L 12 AS 2820/17 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AS 2351/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 2820/17 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 06.06.2017 aufgehoben.

Der Klägerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin von O. Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung für das Klageverfahren S 8 AS 2351/15 bewilligt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Klägerin gegen den ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Klageverfahren S 8 AS 2351/15 ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn (SG) vom 06.06.2017 hat Erfolg.

Die Beschwerde ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen und daher statthaft. Das SG hat nicht die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH verneint, sondern die Bewilligung von PKH wegen Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung in der Hauptsache abgelehnt (§ 172 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a SGG). Darüber hinaus bedürfte die Berufung in der Hauptsache auch nicht der Zulassung (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG). Die am 06.07.2017 beim SG eingegangene Beschwerde ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegt worden. Die Beschwerde ist auch begründet; die Voraussetzungen, unter denen PKH für das beim SG anhängige Klageverfahren bewilligt werden kann, liegen vor.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Ist - wie in den Tatsacheninstanzen der Sozialgerichtsbarkeit - eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht vorgeschrieben, wird auf Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt beigeordnet, wenn diese Vertretung erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 ZPO). Die Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn der Rechtsstandpunkt des klagenden Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für das Gericht zumindest als vertretbar erscheint und es von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 73a Rdnr. 7a). Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung des § 114 ZPO dem aus Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) abzuleitenden verfassungsrechtlichen Gebot entsprechen soll, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen. Daher dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden; hinreichende Erfolgsaussicht ist z. B. zu bejahen, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der die PKH begehrenden Partei ausgehen wird (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 29.09.2004 - 1 BvR 1281/04, Beschluss vom 14.04.2003 - 1 BvR 1998/02 und Beschluss vom 12.01.1993 - 2 BvR 1584/92 - alle in juris; Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17.02.1998 - B 13 RJ 83/97 - SozR 3-1500 § 62 Nr. 19, juris; Leitherer a.a.O. m.w.N.) Wirft der Rechtsstreit hingegen eine Rechtsfrage auf, die in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, aber klärungsbedürftig ist, liegt hinreichende Erfolgsaussicht ebenfalls vor; in diesem Fall muss PKH bewilligt werden (Leitherer a.a.O., § 73a Rdnr. 7b unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).

PKH darf demgegenüber verweigert werden, wenn die Erfolgschance nur eine entfernte ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 - BVerfGE 81, 347 und Beschluss vom 22.05.2012 - 2 BvR 820/11 - beide in juris; BSG a.a.O.). Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf allerdings nicht dazu dienen, die abschließende rechtliche Überprüfung selbst in das Prozesskostenhilfeverfahren vorzuverlagern (BVerfG, Beschlüsse vom 22.05.2012, a.a.O.). Da der Begriff der hinreichenden Erfolgsaussicht enger zu verstehen ist als das Gebot einer Beweiserhebung, ist im Rahmen des Verfahrens über PKH in begrenztem Rahmen auch eine vorweggenommene Beweiswürdigung zulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.05.1997 - 1 BvR 296/94 -NJW 1997, 2745; Bundesgerichtshof [BGH], Beschluss vom 14.12.1993 - VI ZR 235/92 - NJW 1994, 1160). Bei der Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussicht ist auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Antrags auf PKH abzustellen. Diese ist erst dann gegeben, wenn die notwendigen Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen vorliegen und der beklagte Beteiligte Gelegenheit zur Stellungnahme hatte (Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.12.2011 - L 13 R 5141/11 B - juris).

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH durch das Beschwerdegericht liegen vor; dieKlägerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung auch nur zum Teil oder in Raten aufzubringen. Darüber hinaus ist unter Beachtung obiger Maßstäbe zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des PKH-Gesuchs auch eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung in der Hauptsache gegeben. Jedenfalls die Frage, ob der Beklagte die Höhe des Zuschusses zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung zutreffend festgesetzt hat, ist nach hier nur vorzunehmender summarischer Prüfung zumindest offen. Eine hinreichende Erfolgsaussicht kann deshalb nicht verneint werden.

Letztlich erscheint die Rechtsverfolgung auch nicht als mutwillig. Bei der Auslegung des Begriffs der Mutwilligkeit i.S. des § 114 ZPO ist zu berücksichtigen, dass es der Zweck der PKH ist, die bedürftige Partei beim Zugang zum gerichtlichen Rechtsschutz und im Rechtsstreit einer vermögenden Partei gleichzustellen. Hieraus ergibt sich, dass einer bedürftigen Partei Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden kann, wenn eine vermögende Partei, die für die Kosten selbst aufkommen müsste, auf die entsprechende Rechtsverfolgung oder -verteidigung vernünftigerweise verzichten würde (BSG, Beschluss vom 24.05.2000 – B 1 KR 4/99 BH –, SozR 3-1500 § 73a Nr. 6, SozR 3-1750 § 114 Nr. 6). Hierbei ist auf das Verhalten einer vernünftig handelnden Person abzustellen, d.h. das hypothetische prozessuale Verhalten einer vermögenden Partei in derselben Situation ist der Maßstab dafür, ob die von der bedürftigen Partei beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung mutwillig erscheint. Selbst wenn die hinreichende Erfolgsaussicht nicht verneint werden könnte, ist eine Rechtsverfolgung mutwillig, bei der die aufzuwendenden Kosten in keinem vernünftigen Verhältnis zum erstrebten Erfolg stehen. Maßgebend ist dabei das Verhältnis von Aufwand und Nutzen im Erfolgsfall (LSG Berlin, Beschluss vom 17.12.2003 – L 11 B 28/03 SB –, juris).

Gerade wegen des verfassungsrechtlichen Gebots, die Situation von Bemittelten und Unbemittel-ten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen, dürfen die Anforderungen, durch geeignete prozessuale Maßnahmen die Kosten der Prozessführung möglichst gering zu halten, aber auch nicht zu hoch angesetzt werden. Mutwillig handelt nur, wer von zwei gleichwertigen prozessualen Wegen denjenigen beschreitet, von dem er von vornherein annehmen muss, dass er für ihn der kostspieligere ist (BGH, Beschluss vom 10.03.2005 – XII ZB 19/04 –, juris). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte die endgültige Festsetzung und die Erstattungsforderung mit zwei gesonderten Bescheiden verfügt hat. Auch die Widerspruchsentscheidung erfolgte durch zwei getrennte Widerspruchsbescheide. Vor diesem Hintergrund war es auch aus Sicht eines vernünftig handelnden begüterten Beteiligten jedenfalls nicht von vornherein fernliegend, gegen beide Widerspruchsbescheide auch mit gesonderten Klagen vorzugehen.

Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang durch dieses prozessuale Vorgehen tatsächlich höhere Gebühren anfallen, hängt zudem vom weiteren Verlauf des Verfahrens und von der Kostenfestsetzung durch den Kostenbeamten und gegebenenfalls den Kostenrichter ab. Dabei kommt es z. B. in Betracht, worauf die Klägerin zu Recht hingewiesen hat, das Verfahren über die Erstattungsforderung zum Ruhen zu bringen oder beide Verfahren miteinander zu verbinden. Beide Maßnahmen würden mutmaßlich zu einer Kostenreduzierung führen. Außerdem ist in der kostenrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass bei der Beurteilung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit im Rahmen der Kostenfestsetzung Synergieeffekte auf Grund inhaltlicher Parallelen mehrerer vom Rechtsanwalt betriebener Verfahren desselben Auftragsgebers zu berücksichtigen sind (Beschluss des erkennenden Senats vom 24.03.2016 – L 12 SF 4320/14 B –; Thüringer LSG, Beschluss vom 23.12.2015 - L 6 SF 1226/15 B -, juris). Vor diesem Hintergrund kann auch von einem vernünftig handelnden Beteiligten nicht verlangt werden, zum Zeitpunkt der Klageerhebung die vom weiteren Verfahrensverlauf abhängigen kostenrechtlichen Konsequenzen des eigenen prozessualen Vorgehens zur Vermeidung Mutwilligkeit umfassend zu antizipieren. Im Ergebnis wertet der Senat das Vorgehen der Klägerin, gegen die getrennt ergangenen Widerspruchsbescheide zwei getrennte Klagen zu erheben, deshalb nicht als mutwillig im Sinne des § 114 ZPO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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