, der für ihn ein Fremder war. Auch die psychisch-emotionale Ebene ist bei ihm zwar merklich, aber nicht schwer betroffen. Dr. T. hat keine kognitiven Störungen (Merk- und Konzentrationsfähigkeit, Orientierung zu Zeit, Ort und Person, Halluzinationen) feststellen können. Dass der Kläger zu diesem Punkt vorträgt, er habe seine Denk- und Konzentrationsfähigkeit während der Untersuchung nur wegen einer "entsprechenden mentalen Vorbereitung" zwei Stunden aufrechterhalten können, bestätigt, dass ihm dies möglich ist. Der Affekt war belastet, der Kläger zeigte sich depressiv und klagsam, aber Dr. T. konnte ihn im Gespräch noch teilweise auslenken ("Schwingungsfähigkeit leicht reduziert"). Dass seine Auslenkbarkeit nur eingeschränkt ist, hatte im Übrigen schon die H.klinik (S. 3 des Entlassungsberichts) bei der Eingangsuntersuchung festgestellt und hierauf aufbauend eine erhebliche Besserung in der Therapie erreichen können. Dass der Leidensdruck ob seiner Krankheit nicht übermäßig groß ist (dieses subjektive Empfinden der Einbußen ist auch ein wesentliches Element der funktionellen Beeinträchtigungen), zeigt sich auch in der geringfügigen medikamentösen Therapie und der nur sehr weitmaschigen fachpsychiatrischen Behandlung (ein bis zwei Mal im Quartal) bei Dr. A. S. bei allerdings regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung (vgl. zur indiziellen Bedeutung einer engmaschigen psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlung für die Annahme einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit Urteil des Senats vom 7. Dezember 2017 – L 6 VG 4996/15 –, juris, Rz. 100). Auf diesen Punkt hatte bereits Dr. B. in dem Gutachten für die DRV B. hingewiesen, nachdem eine Wirkstoffspiegelbestimmung im Blut des Klägers bei ihr für das angegebene Medikament Citalopram nur eine geringe Menge ergeben hatte. Ebenfalls betroffen ist bei ihm die körperlich-funktionelle Ebene, auch diese allerdings nur teilweise. Dr. T. hat – in Übereinstimmung mit den Behandlern – dar¬auf hingewiesen, dass eine somatoforme Schmerzstörung vorliegt, der Kläger also viele Schmerzen im Bewegungsapparat wahrnimmt, die kein ausreichendes organisches Korrelat aufweisen. Eine adäquate und vor allem dauerhafte (und nicht nur bedarfsorientierte) Schmerztherapie findet ebenfalls nicht statt. Der Kläger hat bei Dr. T. keine Schmerzmedikamente angegeben (vgl. zur Bedeutung einer adäquaten Therapie bei der Feststellung und Bewertung einer angegebenen Schmerzerkrankung Urteil des Senats vom 22. September 2016 – L 6 SB 5073/15 –, juris, Rz. 66). Dies hat bei der zweistündigen Exploration keine Schmerzäußeren, keine Veränderungen im Sitzen oder in der Lage und keine körperlichen Ausweichbewegungen feststellen können. Der gute und von Dr. T. sogar als athletisch bezeichnete Körperzustand deutet nicht auf eine Einschränkung körperlicher Aktivitäten auf Grund einer Schmerzerkrankung hin. All dies unterstreicht noch erträgliche Schmerzen.

Hiernach ist Dr. T.s Einschätzung beizutreten, dass bei dem Kläger keine schwere seelische Störung mit bereits mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten vorliegt und daher kein GdB höher als 40 in Betracht kommt.

Weitere funktionelle Einbußen in anderen Funktionssystemen, die zu einem Teil-GdB von mehr als 10 führen könnten, liegen nicht vor. Dies gilt vor allem für die degenerativen Veränderungen im Bereich der Schultern bzw. der HWS (Z. n. Bandscheibenvorfall) und der LWS. Dr. T. hat im Rahmen der neurologischen Untersuchung auch die Bewegungsmaße überprüft und lediglich eine "leichte" Einschränkung der Beweglichkeit der HWS in allen Bewegungsrichtungen und einen etwas reduzierten FBA von 15 cm festgestellt, ansonsten war die Beweglichkeit unauffällig. Es ist daher allenfalls von "geringen funktionellen Einbußen" an ein oder zwei Wirbelsäulenabschnitten auszugehen, woraus nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 ein GdB von 10 folgt. Der Tinnitus rechts, den der Kläger seit einigen Jahren angibt, ist nicht organisch bedingt, das Hörvermögen ist uneingeschränkt (vgl. die VG, Teil B, Nr. 5.3 Abs. 2), es liegt vielmehr eine psychogene Ursache vor (vgl. Arztbrief von Prof. Dr. S. nach der Untersuchung des Klägers am 8. Juni 2015), sodass keine Behinderung im Funktionssystem "Ohren" gegeben ist, sondern die Auswirkungen des Tinnitus im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche berücksichtigt sind. Das Gleiche gilt letztlich für die Migräne (vgl. VG, Teil B, Nr. 2.3), zumal auch ihretwegen keine zielorientierte Therapie stattfindet. Die jüngst diagnostizierte Schilddrüsenerkrankung des Klägers (subakute Thyreoiditis de Quervain, euthyreote Stoffwechsellage) hat nur eine milde Symptomatik gezeigt und eine medikamentöse Behandlung war nicht indiziert, nur eine Verlaufsbeobachtung (Attest von Dr. S. vom 21. Februar 2017). Nach den VG, Teil B, Nr. 15.6 sind Schilddrüsenerkrankungen gut behandelbar, sodass – selbst bei einer notwendigen Behandlung – in der Regel anhaltende Beeinträchtigungen nicht zu erwarten sind. Ein GdB für das Funktionssystem "Stoffwechsel, innere Sekretion" kommt daher ebenfalls nicht in Betracht.

Hiernach stellt sich auch der Gesamt-GdB weiterhin mit 40 dar. Etwaige GdB-Werte von 10 tragen zu einer Erhöhung des Einzel-GdB für die psychische Erkrankung nichts bei (vgl. VG, Teil A, Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe ee Satz 1).

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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