L 8 AL 4255/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AL 29/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AL 4255/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
für Recht erkannt: Tenor: Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 10.10.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf die Bewilligung höheren Arbeitslosengeldes I (Alg) zusteht.

Der 1965 geborene Kläger war ab 03.11.2003 bei der Firma S. G. GmbH in W. (künftig Arbeitgeber) als Verkaufsleiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde vom Arbeitgeber mit Schreiben vom 29.10.2010 zum 31.12.2010 gekündigt.

Im November 2010 meldete sich der Kläger bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg. Im Ausdruck der vorgelegten elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für 2010 ist für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 31.12.2010 ein Bruttoarbeitsentgelt i.H.v. 41.760,00 EUR ausgewiesen. Dem entspricht das in der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers vom 26.01.2011 ausgewiesene beitragspflichtige Bruttoarbeitsentgelt für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 31.12.2010.

Ausgehend von einem Bemessungsentgelt im einjährigen Bemessungsrahmen vom 01.01.2010 bis 31.12.2010 i.H.v. 41.760,00 EUR (täglich 114,41 EUR) bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 07.06.2011 ab 08.01.2011 bis 22.12.2011 Alg in Höhe von täglich 52,65 EUR. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger hinsichtlich der bewilligten Dauer sowie der Höhe Widerspruch ein. Mit "Abhilfebescheid" vom 12.07.2011 wurde dem Kläger auch für vom 01.01.2011 bis 07.01.2011 Alg in Höhe von täglich 52,65 EUR bewilligt. Hinsichtlich der Höhe des Alg wurde der Widerspruch des Klägers mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid vom 07.07.2011 als unbegründet zurückgewiesen. Der Kläger habe im Bemessungsrahmen vom 01.01.2010 bis 31.12.2010 ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt von insgesamt 41.760,00 EUR erzielt. Hieraus ergebe sich ein durchschnittliches tägliches Entgelt in Höhe von 114,41 EUR. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge ergebe sich ein Leistungsentgelt i.H.v. 78,58 EUR. (Erhöhter Leistungssatz von 67 % des Leistungsentgeltes). Das Alg betrage täglich 52,65 EUR.

Zum 29.09.2011 meldete sich der Kläger wegen Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit bei der Beklagten ab. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 07.11.2011 hob die Beklagte daraufhin die Bewilligung von Alg ab dem 29.09.2011 auf und forderte einen überzahlten Betrag i.H.v. 105,30 EUR vom Kläger zurück.

Mit Fax vom 30.12.2014 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich des Arbeitsgerichts Freiburg (Az: 4 Ca 590/10) vom 20.09.2011 der Jahresarbeitsverdienst für das Jahr 2009 auf 48.600 EUR und für das Jahr 2010 auf 49.950 EUR festgesetzt worden sei. Er beantragte, das im Bewilligungsbescheid aus 2011 bewilligte Alg entsprechend neu zu berechnen. Ihm sei nicht gelungen, eine neue Arbeitsbescheinigung seines Arbeitgebers zu erhalten, da sich dieser in Insolvenz befinde und auf nichts mehr reagiere.

Die Beklagte wertete das Fax vom 30.12.2014 als Antrag auf Überprüfung und bat mit Schreiben vom 15.01.2015 um Vorlage entsprechender Unterlagen.

Mit Bescheid vom 23.03.2015 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag des Klägers vom 30.12.2014 ab. Der Bescheid vom 07.06.2011 bleibe unverändert. Trotz Aufforderung seien keine Unterlagen über die Erfüllung des Vergleiches vorgelegt worden.

Mit E-Mail vom 29.12.2015 monierte der Kläger, außer dem Schreiben der Beklagten vom 15.01.2015 nichts mehr gehört zu haben. Mit Schreiben vom 30.12.2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass über den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 23.03.2015 entschieden worden sei und übersandte dem Kläger eine Kopie des Bescheides.

Am 31.12.2015 erhob der Kläger - per unterzeichnetes Telefax - wegen des Antrags auf Überprüfung (zur Vermeidung einer befürchteten Verjährung) Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Er trug vor, das Alg sei zu niedrig berechnet worden. In einem vor dem Arbeitsgericht Freiburg im Jahr 2011 geführten Prozess sei der Arbeitgeber verurteilt worden, Beiträge nachzuzahlen, die Ende 2011 - 2012 vom Arbeitgeber bezahlt worden seien. Wie hoch die Differenz tatsächlich sei, könne er nicht sagen, es müssten ca. 200 EUR monatlich sein. Für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.12.2011 seien die erhöhten Beiträge auch zu zahlen, allerdings sei dies noch nicht beschieden. Auf Aufforderung der Beklagten im Januar 2015 habe er Unterlagen nachgereicht, allerdings bis heute nichts mehr gehört. Er beantrage, die Beklagte zur Nachberechnung und Zahlung der Differenz und gegebenenfalls zur Zahlung der Beiträge in Höhe von mindestens 12 x 200 EUR und nach der Leistungspause von mindestens 9 x 2000 EUR zu verurteilen, die noch zu berechnen und bescheiden seien, zuzüglich der anteiligen Sozialbeiträge. Die Klageschrift wurde der Beklagten vom SG mit Schreiben vom 11.01.2016 übersandt. Hierzu äußerte sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 20.01.2016 und regte an, den Ausgang des Vorverfahrens abzuwarten.

Außerdem hatte der Kläger seine Klageschrift (per einfachem E-Mail) der Beklagten am 04.01.2016 übersandt. Die Beklagte wertete der das E-Mail vom 04.01.2016 als Widerspruch und wies den Kläger mit Schreiben vom 04.01.2016 unter anderem darauf hin, dass der per E-Mail übermittelte Widerspruch den Formerfordernissen nicht genüge; der Kläger wurde gebeten, seinen Widerspruch in der erforderlichen Form sowie Nachweise über die Auszahlung Kopien der benötigten Unterlagen nachzureichen. Eine weitere Äußerung des Klägers erfolgt nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2016 verwarf die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unzulässig. Es werde davon ausgegangen, dass der Bescheid vom 23.03.2015 dem Kläger bei Erhebung des Widerspruches noch nicht zugegangen sei. Selbst wenn der Kläger den ihm am 30.12.2015 übersandten Bescheid vom 23.03.2015 am 31.12.2015 in Händen gehabt hätte, wäre der am 31.12.2015 per E-Mail übermittelte Widerspruch unzulässig, da er nicht den Anforderungen eines schriftlich zu erhebenden Widerspruches genüge und damit nicht in der geforderten Form eingereicht und deshalb unzulässig wäre. Der Kläger habe auch die Möglichkeit nicht genutzt, den Widerspruch in der erforderlichen Form nachzureichen, obwohl ihm hierzu ausdrücklich Gelegenheit gegeben worden sei.

Mit - vom Kläger unterzeichnetem - Telefax vom 01.03.2016 erhob der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid vom 29.01.2016 beim SG unter Bezug auf sein bisheriges Vorbringen Klage.

In der nichtöffentlichen Sitzung des SG am 20.04.2016 sind die Beteiligten angehört worden. Der Kläger wurde aufgefordert, Unterlagen nachzureichen. Auf die Niederschrift des SG vom 20.04.2016 wird Bezug genommen.

Die Vorlage weiterer Unterlagen durch den Kläger erfolgte trotz Erinnerungen des SG (Verfügung vom 21.07.2016, Schreiben vom 07.09.2016) nicht.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.10.2016 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, die ursprünglich vom Kläger erhobene Untätigkeitsklage sei im Verlauf des Klageverfahrens nach Ergehen des Widerspruchsbescheids vom 29.01.2016 im Wege der sachdienlichen Klageänderung in eine zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage umgestellt worden. Er begehre, ihm wegen des Ergebnisses des arbeitsgerichtlich geschlossenen Vergleiches in Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 12.07.2011 höheres Alg für die Zeit seiner Arbeitslosigkeit vom 01.01.2011 bis 28.09.2011 zu zahlen. Rechtsgrundlage sei § 44 Absatz 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Streitig sei allein die Höhe des Anspruches auf Alg. Er behaupte, ihm stünden für den Bemessungszeitraum 2010 wegen des arbeitsgerichtlichen Vergleiches weitere Ansprüche auf Lohn zu, der sich nach dem Vortrag des Klägers auf die Hälfte aus 21.900 EUR belaufen dürfte. Die konkrete Höhe dieses nachzuzahlenden Lohns sei nicht vorgetragen worden. Der Kläger habe trotz vielfacher Aufforderung nicht nachgewiesen, dass ihm der Betrag ausgezahlt worden sei oder nur wegen einer Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sei. Die ursprüngliche Entscheidung sei daher nicht offensichtlich rechtswidrig, weshalb sich die Beklagte ohne weitere Sachprüfung auf die Bindungswirkung des früheren Bescheides vom 12.07.2011 berufen dürfe. Der Bescheid vom 23.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2016 sei daher, gemessen an den Vorgaben des § 44 SGB X, rechtmäßig.

Gegen den dem Kläger am 13.10.2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die vom Kläger am 12.11.2016 - per unterschriebenes Telefax - beim SG eingelegte Berufung, die dem Landessozialgericht Baden-Württemberg zur Entscheidung vorgelegt worden ist. Der Kläger hat im Verlauf des Berufungsverfahrens zur Begründung geltend gemacht, er könne nicht nachvollziehen, wieso es überhaupt zum Bescheid gekommen sei. Er sei extrem belastet. Neue Gehaltsabrechnungen gebe es nicht und seien auch nicht mehr zu erhalten. Sein Arbeitgeber habe den Betrieb schon lange eingestellt und die Insolvenz sei beendet. Nach Unterlagen der AOK sei für das Jahr 2010 ein Jahresentgelt i.H.v. 51.887 EUR gemeldet. Der Kläger hat im Verlauf des Berufungsverfahrens Unterlagen vorgelegt (insbesondere Bescheinigung der AOK O. vom 19.06.2017, Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für 2011, Meldebescheinigungen für den Arbeitnehmer nach § 25 DEÜV vom 08.03.2013, Kontoauszüge der Postbank vom 05.02.2012, Klageschrift an das Arbeitsgericht Freiburg vom 30.12.2010, Protokoll des Arbeitsgerichts Freiburg über die öffentliche Sitzung vom 20.09.2011 - Az: 4 Ca 590/10 - sowie Aufstellungen des Klägers zur Abrechnung des Vergleichs vom September 2011 über die Summe von 21.900 EUR für die Jahre 2007 bis 2010).

Der Kläger beantragt (sinngemäß), den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 10.10.2016 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.01.2016 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12.07.2011 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.01.2011 bis 28.09.2011 höheres Arbeitslosengeld I zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat zur Begründung im Verlauf des Berufungsverfahrens ausgeführt, für den Bemessungszeitraum 2010 sei aus den vom Kläger vorgelegten Unterlagen nur das Entgelt i.H.v. 48.407,00 EUR nachvollziehbar. Das von der AOK mitgeteilte Entgelt i.H.v. 51.887,00 EUR sei nicht erklärlich. Ferner sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger das höhere Entgelt tatsächlich erhalten habe. Aus dem gerichtlichen Vergleich lasse sich nicht entnehmen, wofür die Zahlungen geleistet worden seien, also ob es sich hierbei um Arbeitsentgelt oder gegebenenfalls um Abfindungszahlungen handele.

In der nichtöffentlichen Sitzung am 20.04.2018 das Sach- und Streitverhältnis durch den Berichterstatter mit den Beteiligten erörtert worden. Hierzu wird auf die Niederschrift vom 20.04.2018 Bezug genommen.

Mit Schreiben vom neuen 20.04.2018 ist das Arbeitsgericht Freiburg um Übersendung der Gerichtsakte 4 Ca 590/10 gebeten worden. Mit Schreiben vom 30.04.2018 hat das Arbeitsgericht Freiburg mitgeteilt, dass die angeforderte Akte bereits ausgesondert worden sei und hat den Vergleich vom 20.09.2011 (Az: 4 Ca 590/10) übersandt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden können, obwohl der ordnungsgemäß geladene Kläger im Termin nicht erschienen ist. Der Kläger ist in der Terminsladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Der Senat hat den Berufungsantrag des Klägers nach seinem erkennbaren Begehren sachdienlich gefasst. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist - ausschließlich - ob dem Kläger gegen die Beklagte für die Zeit vom 01.01.2011 bis 28.09.2011 ein Anspruch auf Gewährung eines höheren Betrages von Alg zusteht. Nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Übernahme von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung im genannten Zeitraum. Der Kläger macht nach seinem Vorbringen im Berufungsverfahren ausschließlich geltend, ihm höheres Alg auf der Grundlage der Nachzahlung von Gehalt aus dem Vergleich beim Arbeitsgericht Freiburg zu gewähren. Dem entspricht der vom SG im Gerichtsbescheid vom 10.10.2016 gefasste Antrag des Klägers, gegen den sich der Kläger im Berufungsverfahren nicht gewandt hat. Im Übrigen hat das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid eine Entscheidung zur Übernahme von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung nicht getroffen.

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet. Die Berufung des Klägers erweist sich bereits deswegen als unbegründet, (1.) weil sich die zulässige Klage bereits mangels formgerechter Einlegung des Widerspruches, wie die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 29.01.2015 ohne eine Sachentscheidung zu treffen entschieden hat, als unbegründet erweist (vgl. hierzu BeckOK Sozialrecht, Rolfs / Giesen / Kreikebohm / Udsching, Stand: 01.06.2018, § 78 SGG Rdn. 2a). Außerdem ist der angefochtene Gerichtsbescheid des SG in der Sache im Ergebnis nicht zu beanstanden. Es kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 12.07.2011 ein Anspruch auf die Gewährung eines höheren Betrages von Alg zusteht, weshalb sich der Bescheid vom 23.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.01.2016 nicht als rechtswidrig erweist (2.).

1. Allerdings ist die Klage nicht deswegen unzulässig, weil der Kläger zunächst, in Unkenntnis des Ergehens des Bescheides vom 23.03.2015, der mangels Bekanntgabe erst durch die erneute Übersendung mit Schreiben der Beklagten vom 30.12.2015 Wirksamkeit erlangt hat, am 31.12.2015 durch Telefax (Form und fristgerecht) Untätigkeitsklage erhoben hat. Vielmehr hat der Kläger nach Ergehen des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2016 seine Untätigkeitsklage im Wege der sachdienlichen Klageänderung am 01.03.2016 als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage weiterverfolgt, wie das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend begründet hat. Der Senat gelangt nach eigener Prüfung zum selben Ergebnis und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die diesbezüglichen Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG; vgl. zum Vorstehenden auch Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 88 Rdn. 12).

Die Klage des Klägers war aber bereits deswegen (als unbegründet) abzuweisen, weil der am 04.01.2016 mit (einfachem) E-Mail eingelegte Widerspruch des Klägers nicht der nach § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG erforderlichen Schriftform gerecht wird, worauf der Kläger mit Schreiben der Beklagten vom 04.01.2016 auch hingewiesen worden ist. Nach der Verordnung des Justizministeriums über den elektronischen Rechtsverkehr in Baden-Württemberg (ElekRVerkV BW) vom 11.12.2006 (GBl BW 2006, 393) konnten bis 31.12.2017 elektronische Dokumente eingereicht werden. Zwingend erforderlich ist eine qualifizierte elektronische Signatur (vgl. Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 84 Rdn. 3, § 90 Rdn. 5b). Eine entsprechende Signatur hat der Kläger bei der Übermittlung des Widerspruchs vom 04.01.2016 nicht verwendet. Von einer qualifizierten elektronischen Signatur kann auch nicht ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn sich aus der E Mail oder den begleitenden Umständen die Urheberschaft und der Wille hinreichend sicher ergibt, das elektronische Dokument in den Verkehr zu bringen (vgl. Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 65a Rdn. 8b). Unabhängig davon sah § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung die formgerechte Einlegung eines Widerspruches in elektronischer Form nicht vor.

Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte den Widerspruch des Klägers bereits vor dem Ablauf der Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2016 mangels Wahrung der Form als unzulässig verworfen hat. Mangels Nachweises des Zugangs des Bescheides vom 23.03.2015 ist davon auszugehen, dass dem Kläger dieser Bescheid erst am dritten Tag nach der Aufgabe des Schreibens der Beklagten vom 30.12.2015 bekanntgegeben (§ 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X) und damit wirksam geworden ist (vgl. von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage, § 37 SGB X Rdn. 3). Danach war zum Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheids vom 29.01.2016 die Monatsfrist zur Einlegung des Widerspruches noch nicht abgelaufen. Gleichwohl erweist sich der Widerspruchsbescheid vom 29.01.2016 - im Ergebnis - als zutreffend. Der Kläger wurde von der Beklagten innerhalb der Widerspruchsfrist mit Schreiben vom 04.01.2016 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sein per E-Mail übermittelte Widerspruch den Formerfordernissen nicht genüge und er wurde gebeten, seinen Widerspruch in der erforderlichen Form nachzureichen bzw. schriftlich seine Urheberschaft zu bestätigen. Dem ist der Kläger innerhalb der Widerspruchsfrist nicht nachgekommen. Damit kann dem Kläger auch mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 67 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Widerspruchsfrist nicht gewährt werden. Darauf, ob sich der Widerspruch des Klägers auch deswegen als unzulässig erweist, weil der Widerspruch bereits vor der Bekanntgabe des Bescheides vom 23.03.2015 eingelegt worden sei, worauf die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 29.01.2016 in der Begründung weiter abstellt, kommt es nicht entscheidungsrelevant an. Denn jedenfalls erweist sich der Widerspruch des Klägers bereits deswegen als unzulässig, weil er nicht formgerecht eingelegt wurde.

An dieser Bewertung ändert auch die vom Kläger am 31.12.2015 (per Telefax) formgerecht eingelegte Untätigkeitsklage beim SG nichts. Die Untätigkeitsklage kann vorliegend nicht auch als - ebenfalls -formgerechter Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.03.2015 gewertet werden (vgl. hierzu Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 78 Rdn. 3b). Denn nach dem Vorbringen des Klägers zur Begründung der Untätigkeitsklage war ihm der mit Schreiben der Beklagten vom 30.12.2015 übersandte Bescheid vom 23.03.2015 nicht bekannt (" auf Aufforderung der Agentur für Arbeit 01-2015 habe ich Unterlagen der auszahlenden Stelle des Arbeitgebers nachgereicht, allerdings bis heute nichts mehr gehört"). Damit kann die vor der Bekanntgabe des Bescheides vom 23.03.2015 erhobene Untätigkeitsklage des Klägers nicht auch als (formgerechter) Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.03.2015 gewertet werden.

2. Die Berufung des Klägers erweist sich auch in der Sache als nicht begründet, wie das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid - im Ergebnis - zutreffend entschieden hat.

Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist (entgegen der Ansicht des Beklagten und des SG) nicht § 44 SGB X, sondern § 48 SGB X. Der Kläger macht geltend, dass ihm für den für die Berechnung der Höhe des Alg maßgeblichen Bemessungsrahmen vom 01.01.2010 bis 31.12.2010 nach dem Ergehen des Bescheides vom 12.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.07.2011 aufgrund des vor dem Arbeitsgericht Freiburg im Verfahren 4 Ca 590/10 geschlossenen Vergleichs vom 20.09.2011 im Januar 2012 durch seinen Arbeitgeber zusätzlich zu berücksichtigendes Arbeitsentgelt nachgezahlt worden sei. Damit beruft sich der Kläger auf eine zu seinen Gunsten eingetretene wesentliche Änderung der dem Bescheid vom 12.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.07.2011 zugrunde liegenden Verhältnisse, was nicht dem Anwendungsbereich des § 44 SGB X, sondern dem des § 48 SGB X unterliegt. Da weder bei einer Entscheidung nach § 48 SGB X noch nach § 44 SGB X eine Ermessensentscheidung durch die Beklagte zu treffen ist, bedarf es insoweit keiner (gemäß § 43 Abs. 1 SGB X grundsätzlich möglichen) Umdeutung der Rechtsgrundlage (vgl. Steinwedel, in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 48 SGB X Rdn. 8 m. w. N.).

Das SG hat die zur Prüfung der Höhe des Alg (§§ 129, 131, 133 SGB III a.F.) heranzuziehenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze im angefochtenen Gerichtsbescheid vollständig und zutreffend dargestellt. Hierauf nimmt der Senat zur Begründung seiner eigenen Entscheidung zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Hiervon ausgehend kann zur Überzeugung des Senates nicht festgestellt werden, dass dem Kläger nach dem Ergehen des Bescheides vom 12.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.07.2011 bei der Berechnung der Höhe des Anspruches auf Alg zusätzlich zu berücksichtigendes Arbeitsentgelt für die Zeit vom 01.01.2010 bis 31.12.2010 ausbezahlt wurde.

Zwar ist nach den vom Kläger (insbesondere im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen) festzustellen, dass dem Kläger von seinem Arbeitgeber am 13.01.2012 eine Nachzahlung aufgrund Vergleich in Höhe von 18.499,57 EUR auf sein Konto bei der Postbank gutgeschrieben wurde (Kontoauszug vom 05.02.2012). Weiter steht fest, dass der Kläger mit seinem Arbeitgeber beim Arbeitsgericht Freiburg am 20.09.2011 einen Vergleich geschlossen hat, wonach sein Arbeitgeber sich verpflichtet, an den Kläger 21.900 EUR brutto und 600 EUR netto zu bezahlen. Danach besteht zwar die Möglichkeit, dass die am 13.01.2012 erfolgte Nachzahlung des Arbeitgebers i.H.v. 18.499,57 EUR Arbeitsentgelt betrifft, das vom Arbeitgeber auch für Zeit vom 01.01.2010 bis 31.12.2010 nachgezahlt worden ist. Die Ansicht der Beklagten, es könne sich ggf. auch um eine Abfindungszahlung handeln, erscheint fernliegend, da nicht ersichtlich ist, dass der Kläger gegen die vom Arbeitgeber erfolgte schriftlich Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom 29.10.2010 Kündigungsschutzklage erhoben hat. Über diese bloße Möglichkeit hinaus rechtfertigen diese Unterlagen jedoch zur Überzeugung des Senates nicht die Feststellung, dass dem Kläger zu berücksichtigendes Arbeitsentgelt nach dem Ergehen des Bescheides vom 12.07.2011 ausbezahlt wurde. Nach der vom Kläger vorgelegten Klageschrift an das Arbeitsgericht Freiburg vom 30.12.2010 hat der Kläger lediglich restliche Vergütungsansprüche für das Kalenderjahr 2007 i.H.v. 6.014,00 EUR gegen seinen Arbeitgeber eingeklagt. Zwar könnte der Kläger nach der Streitwertfestsetzung des Arbeitsgerichts Freiburg laut Protokoll vom 20.09.2011 i.H.v. 28.034 EUR (festgesetzt entsprechend der Summe der eingeklagten Beträge) seine arbeitsgerichtliche Klage erweitert haben. Nähere Feststellungen hierzu können jedoch nicht getroffen werden. Weiter wird in der vom Kläger vorgelegten Meldebescheinigung für den Arbeitnehmer nach § 25 DEÜV vom 08.03.2013 für die Zeit vom 01.01.2010 bis 31.12.2010 ein Bruttoarbeitsentgelt i.H.v. 48.407 EUR bescheinigt. Dem widerspricht aber die vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegte Bestätigung der AOK O. vom 19.06.2017, in der für die Zeit vom 01.01.2010 bis 31.12.2010 ein Entgelt in Höhe von 51.887 EUR bescheinigt wird. Wiederum hiervon abweichend hat der Kläger im Antrag auf Änderung des Bewilligungsbescheides vom 12.07.2011 für das Jahr 2010 einen Arbeitsverdienst i.H.v. 49.950 EUR geltend gemacht. Auch dem vom Arbeitsgericht Freiburg protokollierten Vergleich vom 20.09.2011 kann nicht ansatzweise entnommen werden, dass die in § 1 vereinbarte Verpflichtung des Arbeitgebers, an den Kläger 21.900 EUR brutto zu bezahlen, Arbeitsentgelt betrifft. Eine konkrete Feststellung, dass dem Kläger aufgrund des Vergleiches vom 20.09.2011 für die Zeit vom 01.01.2010 bis 31.12.2010 Arbeitsentgelt in bestimmter Höhe durch seinen Arbeitgeber nachgezahlt wurde, lassen die - sich zum Teil widersprechenden Unterlagen - nicht zu. Sonstige Unterlagen, die geeignet sind, zur gerichtlichen Überzeugung eine konkrete Feststellung zu treffen, dass dem Kläger für die Zeit 01.01.2010 bis 31.12.2010 Arbeitsentgelt in bestimmter Höhe nachbezahlt wurde, hat der Kläger nicht vorgelegt und waren auch vom Senat nicht zu beschaffen. Nach dem Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren liegen keine neuen Gehaltsabrechnungen des Arbeitgebers vor und sind nicht mehr zu erhalten, nachdem sein Arbeitgeber den Betrieb eingestellt und die Insolvenz beendet ist. Die Beiziehung der Gerichtsakte des Arbeitsgerichts Freiburg (4 Ca590/10) ist nicht möglich, da die Gerichtsakte nach der Mitteilung des Arbeitsgerichts Freiburg vom 30.04.2018 bereits ausgesondert wurde. Weitere Ermittlungsmöglichkeiten sind nicht ersichtlich.

Die bloße Möglichkeit, dass dem Kläger für die Zeit vom 01.01.2010 bis 31.12.2010 Arbeitsentgelt durch den Arbeitgeber nachbezahlt wurde, reicht nicht aus, die Beklagte zu verurteilen, höheres Alg zu bewilligen. Hierzu hätte es Belegen bedurft, die eine auch der Höhe nach konkret feststellbaren Nachzahlung von Arbeitsentgelt für die Zeit vom 01.01.2010 bis 31.12.2010 zur Überzeugung des Senats nachweisen, was nach dem oben Ausgeführten aber nicht der Fall ist. Die Darlegungs- und Beweislast für ihr Vorliegen als ein den Anspruch begründender Umstand und damit auch die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises trägt nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast derjenige, der den Anspruch auf höheres Alg geltend macht (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2009, a.a.O., BSGE 60, 204, 208 = SozR 3100 § 38 Nr. 5), vorliegend der Kläger.

3. Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved