L 13 R 2924/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 852/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 2924/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 11. Juli 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1959 geborene Kläger hat weder eine Ausbildung noch ein Anlernverhältnis durchlaufen. Er war zuletzt versicherungspflichtig als Staplerfahrer beschäftigt. Die Beklagte bewilligte dem Kläger eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der Z.-Klinik vom 14. Januar bis 11. Februar 2010. Die behandelnden Ärzte gelangten zu der Auffassung, dass der Kläger leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig verrichten könne. Zu vermeiden seien Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten über 15 kg. Vom 25. März 2014 bis 22. April 2014 war der Kläger in der Klinik H. zur stationären medizinischen Rehabilitation. Im Entlassungsbericht vom 28. Mai 2014 gelangten die behandelnden Ärzte zu dem Ergebnis, dass der Kläger somatisch vollschichtig leistungsfähig sei. Psychisch sei derzeit nur von einer drei- bis unter sechsstündigen Leistungsfähig auszugehen; vor einer endgültigen Einschätzung der langfristigen Leistungsfähigkeit seien bisher nicht erfolgte intensive Behandlungen abzuwarten.

Am 30. September 2015 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Neurologen und Psychiater Dr. Hu ... Dr. Hu. hielt den Kläger für in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Auf der Grundlage dieses Gutachtens lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13. November 2015 den Rentenantrag ab. Am 14. Dezember 2015 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein und führte aus, er leide an erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen insbesondere im psychischen Bereich. Die Beklagte holte auf orthopädischem Fachgebiet ein Gutachten des Dr. Schr. vom 2. Februar 2016 ein. Dieser Gutachter gelangte zu der Auffassung, dass der Kläger leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung vollschichtig verrichten könne. Mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 2016 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger sei nicht erwerbsgemindert. Der Kläger sei auch nicht berufsunfähig, da er zuletzt ungelernte Tätigkeiten verrichtet habe.

Am 11. März 2016 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Das SG hat zunächst nach § 109 SGG ein Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Kö. vom 20. Oktober 2016 eingeholt. Der Gutachter hat eine mittelschwere Depression, eine Panikstörung, eine somatoforme Schmerzstörung und eine autonome somatoforme Funktionsstörung des kardiovaskulären Bereichs diagnostiziert und das Leistungsvermögen des Klägers auf unter drei Stunden eingeschätzt.

Die Beklagte hat eine beratungsärztliche Stellungnahme der Dr. El. vom 16. Dezember 2016 vorgelegt, wonach die Anamneseerhebung im Gutachten des Dr. Kö. sehr dürftig ausgefallen sei. Welche Behandlungsmaßnahmen in welchen zeitlichen Abständen stattfänden, gehe aus dem Gutachten nicht hervor. Der Gutachter habe testpsychologische Verfahren angewandt, ohne allerdings Beschwerdevalidierungstests durchgeführt zu haben. Solche Tests hätten bei Dr. Hu. simulierte Symptome aufgezeigt. Die diagnostizierten Erkrankungen rechtfertigten allenfalls qualitative Leistungseinschränkungen, jedoch keine quantitativen.

Das SG hat von Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Wi. das Gutachten vom 3. Mai 2017 eingeholt. Der Gutachter hat eine Dysthymie und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren diagnostiziert. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten vollschichtig verrichten. Auszuschließen seien mittelschwere und schwere Tätigkeiten, Arbeiten ausschließlich im Stehen und Gehen, Tätigkeiten in Kälte, Nässe und Zugluft und Arbeiten in dauerhaft gebückter Haltung. Zudem seien Akkord- und Fließbandarbeiten sowie Tätigkeiten im Schichtbetrieb nicht leidensgerecht. Arbeiten mit hohem Anspruch an Aufmerksamkeit und Konzentration seien ebenfalls zu vermeiden.

Mit Gerichtsbescheid vom 11. Juli 2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Das SG hat sich hierbei auf das Gutachten des Dr. Wi. gestützt. Dem Gutachten des Dr. Kö. ist es nicht gefolgt. In Anbetracht der fehlenden Ausbildung und Verrichtung einfacher Tätigkeiten sei der Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen, weshalb Berufsunfähigkeit ausscheide.

Gegen den dem Kläger am 24. Juli 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 26. Juli 2017 Berufung eingelegt und sich auf das Gutachten des Dr. Kö. gestützt. Das SG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, da er einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid widersprochen habe.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 11. Juli 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. November 2015 in der Gestalt Widerspruchsbescheides vom 8. März 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab Antragstellung zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend.

Der Senat hat nach § 109 SGG Dr. Kö. zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt und eine ergänzende gutachtliche Stellungnahme in Auftrag gegeben. Falls eine weitere Untersuchung des Klägers erforderlich sei, werde um vorherige Mitteilung angehalten. Unter dem 29. Oktober 2017 hat der gerichtliche Sachverständige -ohne entsprechende Mitteilung- aufgrund Untersuchungen am 20. und 27. Oktober 2017 ein Gutachten erstellt. Die von Dr. Wi. beschriebenen Auffälligkeiten seien infolge einer somatoforme Schmerzstörung mit persönlichkeits- und kulturbedingter Projektion der psychischen Beschwerden auf das somatische Schmerzsyndrom zu werten. Er hat an seiner Leistungsbeurteilung festgehalten.

Die Beklagte hat eine kritische beratungsärztliche Stellungnahme der Dr. El. vorgelegt.

Der Senat hat von Dr. Wi. eine ergänzende Stellungnahme vom 28. Februar 2018 eingeholt. Der Kläger sei hiernach durchaus in der Lage gewesen, seine Beschwerden hinreichend genau zu schildern, wusste Angaben zu seiner Behandlung und auch zur familiären Situation zu machen, was mitnichten vereinbar sei mit dem Ergebnis des Mini-Mental-Status, das eine mittelschwere Demenz ergeben habe. Das Ergebnis im REY-Test sei überhaupt nicht mehr mit irgendwelchen psychogenen unbewussten Mechanismen zu erklären. Ebenso habe das Verhalten in den Koordinationsprüfungen eindeutig Zeichen nicht-authentischen Verhaltens gezeigt. Schlussendlich habe der Kläger auch während der gesamten Untersuchung keine schmerzbedingten Ausgleichsbewegungen gezeigt. Er halte an seiner bisherigen Leistungseinschätzung fest.

Der Kläger hat noch einen Bericht des Dr. Dä. über eine Untersuchung vom 8. September 2017 vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Senat verweist auf den angefochtenen Gerichtsbescheid des SG und sieht insoweit von einer Begründung ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Verfahren war bereits deshalb nicht an das SG gem. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG zurückzuverweisen, da der geltend gemachte Verfahrensfehler nicht vorliegt. Die Entscheidung durch Gerichtsbescheid gem. § 105 SGG setzt nicht die Zustimmung der Beteiligten voraus; diese sind lediglich zu hören, was vom SG beachtet worden ist. Ob auf Grund des geltend gemachten Verfahrensmangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme im Sinne des § 159 SGG notwendig wäre, kann damit dahinstehen.

Ergänzend bleibt auszuführen, dass auch die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren den Nachweis einer Erwerbsminderung des Klägers nicht erbracht hat. Dr. Kö. hat -wie im Gutachten vom 20. Oktober 2016- auch im Gutachten vom 29. Oktober 2017 lediglich versucht, die geschilderten Beschwerden mit Diagnosen in Einklang zu bringen, ohne hinreichend zu berücksichtigen, dass das Gericht lediglich nachgewiesene Erkrankungen mit nachgewiesenen Leistungseinbußen seinem Urteil zugrunde legen kann. Dem hat auch der gerichtliche Sachverständige als dessen Gehilfe Rechnung zu tragen. Deshalb hat der Sachverständige eine Überprüfung der angegebenen Beschwerden anhand eigener Befundtatsachen vorzunehmen, was Dr. Kö. nicht vorgenommen hat. So ist es nicht ausreichend, ein psychometrisches Testverfahren, aber keinerlei Validierungstests durchzuführen, zumal bereits Dr. Hu. und Dr. Wi. hierbei Simulationstendenzen festgestellt haben. Der gerichtliche Sachverständige Dr. Wi. hat für den Senat schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass beim Kläger von einer ausgesprochenen Diskrepanz und Inkonsistenz auszugehen ist, die nur über nicht-authentisches Verhalten erklärbar ist. Bei der Prüfung der Koordination hat der Kläger konsequent an der Nasenspitze vorbei gezeigt, allerdings ohne jedwede Dysmetrie. Der Simulationstest nach REY hat eindeutige Hinweise für eine bewusste Simulation ergebenen. Jeder nicht schwerbehinderte, schreib- und lesefähige Proband sollte mindestens neun von 15 Symbolen richtig wiedergeben können, da sie auf wenige Grundstrukturen zurückzuführen sind. Die im ersten Durchgang erfolgten zwei Treffer sowie die im zweiten Durchgang erfolgten vier Treffer lassen sich nicht erklären und sprechen für Simulation. Beim Mini-Mental-Status hat der Kläger lediglich 15 von 30 Punkten erzielt, was einer zumindest mittelschweren Demenz entspräche, was aber in erheblichen Widerspruch zum übrigen Befund steht. Der formale Gedankengang war geordnet, weder verlangsamt noch beschleunigt oder umständlich oder weitschweifig gewesen. Die Auffassungsgabe war regelrecht bei ungestörter Aufmerksamkeit und Konzentration. Die Anamnese gelang ohne Schwierigkeiten; relevante Störungen der Gedächtnisfunktion fanden sich nicht. Die primären intellektuellen Funktionen lagen im Durchschnitt. Auch Dr. Kö. hat keine kognitiven Einschränkungen erhoben oder Aufmerksamkeit und Konzentration als gestört beschrieben.

Auf orthopädischem Fachgebiet leidet der Kläger unter einer Ischiolumbalgie bei rechtskonvexer thorakolumbaler Torsionsskoliose, Sacralisation von LWK 5 und Osteochondrose L 3/4, L 4/5 sowie unter einer initialen Coxarthrose beidseits, wie der Orthopäde Dr. Schr. in seinem Gutachten vom 2. Februar 2016 schlüssig und nachvollziehbar dargelegt hat. Überzeugend hat er ausgeführt, dass der Kläger damit leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen vollschichtig verrichten kann, da die degenerativen Veränderungen die altersentsprechenden Befunde nicht wesentlich übersteigen. Dr. Kö. hat die Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet in seinem Gutachten vom 29. Oktober 2017 als altersentsprechend gewürdigt und ihnen keine wesentliche Bedeutung beigemessen, wobei ihm der Bericht des Orthopäden Dr. Dä. (Diagnosen: beginnende Coxarthrose rechts mit Coxalgie und funktioneller Bewegungseinschränkung, chronische Epicondylopathie beidseits; Therapie: Beratung und Verordnung von Diclofenac) vorgelegen hat. Auch der Bericht über die Untersuchung am 8. September 2017 ergibt nichts Neues. Weitere Ermittlungen von Amts wegen auf orthopädischem Fachgebiet drängen sich dem Senat damit nicht auf.

Nach alledem kann der Kläger leichte körperliche Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen vollschichtig verrichten; zu vermeiden sind Tätigkeiten in Kälte, Nässe in Zugluft, in gebückter Haltung, Akkord-, Schicht- und Fließbandarbeiten sowie Tätigkeiten mit hohem Anspruch an Aufmerksamkeit und Konzentration. Damit kann der Kläger einfache Bürotätigkeiten, einfache Sortier-, Montier- oder Verpackungstätigkeiten verrichten, so dass der allgemeine Arbeitsmarkt auch nicht verschlossen ist und eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsminderung nicht vorliegt (BSG Urteil vom 24. Februar 1999, B 5 RJ 30/98 R, Juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke/Berchtold, a.a.O., § 193 Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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