Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 1750/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 2944/18 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 10. August 2018 aufgehoben und der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
Die Beschwerde gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden und statthaft (§§ 173, 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Sie ist auch begründet.
Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Sinne des § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG ist bereits unzulässig, da der Bescheid vom 04.07.2018, in dem Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II) abgelehnt worden war, mangels Widerspruchs bestandskräftig geworden ist. Die Bestandskraft des Verwaltungsakts steht einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz entgegen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 86b Rdnr 26d; Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.05.2017 - L 11 KR 1417/17 ER-B -, Juris). Ausgehend vom Streitgegenstand eines Anordnungsverfahrens, im Eilverfahren zu prüfen, inwieweit dem Antragsteller für eine Zwischenzeit bis zur Hauptsacheentscheidung eine bestimmte Rechtsposition zusteht, ist einstweiliger Rechtsschutz bei einer bindenden Hauptsacheentscheidung unzulässig. Es gibt dann keine Rechtsposition, die bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren gesichert werden könnte (Bayerisches LSG, Beschluss vom 23.09.2010 - L 7 AS 651/10 B ER -, Juris).
Entgegen dem Vortrag der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin kann in dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kein Widerspruch gegen den Bescheid vom 04.07.2018 gesehen werden. Ob eine solche Umdeutung oder Auslegung angezeigt ist, ist in der Rechtsprechung und Literatur in Bezug auf erhobene Klagen umstritten (s. zum Meinungsstand Schmidt in Meyer-Ladewig u.a. a.a.O., § 76 Rdnr. 3 b). Zwar mag in Einzelfällen die Auslegung ergeben, dass in einem Schreiben an das Gericht nicht nur eine Klage oder ein Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu sehen ist, sondern der Kläger/Antragsteller gleichzeitig auch die Überprüfung der Entscheidung durch die Behörde selbst begehrt. Auch mag bei besonderer Schutzbedürftigkeit und besonderen prozessualen Situationen eine solche Auslegung sachgerecht sein (s. hierzu ausführlich Bayerisches LSG, Urteil vom 18.03.2013 - L 7 AS 142/12 - unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG], Juris). Jedenfalls dann, wenn wie hier der Bescheid eine zutreffende Rechtsmittelbelehrung enthält und die Beschwerdeschrift keinerlei Anhaltspunkte dafür enthält, dass gleichzeitig auch eine Entscheidung durch die Behörde begehrt wird, sieht der Senat keine Veranlassung, in einem solchen Schreiben gleichzeitig einen Widerspruch zu sehen. So hat die Antragstellerin in ihrer Antragsschrift vom 19.07.2018 das Sozialgericht ausdrücklich darum gebeten, das Jobcenter anhand einer einstweiligen Anordnung zu veranlassen, ihr Leistungen zu bewilligen. Davon, dass das Jobcenter selbst die eigene Entscheidung noch einmal überprüfen soll, ist keine Rede. Insofern ist für eine Auslegung kein Raum.
Das einstweilige Rechtsschutzverfahren wird auch nicht dadurch zulässig, dass im Beschwerdeverfahren nunmehr von den Prozessbevollmächtigten "höchsthilfsweise" ein Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 04.07.2018 gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gestellt worden ist. Zwar ist grundsätzlich - unter strengen Voraussetzungen - auch im Überprüfungsverfahren der Erlass einer einstweiligen Anordnung zulässig (s. hierzu nur Sächsisches LSG, Beschluss vom 29.08.2016 - L 8 AS 675/16 B ER -; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 05.04.2011 - L 5 AS 342/10 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.05.2013 - L 19 AS 638/13 B ER -; alle in Juris). Jedoch mangelt es am Rechtsschutzbedürfnis für eine einstweilige Anordnung, wenn sich der Antragsteller nicht zuvor an die Verwaltung gewandt hat und die normale Bearbeitungszeit abgewartet hat (Keller in Meyer-Ladewig u.a. a.a.O. § 86b Rdnr. 26 b m.w.N.; s. auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 05.01.2015 - L 15 VK 8/14 ER - unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 30.10.2009 – 1 BvR 2442/09 -; Juris). Auch wenn die Antragstellerin vorliegend bereits am 23.04.2018 einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II gestellt und einen ablehnenden Bescheid erwirkt hat, fehlt es bisher an einer Vorbefassung des Antragsgegners mit dem Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X. Da die Antragstellerin im Verfahren vor dem SG noch aktuelle Kontoauszüge vorgelegt und das SG, ohne dass der Antragsgegner zu den Unterlagen noch Stellung genommen hätte, mit Beschluss vom 10.08.2018 vorläufig Leistungen zugesprochen hat, ist nicht auszuschließen, dass der Antragsgegner materiell einem Überprüfungsantrag stattgeben wird. Insbesondere kann nicht argumentiert werden, es komme bereits in der Beschwerdeschrift zum Ausdruck, dass der Antragsgegner nach wie vor von einem fehlenden Alg II-Anspruch der Antragstellerin überzeugt ist. Vielmehr hat der Antragsgegner seine Beschwerde ausdrücklich nur auf die fehlende Zulässigkeit des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gestützt und die materielle Rechtslage nicht geprüft (insofern anders bei LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.06.2006 - L 13 AS 2297/06 ER-B -, Juris).
Der Beschluss des SG war daher aufzuheben und der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzulehnen.
Mangels Erfolgsaussichten war die Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen (§ 73 a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
Die Beschwerde gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden und statthaft (§§ 173, 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Sie ist auch begründet.
Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Sinne des § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG ist bereits unzulässig, da der Bescheid vom 04.07.2018, in dem Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II) abgelehnt worden war, mangels Widerspruchs bestandskräftig geworden ist. Die Bestandskraft des Verwaltungsakts steht einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz entgegen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 86b Rdnr 26d; Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.05.2017 - L 11 KR 1417/17 ER-B -, Juris). Ausgehend vom Streitgegenstand eines Anordnungsverfahrens, im Eilverfahren zu prüfen, inwieweit dem Antragsteller für eine Zwischenzeit bis zur Hauptsacheentscheidung eine bestimmte Rechtsposition zusteht, ist einstweiliger Rechtsschutz bei einer bindenden Hauptsacheentscheidung unzulässig. Es gibt dann keine Rechtsposition, die bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren gesichert werden könnte (Bayerisches LSG, Beschluss vom 23.09.2010 - L 7 AS 651/10 B ER -, Juris).
Entgegen dem Vortrag der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin kann in dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kein Widerspruch gegen den Bescheid vom 04.07.2018 gesehen werden. Ob eine solche Umdeutung oder Auslegung angezeigt ist, ist in der Rechtsprechung und Literatur in Bezug auf erhobene Klagen umstritten (s. zum Meinungsstand Schmidt in Meyer-Ladewig u.a. a.a.O., § 76 Rdnr. 3 b). Zwar mag in Einzelfällen die Auslegung ergeben, dass in einem Schreiben an das Gericht nicht nur eine Klage oder ein Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu sehen ist, sondern der Kläger/Antragsteller gleichzeitig auch die Überprüfung der Entscheidung durch die Behörde selbst begehrt. Auch mag bei besonderer Schutzbedürftigkeit und besonderen prozessualen Situationen eine solche Auslegung sachgerecht sein (s. hierzu ausführlich Bayerisches LSG, Urteil vom 18.03.2013 - L 7 AS 142/12 - unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG], Juris). Jedenfalls dann, wenn wie hier der Bescheid eine zutreffende Rechtsmittelbelehrung enthält und die Beschwerdeschrift keinerlei Anhaltspunkte dafür enthält, dass gleichzeitig auch eine Entscheidung durch die Behörde begehrt wird, sieht der Senat keine Veranlassung, in einem solchen Schreiben gleichzeitig einen Widerspruch zu sehen. So hat die Antragstellerin in ihrer Antragsschrift vom 19.07.2018 das Sozialgericht ausdrücklich darum gebeten, das Jobcenter anhand einer einstweiligen Anordnung zu veranlassen, ihr Leistungen zu bewilligen. Davon, dass das Jobcenter selbst die eigene Entscheidung noch einmal überprüfen soll, ist keine Rede. Insofern ist für eine Auslegung kein Raum.
Das einstweilige Rechtsschutzverfahren wird auch nicht dadurch zulässig, dass im Beschwerdeverfahren nunmehr von den Prozessbevollmächtigten "höchsthilfsweise" ein Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 04.07.2018 gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gestellt worden ist. Zwar ist grundsätzlich - unter strengen Voraussetzungen - auch im Überprüfungsverfahren der Erlass einer einstweiligen Anordnung zulässig (s. hierzu nur Sächsisches LSG, Beschluss vom 29.08.2016 - L 8 AS 675/16 B ER -; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 05.04.2011 - L 5 AS 342/10 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.05.2013 - L 19 AS 638/13 B ER -; alle in Juris). Jedoch mangelt es am Rechtsschutzbedürfnis für eine einstweilige Anordnung, wenn sich der Antragsteller nicht zuvor an die Verwaltung gewandt hat und die normale Bearbeitungszeit abgewartet hat (Keller in Meyer-Ladewig u.a. a.a.O. § 86b Rdnr. 26 b m.w.N.; s. auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 05.01.2015 - L 15 VK 8/14 ER - unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 30.10.2009 – 1 BvR 2442/09 -; Juris). Auch wenn die Antragstellerin vorliegend bereits am 23.04.2018 einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II gestellt und einen ablehnenden Bescheid erwirkt hat, fehlt es bisher an einer Vorbefassung des Antragsgegners mit dem Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X. Da die Antragstellerin im Verfahren vor dem SG noch aktuelle Kontoauszüge vorgelegt und das SG, ohne dass der Antragsgegner zu den Unterlagen noch Stellung genommen hätte, mit Beschluss vom 10.08.2018 vorläufig Leistungen zugesprochen hat, ist nicht auszuschließen, dass der Antragsgegner materiell einem Überprüfungsantrag stattgeben wird. Insbesondere kann nicht argumentiert werden, es komme bereits in der Beschwerdeschrift zum Ausdruck, dass der Antragsgegner nach wie vor von einem fehlenden Alg II-Anspruch der Antragstellerin überzeugt ist. Vielmehr hat der Antragsgegner seine Beschwerde ausdrücklich nur auf die fehlende Zulässigkeit des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gestützt und die materielle Rechtslage nicht geprüft (insofern anders bei LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.06.2006 - L 13 AS 2297/06 ER-B -, Juris).
Der Beschluss des SG war daher aufzuheben und der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzulehnen.
Mangels Erfolgsaussichten war die Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen (§ 73 a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved