L 7 SO 1877/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SO 4338/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 1877/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Gemäß § 86 oder § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens kann nur ein Verwaltungsakt werden, nicht aber der Bescheid als solcher. Ist kein Verwaltungsakt, sondern nur die Bescheidbegründung streitgegenständlich, ist der Anwendungsbereich der § 86 und § 96 Abs. 1 SGG nicht eröffnet.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. April 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Formulierung in einem Leistungsbescheid der Beklagten.

Der Kläger bezieht laufend Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Die Beklagte bewilligte ihm mit Bescheid vom 8. September 2017 Leistungen für die Zeit vom 1. bis 30. September 2017 sowie für die Zeit vom 1. Oktober 2017 bis 31. August 2018. Im Rahmen der Bescheidbegründung führte die Beklagte unter anderem aus: "Der monatliche Regelsatz wird als Pauschalbetrag zur Bestreitung des Regelbedarfs bewährt. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass für die durch den Regelsatz abgegoltenen einmaligen Bedarfe, wie etwa die Ersatzbeschaffung von Bekleidung, Möbeln, Hausrat, Elektro- und Haushaltsgeräten sowie Nachzahlungen aus der Jahresverbrauchsabrechnung für die Haushaltsenergie entsprechende Rücklagen zu bilden sind, damit im Bedarfsfalle darauf zurückgegriffen werden kann".

Mit Bescheiden vom 22. und 26. September 2017 änderte die Beklagte die bewilligten Leistungen für die Zeit vom 1. Oktober 2017 bis 31. August 2018. Beide Bescheide enthielten ebenfalls die oben zitierten Sätze.

Am 10. Oktober 2017 erhob der Kläger Widerspruch gegen gegen den zitierten Passus in dem Bescheid vom 8. September 2017. Der Hinweis sei weder umsetzbar noch realistisch. Er fordere die Beklagte auf, diesen Textbaustein mit dezidierten Zahlen zu füllen, für jeden einzelnen Posten. Die Beklagte solle nicht vergessen, einen Betrag zusätzlich für wichtige Medikamente hinzuzufügen, die zwar notwendig, jedoch nicht verschreibungspflichtig seien und daher nicht auf Kassenrezept rezeptiert würden, zum Beispiel Wundsalben, Salben gegen Windeldermatitis, Tränenersatzmittel, spezielle Dusch- und Haarshampoos bei Neurodermitis etc.

Mit Bescheid vom 10. Oktober 2017 änderte die Beklagte die bewilligten Leistungen ein weiteres Mal, nun für die Zeit vom 1. November 2017 bis 31. August 2018. Die Bescheidbegründung enthielt erneut die zitierten Sätze. Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2017 zurück. Der Widerspruch sei zulässig, aber unbegründet. Es sei zu prüfen gewesen, ob der monatliche Regelsatz zu beanstanden sei. Der gewährte Regelsatz entspreche der gesetzlichen Regelung, die auch verfassungsgemäß sei. Ein zusätzlicher Betrag für wichtige Medikamente sei nicht hinzuzufügen. Im Regelbedarf seien auch die Kosten für Körperpflege einbezogen. Ebenfalls Teil des Regelbedarfes seien die Kosten für die Gesundheitspflege. Das Bundessozialgericht (BSG) gehe davon aus, dass Zuzahlungen, die im Rahmen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) zu erbringen seien, grundsätzlich in den Regelsatz einbezogen seien. Dies gelte auch für (nicht verschreibungspflichtige) Medikamente. Dass es dabei zu keinem Eingriff in das Existenzminimum komme, werde durch die Belastungsgrenze in § 62 SGB V sichergestellt. Auch die Form des Bescheides genüge den gesetzlichen Vorschriften.

Hiergegen hat der Kläger am 18. Dezember 2017 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben und beantragt, den Bescheid vom 8. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2017 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, den zitierten Passus nicht zu verwenden.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 23. April 2018 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Es bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis. Daran fehle es, wenn auch ein Erfolg der Klage die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Klägers nicht verbessern würde. So verhalte es sich hier. Der Kläger wende sich gegen einen bestimmten Passus, den die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden verwendet habe. Allerdings handle es sich bei diesem Passus um keine Regelung im Sinne des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Die Ausführungen der Beklagten zu diesem Punkt hätten rein informatorischen Charakter; der Kläger sei hierdurch nicht beschwert.

Gegen das ihm am 27. April 2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24. Mai 2018 Berufung eingelegt. Nach Abzug der monatlichen Kosten für Strom, Straßenbahnkarte, Kontogebühren, Unity-Media und Safety-Fine-Lanzetten zur Blutzuckermessung verblieben ihm pro Tag 11,72 EUR. Er habe mehrmals darum gebeten, ihm mitzuteilen, in welcher Höhe der Gesetzgeber Beträge festgesetzt habe, um die geforderten Rücklagen von dieser Summe bilden zu können. Er habe seit einem dreiviertel Jahr keine Antwort darauf erhalten. Zu keiner Zeit habe er die Höhe des Regelsatzes als zu gering bezeichnet. Forderungen jeglicher Art müssten jedoch auch umsetzbar sein, sonst würden sie zur Farce. Es bedürfe keiner besonderen kognitiven Fähigkeiten, um zu erkennen, dass der Textbaustein jeglicher Plausibilität entbehre. Einen Rechtsbeistand habe er nicht befragen können, da ihm der Richter am SG Prozesskostenhilfe verweigert habe. Er stelle die Frage, ob das fair und gerecht sei. Er habe Frau D., die er seit vielen Jahren bevollmächtigt habe, eine zusätzliche Vollmacht erteilt, ihn bei dem Termin vor dem SG zu vertreten, da er sich gesundheitlich nicht in der Lage gefühlt habe, den Termin persönlich wahrzunehmen. Frau D. habe ihm von einer etwas skurrilen Performanz des Richters berichtet. Dieser habe die von ihm handschriftlich erstellte Vollmacht der Frau D. nicht anerkannt. Wenn sie keine Anwältin sei, dürfe sie – so der Richter am SG – zur Sache nicht aussagen oder Fragen stellen, könne jedoch im leeren Zuschauerbereich Platz nehmen. Frau D. habe daraufhin den Sitzungssaal verlassen. Im Protokoll vom 23. April 2018 verschweige der Richter die Anwesenheit von Frau D., indem er schreibe, dass für ihn – den Kläger – niemand erschienen sei. In der Ladung zum Termin vor dem SG sei in keiner Zeile vermerkt, dass der Bevollmächtigte ein Rechtsanwalt sein müsse. Er sei durch den streitigen Passus auch beschwert. Denn wenn er ein Gerät wie eine Waschmaschine, einen Kühlschrank oder einen Herd ersetzen müsse, würde ihm der Passus aus sämtlichen Bescheiden "vor die Nase" gehalten.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. April 2018 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, im Bescheid vom 8. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2017 den Passus "Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass für die durch den Regelsatz abgegoltenen einmaligen Bedarfe, wie etwa die Ersatzbeschaffung von Bekleidung, Möbeln, Hausrat, Elektro- und Haushaltsgeräten sowie Nachzahlungen aus der Jahresverbrauchsabrechnung für die Haushaltsenergie entsprechende Rücklagen zu bilden sind, damit im Bedarfsfalle darauf zurückgegriffen werden kann." nicht zu verwenden.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist auf ihren Widerspruchsbescheid. Der streitige Passus habe einen rein informatorischen Charakter.

Der Berichterstatter hat die Beteiligten auf die Absicht des Senats, die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zurückzuweisen, hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Kläger hat erklärt, mit einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter nicht einverstanden zu sein. Die Beklagte hat sich mit einer Entscheidung durch Beschluss einverstanden erklärt.

Der Senat hat die Anträge des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren mit Beschlüssen vom 16. Juli 2018 und 21. August 2018 abgelehnt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.

II.

1. Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss, da er die Berufung des Klägers einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Das fehlende Einverständnis des Klägers zu einer Entscheidung durch Beschluss steht dieser Verfahrensweise nicht entgegen. Der Kläger hat keinerlei Gesichtspunkte benannt, die die Durchführung einer mündlichen Verhandlung angezeigt erscheinen lassen. Solche Gesichtspunkte sind auch nicht ersichtlich.

2. Die gemäß § 143 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere bedurfte die Berufung nicht der Zulassung, da ein Fall des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht vorliegt. Die Klage betrifft keine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt und auch keine Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden. Zwar wendet sich der Kläger gegen einen Passus in der Begründung des Bescheids der Beklagten vom 8. September 2017. Er wendet sich aber nicht gegen einen in diesem Bescheid enthaltenen Verwaltungsakt. Verwaltungsakt ist gemäß § 31 Satz 1 SGB X jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Der Bescheid vom 8. September 2017 enthält in diesem Sinne Verwaltungsakte, soweit darin dem Kläger Leistungen für September 2017 sowie für die Zeit vom 1. Oktober 2017 bis 31. August 2018 bewilligt werden. Gegen diese Regelungen wendet sich der Kläger aber nicht. Er wendet sich vielmehr gegen einen Passus der Bescheidbegründung. Bei der Formulierung "Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass für die durch den Regelsatz abgegoltenen einmaligen Bedarfe, wie etwa die Ersatzbeschaffung von Bekleidung, Möbeln, Hausrat, Elektro- und Haushaltsgeräten sowie Nachzahlungen aus der Jahresverbrauchsabrechnung für die Haushaltsenergie entsprechende Rücklagen zu bilden sind, damit im Bedarfsfalle darauf zurückgegriffen werden kann." handelt es sich lediglich um einen Hinweis; solchen Hinweisen kommt keine Regelungswirkung und damit keine Verwaltungsaktsqualität zu (vgl. Luthe in jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 31 Rdnr. 28).

3. Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Klage ist unzulässig.

a) Gegenstand des Rechtsstreites ist allein der zuvor zitierte Passus im Bescheid vom 8. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2017. Die Änderungsbescheide vom 22. September, 26. September und 10. Oktober 2017 sind – entgegen offenbar der Rechtsauffassung des SG – nicht Gegenstand des Verfahrens geworden. Wird während des Vorverfahrens der Verwaltungsakt abgeändert, so wird gemäß § 86 SGG auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Vorverfahrens. Diese Voraussetzungen liegen hier – unabhängig von der Frage, ob auch vor Widerspruchserhebung erlassene Verwaltungsakte nach § 86 SGG einbezogen werden (dazu Senger in jurisPK-SGG, 2017, § 86 Rdnr. 14) – nicht vor. Gegenstand des Vorverfahrens waren gerade nicht die im Bescheid vom 8. September 2017 enthaltenen Verwaltungsakte über die Bewilligung von Leistungen für September 2017 bzw. für Oktober 2017 bis August 2018, sondern allein – siehe oben – der streitige Passus. Da nach § 86 SGG nur der (angegriffene) Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X – nicht aber der Bescheid als solcher – Gegenstand des Vorverfahrens wird, wenn ein Verwaltungsakt angegriffen ist, und durch die Bescheide vom 22. September, 26. September und 10. Oktober 2017 zwar die Verwaltungsakte im Bescheid vom 8. September 2017 abgeändert wurden, diese aber nicht Gegenstand des Vorverfahrens waren, wurden die Bescheide vom 22. September, 26. September und 10. Oktober 2017 entsprechend auch nicht Gegenstand des Vorverfahrens und des sich anschließenden Klageverfahrens (vgl. zur ähnlichen Konstellation eines Bescheides mit verschiedenen bzw. teilbaren Verwaltungsakten BSG, Urteil vom 25. März 1997 – 4 RA 23/95 – juris Rdnr. 13; BSG, Urteil vom 18. August 1999 – B 4 RA 25/99 B – juris Rdnr. 14). Mit anderen Worten: Der Anwendungsbereich des § 86 SGG (und des § 96 Abs. 1 SGG) ist nur eröffnet, soweit der Widerspruch (bzw. die Anfechtungsklage) statthaft ist. Insofern hat sich der Kläger bei Klageerhebung am 18. Dezember 2017 auch zu Recht nur gegen den streitigen Passus im Bescheid vom 8. September 2017 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2017) gewandt.

b) Unabhängig von der Frage der Statthaftigkeit der Klage fehlt es dem Kläger jedenfalls am Rechtsschutzbedürfnis. Ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis liegt nur vor, wenn ein Kläger ein Mindestmaß an berechtigtem Rechtsverfolgungsinteresse geltend machen kann (BSG, Urteil vom 12. Juli 2012 – B 14 AS 35/12 R – juris Rdnr. 17). Daran fehlt es hier. Das SG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die rechtliche Situation des Klägers durch die begehrte Verurteilung der Beklagten, im Bescheid vom 8. September 2017 den streitigen Passus nicht zu verwenden, in keiner Weise verändern und somit auch nicht verbessern würde. Wäre die Rechtslage in dem streitigen Passus zutreffend wiedergegeben, würde sie auch ohne den Hinweis im Bescheid gelten; wäre die Rechtslage unzutreffend wiedergegeben, wäre der Hinweis ohne Folgen für den Kläger.

c) Eine Zurückverweisung an das SG kam nicht in Betracht. Zwar kann das Landessozialgericht gemäß § 159 Abs. 1 SGG durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Dabei kann dahinstehen, ob der Vortrag des Klägers, seine Bevollmächtigte sei in der mündlichen Verhandlung vor dem SG formlos zurückgewiesen worden, zutreffend ist und ob in einer solchen Zurückweisung ein wesentlicher Mangel des Verfahrens liegt. Denn jedenfalls ist keine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig; die Sache ist vielmehr entscheidungsreif.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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