L 9 R 4093/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 285/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4093/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 11. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren. Im Übrigen verbleibt es bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1974 geborene Kläger hat nach dem Besuch einer Förderschule in W. (M.schule) keinen Beruf erlernt und war seit 1991 in einer Vielzahl kurzfristiger Beschäftigungen, die zum Teil von der Agentur für Arbeit gefördert wurden, bei unterschiedlichen Arbeitgebern tätig, immer wieder unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit. Seit August 2002 bis zum 31.08.2012 bezog der Kläger fast durchgängig Leistungen durch die Agentur für Arbeit, daneben wurden gelegentlich geringfügige, nicht versicherungspflichtige Beschäftigungen ausgeübt. Seit dem 01.01.2005 bezieht der Kläger mit wenigen kurzen Unterbrechungen Arbeitslosengeld II (Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Am 20.08.2012 stellte der Kläger auf Veranlassung durch das Jobcenter einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung mit der Begründung, er sei seit 2006 wegen einer psychischen Erkrankung, Alkoholkrankheit und einer Operation am rechten Arm/an der rechten Hand erwerbsgemindert. Vorgelegt wurde hierzu eine sozialmedizinische Stellungnahme durch Dr. W. (Landratsamt R.), wonach der Kläger nur noch täglich weniger als drei Stunden Tätigkeiten verrichten könne aufgrund der psychischen Probleme. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung durch den Facharzt für Innere Medizin, Psychotherapeutische Medizin, Rehabilitationswesen, Sozialmedizin Dr. W., der nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 08.11.2012 in seinem Gutachten vom 13.11.2012 als Diagnosen einen bekannten chronischen Alkoholabusus (aktuell Abstinenz seit elf Monaten), eine bekannte Psoriasis, Nikotinabusus und eine leichte chronische Lumbalgie bei BWS-Kyphoskoliose stellte. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis mittelschwere Tätigkeiten weiterhin vollschichtig ausüben.

Mit Bescheid vom 15.11.2012 lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung der begehrten Rente ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers, aufgrund der Gesamtsituation, fehlender Tagesstruktur, Magenbeschwerden, blutender Psoriasis und Schlafstörungen sei er erwerbsgemindert, wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 23.01.2013 unter Hinweis auf das vollschichtige Leistungsvermögen zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 06.02.2013 Klage vor dem Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben unter Bezugnahme auf die Begründung im Widerspruchsverfahren.

Das Gericht hat zunächst den behandelnden Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. W. als sachverständigen Zeugen befragt, der in seinem Schreiben vom 10.04.2013 ausgeführt hat, bis auf eine leichte Kachexie lägen keine grob einschränkenden organischen Erkrankungen vor. Die zum Teil aber gravierende und letztendlich auch einschränkende Gesundheitsstörung liege auf dem psychiatrischen Fachgebiet. Fragen zur Leistungsfähigkeit könne er als Hausarzt nicht beantworten. Der daraufhin ebenfalls vom Gericht befragte Facharzt für Psychotherapeutische Medizin W. hat im Bericht vom 11.06.2013 eine kombinierte Persönlichkeitsstörung bei überwiegender Borderlinesymptomatik mit häufigen Rückfällen in Alkohol und Spielsucht diagnostiziert. Der Kläger habe 2009 noch von 08.00 bis 16.00 Uhr in einer Behindertenwerkstatt gearbeitet, aktuell scheine er sechs Stunden leichte Tätigkeiten bewältigen zu können. Die pathogene Persönlichkeitsentwicklung bestehe seit der frühen Kindheit. Sie werde daher frühe Störung genannt.

Im Anschluss hieran hat das Gericht ein nervenärztliches Gutachten bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. eingeholt, der nach ambulanter Untersuchung des Klägers im Gutachten vom 21.03.2014 folgende Diagnosen gestellt hat: Kombinierte Persönlichkeitsstörung bei niedriger Intelligenz, Alkoholabhängigkeit, gegenwärtig abstinent, Verdacht auf pathologisches Spielen, Nikotinabhängigkeit, Wirbelsäulensyndrom ohne neurologisches Defizit. Mit diesem Leistungsprofil sei der Kläger aus neurologisch-psychiatrischer Sicht derzeit nicht in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. In seinem jetzigen Zustand sei der Kläger den Herausforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht gewachsen. Er neige zu einem ausgeprägten Vermeideverhalten und der Entwicklung körperlicher Symptome, Tagesstrukturen fehlten fast völlig. Eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt würde in seinem jetzigen Zustand eine so erhebliche Belastung darstellen, dass er sich mit größter Wahrscheinlichkeit innerhalb kurzer Zeit in ärztliche Behandlung begeben würde und krankgeschrieben bzw. in stationäre Behandlung eingewiesen würde. Diese Leistungseinschränkung bestehe seit Stellung des Rentenantrags im August 2012. Durch eine geeignete suchttherapeutische Maßnahme unter Einschluss sozialpädagogischer und psychotherapeutischer Maßnahmen wäre mit einer Besserung der Alkoholproblematik zu rechnen. Möglicherweise könne der Kläger durch eine Trainingsmaßnahme unter geschützten und erleichterten Arbeitsbedingungen, beispielsweise in einer Werkstatt für Menschen mit psychischen Behinderungen, wieder in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert werden, wobei für eine solche Trainingsmaßnahme ein Zeitbedarf von ca. einem Jahr zu veranschlagen wäre. Beim Kläger bestehe eine niedrige Intelligenz, nicht jedoch eine Intelligenzminderung im Sinne internationaler Klassifikationen psychischer Störungen. Hierdurch seien seine Kompensations- und Bewältigungsstrategien beeinträchtigt, und auch die eingeschränkte Mitarbeit bei den bisherigen therapeutischen Bemühungen sei zumindest teilweise dadurch erklärt.

Daraufhin hat sích die Beklagte nach Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme des Dr. B. vom 23.04.2014 der Einschätzung angeschlossen, dass der Kläger lediglich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter drei Stunden ausüben könne. Jedoch sei diese Erwerbsminderung ins Erwerbsleben miteingebracht worden, sodass die Gewährung einer Rente nicht in Betracht komme. Die Wartezeit von 20 Jahren nach § 43 Abs. 6 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) erfülle der Kläger nicht. Bei ihm lägen lediglich 173 Monate mit Pflichtbeitragszeiten vor.

Ergänzend hat Dr. D. auf Veranlassung des SG im Schreiben vom 15.12.2014 ausgeführt, aus dem Bestehen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung bei niedriger Intelligenz könne nicht per se ein seit Eintritt in das Berufsleben aufgehobenes Leistungsvermögen abgeleitet werden. Auch bei Bestehen einer niedrigen Intelligenz könnten häufig einfache berufliche Tätigkeiten, bei denen geringe Anforderungen an das Schulwissen bestünden, verrichtet werden. Ganz offensichtlich habe der Kläger in der Vergangenheit solche Tätigkeiten auch ausgeübt, auch wenn er hiermit möglicherweise an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gestoßen sei. Auch das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung bedeute nicht unbedingt, dass damit schon bei Eintritt in das Berufsleben ein aufgehobenes Leistungsvermögen anzunehmen sei. Im Laufe seines Berufslebens hätten beim Kläger immer wieder Phasen mit erhöhtem Alkoholkonsum bestanden. Es habe aber auch Phasen gegeben, in denen er abstinent gewesen sei bzw. relativ wenig Alkohol konsumiert habe, wobei sich dies aufgrund der vagen und unscharfen Angaben des Klägers und der in den Akten vorliegenden Dokumente nicht zeitlich genauer eingrenzen lasse. In dem Gutachten sei als Eintritt der Leistungsminderung der Zeitpunkt der Rentenantragstellung im August 2012 gewählt worden. Genaue Daten über den Krankheitsverlauf vor diesem Datum lägen nicht vor. Es sei spekulativ, einen exakten Zeitpunkt in der Biographie des Klägers anzugeben, zu dem die quantitative Leistungsminderung eingetreten sei. Konkrete Hinweise darauf, dass die Leistungsminderung schon zum Zeitpunkt des Eintritts in das Erwerbsleben bestanden habe, fehlten. Die Leistungsminderung habe sich vielmehr in den letzten Jahren, auch unter Hinzutreten der Alkoholabhängigkeit und der damit in Verbindung stehenden Folgeerscheinungen, entwickelt.

Im Anschluss hieran hat das SG die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. G. der Abteilung für Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie W., Zentrum für Psychiatrie (ZfP) S., als sachverständige Zeugin befragt. Diese hat über vier stationäre Behandlungen des Klägers zwischen 2006 und 2014 berichtet. Erstmals sei der Kläger vom 15.12.2006 bis 23.02.2007 auf der Suchtstation behandelt worden. Damals hätten eine Alkoholabhängigkeit sowie eine ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung im Vordergrund gestanden. Eine zweite Aufnahme sei vom 27.01.2010 bis 16.02.2010 erfolgt, erneut auf der Suchtstation mit der Diagnose Alkoholabhängigkeit. Vom 17.11.2010 bis 10.12.2010 sei es zu einer dritten stationär-psychiatrischen Behandlung gekommen, diesmal in der Abteilung für Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie in W. (Diagnosen: Alkoholabhängigkeit, schädlicher Gebrauch von Hypnotika, pathologisches Glücksspiel). Die letzte stationäre Behandlung habe vom 02.10.2014 bis 14.10.2014 stattgefunden (Anpassungsstörung, pathologisches Spielen, Alkoholabhängigkeit, seit vier Jahren abstinent, Nikotinabhängigkeit). Auf psychiatrischem Fachgebiet stehe eine Suchterkrankung im Vordergrund. Eine Beurteilung der Leistungsfähigkeit könne nicht abgegeben werden. Der ebenfalls befragte Facharzt für Psychotherapeutische Medizin W. hat im Bericht vom 14.12.2015 seine Ausführungen vom 11.06.2013 im Wesentlichen wiederholt. Bei Therapieende sei der Kläger sechs Stunden für leichte Arbeiten belastbar gewesen. Seine angebliche Alkoholkarenz sei wegen gelegentlichen Alkoholfoetors (Geruch) fraglich. Obwohl erst 41 Jahre, wirke er starr wie ein Siebzigjähriger. Sein destruktives malignes Selbstbild werde sich nicht mehr verändern. Wegen dieser mangelnden Veränderungsbereitschaft und der Unfähigkeit zu Selbstkritik, selbstkritischen Distanz, Einsichtsfähigkeit und der daraus resultierenden infausten Prognose sei keine Therapieverlängerung erfolgt. In seinem Schreiben vom 14.01.2016 hat der behandelnde Facharzt für Allgemeinmedizin W. ausgeführt, es müsse leider von einer chronischen Erkrankung ausgegangen werden, sodass er von einer schlechten Prognose ausgehe, was den Therapieerfolg angehe. Stationäre und auch ambulante psychiatrische Maßnahmen seien ohne Erfolg geblieben. Die genaue Leistungsfähigkeit des Klägers könne er als ein Nichtsozialmediziner nicht einschätzen. Er halte ihn aber auf jeden Fall für leichte Tätigkeiten in der Lage und befürworte sogar solche Maßnahmen, da er dadurch zumindest einen geregelten Tagesablauf haben dürfte.

Mit Gerichtsbescheid vom 11.10.2016 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Zugrundelegung eines Leistungsfalls am 20.03.2014 (Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. D.) eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.10.2014 befristet bis zum 30.09.2017 zu bewilligen. Nach dem Gutachten des Dr. D. sei von einem aufgehobenen Leistungsvermögen des Klägers zum Zeitpunkt seiner Begutachtung auszugehen. Ein vor diesem Zeitpunkt liegender Leistungsfall könne nicht zweifelsfrei festgestellt werden. So habe Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme darauf hingewiesen, dass es rein spekulativ wäre, einen konkreten Leistungsfall und mithin einen Zeitpunkt des Eintrittes einer Erwerbsminderung in der Biographie des Klägers zu bestimmen. Da nicht unwahrscheinlich sei, dass eine Besserung des Gesundheitszustandes eintrete, sei die Rente zu befristen gewesen.

Hiergegen hat die Beklagte am 08.11.2016 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt mit der bereits zuvor abgegebenen Begründung. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger seit Geburt intelligenzgemindert sei. Dies werde auch durch den von Dr. D. durchgeführten Intelligenztest bestätigt, der zu einem Intelligenzquotienten von 75 geführt habe. Auch sei der Kläger erst mit acht Jahren eingeschult worden und habe von Anfang an eine Förderschule besucht. Ein Hauptschulabschluss sei nicht erreicht worden. Er sei nur einmal über einen Zeitraum von ca. zwei Jahren als Hilfskraft in einer Schreinerei berufstätig gewesen. Bei allen anderen Tätigkeiten habe es sich um kurzfristige Tätigkeiten für Zeitarbeitsfirmen, von der Agentur für Arbeit geförderte Maßnahmen, Teilzeittätigkeiten in einem Umfang von wenigen Stunden pro Tag oder um sogenannte Ein-Euro-Jobs gehandelt. Alle Versuche, den Kläger durch Schulungsmaßnahmen zu qualifizieren, hätten nicht zu einer dauerhaften Integration in den Arbeitsmarkt geführt. Auch aus dem Versicherungslauf sowie der Aufstellung der jeweiligen Arbeitgeber während der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Zeitraum vom 12.08.1991 bis zum 22.08.2002 könne geschlossen werden, dass der Kläger nie konkurrenzfähig auf dem ersten Arbeitsmarkt gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 11. Oktober 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat ausgeführt, auch Schüler, die eine Förderschule besuchten, könnten eine Ausbildung durchlaufen und im Erwerbsleben gut integrierbar sein. Er sei an verschiedenen Arbeitsplätzen mal länger, mal kürzer beschäftigt gewesen. Bei ihm davon zu sprechen, dass er über seine Intelligenzminderung die Erwerbsminderung ins Erwerbsleben eingebracht habe, gehe an der Realität vorbei.

Der Senat hat die Akten des Jobcenters (Landratsamt R.) beigezogen und die bisherigen Arbeitgeber des Klägers befragt. Der Zahnarzt Dr. G. hat im Schreiben vom 15.05.2017 dargelegt, der Kläger sei im Zeitraum vom 07.10.1999 bis zum 29.02.2000 als Reinigungskraft in seiner Zahnarztpraxis tätig gewesen im Umfang von etwa fünf bis acht Stunden pro Woche. Das Arbeitsverhältnis sei beendet worden, weil die Putzqualität nicht den Anforderungen entsprochen habe. Im Schreiben vom 15.05.2017 hat die Firma P. AG & Co. KG aus L. dargelegt, der Kläger sei dort vom 29.09.2000 bis 25.10.2000 als Anlernkraft mit einer vereinbarten monatlichen Arbeitszeit in Höhe von 152 Stunden tätig gewesen. Dieses Arbeitsverhältnis sei fristgemäß gekündigt worden. Aufgrund der langen Zeitspanne könnten nähere Angaben hierzu nicht gemacht werden. Die Firma E. e.K. hat zum Arbeitsverhältnis des Klägers als Produktionsmitarbeiter im Zeitraum vom 01.03.2000 bis 11.04.2000 neben dem Arbeitsvertrag, den Bewerbungsunterlagen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen u.a. auch drei Abmahnungen vorgelegt. Die erste Abmahnung vom 21.03.2000 bezog sich auf fehlende Sorgfalt, Schlechtleistung, Minderleistung sowie störendes Tratschen und dadurch bedingte Leistungsminderung. Der Kläger habe Anweisungen seiner Vorgesetzten nicht oder nur teilweise ausgeführt, und es fehle ihm daher an Disziplin. Seine Leistung liege weit hinter dem Normalen zurück, und während seiner Arbeitszeit sei er häufig beim Tratschen mit seinem Nachbarn beobachtet worden. Die zweite Abmahnung vom 07.04.2000 wurde mit unentschuldigtem Fehlen und dem Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit begründet. Der Kläger habe sich am 06.04.2000 um ca. 07.45 Uhr durch seine Schwester arbeitsunfähig krank melden lassen mit der Ansage, ihr Bruder liege krank im Bett. Am gleichen Tag um 11.00 Uhr sei der Kläger aber im Stadtgebiet von W. angetroffen worden und habe hier einen flotten und vergnügten Eindruck gemacht. Da außerdem die ärztliche Krankmeldung fehle, sei sein Verhalten als Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit und das Fehlen als unentschuldigtes Fernbleiben von der Arbeit zu werten. Am 10.04.2000 erfolgte eine dritte Abmahnung unter Hinweis auf unentschuldigtes Fehlen, Verstoß gegen Ziff. 10 des Arbeitsvertrages und Nichteinhaltung der Meldepflicht. Der Kläger habe am 10.04. an seinem Arbeitsplatz gefehlt, ohne sich bei der Firma E. bzw. der Firma D. zu melden und eine Erklärung für das Fehlen abzugeben. Mit Schreiben vom 06.04.2000 wurde das Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen zum 20.04.2000 gekündigt. Eine fristlose Kündigung erfolgte mit Schreiben vom 11.04.2000 mit der Begründung, der Kläger sei am 10.04.2000 im Gasthof angetroffen worden, obwohl er sich im Krankenstand befunden habe. Auch habe er die ärztliche Krankmeldung nicht, wie unter Punkt 10 des Arbeitsvertrages vereinbart, unverzüglich eingereicht. Das Landratsamt R. hat im Schreiben vom 24.08.2017 ausgeführt, der Kläger sei dort vom 01.05.1998 bis 30.04.1999 als Hausmeisterhelfer in Vollzeit tätig gewesen. Zu seinen Aufgaben hätten die Unterstützung der Hausmeister sowie die Pflege der Außenanlagen (Sträucher und Bäume schneiden, Rasen mähen, Plätze und Pausenflächen sauber halten, Schnee räumen usw.) gehört. Darüber hinaus habe er bei kleinen Reparaturarbeiten geholfen. Das Arbeitsverhältnis habe durch Fristablauf geendet. Er habe alle Aufgabenbereiche eigenverantwortlich wahrgenommen und hierbei selbstständig und weitgehend zuverlässig gearbeitet. Er habe unter den üblichen Bedingungen als Hausmeisterhelfer gearbeitet. Ergänzend hat das Landratsamt auf Nachfrage des Senats im Schreiben vom 06.10.2017 ausgeführt, es habe sich hierbei um eine gemeinnützige Tätigkeit gehandelt. Die Personalkosten bzw. ein Lohnkostenzuschuss seien vom damalig zuständigen Sozialamt übernommen worden. Im Schreiben vom 25.08.2017 hat der Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart e.V. ausgeführt, der Kläger sei im Zeitraum vom 01.11.1992 bis 31.10.1993 im Rahmen des Sonderprogramms der Landesregierung zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit innerhalb einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme im Umfang von 33 Stunden inklusive fünf Stunden für seine Betreuung tätig gewesen. Ob der Kläger konkurrenzfähig unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes gearbeitet habe, lasse sich aufgrund der Aktenlage nicht einschätzen.

Im Schreiben vom 04.09.2017 hat die M.schule (Sonderschule für Lernbehinderung) bestätigt, dass der Kläger von 1982 bis 1991 die Schule besucht habe. Aus einem beigefügten Beurteilungsbogen ergibt sich, dass der Kläger zuletzt in der Klasse 9 u.a. folgende Leistungen erzielen konnte: Deutsch 5, Erdkunde 4, Geschichte 4, Mathematik 3, Physik/Chemie 4, Biologie 4, Sport 2, Musik 4, Bildende Kunst 3, Wirtschaftslehre 3, Technisches Werken 5, Hauswirtschaft 2. Wegen Krankheit/Erholung fehlte der Kläger an vier Tagen, hinzu kam ein Tag für eine sonstige Beurlaubung. Unerlaubte Fehltage waren nicht aufgeführt.

Die übrigen vom Senat angeschriebenen Arbeitgeber konnten entweder wegen Zeitablaufs keine Angaben mehr machen, reagierten nicht auf die Anfrage oder aber existierten nicht mehr.

Weiterhin hat der Senat erneut den behandelnden Arzt Dr. W. als sachverständigen Zeugen befragt, der im Schreiben vom 11.01.2018 ausgeführt hat, eine gravierende einschränkende somatische Erkrankung liege weiterhin nicht vor. In den bisher vielen stationären und ambulanten psychiatrischen Behandlungen sei keinerlei Erfolg zu verzeichnen. Eine Verbesserung des Gesundheitszustandes sei nicht zu erwarten. Eine beschäftigende Maßnahme halte er nach wie vor für sehr sinnvoll und notwendig, damit der Kläger einen geregelten Tagesablauf beibehalte. Der ebenfalls befragte Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. V. hat im Schreiben vom 07.02.2018 dargelegt, den Kläger in den 1990er Jahren durchgängig behandelt zu haben. Aufgrund des zeitlichen Abstands seien ihm Diagnosen nicht mehr erinnerlich und könne er auch keine Beurteilung des Leistungsvermögens abgeben. Er habe schon vor zehn Jahren seine Kassenarzttätigkeit beendet. Der Arzt für Innere Medizin Dr. T. hat in zwei Schreiben vom 12.02.2018 und 16.04.2018 mitgeteilt, den Kläger vom 22.12.1992 bis zum 30.08.2000 in seiner Praxis behandelt zu haben. Seiner Einschätzung nach sei der Kläger bis zum 30.08.2000 durchaus in der Lage gewesen, täglich mehr als sechs Stunden an fünf Tagen pro Woche eine leichte Tätigkeit auszuführen.

Hierzu hat die Beklagte ausgeführt, der Kläger habe die von Dr. G. abgeforderte Putzqualität nicht leisten können, und auch das eigentlich längerfristig angelegte Arbeitsverhältnis bei der Firma P. sei nach nicht einmal einem Monat gekündigt worden. durch die Firma D. e.K. sei der Kläger wegen fehlender Sorgfalt, Schlechtleistung, Minderleistung und störendem Tratschen verbunden mit Leistungsminderung sowie unentschuldigtem Fehlen, Nichteinhaltung der Meldepflicht und Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit abgemahnt worden. Diese Angaben über missglückte Arbeitsversuche bestätigten, dass der Kläger aufgrund der Art und Schwere seiner Störungen nicht unter regulären Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein könne. Weiterhin hat die Beklagte dargelegt, aus den Berichten des ZfP lasse sich ablesen, dass der Kläger selbst bei Maßnahmen wie einem Ein-Euro-Job viel Unterstützung und Anleitung brauche. Er verfüge über wenig Motivation und Interesse, das Arbeitstempo sei verlangsamt, er könne sich nicht auf Neues einstellen. Aus einem Ausdruck des Jobcenters gingen zahlreiche Arbeitsunterbrechungen sei der Aufnahme einer Beschäftigung hervor, z.T. seien "zweiter Arbeitsmarkt" eingetragen worden wie auch mehrfach Fördermaßnahmen. Es müsse insgesamt davon ausgegangen werden, dass der Kläger bereits vor Eintritt ins Erwerbsleben dem ersten Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden habe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe liegen nicht vor (§ 144 SGG).

Die Berufung ist aber unbegründet. Die angefochtene Entscheidung des SG vom 11.10.2016 ist rechtmäßig. Zutreffend hat das SG festgestellt, dass der Kläger einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, wenn sie

1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Nicht erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich gemäß § 43 Abs. 4 SGB VI um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1. Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, 2. Berücksichtigungszeiten, 3. Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nr. 1 oder 2 liegt, 4. Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

Anrechnungszeiten sind u. a. Zeiten, in denen Versicherte nach dem 31.12.2010 Alg II bezogen haben (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB VI).

Vorliegend ist der Kläger nicht mehr in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein, so dass er als voll erwerbsgemindert einzustufen ist. Hinsichtlich der vollen Erwerbsminderung - die zwischen den Beteiligten unstreitig ist - verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid, denen er sich nach eigener Prüfung anschließt. Insoweit wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend abgesehen.

Diese Erwerbsminderung besteht seit dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. D. am 20.03.2014. Auch hier kann zunächst auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen werden. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind erfüllt, da sich der Fünf-Jahres-Zeitraum des § 43 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 SGB VI durch die Anrechnungszeiten wegen des Alg-II-Bezugs (§ 58 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 6 SGB VI) auf die Zeit vom 01.04.2006 bis 19.03.2014 um 34 Monate verlängert und der Versicherungsverlauf in dieser Zeit 57 Monate aufweist.

Wie das SG konnte sich auch der Senat nicht davon überzeugen, dass der Kläger bereits vor März 2014 voll erwerbsgemindert gewesen ist oder gar die Erwerbsminderung bereits in das Erwerbsleben miteingebracht hat mit der Folge, dass eine Rente nur unter den Voraussetzungen des § 43 Abs. 6 SGB VI zu gewähren wäre, nämlich bei Erfüllung der Wartezeit von 20 Jahren. Vielmehr geht der Senat davon aus, dass die Erwerbsminderung erst ab März 2014, also dem Untersuchungszeitpunkt durch Dr. D., und damit nach Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (§ 43 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, § 50 Abs. 1 SGB VI) nachgewiesen ist. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die kombinierte Persönlichkeitsstörung bei niedriger Intelligenz mit ängstlich vermeidenden und asthenischen Zügen in Kombination mit der Alkoholabhängigkeit (gegenwärtig abstinent) derart entwickelt, dass der Kläger nicht mehr in der Lage war und ist, auch nur drei Stunden täglich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Dies ergibt sich überzeugend aus den Ausführungen des Dr. D. in seinem Gutachten und in der ergänzenden Stellungnahme vom 15.12.2014, denen sich der Senat anschließt.

Zwar ist die Argumentation der Beklagten, die maßgebenden Beeinträchtigungen des Klägers seien bereits vor Eintritt in das Erwerbsleben aufgetreten, nicht ganz von der Hand zu weisen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) werden Versicherte indes mit allen Krankheiten, Gebrechen, Behinderungen, Wesenseigentümlichkeiten, Sozialisations- und Bildungsdefiziten in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen, und es gibt keinen Ausschluss aus der Versicherung wegen so genannter "eingebrachter Leiden", Behinderungen oder sonstiger Defizite (s. hierzu und zum Folgenden nur BSG, Urteil vom 10.12.2003, B 5 RJ 64/02 R m.w.N., Juris), es sei denn, es hat bereits bei Eintritt in die Rentenversicherung Erwerbsunfähigkeit bestanden. Allein durch das Erfordernis der Mindestbeitragszeit von fünf Jahren für die vorzeitigen Versichertenrenten wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit bzw. wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung erfolgt eine vom Gesetz vorgesehene faktische "Erprobung", nach deren Ablauf ein "Herabsinken" der beruflichen Leistungsfähigkeit insgesamt zum Eintritt der genannten Versicherungsfälle führen kann. Denn im Einzelfall soll und kann kaum festgestellt werden, ob z.B. ein Versicherter mit einer Behinderung oder Begabungs- und Sozialisationsdefiziten - auch einer eingeschränkten Kommunikationsfähigkeit unter Einschluss des Lesens und Schreibens - als von vornherein Erwerbsunfähiger eine Werkstatt für Behinderte besuchen muss oder jedenfalls in jungen Jahren eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufzunehmen in der Lage ist. Kommen bei einem regulär Versicherten im Verlaufe des Erwerbslebens weitere Leistungseinschränkungen hinzu oder nimmt nur mit zunehmendem Alter die Kompensationsfähigkeit "eingebrachter" Leiden bis zur Erwerbsunfähigkeit ab, bzw. kommt es zu einem für das "eingebrachte" Leiden typischen Leistungsabbau in einem bestimmten Lebensalter, spielt es für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit keine Rolle, wann und in welcher Reihenfolge die einzelnen ggf. "eingebrachten" Defizite und Leistungseinschränkungen aufgetreten sind (BSG, Urteil vom 10.12.2003 a.a.O.). Der Senat konnte sich vorliegend nicht davon überzeugen, dass die Erwerbsminderung bereits in das Erwerbsleben eingebracht worden ist – insofern liegt der Fall anders als z.B. bei einem Querschnittsgelähmten, der auf den Rollstuhl angewiesen ist (vgl. hierzu Thüringer LSG, Beschluss vom 25.02.2015, L 6 R 1632/14 B, Juris) oder einem Contergangeschädigten mit stark verkürzten Armen und nur rudimentär angelegten Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenken beidseits (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.08.2011, L 13 R 5780/09, Juris). Es liegt zwar auf der Hand, dass die niedrigere Intelligenz des Klägers bereits von Geburt an bestand. Nicht ohne Grund besuchte der Kläger lediglich eine Förderschule und wurde noch dazu erst mit acht Jahren eingeschult. Dies allein steht jedoch nach Auffassung des Senats der Ausübung einer leichten und geistig anspruchslosen beruflichen Tätigkeit, die nur geringe Anforderungen an das Schulwissen und die Intelligenz stellt, nicht entgegen. Immerhin war der Kläger in der Lage, die neunte Klasse der Förderschule mit nur zwei Fünfen (Deutsch und Technisches Werken) abzuschließen und in allen anderen Fächern bessere Noten zu erzielen, in Hauswirtschaft und Sport sogar jeweils Note 2, in Mathe, Kunst und Wirtschaftslehre Note 3, und dies bei nur geringen Fehltagen wegen Krankheit und ohne unentschuldigtes Fehlen.

Wann genau die Persönlichkeitsstörung eingetreten ist, lässt sich den medizinischen Unterlagen nicht entnehmen, da Arztberichte aus der Kinder- und Jugendzeit ebenso fehlen wir solche aus 1990er Jahren. Die Fachärztin für Innere Medizin, Sozialmedizin Dr. B. des ärztlichen Dienstes weist in ihrer Stellungnahme vom 23.04.2014 zwar darauf hin, dass eine solche Störung im Jugendalter auftritt, und auch der behandelnde Facharzt für Psychotherapeutische Medizin W. geht von einem Bestehen seit der frühen Kindheit aus (Bericht vom 11.06.2013). Doch folgt der Senat auch hier den Ausführungen des Dr. D., wonach eine Persönlichkeitsstörung nicht automatisch ein aufgehobenes Leistungsvermögen im Berufsleben nach sich zieht. Vielmehr hat sich die Erwerbsminderung dadurch entwickelt, dass zu der niedrigen Intelligenz und der Persönlichkeitsstörung noch die Alkoholerkrankung hinzugetreten ist und zu einer weiteren Destabilisierung im psychischen Zustand des Klägers geführt hat. Hinsichtlich der Alkoholerkrankung findet sich in der Akte ein wechselnder Verlauf: Im Bericht über eine stationäre Behandlung des Klägers in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Zentrum für Psychiatrie [ZfP] W.) vom 22.02.2007 wurden neben einer ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstörung psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol, Abhängigkeitssyndrom diagnostiziert. Dabei findet sich im Bericht der Hinweis, dass der Kläger bereits seit zehn Jahren vermehrt Alkohol trinke, also ab etwa 1997 und nicht bereits bei Eintritt ins Erwerbsleben, der laut Versicherungsverlauf auf den 12.08.1991 zu datieren ist. Eine erneute stationäre Behandlung in der Klinik fand Anfang 2010 statt (Bericht vom 29.01.2010) unter der Diagnose einer Alkoholabhängigkeit. Auch hier ergibt sich aus dem Bericht indes, dass der Kläger zwischenzeitlich an einer Langzeittherapie teilgenommen hatte und danach zwei Jahre abstinent gewesen war, ehe er wieder – zunächst sporadisch – mit dem Alkoholkonsum begonnen hatte. Der nächste Bericht des ZfP, nunmehr der Abteilung für Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie W., datiert vom 14.10.2010 und bezieht sich auf eine stationäre Behandlung im November/Dezember 2010, erneut wegen Alkoholabhängigkeit. Berichtet wird von einer zweimonatigen Abstinenz zwischen den beiden stationären Behandlungen in 2010. Hinzugekommen war nun noch die Diagnose eines "Pathologischen Glücksspiels". Die nächste Behandlung im ZfP W. fand im Oktober 2014 statt (Bericht vom 13.10.2014) – als Diagnosen wurden Anpassungsstörungen, pathologisches Spielen, Nikotinabhängigkeit und Alkoholabhängigkeit benannt. Hinsichtlich der Alkoholabhängigkeit bestand zum damaligen Zeitpunkt laut Bericht vom 13.10.2014 seit vier Jahren Abstinenz, doch war der Kläger wegen seiner Spielsucht zur stationären Entwöhnungsbehandlung zunächst in das Therapiezentrum M. in K. aufgenommen worden, ehe er auf seinen Wunsch ins ZfP nach W. wechselte. Aus den Berichten über die stationären Behandlungen ergibt sich, dass es dem Kläger in der Vergangenheit immer wieder gelang, längere Zeitabschnitte abstinent zu leben, andererseits aber eine Suchtverschiebung von Alkoholabhängigkeit zu Spielsucht stattfand. Wann genau der Alkoholkonsum bzw. das sonstige Suchtverhalten vom Kläger nicht mehr kompensiert werden konnten und zu einer weiteren Destabilisierung geführt haben, lässt sich ebensowenig bestimmen wie die Frage, ob der Kläger bereits zu den Zeiten der stationären Behandlungen erwerbsgemindert war – die behandelnde Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. G. des ZfP hat hierzu in ihrem Bericht vom 10.12.2015 gegenüber dem SG angegeben, den Kläger nicht unter dem Gesichtspunkt seiner Arbeitsfähigkeit beobachtet zu haben und die Leistungsfähigkeit nicht beurteilen zu können. Auch aus den weiteren ärztlichen Berichten und Beurteilungen lässt sich nicht eindeutig auf einen früheren Eintritt der Erwerbsminderung schließen. Zunächst sei hier auf das Gutachten des Dr. W. vom 13.11.2012 verwiesen, den die Beklagte im Verwaltungsverfahren mit der Erstellung eines Gutachtens betraut hat. Dr. W. untersuchte den Kläger am 08.11.2012 und kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dieser könne noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig ausüben. Statt einer Persönlichkeitsstörung diagnostiziert Dr. W. lediglich eine akzentuierte Persönlichkeit und beschrieb eine unauffällige Mimik und Psychomotorik, eine fließende Sprechweise, weiterhin den Kläger als bewusstseinsklar mit ungestörter Wahrnehmung und Orientierung in allen Qualitäten, mit ausreichender Flexibilität, Aufmerksamkeit, Konzentration und Auffassung. Vor dem Hintergrund dieses Gutachtens bestehen jedenfalls Zweifel daran, dass der heutige Gesundheitszustand des Klägers bereits Ende 2011 im selben Ausmaß bestand wie heute. Der Facharzt für psychotherapeutische Medizin W., der den Kläger bis zum 24.09.2013 behandelte, hielt den Kläger bei Therapieende für belastbar in Bezug auf leichte Arbeiten im Umfang von sechs Stunden täglich (Bericht vom 14.12.2015). Er deutet in diesem Bericht aber insofern eine zunehmende Verschlechterung des Gesundheitszustandes an, als er ausführt, im Vordergrund stünden süchtige Verhaltensweisen, dysphorische Stimmung, ständig kränkelndes Lebensgefühl. Die Borderline-Beziehungsstörung mache den Kläger immer mehr zum unzufriedenen Außenseiter in der Gesellschaft. Der behandelnde Arzt für Innere Medizin Dr. T., der den Kläger von 1992 bis August 2000 handelt hatte, hat in seinem Bericht vom 16.04.2018 gegenüber dem Senat ausgeführt, der Kläger sei bis Behandlungsende durchaus in der Lage gewesen, täglich mehr als sechs Stunden an fünf Tagen pro Woche leichte Tätigkeiten auszuüben. Genaueres ergibt sich auch nicht aus dem Reha-Entlassungsbericht vom 01.10.2014. Da der Kläger bereits nach einer Woche zur psychischen Stabilisierung in das ZfP W. verlegt wurde, war bezüglich der Erwerbsfähigkeit keine Leistungsbeurteilung möglich.

Auch aus den Angaben der Arbeitgeber, die vom Senat zu Art und Umfang der Beschäftigungsverhältnisse des Klägers befragt wurden, lässt sich nicht eindeutig auf einen früheren Eintritt der Erwerbsminderung bzw. gar auf eine in das Erwerbsleben eingebrachte Erwerbsminderung schließen. Zum Teil konnten die Firmen/Arbeitgeber wegen des Zeitablaufs keine Angaben mehr machen (Firma L., Bl. 161 LSG-Akte; p. AG & Co. KG, Bl. 118 LSG-Akte; A. Gebäudereinigung, Bl. 119 LSG-Akte), z.T. existierten diese nicht mehr (T. GmbH; Wohnungseigentümergemeinschaft, Bl. 117 LSG-Akte; B. GmbH, Bl. 119 LSG-Akte;). Aus den übersandten Unterlagen der Arbeitgeberin E. D. (P. e.K.) zum Schreiben vom 16.06.2017, bei der der Kläger vom 01.03.2000 bis 11.04.2000 als Produktionsmitarbeiter tätig war, ergibt sich, dass der Kläger mehrmals abgemahnt wurde. Die erste Abmahnung vom einen 21.03.2000 bezog sich auf fehlende Sorgfalt, Schlechtleistung, Minderleistung sowie störendes Tratschen und dadurch bedingte Leistungsminderung. Der Kläger habe Anweisungen der Vorgesetzten nicht oder nur teilweise ausgeführt, so dass es ihm an Disziplin mangele. Seine Leistung liege weit hinter dem Normalen zurück, und er tratsche während der Arbeitszeit häufig mit dem Nachbarn. Ob die Schlechtleistung auf die mangelnde Intelligenz bzw. eine Persönlichkeitsstörung des Klägers zurückzuführen sind, ergibt sich aus den Unterlagen nicht. Ebenso denkbar ist auch hier, dass dem Kläger schlicht die Lust am Arbeiten fehlte, ohne dass dem Krankheitswert zukäme, zumal ein Zusammenhang zwischen häufigem Tratschen und psychischen Beschwerden nicht ersichtlich ist. Die Kündigung jedenfalls erfolgte nicht wegen der Schlechtleistung des Klägers, sondern weil dieser trotz behaupteter Arbeitsunfähigkeit in einem Gasthaus gesehen wurde (fristlose Kündigung vom 11.04.2000). Das Landratsamt R., bei dem der Kläger vom 01.05.1998 bis 30.04.1999 als Hausmeistergehilfe in Vollzeit beschäftigt war, hat im Schreiben vom 24.08.2017 bestätigt, dass der Kläger alle Aufgabenbereiche eigenverantwortlich wahrgenommen hatte und hierbei selbstständig und weitgehend zuverlässig gearbeitet habe zur vollen Zufriedenheit und unter der unter den üblichen Bedingungen als Hausmeisterhelfer. Diese Tätigkeitsbeschreibung spricht gegen eine bereits zum damaligen Zeitpunkt bestehende Erwerbsminderung. Allerdings wird diese Aussage dadurch relativiert, dass ergänzend auf Nachfrage im Schreiben vom 06.10.2017 angeführt wurde, es habe sich um eine gemeinnützige Tätigkeit gehandelt, und die Personalkosten bzw. ein Lohnkostenzuschuss seien vom damalig zuständigen Sozialamt übernommen worden. Ob der Kläger diese Beschäftigung auch ohne Förderung über den gleichen Zeitraum hätte ausüben können, kann im Nachhinein nicht ermittelt werden. Ebensowenig ließ sich laut Schreiben der Caritas in S. vom 25.08.2017 aufgrund der Aktenlage noch einschätzen, ob der Kläger von November 1992 bis Oktober 1993 im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit konkurrenzfähig unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten konnte. Immerhin endete dieses Beschäftigungsverhältnis aufgrund der vereinbarten Befristung und wurde nicht vorzeitig abgebrochen. Die geringfügige Beschäftigung bei dem Zahnarzt Dr. G., die vom 07.10.1999 bis 29.02.2000 dauerte, wurde beendet, weil die Putzqualität nicht den Anforderungen entsprach. Ob dies indes krankheitsbedingt war oder nur auf Unlust und damit einhergehende fehlende Sorgfalt zurückzuführen war, ist ungeklärt. Insgesamt hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger während seines gesamten Berufslebens - abgesehen von Fördermaßnahmen - keine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, die länger als ein paar Monate gedauert hätte. Da aber auch denkbar ist, dass der Kläger bei zumutbarer Willensanstrengung höhere Leistungen hätte erbringen können, ist ein früherer Eintritt von voller Erwerbsminderung nicht nachgewiesen, zumal auch das Jobcenter den Kläger erstmals 2012 zu einem Rentenantrag aufgefordert hat. Insofern verbleibt es bei der "faktischen Erprobung", die der Kläger durch Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (3/5-Belegung) durchlaufen hat.

Den Beginn der Rente hat das SG zutreffend auf den 01.10.2014 festgesetzt. Auf die Ausführungen im Gerichtsbescheid wird Bezug genommen. Auch eine Befristung der Rente wurde aus zutreffenden Gründen vorgenommen. Ob die Rente über den 30.09.2017 hinaus zu gewähren ist, weil sich am Gesundheitszustand nichts Wesentliches geändert hat, war vorliegend nicht zu entscheiden, da nur die Beklagte Berufung eingelegt hat.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Beklagte in der Berufungsinstanz vollumfänglich unterlegen ist.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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