Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AS 1174/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 2059/18 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. April 2018 teilweise aufgehoben.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II für die Antragsteller im Zeitraum April bis September 2018 vorläufig um jeweils 300,- EUR monatlich höhere Betriebsausgaben der Antragstellerin Ziffer 1 zu berücksichtigen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in der zweiten Instanz zu 3/5 zu erstatten; im Übrigen verbleibt es bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung.
Gründe:
Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden und statthaft (§§ 173, 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Sie ist zum Teil auch begründet, da den Antragstellern vorläufig für den hier streitigen Bewilligungszeitraum April bis September 2018 höheres Arbeitslosengeld II (Alg II) unter Berücksichtigung von um 300,- EUR höheren monatlichen Betriebsausgaben zu gewähren ist.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (d.h. der durch die Anordnung zu sichernde, in der Sache gegebene und im Hauptsacheverfahren geltend gemachte materielle Leistungsanspruch) als auch ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile und somit der Grund, weshalb die Anordnung so dringlich ist, dass dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache gesichert werden muss) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage aufgrund einer summarischen Prüfung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (BVerfG, Beschluss vom 02.05.2005 -1 BvR 569/05 -, Juris). Allerdings sind die an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (vgl. etwa LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG; Juris). Ein Anordnungsanspruch ist dabei glaubhaft gemacht, wenn das Gericht aufgrund einer vorläufigen, summarischen Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass dem Antragsteller ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und deshalb der Antragsteller in einem Hauptsacheverfahren mit dem gleichen Begehren voraussichtlich Erfolg haben würde. Ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den Antragsteller ohne die Möglichkeit weiteren Zuwartens erforderlich ist.
Leistungen nach dem SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig (i.S.d. § 8 SGB Zweites Buch Sozialgesetzbuch [SGB II]) sowie hilfebedürftig (i.S.d. § 9 SGB II) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Diese Voraussetzungen erfüllt die Antragstellerin Ziffer 1. Ihre Kinder, die Antragsteller Ziffer 2 und 3, gehören zur Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II. Der Bedarfsgemeinschaft wurde vom Antragsgegner Alg II in Höhe von 505,22 EUR (April 2018, Änderungsbescheid vom 27.03.2018), 902,25 EUR (Mai und Juni 2018, Änderungsbescheid vom 27.03.2018) bzw. 1002,25 EUR (Juli bis September 2018, Änderungsbescheid vom 21.06.2018) unter Anrechnung von Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit bewilligt, ohne dass hierbei die Ratenzahlungen für die Einkommensteuer- und Gewerbesteuernachforderungen Berücksichtigung gefunden hätten. Nach summarischer Prüfung und erfolgter Güter- und Folgenabwägung hält der Senat einen Anspruch auf vorläufige Gewährung eines höheren Alg II im Hinblick auf die nachzuzahlende Gewerbesteuer für gegeben. Hingegen kann die nachzuzahlende Einkommensteuer keinen Anspruch auf höhere Leistungen begründen.
Sowohl die Einkommens- als auch die Gewerbesteuer wurden zu einem Zeitpunkt fällig, der vor dem hier streitigen Bewilligungsabschnitt (April 2018 bis September 2018 einschließlich) lag. So erging der Steuerbescheid über die Einkommensteuer für 2016 am 14.12.2017 über einen Betrag in Höhe von 1867,00 EUR, fällig am 18.01.2018 (Bl. 40 LSG-Akte), während der Bescheid über die Gewerbesteuer in Höhe von 3011,60 EUR über den Erhebungszeitraum 2016 am 26.01.2018 erlassen wurde mit einem Fälligkeitsdatum am 28.02.2018 (Bl. 37 LSG-Akte). Die Einkommensteuerforderung wurde mit Bescheid des Finanzamts K.-Stadt vom 05.01.2018 gestundet, Ratenzahlungen ab Februar bis Juni 2018 in Höhe von monatlich 300 EUR wurden vereinbart (vgl. Bl. 38 LSG-Akte). Hinsichtlich der Gewerbesteuernachzahlung wurde durch die Stadtkämmerei K. einer einstweiligen Vollstreckungseinstellung zugestimmt im Hinblick auf eine Ratenzahlung ab April 2018 bis November 2018 in Höhe von ebenfalls monatlich 300 EUR (Bl. 36 LSG-Akte, im November in Höhe von 311,60 EUR).
Die Einkommensteuernachforderung kann nicht gemäß § 11 b Abs. 1 Nr. 2 SGB II vom Einkommen im Bewilligungszeitraum abgezogen werden, da sie zurückliegende Zeiträume betrifft und nicht auf das aktuelle Einkommen entrichtet wurde (s. hierzu Söhngen in jurisPK, 4. Auflage, Stand 29.12.2017, § 11b Rdnr. 18; Schmidt in Eicher/Luik, Grundsicherung für Arbeitsuchende, 4. Auflage, § 11b Rdnr. 12 m.w.N.; vgl. bereits BSG, Urteil vom 26.10.2004 - B 7 AL 2/04 R - zur Arbeitslosenhilfe, Juris; s.a. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.06.2017 - L 18 AS 1812/16 -, Juris). Aber auch eine Berücksichtigung als Betriebsausgabe gemäß § 3 Abs. 2 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) kommt vorliegend nicht in Betracht. Betriebsausgaben sind – steuerrechtlich betrachtet – Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind (§ 4 Abs. 4 Einkommensteuergesetz – EstG -). Eine Einkommensteuer bezieht sich hingegen nicht auf einen Betrieb, sondern ist eine personenbezogene Abgabe. Eine Einkommensteuerpflicht besteht gemäß § 1 Abs. 1 EstG für alle natürlichen Personen, unabhängig davon, ob das Einkommen aus Gewerbebetrieb, selbstständiger oder unselbstständiger Arbeit herrührt (§ 2 Abs. 1 EStG, s. auch SG Karlsruhe, Urteil vom 16.12.2015 - S 12 AS 4451/14 -, Juris). Zwar folgt vorliegend die Steuerpflicht vorwiegend aus der Erzielung von Einkünften aus Gewerbebetrieb (vgl. Steuerbescheid, Bl. 41 LSG-Akte), doch kann dies nicht dazu führen, dass die Einkünfte der Antragstellerin Ziffer 1, nur weil ein Gewerbe betrieben wird, anders behandelt werden als die nichtselbstständiger Arbeitnehmer, die Steuernachforderungen gemäß § 11 b Abs. 1 Nr. 2 SGB II nicht einkommensmindernd geltend machen können (anders SG Chemnitz, Urteil vom 25.05.2016 - S 35 AS 3984/14 -, Juris). Zu Recht hat daher der Antragsgegner die Ratenzahlungen im Hinblick auf die Einkommensteuernachforderung bei der Berechnung des Alg II nicht berücksichtigt.
Anders als bei der Einkommensteuer spricht hingegen mehr dafür als dagegen, die Gewerbsteuernachzahlung als betriebliche Ausgabe i.S.d. § 3 Abs. 2 Alg II-V zu werten, da diese Steuer unmittelbar durch die selbstständige Tätigkeit veranlasst wurde. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V sind zur Berechnung des Einkommens von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11 b SGB II abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen. Wie oben bezüglich der Einkommensteuer dargelegt, kommt eine Berücksichtigung der Gewerbesteuernachforderung nach § 11 b SGB II nicht in Betracht, da diese Steuer nicht auf das laufende Einkommen gezahlt wird, sondern einen zurückliegenden Zeitraum betrifft. Somit fällt die Zahlung nicht unter § 11 b SGB II mit der Folge, dass grundsätzlich ein Abzug als betriebliche Ausgabe möglich ist. Die Antragstellerin Ziffer 1 hat diese Ausgaben - wie von § 3 Abs. 2 Alg II-V gefordert - auch tatsächlich geleistet. Die Zahlungen für April bis August 2018 in Höhe von jeweils 300 EUR ergeben sich aus den Kontoauszügen, die dem Senat vorgelegt wurden. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin im September 2018 keine Ratenzahlung getätigt haben könnte, sind nicht ersichtlich, so dass der Senat auch die Septemberzahlung für glaubhaft hält. Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass diese Betriebsausgaben notwendig waren - schließlich wurden sie von der Stadt K. berechnet. Insofern spricht viel dafür, die Steuernachzahlung als betriebliche Ausgabe bei den Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit in Abzug zu bringen (so auch Geiger in LPK-SGB II, 6. Auflage, § 11 Rdnr. 84 m.w.N., wonach Steuerschulden notwendige Ausgaben seien). Der hier vertretenen Ansicht steht die ständige Rechtsprechung des BSG, wonach Zahlungen zur Tilgung von Schulden im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende grundsätzlich nicht vom Einkommen abgesetzt werden können (vgl. u.a. BSG, Urteile vom 19.09.2008 – B 14/7b AS 10/07 R –, 30.09.2008 – B 4 AS 29/07 R – und 10.05.2011 – B 4 KG 1/10 R –, alle in Juris), nicht entgegen. Diese Rechtsprechung bezieht sich auf die Tilgung von für private Zwecke aufgenommenen Darlehen und beruht auf dem sozialhilferechtlichen Grundsatz, dass der Hilfesuchende sein Einkommen auch dann zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage für sich verwenden muss, wenn er sich dadurch außerstande setzt, anderweitig bestehende Verpflichtungen zu erfüllen (s. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.06.2015 - L 25 AS 3370/13 -, Juris). Mit der bedürftigkeitsabhängigen Sozialhilfe - und entsprechend mit dem bedürftigkeitsabhängigen Alg II - soll nicht zur Tilgung von Schulden beigetragen werden (BSG, Urteil vom 19.09.2008, a.a.O., Rn. 25). Diese Erwägungen lassen sich auf die Tilgung betrieblich veranlasster Darlehen eines Selbstständigen jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht übertragen, weil in diesem Zusammenhang die Aufnahme (und Tilgung) von Darlehen gerade der Ermöglichung der Einkommenserzielung dient und die Inanspruchnahme betrieblicher Darlehen bei selbstständig Tätigen allgemein üblich ist. Insofern sind Selbstständige gegenüber Arbeitnehmern privilegiert. Auch wenn es vorliegend nicht um ein betrieblich veranlasstes Darlehen geht, hält der Senat jedenfalls bei der im Rahmen des § 86 SGG gebotenen Abwägung eine Berücksichtigung der Ratenzahlungen auf die Gewerbesteuernachforderungen, die ebenfalls untrennbar mit der selbstständigen Tätigkeit verbunden sind, für geboten. Da Anhaltspunkte für andere Berechnungsfehler bei der Bestimmung der Höhe des Alg II nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden sind, war der Antragsgegner unter Zugrundelegung der Berechnungsregelung in § 3 Abs. 4 Alg II-V zu verpflichten, bei der Berechnung des Alg II monatlich um 300,- EUR höhere Betriebsausgaben zu berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Antragsteller im Verfahren vor dem SG keine Unterlagen vorgelegt haben, aus denen sich die Ratenzahlungsvereinbarungen sowie die tatsächlichen Zahlungen ergeben hätten. Insofern kommt eine Kostenerstattung für das erstinstanzliche Verfahren nicht in Betracht. Im Übrigen waren die Kosten zu 3/5 zu übernehmen entsprechend der Obsiegensquote der Antragsteller.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II für die Antragsteller im Zeitraum April bis September 2018 vorläufig um jeweils 300,- EUR monatlich höhere Betriebsausgaben der Antragstellerin Ziffer 1 zu berücksichtigen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in der zweiten Instanz zu 3/5 zu erstatten; im Übrigen verbleibt es bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung.
Gründe:
Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden und statthaft (§§ 173, 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Sie ist zum Teil auch begründet, da den Antragstellern vorläufig für den hier streitigen Bewilligungszeitraum April bis September 2018 höheres Arbeitslosengeld II (Alg II) unter Berücksichtigung von um 300,- EUR höheren monatlichen Betriebsausgaben zu gewähren ist.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (d.h. der durch die Anordnung zu sichernde, in der Sache gegebene und im Hauptsacheverfahren geltend gemachte materielle Leistungsanspruch) als auch ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile und somit der Grund, weshalb die Anordnung so dringlich ist, dass dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache gesichert werden muss) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage aufgrund einer summarischen Prüfung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (BVerfG, Beschluss vom 02.05.2005 -1 BvR 569/05 -, Juris). Allerdings sind die an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (vgl. etwa LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG; Juris). Ein Anordnungsanspruch ist dabei glaubhaft gemacht, wenn das Gericht aufgrund einer vorläufigen, summarischen Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass dem Antragsteller ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und deshalb der Antragsteller in einem Hauptsacheverfahren mit dem gleichen Begehren voraussichtlich Erfolg haben würde. Ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den Antragsteller ohne die Möglichkeit weiteren Zuwartens erforderlich ist.
Leistungen nach dem SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig (i.S.d. § 8 SGB Zweites Buch Sozialgesetzbuch [SGB II]) sowie hilfebedürftig (i.S.d. § 9 SGB II) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Diese Voraussetzungen erfüllt die Antragstellerin Ziffer 1. Ihre Kinder, die Antragsteller Ziffer 2 und 3, gehören zur Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II. Der Bedarfsgemeinschaft wurde vom Antragsgegner Alg II in Höhe von 505,22 EUR (April 2018, Änderungsbescheid vom 27.03.2018), 902,25 EUR (Mai und Juni 2018, Änderungsbescheid vom 27.03.2018) bzw. 1002,25 EUR (Juli bis September 2018, Änderungsbescheid vom 21.06.2018) unter Anrechnung von Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit bewilligt, ohne dass hierbei die Ratenzahlungen für die Einkommensteuer- und Gewerbesteuernachforderungen Berücksichtigung gefunden hätten. Nach summarischer Prüfung und erfolgter Güter- und Folgenabwägung hält der Senat einen Anspruch auf vorläufige Gewährung eines höheren Alg II im Hinblick auf die nachzuzahlende Gewerbesteuer für gegeben. Hingegen kann die nachzuzahlende Einkommensteuer keinen Anspruch auf höhere Leistungen begründen.
Sowohl die Einkommens- als auch die Gewerbesteuer wurden zu einem Zeitpunkt fällig, der vor dem hier streitigen Bewilligungsabschnitt (April 2018 bis September 2018 einschließlich) lag. So erging der Steuerbescheid über die Einkommensteuer für 2016 am 14.12.2017 über einen Betrag in Höhe von 1867,00 EUR, fällig am 18.01.2018 (Bl. 40 LSG-Akte), während der Bescheid über die Gewerbesteuer in Höhe von 3011,60 EUR über den Erhebungszeitraum 2016 am 26.01.2018 erlassen wurde mit einem Fälligkeitsdatum am 28.02.2018 (Bl. 37 LSG-Akte). Die Einkommensteuerforderung wurde mit Bescheid des Finanzamts K.-Stadt vom 05.01.2018 gestundet, Ratenzahlungen ab Februar bis Juni 2018 in Höhe von monatlich 300 EUR wurden vereinbart (vgl. Bl. 38 LSG-Akte). Hinsichtlich der Gewerbesteuernachzahlung wurde durch die Stadtkämmerei K. einer einstweiligen Vollstreckungseinstellung zugestimmt im Hinblick auf eine Ratenzahlung ab April 2018 bis November 2018 in Höhe von ebenfalls monatlich 300 EUR (Bl. 36 LSG-Akte, im November in Höhe von 311,60 EUR).
Die Einkommensteuernachforderung kann nicht gemäß § 11 b Abs. 1 Nr. 2 SGB II vom Einkommen im Bewilligungszeitraum abgezogen werden, da sie zurückliegende Zeiträume betrifft und nicht auf das aktuelle Einkommen entrichtet wurde (s. hierzu Söhngen in jurisPK, 4. Auflage, Stand 29.12.2017, § 11b Rdnr. 18; Schmidt in Eicher/Luik, Grundsicherung für Arbeitsuchende, 4. Auflage, § 11b Rdnr. 12 m.w.N.; vgl. bereits BSG, Urteil vom 26.10.2004 - B 7 AL 2/04 R - zur Arbeitslosenhilfe, Juris; s.a. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.06.2017 - L 18 AS 1812/16 -, Juris). Aber auch eine Berücksichtigung als Betriebsausgabe gemäß § 3 Abs. 2 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) kommt vorliegend nicht in Betracht. Betriebsausgaben sind – steuerrechtlich betrachtet – Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind (§ 4 Abs. 4 Einkommensteuergesetz – EstG -). Eine Einkommensteuer bezieht sich hingegen nicht auf einen Betrieb, sondern ist eine personenbezogene Abgabe. Eine Einkommensteuerpflicht besteht gemäß § 1 Abs. 1 EstG für alle natürlichen Personen, unabhängig davon, ob das Einkommen aus Gewerbebetrieb, selbstständiger oder unselbstständiger Arbeit herrührt (§ 2 Abs. 1 EStG, s. auch SG Karlsruhe, Urteil vom 16.12.2015 - S 12 AS 4451/14 -, Juris). Zwar folgt vorliegend die Steuerpflicht vorwiegend aus der Erzielung von Einkünften aus Gewerbebetrieb (vgl. Steuerbescheid, Bl. 41 LSG-Akte), doch kann dies nicht dazu führen, dass die Einkünfte der Antragstellerin Ziffer 1, nur weil ein Gewerbe betrieben wird, anders behandelt werden als die nichtselbstständiger Arbeitnehmer, die Steuernachforderungen gemäß § 11 b Abs. 1 Nr. 2 SGB II nicht einkommensmindernd geltend machen können (anders SG Chemnitz, Urteil vom 25.05.2016 - S 35 AS 3984/14 -, Juris). Zu Recht hat daher der Antragsgegner die Ratenzahlungen im Hinblick auf die Einkommensteuernachforderung bei der Berechnung des Alg II nicht berücksichtigt.
Anders als bei der Einkommensteuer spricht hingegen mehr dafür als dagegen, die Gewerbsteuernachzahlung als betriebliche Ausgabe i.S.d. § 3 Abs. 2 Alg II-V zu werten, da diese Steuer unmittelbar durch die selbstständige Tätigkeit veranlasst wurde. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V sind zur Berechnung des Einkommens von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11 b SGB II abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen. Wie oben bezüglich der Einkommensteuer dargelegt, kommt eine Berücksichtigung der Gewerbesteuernachforderung nach § 11 b SGB II nicht in Betracht, da diese Steuer nicht auf das laufende Einkommen gezahlt wird, sondern einen zurückliegenden Zeitraum betrifft. Somit fällt die Zahlung nicht unter § 11 b SGB II mit der Folge, dass grundsätzlich ein Abzug als betriebliche Ausgabe möglich ist. Die Antragstellerin Ziffer 1 hat diese Ausgaben - wie von § 3 Abs. 2 Alg II-V gefordert - auch tatsächlich geleistet. Die Zahlungen für April bis August 2018 in Höhe von jeweils 300 EUR ergeben sich aus den Kontoauszügen, die dem Senat vorgelegt wurden. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin im September 2018 keine Ratenzahlung getätigt haben könnte, sind nicht ersichtlich, so dass der Senat auch die Septemberzahlung für glaubhaft hält. Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass diese Betriebsausgaben notwendig waren - schließlich wurden sie von der Stadt K. berechnet. Insofern spricht viel dafür, die Steuernachzahlung als betriebliche Ausgabe bei den Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit in Abzug zu bringen (so auch Geiger in LPK-SGB II, 6. Auflage, § 11 Rdnr. 84 m.w.N., wonach Steuerschulden notwendige Ausgaben seien). Der hier vertretenen Ansicht steht die ständige Rechtsprechung des BSG, wonach Zahlungen zur Tilgung von Schulden im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende grundsätzlich nicht vom Einkommen abgesetzt werden können (vgl. u.a. BSG, Urteile vom 19.09.2008 – B 14/7b AS 10/07 R –, 30.09.2008 – B 4 AS 29/07 R – und 10.05.2011 – B 4 KG 1/10 R –, alle in Juris), nicht entgegen. Diese Rechtsprechung bezieht sich auf die Tilgung von für private Zwecke aufgenommenen Darlehen und beruht auf dem sozialhilferechtlichen Grundsatz, dass der Hilfesuchende sein Einkommen auch dann zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage für sich verwenden muss, wenn er sich dadurch außerstande setzt, anderweitig bestehende Verpflichtungen zu erfüllen (s. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.06.2015 - L 25 AS 3370/13 -, Juris). Mit der bedürftigkeitsabhängigen Sozialhilfe - und entsprechend mit dem bedürftigkeitsabhängigen Alg II - soll nicht zur Tilgung von Schulden beigetragen werden (BSG, Urteil vom 19.09.2008, a.a.O., Rn. 25). Diese Erwägungen lassen sich auf die Tilgung betrieblich veranlasster Darlehen eines Selbstständigen jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht übertragen, weil in diesem Zusammenhang die Aufnahme (und Tilgung) von Darlehen gerade der Ermöglichung der Einkommenserzielung dient und die Inanspruchnahme betrieblicher Darlehen bei selbstständig Tätigen allgemein üblich ist. Insofern sind Selbstständige gegenüber Arbeitnehmern privilegiert. Auch wenn es vorliegend nicht um ein betrieblich veranlasstes Darlehen geht, hält der Senat jedenfalls bei der im Rahmen des § 86 SGG gebotenen Abwägung eine Berücksichtigung der Ratenzahlungen auf die Gewerbesteuernachforderungen, die ebenfalls untrennbar mit der selbstständigen Tätigkeit verbunden sind, für geboten. Da Anhaltspunkte für andere Berechnungsfehler bei der Bestimmung der Höhe des Alg II nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden sind, war der Antragsgegner unter Zugrundelegung der Berechnungsregelung in § 3 Abs. 4 Alg II-V zu verpflichten, bei der Berechnung des Alg II monatlich um 300,- EUR höhere Betriebsausgaben zu berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Antragsteller im Verfahren vor dem SG keine Unterlagen vorgelegt haben, aus denen sich die Ratenzahlungsvereinbarungen sowie die tatsächlichen Zahlungen ergeben hätten. Insofern kommt eine Kostenerstattung für das erstinstanzliche Verfahren nicht in Betracht. Im Übrigen waren die Kosten zu 3/5 zu übernehmen entsprechend der Obsiegensquote der Antragsteller.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
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