L 9 AS 889/18 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 17 AS 393/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 889/18 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 8. Februar 2018 wird als unzulässig verworfen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im Übrigen verbleibt es bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Weitergewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) durch den Antragsgegner.

Der Antragsgegner gewährte der Antragstellerin zuletzt mit Bescheid vom 25.11.2017 für die Zeit vom 01.01.2018 bis 30.06.2018 Leistungen in Höhe eines monatlichen Gesamtbetrages von 705,57 EUR. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Baden-Württemberg lehnte mit Bescheid vom 24.11.2017 einen Rentenantrag der Antragstellerin ab. Sie sei zwar seit dem 10.06.2003 dauerhaft voll erwerbsgemindert, erfülle aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht. Mit Bescheid vom 07.12.2017 hob der Antragsgegner die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen ab dem 01.01.2018 wegen Wegfalls der Erwerbsfähigkeit ganz auf und bat die Antragstellerin, unter Vorlage des Bescheids Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bei der Stadt K. zu beantragen. Die Antragstellerin hat hiergegen keinen Widerspruch eingelegt.

Mit Bescheid vom 25.01.2018 lehnte die Stadt K. den Antrag auf Grundsicherungsleistungen vom 12.12.2017 wegen Unzuständigkeit ab, da der Beigeladene gemäß § 98 Abs. 5 SGB XII zuständig sei. Am 02.02.2018 stellte der Betreuer der Antragstellerin einen Antrag auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bei dem Beigeladenen, der die Antragstellerin mit Schreiben vom 07.02.2018 aufforderte, binnen drei Wochen Unterlagen zur Bearbeitung des Antrags einzureichen.

Am 01.02.2018 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt mit dem Ziel der – vorläufigen - Weitergewährung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bis zur Entscheidung des Beigeladenen über den Leistungsanspruch nach dem SGB XII.

Mit Beschluss vom 02.02.2018 hat das SG das Landratsamt Karlsruhe zu dem Verfahren beigeladen.

Der Beigeladene hat sich mit Schriftsatz vom 07.02.2018 grundsätzlich für die Gewährung von Leistungen für zuständig erklärt, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt seien. Eine Entscheidung sei wegen noch fehlender entscheidungserheblicher Unterlagen noch nicht möglich. Dem Antragsgegner stehe es frei, ein Kostenerstattungsverfahren gegen den Beigeladenen einzuleiten.

Mit Beschluss vom 08.02.2018 hat das SG den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für den Zeitraum 01.02.2018 bis 31.03.2018, längstens bis zur Bescheiderteilung über die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII durch den Beigeladenen, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II monatlich i.H.v. 705,57 EUR zu gewähren. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die – näher dargelegten – Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung lägen für die Zeit vom 01.02.2018 bis 31.03.2018 vor. Die zeitliche Begrenzung, die im Ermessen des Gerichts stehe, sei auf den Folgemonat der Bekanntgabe der Entscheidung beschränkt worden, weil im einstweiligen Rechtsschutz nur eine gegenwärtige dringliche Notlage beseitigt werden solle. Der Beigeladene sei grundsätzlich leistungsbereit und verweise nur darauf, mangels bislang vorgelegter entscheidungserheblicher Unterlagen noch keine Entscheidung treffen zu können. Es sei daher, sollte die Antragstellerin ihrer Mitwirkungspflicht im eigenen Interesse schnellstmöglich nachkommen, mit einer Bescheiderteilung über die Leistungsgewährung nach dem SGB XII spätestens bis zum 31.03.2018 zu rechnen. Eine dringliche Notlage über den 31.03.2018 hinaus sei daher nicht anzunehmen.

Mit Bescheid vom 21.02.2018 hat der Antragsgegner der Antragstellerin für die Zeit vom 01.02.2018 bis 31.03.2018 monatlich Leistungen i.H.v. 705,57 EUR in Ausführung des "Urteils des Sozialgerichts Karlsruhe vom 08.02.2018" bewilligt. Mit Schreiben vom 21.02.2018 hat der Antragsgegner bei dem Beigeladenen zugleich einen Erstattungsanspruch geltend gemacht.

Am 07.03.2018 hat der Antragsgegner gegen den ihm am 13.02.2018 zugestellten Beschluss Beschwerde beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, der zuständige Träger sei im vorliegenden Fall nicht streitig. Der Beigeladene habe in seinem Schreiben vom 07.02.2018 gegenüber dem SG seine Zuständigkeit bekundet. Da auch keine Zweifel an der nicht vorliegenden Erwerbsfähigkeit der Beschwerdegegnerin vorlägen, erfülle diese nicht mehr die Voraussetzungen des §§ 7 SGB II, es liege auch kein Widerspruch nach § 44 a Abs. 1 Satz 1 SGB II vor. Den Antragsgegner treffe daher keine Pflicht, weiterhin Leistungen zu gewähren. Da zudem der zuständige Träger zu dem Verfahren beigeladen worden sei, bestehe kein Grund, weshalb dieser nicht auch die Leistungen erbringen sollte. Sollte der zuständige Träger über die notwendigen Daten nicht verfügen, könnten diese beim Antragsgegner angefragt werden.

Der Beigeladene hat der Antragstellerin mit Bescheid vom 21.02.2018 ab dem 01.01.2018 bis 31.12.2018 Leistungen nach dem SGB XII – Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – gewährt. Die Leistungen sind ab dem 01.04.2018 laufend und für den Monat Januar 2018 als Nachzahlung zur Auszahlung gelangt. Für den Zeitraum vom 01.02.2018 bis 31.03.2018 sind die Leistungen wegen des vorrangigen Erstattungsanspruchs des Antragsgegners zunächst nicht ausgezahlt worden.

Der Betreuer der Antragstellerin hat unter dem 14.05.2018 mitgeteilt, die Beschwerde für erledigt zu erklären und außergerichtliche Kosten nicht geltend zu machen.

Mit Schriftsatz vom 16.05.2018 hat der Antragsgegner mitgeteilt, zur Klärung der zukünftigen Vorgehensweise in ähnlich gelagerten Fällen werde um eine Entscheidung des Gerichts gebeten.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 08.02.2018 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

Die Antragstellerin und der Beigeladene haben keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde des Antragsgegners ist statthaft; der Beschwerdewert von mehr als 750,00 EUR nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wurde erreicht.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist aber mangels Rechtsschutzinteresse als unzulässig zu verwerfen.

Der Antragsgegner ist, da das SG seinem Antrag auf Ablehnung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz nicht vollständig entsprochen hat, jedenfalls formell beschwert (vgl. nur BSG, Urteil vom 26.06.1973 – 8/2 RU 112/70 –, Juris; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 12. Aufl., 2017, vor § 143 Rdnr. 7, m.w.N.). Mit dem Begriff der Beschwer wird das Rechtsschutzbedürfnis oder Rechtschutzinteresse für die Rechtsmittelinstanz umschrieben. Ist die Beschwer gegeben, ist nur in seltenen Ausnahmefällen ein zusätzliches Rechtsschutzinteresse zu überprüfen, z. B. in Fällen der Erledigung der Hauptsache bei unnötiger oder missbräuchlicher Beschreitung des Rechtsweges oder Rechtsmitteleinlegung ohne schutzwürdiges Interesse (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., vor § 143 Rdnr. 5, m.w.N.). Die Beschwer des Beschwerdeführers darf auch nicht prozessual überholt oder gegenstandslos geworden sein (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 176 Rdnr. 3, m.w.N.).

An einem Rechtsschutzbedürfnis fehlt es aber insbesondere dann, wenn das Rechtsmittel für den Rechtsmittelführer offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen oder er das angestrebte Ergebnis auf einfachere Weise erreichen kann. Nachdem der Antragsgegner der Antragstellerin die durch das SG zugesprochenen vorläufigen Leistungen vor Beschwerdeeinlegung am 07.03.2018 bereits mit Bescheid vom 21.02.2018 bewilligt und ausgezahlt hat und der Beigeladene seine Leistungsverpflichtung mit Bescheid vom 21.02.2018 grundsätzlich anerkannt und den Antragsgegner zur Geltendmachung der Erstattungsforderung aufgefordert hat, ist nicht ersichtlich, welchen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil eine Entscheidung des Senats für den Antragsgegner noch haben kann. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dient, anders als der Antragsgegner meint, nicht der Klärung der zukünftigen Vorgehensweise in ähnlich gelagerten Fällen. Es hat vielmehr den Zweck, eine vorläufige Regelung für den Zeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung zu treffen. Die Eilentscheidung schafft lediglich eine prozessuale Zwischenregelung; es bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten, zu klären ob bei einer Regelungsanordnung der materielle Rechtanspruch tatsächlich besteht oder nicht. Hebt das LSG die einstweilige Anordnung auf die Beschwerde hin auf, begründet dies allein keinen Rückforderungsanspruch. Der Erstattungsanspruch muss vielmehr in einem gesonderten Verwaltungsverfahren gemäß § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geltend gemacht werden. Dass die Ausführungen des LSG ggf. zu einer gütlichen Einigung führen oder auch Entscheidungen über zukünftige Zeiträume präjudizieren können, kann ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragsgegners nicht begründen (vgl. dazu Plagemann, jurisPR-SozR 5/2010 Anmerkung zu Bayerisches LSG, Beschluss vom 10.07.2009 – L 7 AS 323/09 B ER –, Juris).

Da bereits aus den genannten Gründen ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragsgegners nicht besteht, konnte der Senat die Frage offenlassen, ob in den Fällen, in denen der Antragsgegner die Leistungsverpflichtung aus dem Beschluss des Sozialgerichts vollständig erfüllt hat, das Rechtsschutzinteresse stets entfällt (so u.a. Bayerisches LSG, Beschluss vom 10.07.2009, a.a.O., LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.11.2005 – L 14 B 1147/05 AS ER –, jeweils Juris) oder der rechtstreu vorläufig leistenden Behörde die Möglichkeit der Beschwerde bleiben muss (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 09.06.2010 – L 13 AS 147/10 B ER –, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.09.2007 – L 32 B 1565/07 AS ER –, jeweils Juris).

Die Beschwerde war mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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