L 13 R 3921/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 2838/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 3921/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 14. September 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) in Gestalt der am 1. Oktober 2016 begonnenen Ausbildung zur staatlich anerkannten Sport-/Gym nastiklehrerin, die in fünf Semestern am Berufskolleg in Wa. durchgeführt wird.

Die 1974 geborene Klägerin erlernte von 1991 bis 1994 den Beruf der Arzthelferin und ist bei einem Augenarzt und zuletzt bei einem Hausarzt bis Oktober 2016 in diesem Beruf versicherungspflichtig beschäftigt gewesen.

Vom 9. September bis 21.Oktober 2014 absolvierte die Klägerin eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik A. X. Im Entlassungsbericht wurden eine mittelgradige depressive Episode, ein Zervikobrachial-Syndrom, Verspannungen und Adipositas (BMI 30) diagnostiziert. Die Klägerin wurde arbeitsfähig aufgenommen und arbeitsfähig entlassen.

Vom 28. März bis 11. Juni 2015 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Klinken Landkreis He. gGmbH. In den Berichten vom 27. April 2015 über eine Behandlung in der akut allgemeinpsychiatrische Station vom 28. März bis 2. April 2015 und vom 9. Juni 2015 über eine Behandlung in der psychotherapeutischen Station vom 2. April bis 11. Juni 2015 wurde eine rezidivierende depressive Episode ohne psychotische Symptome diagnostiziert. Nach Suizidgedanken sei die Klägerin elektiv aufgenommen worden. Während der Behandlung sei die Klägerin authentischer, ruhiger, schwingungsfähiger geworden und die Stimmung stabiler. Es werde eine stufenweise Wiedereingliederung empfohlen.

Am 17. Dezember 2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von LTA mit der Begründung, wegen Depression und Rückenbeschwerden könne sie die bisherige Arbeit nicht mehr verrichten.

Die Beklagte zog ärztliche Berichte bei. Hausarzt -und Arbeitgeber- Dr. M. regte eine Umschulung wegen verminderter Stressresistenz und chronischen Erschöpfungszustands an (Bericht vom 16. Dezember 2015), diagnostizierte noch ein degeneratives Wirbelsäulenleiden und eine beidseitige initiale Gonarthrose und wies daraufhin, dass die Klägerin seit 14. September 2015 arbeitsunfähig erkrankt sei. Psychologische Psychotherapeutin Be. (Bericht vom 7. März 2016) diagnostizierte eine leichte depressive Episode bei akzentuierten histrionischen Zügen nach Zustand einer schwereren depressiven Episode. Seit ihrer Krankschreibung fühle sich die Klägerin besser und sei belastbarer. Die Schwingungsfähigkeit sei unauffällig; affektiv wirke die Klägerin fröhlich und entspannt. Die von der Klägerin geschilderten Beschwerden (wie Antriebslosigkeit, Ängste und Erschöpfung) seien nicht beobachtbar gewesen. Mit Bescheid vom 20. April 2016 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die Erwerbsfähigkeit als Arzthelferin nicht erheblich gefährdet oder gemindert sei.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch unter Vorlage des Attestes des Dr. M. vom 2. Mai 2016 ein. Dieser wies auf eine akute Verschlechterung durch die Ablehnung des Antrags. Die Klägerin werde sich bei Psychiaterin Ne. vorstellen.

Die Beklagte holte den Bericht der Psychiaterin und Psychotherapeutin Ne. vom 31. Mai 2016 ein. Diese diagnostizierte eine gegenwärtig allenfalls leichte Episode einer rezidivierenden depressiven Störung, die sicherlich unter anderem auch auf die seit Monaten bestehende Arbeitsunfähigkeit und damit auf die Distanzierung von der bisherigen Arbeitsstelle zurückzuführen sei. Nach einer längeren Arbeitsunfähigkeit sei ihr mit ihrem Einverständnis gekündigt worden. Sie hoffe auf eine Umschulung im sporttherapeutischen Bereich.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. August 2016 zurück mit der Begründung, die Klägerin könne den Beruf als Arzthelferin ohne erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit ausüben.

Hiergegen hat die Klägerin am 7. September 2016 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Sie leide im Wesentlichen an psychiatrischen Erkrankungen. Die Beklagte habe den Gesundheitszustand nur unzureichend ermittelt. Nach Wiederaufnahme der Tätigkeit im Anschluss an die Rehabilitation habe sich herausgestellt, dass sie aufgrund des bestehenden Arbeitsumfeldes und den damit verbundenen Belastungen an einer stark erhöhten Rezidiv-Gefahr der depressiven Erkrankung leide. Aufgrund der schweren Depression bestehe eine erhebliche Einschränkung der Anpassungs- und Erlebnisfähigkeit, der sozialen Interaktion und der Alltagskompetenz. Sie hat ein Attest der Ärztin Ne. vom 29. September 2016 vorgelegt.

Die Beklagte hat vorgetragen, es gebe genügend Arztpraxen, in denen das Versterben von Patienten nicht der Regelfall sei. Bei der Klägerin liege eine berufsunabhängige psychische Minderbelastbarkeit vor, wobei die depressive Störung allenfalls noch in leichter Form vorhanden sei.

Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt. Ärztin Ne. hat mit Auskunft vom 22. Dezember 2016 eine derzeit mittelgradige Episode der rezidivierenden depressiven Störung -differentialdiagnostisch eine Anpassungsstörung- diagnostiziert. Sie befürchte bei Wiederaufnahme des Berufs eine mögliche Befundverschlechterung, da die Klägerin selbst berichtet habe, dem Leistungsdruck als Arzthelferin nicht mehr gewachsen zu sein. Deshalb sei die Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet. Dr. M. hat mit Bericht vom 22. Dezember 2016 ausgeführt, die Erwerbsfähigkeit der Klägerin als Arzthelferin sei gemindert, da sie dem Stress nicht mehr gewachsen sei. Ein anderes Berufsfeld, das nicht so sehr die Negativseiten von Krankheiten, wie maligne Erkrankung und Tod, beinhalte, komme der Klägerin entgegen, z.B. ein Beruf im Gesundheitswesen, wie der als Sporttherapeutin. Dip.-Psych. Be. hat in der Auskunft vom 9. Januar 2017 über die Behandlung von September 2013 bis 14. Juli 2016 berichtet. Die Depression in der vorliegenden Form wirke sich nicht auf die Leistungsfähigkeit als Arzthelferin aus. Schwierigkeiten ergäben sich eher aus den akzentuierten Persönlichkeitszügen, die zu einer Anpassungsstörung mit schneller Kränkung mit (berichteten aber nicht beobachteten) dramatischen Auftritten führten, was in einem sozialen und medizinischen Dienstleistungsberuf problematisch sein könne.

Schließlich hat das SG das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr. Wi. -mit Hinzuziehung von Dr. Ma.- vom 11. Mai 2017 eingeholt. Dieser hat eine derzeit remittierte rezidivierende depressive Störung diagnostiziert. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin sei derzeit allenfalls leicht gemindert in Bezug auf die psychische Belastbarkeit. Die Erwerbsfähigkeit als Arzthelferin sei nicht gefährdet oder gemindert. Es habe sich nur um eine vorübergehende akute Erkrankung gehandelt.

Hierzu hat die Klägerin erklärt, der Stand der Leistungsfähigkeit resultiere nur daraus, dass sich ihr Gesundheitszustand seit der Kündigung im März 2013 und dem Streben auf eine Umschulung stabilisiert habe und zu vermuten sei, dass bei einer Rückkehr wieder Einschränkungen einträten.

Nachdem die Klägerin den Gutachter auf die begonnene Ausbildung hingewiesen hat, hat sie auf gerichtliche Anforderung den Ausbildungsvertrag vom 30. Juni 2016 vorgelegt. Das SG hat mit Urteil vom 14. September 2017 die Klage gegen die Beklagte, die als erstangegangener Rehabilitationsträger auch für Ansprüche gegen andere Rehabilitationsträger zuständig sei, da sie den Antrag nicht weitergeleitet habe, abgewiesen. Hierbei hat es sich auf das Gutachten des Dr. Wi. gestützt und ausgeführt, dass den Beurteilungen der Ärzte Ne. und Dr. M. nicht gefolgt werden könne.

Gegen das der Klägerin am 20. September 2017 zugestellte Urteil hat sie am 10. Juli 2017 Berufung eingelegt und geltend gemacht, mit Ausübung des erlernten Berufes sei damit zu rechnen, dass eine Minderung eintrete.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 14. September 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten für die Ausbildung zur staatlich anerkannten Sport-/Gymnastiklehrerin für den Zeitraum vom 1. Oktober 2016 bis 14. September 2017 zu erstatten sowie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Ausbildung zur staatlich anerkannten Sport-/Gymnastiklehrerin auch ab 15. September 2017 zu gewähren, hilfsweise unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über ihren Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes haben die Beteiligten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 20. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn sie hat keinen Anspruch auf die Gewährung von LTA.

Das SG hat die maßgeblichen Rechtsgrundlagen und die hierfür erforderlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch zutreffend dargelegt und unter richtiger Beweiswürdigung zu Recht ausgeführt, dass die Klägerin in ihrer Erwerbsfähigkeit, die bezogen auf den erlernten und bis zuletzt ausgeübten Beruf der Arzthelferin zu prüfen ist, weder gefährdet noch gemindert ist. Der Senat verweist insoweit auf die Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend bleibt auszuführen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Anfechtungs- und Leistungs- bzw. Verpflichtungsklage die letzte mündliche Verhandlung ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 54 Rdnr. 34 ff. m.w.N.), weshalb nicht auf den Gesundheitszustand der Klägerin bei Antragstellung oder z. B. während der stationären Behandlung abgestellt werden kann. Auch eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit ist nicht nachgewiesen. Die rezidivierende depressive Störung ist remittiert, wie der gerichtliche Sachverständige Dr. Wi. schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt hat. Die Klägerin kann ihren Beruf –nicht relevant ist, ob sie ihren letzten Arbeitsplatz ausfüllen kann- hiernach vollschichtig verrichten. Der gerichtliche Sachverständige hat auch überzeugend ausgeführt, dass bezüglich der Verursachung der depressiven Symptomatik am ehesten ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren aus dem privaten und beruflichen Umfeld angenommen werden kann, aber auch eine endogene depressive Verstimmung möglich ist. Dass sich die Symptomatik isoliert durch die Situation am Arbeitsplatz entwickelt hat, ist nach den überzeugenden Ausführungen des Dr. Wi. eher unwahrscheinlich. Denn die Klägerin hat im Vorfeld lange Jahre den Beruf - auch bei demselben Arbeitgeber - ohne Probleme ausgeübt. Die Klägerin hat auch keineswegs nur Probleme im beruflichen Umfeld gehabt, sondern auch bei der Trauerarbeit nach dem Tod des nahestehenden Vaters (1985), mit der Mutter und anderen Familienmitgliedern, sowie mit dem langjährigen Freund (s. Bericht der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychsomatik vom. 9. Juni 2015), von dem sie sich Ende 2014 getrennt hat. Die weitere Prognose ist günstig, zumal die Klägerin wieder einen Freund seit September 2016 und verschiedene Freizeitaktivitäten aufgenommen hat. Die psychische Belastbarkeit ist allenfalls diskret eingeschränkt, sodass z.B. Nacht- und Wechselschichtarbeiten vermieden werden sollten. Darüber hinaus ergeben sich aber keine Einschränkungen der Leistungsfähigkeit im Beruf der Arzthelferin. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass z. B. eine Tätigkeit als Arzthelferin bei einem Augenarzt an der Empfangstheke mit Schwerpunkt Administration, in Rehabilitationseinrichtungen oder in einem Labor oder in Forschung und Entwicklung (s. auch die diesbezüglichen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen) in absehbarer Zeit nicht mehr vollschichtig möglich ist. Damit steht nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit fest, dass die Erwerbsfähigkeit der Klägerin im maßgeblichen Beruf der Arzthelferin wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist bzw. LTA erforderlich sind.

Der Frage, ob die von der Klägerin begonnene Ausbildung zur Sport- /Gymnastiklehrerin in Anbetracht der orthopädischen Erkrankungen (s. Bericht des Dr. M. vom 16. Dezember 2015) überhaupt sinnvoll ist, brauchte nicht mehr nachgegangen zu werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass die Klägerin mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke/Berchtold, a.a.O., § 193 Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4). Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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