L 8 AL 27/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AL 1738/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AL 27/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Im Bemessungszeitraum nach § 150 Abs. 1 S. 1 SGB III werden lediglich die Entgelte berücksichtigt, die aufgrund einer Beschäftigung im leistungsrechtlichen Sinne gezahlt wurden, wozu Entgelte, die für Zeiträume nach einer erfolgten Freistellung von der Arbeit gezahlt wurden, nicht zählen (ebenso LSG Hamburg, Urteil vom 05.04.2017 – L 2 AL 84/16, juris RdNr. 18; Bayrisches LSG, Beschluss vom 18.07.2016 – L 10 AL 133/16 NZB, juris RdNr. 10; a.A. LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.02.2017 – L 9 AL 150/15 – juris).
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 23.11.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung höheren Arbeitslosengeldes.

Die 1955 geborene Klägerin meldete sich am 01.02.2017 arbeitslos und beantragte zum 01.05.2017 die Gewährung von Arbeitslosengeld (Blatt 7 VA). Die K. & Co. Deutschland GmbH (Arbeitgeberin) erstattete die Arbeitsbescheinigung nach § 312 SGB III vom 25.04.2017, in der sie angab, dass die Klägerin seit 01.05.2001 bei ihr beschäftigt gewesen sei, die Kündigung sei am 17.12.2014 zum 30.06.2015 erfolgt. Ausweislich des Aktenvermerks vom 11.05.2017 (Blatt 11 VA) stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin seit dem 01.01.2015 freigestellt gewesen sei, sodass keine berücksichtigungsfähigen Entgelte vorliegen würden und eine fiktive Bemessung vorzunehmen sei.

Mit Bescheid vom 15.05.2017 (Blatt 17 VA) gewährte die Beklagte ab dem 01.05.2017 Arbeitslosengeld für 720 Tage (bis 30.04.2019) in Höhe von 31,70 EUR täglich.

Gegen den Bescheid erhob die Klägerin am 17.05.2017 (Blatt 21 VA) Widerspruch und machte geltend, dass sie in den letzten 12 Monaten ein Durchschnittseinkommen von 2.406,95 EUR bezogen habe, welches der Berechnung zu Grunde gelegt werden müsse.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.05.2017 zurück und führte zur Begründung aus, dass die Klägerin im Bemessungsrahmen vom 01.05.2016 bis 30.04.2017 nicht beschäftigt gewesen sei und auch im erweiterten Bemessungsrahmen vom 01.05.2015 bis 30.04.2017 von der Arbeitsleistung freigestellt gewesen sei und daher keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt vorhanden seien. Dementsprechend sei nach § 152 SGB III als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen. Die Klägerin sei ausgebildete Bürokauffrau und in diesem Bereich seit 1998 tätig gewesen, sodass das fiktive Arbeitsentgelt nach der Qualifikationsgruppe 3 (Ausbildung in einem Ausbildungsberuf) zu bemessen sei.

Am 09.06.2017 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) und machte geltend, dass sie aufgrund des Vergleichs des Arbeitsgerichts Mannheim vom 04.02.2015 bis einschließlich April 2017 ein Arbeitsentgelt von monatlich 4.069,63 EUR brutto erhalten habe, sodass sich ein tägliches Leistungsentgelt von 80,23 EUR ergebe. Das Beschäftigungsverhältnis im sozialversicherungsrechtlichen Sinne bestehe auch dann bis zur rechtlichen Beendigung fort, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine unwiderrufliche Freistellung vereinbarten. Die Zeiten der unwiderruflichen Freistellung dürften für den Bemessungsrahmen nicht außer Betracht bleiben.

Mit Änderungsbescheiden vom 04.07.2017 (Blatt 54 VA und 58 VA) gewährte die Beklagte Arbeitslosengeld ab 19.06.2017 für 672 Tage und ab 12.01.2018 für 571 Tage. Mit weiteren Änderungsbescheiden vom 16.11.2017 (Blatt 57 ff. SG-Akte) berechnete die Beklagte das Arbeitslosengeld neu und legte die Qualifikationsgruppe 2 zu Grunde, sodass sich ein täglicher Leistungsbetrag ab 01.05.2017 von 38,00 EUR ergab.

Das SG führte die nichtöffentliche Sitzung vom 22.11.2017 (Blatt 93 SG-Akte) durch, in der das Teilanerkenntnis durch die Änderungsbescheide der Beklagten von der Klägerin angenommen worden war, und wies sodann die Klage mit Gerichtsbescheid vom 23.11.2017 ab. Zur Begründung führte es aus, dass zwischen dem Bemessungszeitraum und dem Bemessungsrahmen zu differenzieren sei. Für den Bemessungszeitraum komme es auf das Bestehen eines leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses an, sodass maßgeblich nicht das versicherungsrechtliche, sondern das leistungsrechtliche Arbeitsverhältnis sei und damit allein, ob die Klägerin tatsächlich beschäftigt worden sei. Während einer unwiderruflichen Freistellung unter Weiterzahlung der Bezüge habe ein Arbeitgeber sein Direktionsrecht aufgegeben, sodass keine Beschäftigung im leistungsrechtlichen Sinne mehr bestehe.

Gegen den ihr am 08.12.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 03.01.2018 Berufung zum Landessozialgericht Baden- Württemberg eingelegt. Sie macht geltend, dass das LSG Nordrhein-Westfalen – NRW – mit Urteil vom 23.02.2017 (L 9 AL 150/15) festgestellt habe, dass es für das Beschäftigungsverhältnis im leistungsrechtlichen Sinn unschädlich sei, dass der Arbeitnehmer unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt sei und der Arbeitgeber bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise auf die Ausübung seines Direktionsrechts verzichte, wenn der Arbeitgeber aufgrund einer Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer diesem das bisherige Arbeitsentgelt bis zum vertraglich vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses freiwillig weiterzahle. Der Begriff der versicherungspflichtigen Beschäftigung im Sinne des § 150 Absatz 1 Satz 1 SGB III könne kein anderer sein, als bei einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 25 Absatz 1 Satz 1 SGB III, da es die Grundlage eines Versicherungspflichtverhältnisses zur Erfüllung der Anwartschaft nach § 142 Absatz 1 Satz 3 SGB III bilde. Die unwiderrufliche Freistellung und der Verzicht des Arbeitgebers auf sein Direktionsrecht bewirkten nicht das Ende des Beschäftigungsverhältnisses im leistungsrechtlichen Sinn. Eine fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldes komme daher nicht in Betracht, nichts anderes könne sich aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Äquivalenzprinzip ergeben, da der Arbeitnehmer darauf vertrauen können müsse, dass er die Beiträge, die er in die Arbeitslosenversicherung einzahle, als äquivalente Beiträge im Falle einer Erwerbslosigkeit ausgezahlt bekomme.

Die Klägerin beantragt, sachdienlich gefasst,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 23.11.2017 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.05.2017 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 04.07.2017 und 16.11.2017 zu verurteilen, ihr ab dem 01.05.2017 Arbeitslosengeld nach einem durchschnittlichen Nettoeinkommen von 2.406,95 EUR pro Monat zu gewähren, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und weist ergänzend darauf hin, dass dem (nicht rechtskräftigen) Urteil des LSG NRW ein Fall zu Grunde gelegen habe, in dem Dienstbereitschaft bestanden habe und keine Kündigung oder arbeitsgerichtlicher Rechtsstreit vorausgegangen seien. Das Versicherungspflichtverhältnis bestehe weiter und die Zeit der Freistellung werde als Versicherungszeit anerkennt, die zur Anwartschaftszeit zähle. Beim Bemessungszeitraum nach § 150 SGB III seien nur die beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume maßgeblich, sodass es auf das Bestehen eines leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses ankomme.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Blatt 30/31 Senatsakte).

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Absatz 1, 124 Absatz 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet. Streitgegenstand des Verfahren sind neben dem Bewilligungsbescheid vom 15.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.05.2017 auch die Änderungsbescheide vom 04.07.2017 (betreffend die Anspruchsdauer) und 16.11.2017 (betreffend die Qualifikationsgruppe) geworden (§ 96 SGG). Nachdem die Bescheide kraft Gesetzes zum Gegenstand des Verfahrens geworden sind, war zum Zeitpunkt der nichtöffentlichen Sitzung vor dem SG für ein Teilanerkenntnis und dessen Annahme kein Raum mehr, sodass diesem keine Bedeutung zukommt. Die Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin kann die Gewährung höheren Arbeitslosengeldes nicht beanspruchen. Der Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden.

Der Senat konnte feststellen, dass die Klägerin ab dem 01.05.2017 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit gemäß §§ 136 Absatz 1 Nr. 1, § 137 Absatz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) hat, da sie arbeitslos ist (Nr. 1), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt hat (Nr. 3). Dementsprechend hat die Beklagte, zuletzt mit Bescheid vom 16.11.2017, Arbeitslosengeld für 720 Tage bewilligt.

Das Arbeitslosengeld beträgt 60 Prozent des pauschalierten Nettoentgeltes (Leistungsentgelt), das sich aus dem Brutto-Entgelt ergibt, dass die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt), § 149 SGB III. Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen, § 150 Absatz 1 Satz 1 SGB III. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr, er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs, § 150 Absatz 1 Satz 2 SGB III. Der Bemessungsrahmen wird auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält, § 150 Absatz 3 Nr. 1 SGB III. Gestützt auf die Arbeitsbescheinigung vom 25.04.2017 (Blatt 4 ff. VA) konnte der Senat feststellen, dass die Klägerin zum 30.04.2017 gekündigt und ab dem 01.01.2015 unter Fortzahlung des Entgeltes von der Arbeit freigestellt worden ist. Die Klägerin war somit ab dem 01.01.2015 beschäftigungslos im Sinne des § 138 Absatz 1 Nr. 1 SGB III, da leistungsrechtlich ein Arbeitnehmer nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht, wenn das bisherige Beschäftigungsverhältnis sein tatsächliches Ende gefunden hat und eine neue Beschäftigung nicht wieder aufgenommen worden ist oder der Arbeitgeber seine Verfügungsgewalt über den Arbeitnehmer nicht mehr beansprucht. Dies ist stets gegeben, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis kündigt und weitere Dienste nicht annimmt, aber auch, wenn der Arbeitgeber bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis den Arbeitnehmer von der Arbeit freistellt (Brand in: ders, SGB III, § 138 RdNr. 16). Da die Arbeitslosmeldung (§ 137 Absatz 1 Nr. 2 SGB III) erst zum 01.05.2017 erfolgte, entstand der Anspruch auf Arbeitslosengeld erst zu diesem Zeitpunkt. Nachdem das Versicherungspflichtverhältnis zum 30.04.2017 geendet hat, beläuft sich der Bemessungsrahmen daher auf den Zeitraum vom 01.05.2016 bis 30.04.2017. Nachdem im Bemessungsrahmen der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitslosengeld enthält, ist der Bemessungsrahmen gemäß § 150 Absatz 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III auf zwei Jahre zu erweitern und umfasst daher den Zeitraum vom 01.05.2015 bis 30.04.2017. Im Bemessungszeitraum nach § 150 Absatz 1 Satz 1 SGB III können nämlich lediglich die Entgelte berücksichtigt werden, die aufgrund einer Beschäftigung im leistungsrechtlichen Sinne gezahlt wurden (BSG, Beschluss vom 30.04.2010 – B 11 AL 160/09 B, juris RdNr. 3), wozu Entgelte, die für Zeiträume nach einer erfolgten Freistellung von der Arbeit gezahlt wurden, nicht zählen (LSG Hamburg, Urteil vom 05.04.2017 – L 2 AL 84/16, juris RdNr. 18; Bayrisches LSG, Beschluss vom 18.07.2016 – L 10 AL 133/16 NZB, juris RdNr. 10). Grundsätzlich ist zwischen dem Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis zu differenzieren, daneben ist zu berücksichtigen, dass das Beitrags- und Leistungsrecht an unterschiedliche Voraussetzungen anknüpfen können, die sich aber gegenseitig nicht ausschließen müssen, was für eine Differenzierung zwischen einem beitragsrechtlichen und einem leistungsrechtlichen Begriff des Beschäftigungsverhältnisses spricht (BSG, Urteil vom 26.11.1985 – 12 RK 51/83, juris RdNr.18; BSG, Urteil vom 24.09.2008 – B 12 KR 22/07 R, juris RdNr.21). Kernbestand des leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses ist eine faktische Beziehung, die die Leistung von Arbeit unter persönlicher Abhängigkeit von einem anderen zum Inhalt hat, wobei sich diese Abhängigkeit auf der einen Seite in der tatsächlichen Verfügungsmacht und auf der anderen Seite in der faktischen Dienstbereitschaft auswirkt. Typisch für das leistungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis ist zwar das funktionierende beitragspflichtige Beschäftigungsverhältnis, so muss es indes nicht liegen. Auch entgeltliche Beschäftigungsverhältnisse, die nicht der Beitragspflicht unterliegen, sowie unentgeltliche Beschäftigungsverhältnisse werden erfasst, entscheidend ist, dass Gegenstand des Verhältnisses gerade die Leistung fremdnütziger Arbeit von wirtschaftlichem Wert im Rahmen eines wirtschaftlichen Austauschverhältnisses ist (BSG, Urteil vom 13.07.2006 – B 7a AL 16/05 R, juris RdNr. 12). Die Merkmale des Beschäftigungsverhältnisses lassen sich daher nicht generalisieren oder abschließend bestimmen, da sie je nach Zusammenhang, in den die einzelne Norm gestellt ist, unterschiedliche Bedeutung erlangen können. Gefordert ist daher eine "funktionsdifferente Auslegung", die den Inhalt der konkreten Rechtsnorm sachbezogen nach ihrer Stellung und Aufgabe in der Rechtsordnung bestimmt. Die Beschäftigungslosigkeit und damit der Begriff der Beschäftigung im leistungsrechtlichen Sinne in der Arbeitslosenversicherung unterscheidet sich vom Begriff der Beschäftigung im beitragsrechtlichen Sinne. Die Beschäftigung im leistungsrechtlichen Sinne ist unabhängig vom (Fort-)Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des Arbeitsrechts durch die tatsächliche Nichtbeschäftigung des Versicherten, das heißt, die fehlende Arbeitsleistung gekennzeichnet. Selbst wenn Beschäftigungslosigkeit im leistungsrechtlichen Sinne gegeben ist, schließt dies das Vorliegen einer Beschäftigung im beitragsrechtlichen Sinne nicht aus (BSG, Urteil vom 24.09.2008 – B 12 KR 22/07 R, juris RdNr.21; BSG, Urteil vom 28.09.1993 – 11 RAr 69/92, juris RdNr. 13). Dass für die Ermittlung der Entgeltabrechnungszeiträume auf das leistungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis abzustellen ist und damit Entgelte, die für Zeiträume nach einer erfolgten Freistellung von der Arbeit gezahlt werden, nicht berücksichtigt werden, läuft weder dem Sinn und Zweck der Vorschrift noch den Grundrechten zuwider. Nach längerer Beschäftigungslosigkeit kann bei einer Neueinstellung nicht mehr das bisherige Gehalt erzielt werden. Unabhängig davon, ob ein Arbeitnehmer bei fehlender Beschäftigung z.B. aufgrund einer Freistellung formal in einem Arbeitsverhältnis steht und ob er trotzdem noch beitragspflichtiges Arbeitsentgelt bezieht, fehlt es an der zur Beibehaltung des "Marktwertes" erforderlichen tatsächlichen Arbeitsleistung in seinem Beruf. Aus der Lohnersatzfunktion des ALG rechtfertigt sich ohne weiteres das Bestreben, ein Leistungsniveau zu verhindern, das über einen Ausgleich für das aktuell erzielbare Entgelt hinausgeht. Grundsätzlich ist es daher nicht zu beanstanden, dass nach einer unwiderruflichen Freistellung erzielte Arbeitsentgelte in der Arbeitslosenversicherung zwar beitragspflichtig sind, bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes, anders als bei der Erfüllung der Anwartschaftszeit, aber nicht berücksichtigt werden. Weder einfach- noch verfassungsrechtlich wird eine strenge Beitragsäquivalenz gefordert (LSG Hamburg, Urteil vom 05.04.2017 – L 2 AL 84/16, juris RdNr. 20; Eppelein in: juris-PK SGB III, § 150 RdNr. 14.2). Der Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung sozialversicherungsrechtlicher Systeme von Verfassungs wegen nicht gehalten, Geldleistungen der Höhe nach in voller Äquivalenz zu den Beiträgen festzusetzen (Bayrisches LSG, Urteil vom 19.09.2017 – L 10 AL 67/17, juris RdNr. 18 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 11.03.1980 – 1 BvL 20/76).

Die Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.02.2017 – L 9 AL 150/15 – überzeugt schon deshalb nicht, da die von der Rechtsprechung des BSG vorgenommene Differenzierung zwischen dem leistungsrechtlichen und dem beitragsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis nicht berücksichtigt wird. Die vom LSG Nordrhein-Westfalen herangezogene Entscheidung des BSG vom 24.09.2008 (B 12 KR 22/07 R) betrifft das beitragsrechtliche Beschäftigungsverhältnis, wie in Rn. 21 (zitiert nach juris) deutlich wird, wenn nochmals betont wird, dass sich die Beschäftigung im leistungsrechtlichen Sinne von derjenigen im beitragsrechtlichen Sinne unterscheidet und selbst wenn eine Beschäftigungslosigkeit im leistungsrechtlichen Sinne gegeben ist, das Vorliegen einer Beschäftigung im beitragsrechtlichen Sinne nicht ausgeschlossen wird. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung dahin zu verstehen sein dürfte, dass davon ausgegangen wird, dass Beschäftigungslosigkeit und damit der Begriff der Beschäftigung im leistungsrechtlichen Sinne durch die tatsächliche Nichtbeschäftigung des Versicherten gekennzeichnet wird, mithin die Begriffe der Beschäftigungslosigkeit und der Beschäftigung im leistungsrechtlichen Sinne synonym zu gebrauchen sind. Die Entscheidung vom 11.12.2014 (B 11 AL 2/14 R) betrifft ebenso nur die beitragsrechtliche Beschäftigung, da hier das Erfüllen der Anwartschaftszeit streitig gewesen ist und daher ebenfalls das Beschäftigungsverhältnis im leistungsrechtlichen Sinne entscheidend war (vgl. auch LSG Hamburg, Urteil vom 21.03.2018 – L 2 AL 45/17, juris RdNr. 18). Gegen die Auffassung, dass bei einer unwiderruflichen Freistellung das leistungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis nicht endet, spricht im Übrigen auch, dass eine Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld nach § 157 Absatz 3 SGB III ausgeschlossen wäre, wenn sich die Beschäftigungslosigkeit nach § 138 Absatz 1 Nr. 1 SGB III (zum dort maßgeblichen leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis vgl. Brand in: ders., SGB III, § 138 Rn. 10) nach dem beitragsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis richten würde, da Arbeitslosigkeit dann zu verneinen wäre. Auch hätte die Regelung des § 157 Absatz 1 SGB III, die durch die Gleichwohlgewährung ergänzt wird, zum Ruhen des Leistungsanspruchs bei Arbeitsentgelt keinen Anwendungsbereich, da der Anspruch auf Arbeitslosengeld mangels Beschäftigungslosigkeit schon gar nicht entstehen würde. Die Regelung der Gleichwohlgewährung zeigt, dass das Gesetz selbst davon ausgeht, dass gleichzeitig ein Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis mit Anspruch auf Arbeitsentgelt bestehen kann und gleichzeitig Arbeitslosengeld zu zahlen ist. Das Arbeitslosengeld ersetzt hier nicht den wegen Arbeitslosigkeit, d.h. den wegen Fehlen eines Arbeitsplatzes ausfallenden Lohn, sondern den Lohn, der ungeachtet eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses nicht gezahlt wird. Mit der Gewährung von Arbeitslosengeld erfüllt die Beklagte dann zwar nicht die Leistungspflicht des Arbeitsgebers (ihre Leistung bleibt eine Sozialleistung), wirtschaftlich tritt ihre Leistung jedoch für den Arbeitnehmer in Höhe des gezahlten Arbeitslosengeldes an die Stelle des ihm vorenthaltenen Lohnes. Die Beklagte tritt also, da der Anspruch auf Arbeitsentgelt insoweit auf sie übergeht, in Vorleistung. Diese Regelung zeigt, dass das Beitrags- und Leistungsrecht an unterschiedliche Voraussetzungen anknüpfen können, die sich aber nicht gegenseitig auszuschließen brauchen (BSG, Urteil vom 26.11.1985 – L 12 RK 51/83, juris RdNr. 18).

Im Übrigen knüpft § 142 Absatz 1 SGB III für die Erfüllung der Anwartschaftszeit, an ein Versicherungspflichtverhältnis und damit an die beitragsrechtliche Beschäftigung an, während § 150 Absatz 1 SGB III auf das Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis, nicht aber auf das Ende des Versicherungspflichtverhältnisses abstellt. Die vom LSG Nordrhein-Westfalen herangezogene Vergleichbarkeit der Begriffe ist Folge des Umstandes, dass keine Differenzierung zwischen dem leistungsrechtlichen und dem beitragsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis vorgenommen wird.

Auf die Frage, ob das leistungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis anders zu beurteilen ist, wenn der unwiderruflichen Freistellung keine Kündigung oder kein arbeitsgerichtliches Verfahren vorausgegangen ist, kommt es vorliegend nicht an, da sich den Ausführungen der Klägerin entnehmen lässt, dass die Freistellung unter Fortzahlung des Entgeltes Ergebnis des arbeitsgerichtlichen Verfahrens nach der Kündigung vom 17.12.2014 (Blatt 1 VA) gewesen ist.

Die Beklagte hat das Arbeitslosengeld daher gemäß § 152 Absatz 1 Satz 1 SGB III zutreffend fiktiv bemessen. Dieser bestimmt, dass wenn ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitslosengeld innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden kann, als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen ist. Die Anpassung an die Qualifikationsgruppe 2 nach § 152 Absatz 2 SGB III hat die Beklagte mit den Änderungsbescheiden vorgenommen, Berechnungsfehler hinsichtlich des fiktiven Anspruchs sind nicht ersichtlich und von der Klägerin nicht geltend gemacht worden. Sie hat insoweit das durch Bescheid vollzogene Teilanerkenntnis angenommen.

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin mit ihrem Begehren in der Berufung vollumfänglich erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ab, sondern folgt dieser. Dass das LSG NRW zu einer anderen Auslegung der Rechtsprechung gelangt, begründet weder eine Divergenz noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Rechtskraft
Aus
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