L 4 KR 2231/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 3012/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 2231/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Mai 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten für eine Echthaarperücke.

Der Kläger ist der Ehemann der bei der Beklagten versichert gewesenen, am 2017 verstorbenen Versicherten. Die Versicherte litt an einem metastasierten Pankreaskarzinom und damit einhergehender Alopezie (Haarausfall) bei Chemodauertherapie. Die Chemotherapie begann am 3. Dezember 2014. Seit 16. Dezember 2014 litt die Versicherte an Haarausfall. Unter dem 22. Dezember 2014 verordneten die die Klägerin behandelnden Onkologen Dr. M. u.a. eine Perücke.

Bereits am 3. Dezember 2014 nahm die Klägerin Kontakt mit der Zeugin und Inhaberin des Studios Ma., B. D., auf, bei der sie am 16. Dezember 2014 die Bestellung für die Herstellung einer Echthaarperücke aufgab. Am 23. Dezember 2014 wurde die Perücke angepasst und an die Klägerin zum Preis von EUR 1.498,00 verkauft (Rechnung vom 27. Januar 2015).

Unter dem 6. Januar 2015 beantragte die Versicherte bei der Beklagten Haarersatz und legte einen Kostenvorschlag für "Echthaar Loretta Handgeknüpft" über EUR 1.498,00 vor. Mit Bescheid vom 26. Januar 2015 bewilligte die Beklagte der Versicherten den Vertragspreis für eine Kunsthaarperücke in Höhe von EUR 396,27 abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung in Höhe von EUR 10,00.

Fachärztin für Innere Medizin Dr. A. beantragte für die Versicherte unter dem 13. Februar 2015 die Übernahme der Mehrkosten für die Versorgung mit Echthaarperücke. Sie führte aus, die Versicherte leide nach Chemotherapie an Haarausfall. Die Versicherte sei auch während der Durchführung der Chemotherapie berufstätig. Sie (die Versicherte) habe mit vielen Kunden zu tun und sei durch die Erkrankung psychisch belastet. Sie (die Versicherte) habe sich für Echthaarperücke entschieden, um ihr Aussehen möglichst wenig zu verändern und somit weitere seelische Belastungen durch Fragen von Kunden und Mitarbeitern zu mindern. Der von der Beklagten beauftragte Dr. C. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) führte unter dem 10. März 2015 aus, aus den vorgelegten Unterlagen könne die Erforderlichkeit für die Versorgung mit einer Perücke aus Echthaar nicht abgeleitet werden. Es lägen keine Unterlagen vor, die eine Überlegenheit der erwünschten Perücke gegenüber einer Perücke aus Kunsthaar erkennen ließen.

Mit Bescheid vom 18. März 2015 lehnte die Beklagte die Übernahme der Mehrkosten für die Versorgung mit einer Echthaarperücke ab. In der Regel sei die Ausstattung mit einer Kunsthaarperücke ausreichend. Die Kosten für Perücken aus Echthaar könnten nur in medizinisch begründeten Ausnahmefällen übernommen werden. Der MDK habe keine Befunde feststellen können, die die medizinische Notwendigkeit für eine Versorgung mit einer Echthaarperücke begründeten.

Die Versicherte legte hiergegen unter dem 27. März 2015 Widerspruch mit der Begründung ein, aus der ärztlichen Bescheinigung der Dr. A. ergebe sich, weshalb in ihrem Fall eine Echthaarperücke erforderlich sei. Im Übrigen seien Kunsthaarperücken weniger haltbar, weswegen mehrere während einer Chemotherapie erforderlich seien. Zudem könnten diese nicht alleine gereinigt werden, weswegen zusätzliche Kosten entstünden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2015 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück. Unter Berufung auf die Stellungnahme des MDK seien die medizinischen Voraussetzungen für die beantragte Leistung nicht erfüllt. Die Versorgung der Versicherten mit einer Perücke sei unstreitig erforderlich. Die medizinische Notwendigkeit für die Versorgung mit einer Echthaarperücke liege nicht vor.

Am 6. Juli 2015 erhob die Versicherte Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Unter Ergänzung ihres bisherigen Vortrags führte sie aus, die Beklagte, die hunderttausende Euro für die Chemotherapie ausgebe, wahre die Menschenwürde nicht, wenn sie die Übernahme der Kosten für eine Echthaarperücke verweigere. Ihr sei nicht zuzumuten, im Kundenverkehr mit einem "Kunsthaarfiffi" durch die Gegend zu laufen. Es liege ein Ermessensfehlgebrauch vor.

Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid entgegen.

Auf die Anfragen des SG, ob die Versorgung mit der Echthaarperücke bereits durchgeführt worden sei, ob und in welcher Höhe mit der Klage gegebenenfalls Kostenerstattung gefordert werde und welcher Leistungserbringer die Versorgung durchgeführt habe, äußerte sich die Versicherte trotz des Hinweises auf fehlende Bestimmtheit des Klagegegenstandes und trotz Fristsetzung nicht.

Mit Gerichtsbescheid vom 8. Mai 2017 wies das SG die Klage ab. Die Klage sei bereits unzulässig. Der Klage fehle es an der erforderlichen Bezeichnung des Klagegegenstandes. Aus dem Vorbringen zur Klagebegründung und dem Antrag ergebe sich für das Gericht nicht eindeutig, ob mit der Klage ein Sachleistungsanspruch oder ein Kostenerstattungsanspruch geltend gemacht werde. Die Versicherte sei der Aufforderung des Gerichts zur Ergänzung der Angaben zum Gegenstand des Klagebegehrens trotz Fristsetzung nicht nachgekommen.

Gegen den am 9. Mai 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 7. Juni 2017 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Unter Vorlage der Rechnung vom 27. Januar 2015 über den Verkauf einer Perücke am 23. Dezember "2015" führt er aus, er verlange Erstattung des Betrages von EUR 1.498,00 abzüglich bereits geleisteter Zahlungen der Beklagten (EUR 396,27).

Der Kläger beantragt (sachgerecht gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Mai 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2015 zu verurteilen, ihm EUR 1.091,73 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beschaffungsweg sei nicht eingehalten worden. Dies ergebe sich nach Vorlage der Ermittlungsergebnisse des Senats. Der erste Kontakt zum Leistungserbringer am 3. Dezember 2014 habe vor Ausstellung der Verordnung am 22. Dezember 2014 stattgefunden. Die Perücke sei bereits am 23. Dezember 2014 verkauft worden. Auch wenn die Rechnung auf den 27. Januar 2015 datiere, so sei die Entscheidung für die Perücke und die Anschaffung vor Antragstellung bei ihr erfolgt. Eine Erstattung der über den Vertragspreis hinausgehenden Kosten scheide damit aus.

Der Senat hat die Inhaberin des Studios Ma., B. D., schriftlich als Zeugin gehört. Wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf Blatt 27/28 und 32/34 der Senatsakte Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Verfahrensakten des Senats und des Sozialgerichts verwiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da der Kläger Leistungen von mehr als EUR 750,00, nämlich EUR 1.091,73, begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 SGG aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

2. Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage mit Gerichtsbescheid vom 8. Mai 2017 im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 18. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2015 ist rechtmäßig.

Der Kläger hat als Sonderrechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau (§ 56 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I)) keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Anschaffung der Echthaarperücke abzüglich des von der Beklagten bereits gezahlten Vertragspreises von EUR 396,27 sowie der gesetzlichen Zuzahlung in Höhe von EUR 10,00, mithin EUR 1.091,73.

Als Rechtsgrundlage für die begehrte Kostenerstattung für die Vergangenheit kommt einzig § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Betracht. Danach sind dem Versicherten die für eine von ihm selbst beschaffte Leistung entstandenen Kosten von der Krankenkasse zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (1. Var.) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, die Leistung notwendig und die Ablehnung für die Entstehung der Kosten ursächlich war (2. Var.). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG reicht dieser Anspruch jedoch nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt daher im Regelfall voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) zu erbringen haben (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 5/05 R - juris, Rn. 21 ff.; Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R - juris, Rn. 9; Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R - juris, Rn. 13; Urteil vom 7. Mai 2013 - B 1 KR 8/12 R - juris, Rn. 8).

a) Ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers ergibt sich nicht aus § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Var. SGB V, denn die Versorgung der Versicherten mit einer Echthaarperücke war nicht unaufschiebbar. Eine Leistung ist unaufschiebbar, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich ist, dass aus medizinischen oder anderen Gründen keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs bis zu einer Entscheidung der Krankenkasse mehr besteht (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 8/06 R – juris, Rn. 16; BSG, Urteil vom 8. September 2015 – B 1 KR 14/14 R – juris, Rn. 15 ff.). Die Fähigkeit der Krankenkasse, auch unaufschiebbare Leistungen rechtzeitig zu erbringen, bestimmt sich nach objektiven Kriterien. Nur da, wo eine vorherige Einschaltung des Leistungsträgers vom Versicherten nach den Umständen des Falles nicht verlangt werden konnte, darf die Unfähigkeit zur rechtzeitigen Leistungserbringung unterstellt werden (BSG, Urteile vom 25. September 2000 – B 1 KR 5/99 R – juris, Rn. 16 und vom 2. November 2007 – B 1 KR 14/07 R – juris, Rn. 28). Die Versorgung mit einer Perücke war planbar. Dies ergibt sich schon daraus, dass sich die Versicherte mit Beginn der Chemotherapie am 3. Dezember 2014 an das Studio Ma. gewendet hat, um sich über die Versorgung mit einer Echthaarperücke zu informieren. Die tatsächliche Versorgung erfolgte am 23. Dezember 2014. Dies ergibt sich für den Senat aus der schriftlichen Zeugenauskunft der Zeugin D ... Diese hat im am 2. Februar 2018 beim Senat eingegangenen Schreiben ausgeführt, der erste telefonische Kontakt mit der Versicherten habe bereits am 3. Dezember 2014 stattgefunden. Die Haare sollten nach der Chemotherapie nicht ausgehen. Seit 16. Dezember 2014 sei dies jedoch der Fall. Erst am 23. Dezember 2014 habe eine Anpassung der Echthaarperücke stattgefunden. Diesem zeitlichen Ablauf kann keine Dringlichkeit entnommen werden.

b) Ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers folgt auch nicht aus § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Var. SGB V, denn hier fehlt es hinsichtlich der Beschaffung der Echthaarperücke und dem Zugang des Bescheides vom 18. März 2015 an der erforderlichen Kausalität zwischen der ablehnenden Entscheidung der Beklagten und den aufgewandten Kosten.

Ein auf die Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach ständiger Rechtsprechung des BSG aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und deren Entscheidung abzuwarten. § 13 Abs. 3 SGB V soll einen Erstattungsanspruch für den Ausnahmefall gewähren, dass eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 - B 1 KR 5/09 R – juris, Rn. 15; BSG, Urteil vom 8. September 2015 - B 1 KR 14/14 R - juris, Rn. 9, jeweils m.w.N.). Dieses Verfahren ist auch erforderlich, wenn von vornherein feststeht, dass eine durch Gesetz oder Verordnung von der Versorgung ausgeschlossene Sachleistung verweigert werden wird und sich der Versicherte dadurch gezwungen gesehen hat, die Leistung selbst zu beschaffen (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R – juris, Rn. 19).

Die Versicherte hatte einen Antrag auf Versorgung mit einer Echthaarperücke erstmals am 8. Januar 2015 gestellt. Die (ablehnende) Entscheidung der Beklagten hierzu erging – abgesehen von der Bewilligung des Vertragspreises von EUR 396,27 abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung von EUR 10,00 – mit Bescheid vom 18. März 2018. Allerdings hatte die Versicherte die Echthaarperücke bereits am 23. Dezember 2014 gekauft und erhalten. Dies ergibt sich für den Senat aus der Zeugenaussage der Zeugin D. (s.o.). Die Versicherte hatte die Entscheidung der Beklagten nicht abgewartet. Damit fehlt es bereits an der erforderlichen Kausalität.

c) Ein Anspruch auf Kostenfreistellung nach § 13 Abs. 3a SGB V kommt ebenfalls nicht in Betracht. Diese Vorschrift ist schon nicht einschlägig, weil schon im Zeitpunkt der Antragstellung die Versorgung erfolgt war und damit nicht eine Leistung begehrt wurde, sondern Kostenerstattung bzw. Freistellung von den Kosten. Hierfür findet die Vorschrift des § 13 Abs. 3a SGB V aber keine Anwendung (BSG, Urteil vom 8. März 2016 - B 1 KR 25/15 R – juris, Rn. 11).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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