L 4 KR 3765/17 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 18 KR 3988/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3765/17 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. September 2017 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 300,00 festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Nichtzulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart (SG) vom 13. September 2017, mit der ihre Klage auf Rückzahlung einer Aufwandspauschale in Höhe von EUR 300,00 abgewiesen worden ist.

Die Beklagte betreibt ein nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenes Krankenhaus. Dort wurde der bei der Klägerin gesetzlich krankenversicherte P. S. (im Folgenden Versicherter) vom 6. bis 18. Juli 2011 vollstationär behandelt. Die Klägerin beglich den von der Beklagten geltend gemachten geltend gemachten Rechnungsbetrag zunächst vollständig und schaltete den Medizinischen Dienst des Bundeseisenbahnvermögens (MD BEV) ein. Dipl.-Med. H. kam nach Anforderung von Unterlagen bei der Beklagten in seinem Gutachten vom 25. April 2012 zu dem Ergebnis, dass ein weiterer Code (Z92.1) anzugeben sei, woraufhin die Klägerin den zusätzlichen Rechnungsbetrag an die Beklagte zahlte. Zudem zahlte Klägerin am 27. Juli 2012 an die Beklagte eine Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V in Höhe von EUR 300,00.

Mit Schreiben vom 30. November 2016 forderte die Klägerin von der Beklagten die Rückzahlung von Aufwandspauschalen in insgesamt sechs Versicherungsfällen, zu denen auch derjenige des Versicherten gehört. Die Beklagte lehnte die Rückzahlung ab.

Die Klägerin erhob am 27. Dezember 2016 beim SG Zahlungsklage für sechs Versicherte. Das SG trennte das Verfahren des vorliegend betroffenen Versicherten ab (Beschluss vom 7. Juli 2017). Zur Begründung der Klage trug sie vor, die Zahlung der Aufwandspauschale sei rechtsgrundlos erfolgt. Die Beklagte habe hierauf keinen Anspruch.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Mit Urteil vom 13. September 2017 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rückzahlung von EUR 300,00. Die Beklagte sei nicht ungerechtfertigt bereichert, da die Klägerin zu Recht eine Aufwandspauschale von EUR 300,00 gezahlt habe. Rechtsgrundlage der Zahlung sei § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V. Vorliegend sei davon auszugehen, dass der MD BEV Unterlagen (Entlassungsbericht, Patientenkurve, Pflegedokumentation und Operationsbericht) angefordert habe, was nur auf der Grundlage des § 276 Abs. 2 Satz 1 SGB V und damit nur zur Durchführung einer Prüfung nach § 275 SGB V habe erfolgen können. Daher sei vorliegend von einer Auffälligkeitsprüfung auszugehen. Soweit die für die Abgrenzung zwischen sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung und Auffälligkeitsprüfung entscheidende Auslegung des Willens der Klägerin nur noch eingeschränkt möglich sei, weil diese die Prüfanzeige nicht mehr vorliegen könne, trage sie die Beweislast. Darüber hinaus spreche vieles dafür, dass immer dann, wenn - wie hier - eine Prüfung auf der dritten Stufe erfolge und es zu keiner Minderung des Abrechnungsbetrages komme, der Anspruch auf eine Aufwandpauschale ausgelöst werden könne. Im Übrigen stünde dem Rückforderungsanspruch selbst dann, wenn von einem eigenständigen Prüfregime der sachlich-rechnerischen Richtigkeit und ein Fall sachlicher Richtigkeitsprüfung auszugehen wäre, § 814 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entgegen. Das SG ließ die Berufung nicht zu.

Am 26. September 2017 hat die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Die klärungsbedürftige und streitentscheidende Rechtsfrage sei: "Begründet § 275 Abs. 1c SGB V für Zeiträume vor dem 1. Januar 2016 ein Vertrauen des Krankenhauses auf das Behaltendürfen der Aufwandspauschale und die Nichtberechtigung einer Rückforderung für die Krankenkasse innerhalb der vierjährigen Verjährungsfrist, wenn die Krankenkasse den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung der Krankenhausabrechnung beauftragt, der MDK den Prüfauftrag im Hinblick auf seine Benachrichtigungspflicht angezeigt, das Prüfergebnis zu keiner Minderung des Abrechnungsbetrages geführt und die Krankenkasse infolgedessen zunächst vorbehaltlos die Aufwandspauschale gezahlt hat?". Ferner bestehe eine Divergenz zur Rechtsprechung des BSG. Das Urteil des SG beruhe auf einer Rechtsauslegung, die im Widerspruch zur Rechtsauffassung des BSG stehe, und zwar zu den Urteilen vom 1. Juli 2014 (B 1 KR 29/13 R), 14. Oktober 2014 (B 1 KR 25/13 R), 10. März 2015 (B 1 KR 4/15 R), 21. April 2015 (B 1 KR 6/15 R), 23. Juni 2015 (B 1 KR 13/14 R, B 1 KR 17/14 R, B 1 KR 20/14 R und B 1 KR 23/14 R), 25. Oktober 2016 (u.a. B 1 KR 16/16 R und B 1 KR 18/16 R), 28. März 2017 (B 1 KR 29/16, B 1 KR 3/16 R) und 23. Mai 2017 (B 1 KR 24/16, B 1 KR 28/16 R).

Die Klägerin beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. September 2017 zu-zulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass Berufungszulassungsgründe nicht vorliegen.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des SG vom 13. September 2017 ist statthaft (§ 145 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden.

Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der hier anwendbaren, ab 1. April 2008 geltenden Fassung bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, EUR 750,00 nicht übersteigt. Diese Regelung findet nur dann keine Anwendung, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Dieser Beschwerdewert wird vorliegend nicht erreicht; der Ausnahmetatbestand des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG liegt nicht vor. Der Beschwerdewert beträgt EUR 300,00; diesen Betrag hat die Klägerin von der Beklagten gefordert.

2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, (2.) das Urteil von einer Entscheidung des LSG, des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Diese Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung liegen nicht vor.

a) Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn ihre Entscheidung über den Einzelfall hinaus dadurch an Bedeutung gewinnt, dass die Einheit und Entwicklung des Rechts gefördert wird oder dass für eine Anzahl ähnlich liegender Fälle eine Klärung erfolgt (ständige Rechtsprechung des BSG seit dem Urteil vom 20. Dezember 1955 – 10 RV 225/54 – juris, Rn. 18, zur entsprechenden früheren Vorschrift des § 150 Nr. 1 SGG). Die Streitsache muss mit anderen Worten eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwerfen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern; die entscheidungserhebliche Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 144 Rn. 28; vgl. dort auch § 160 Rn. 6 ff. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung zur Frage der Revisionszulassung).

Eine grundsätzliche Bedeutung der vorliegenden Rechtssache ist schon deshalb zu verneinen, weil die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage nicht klärungsfähig ist. Denn sie ist nicht entscheidungserheblich. Das SG ging davon aus, dass die Klägerin keine Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung der Beklagten vornahm, sondern eine Auffälligkeitsprüfung. Die Ausführungen des SG zu § 814 BGB und einen etwaigen Vertrauensschutz sind lediglich zusätzliche Erwägungen, die für die Entscheidung des SG keine tragende Bedeutung haben ("selbst dann, wenn ").

Für die Auffälligkeitsprüfung ist auch in der Rechtsprechung des BSG geklärt, dass eine Krankenkasse die Aufwandspauschale zu zahlen hat, wenn die Prüfung zu keiner Minderung des Abrechnungsbetrages führt. Denn das BSG hat sich mit der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Rechtslage bereits erschöpfend befasst (Urteile vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 29/13 R – juris, Rn. 26 ff, vom 14. Oktober 2014 – B 1 KR 34/13 R – juris, Rn. 21 ff., vom 23. Juni 2015 – u.a. B 1 KR 20/14 R – juris Rn. 24 ff). Auch in den Urteilen vom 25. Oktober 2016 (B 1 KR 16/16 R – juris Rn. 9 ff., B 1 KR 18/16 R – juris, Rn. 8 ff., B 1 KR 19/16 R – juris, Rn. 8 ff. und B 1 KR 22/16 R – juris, Rn. 9 ff.), vom 28. März 2017 (B 1 KR 23/16 R – juris, Rn. 8 ff.) und vom 23. Mai 2017 (B 1 KR 28/16 R – juris, Rn. 9 ff. und B 1 KR 24/16 R – juris, Rn. 9 ff.) hat das BSG erneut Stellung genommen. Die unter Geltung der alten Rechtslage aufgeworfenen Rechtsfragen sind damit umfassend geklärt.

b) Darüber hinaus liegt auch eine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG nicht vor.

Eine solche Divergenz ist anzunehmen, wenn tragfähige abstrakte Rechtssätze, die einer Entscheidung des SG zugrunde liegen, mit denjenigen eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte nicht übereinstimmen. Das SG muss seiner Entscheidung also einen Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit der Rechtsprechung jener Gerichte nicht übereinstimmt (vgl. hierzu Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 144 Rn. 30 unter Verweis auf § 160 Rn. 13 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung zur Frage der Revisionszulassung).

Einen Rechtssatz in diesem Sinn hat das SG in seinem Urteil vom 13. September 2017 nicht aufgestellt. Das SG hat sich vielmehr ausdrücklich der maßgeblichen Rechtsprechung des BSG zur Frage des Anwendungsbereichs des § 275 Abs. 1c SGB V und der Unterscheidung zwischen Auffälligkeitsprüfung und sachlich-rechnerischer Prüfung angeschlossen und eine Entscheidung im Einzelfall getroffen. Hierin liegt keine Bildung eines abstrakten Rechtssatzes und damit keine Divergenz. Die möglichweise geltend gemachte Unrichtigkeit der Rechtsanwendung im Einzelfall stellt in keinem Fall einen Zulassungsgrund dar. Soweit sich das SG darüber hinaus der Rechtsansicht des Sozialgerichts Aachen (Urteil vom 25. April 2017 – S 13 KR 479/16 –) angeschlossen hat, fehlt es jedenfalls an der Entscheidungserheblichkeit eines etwaigen entsprechenden Rechtssatzes. Denn das SG hat seine Entscheidung nur zusätzlich auf diesen rechtlichen Aspekt gestützt ("Darüber hinaus spricht vieles dafür ").

c) Verfahrensmängel im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG werden nicht geltend gemacht. Der Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels setzt voraus, dass der Verfahrensmangel von der beschwerten Partei geltend gemacht wird und tatsächlich vorliegt (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 144 Rn. 36). Aus vorgetragenen Tatsachen muss sich schlüssig ergeben, welcher Mangel gerügt werden soll und sinngemäß auch, welche Verfahrensvorschrift als verletzt angesehen wird (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 144 Rn. 36 m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Klägerin rügte keinen Verfahrensmangel.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

4. Die endgültige Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).

5. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

6. Das angefochtene Urteil des SG wird hiermit rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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