L 4 R 104/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 2622/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 104/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 19. Dezember 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung seiner Altersrente ohne Abzug der aufgrund eines Versorgungsausgleichs an seine geschiedene Ehefrau H. M. (im Folgenden HM) übertragenen Anwartschaften vom 1. September 2009 bis 31. März 2015.

Die Ehe des am 1942 geborenen Klägers mit HM wurde zum 31. August 1984 geschieden. Im Rahmen des nachfolgend durchgeführten Versorgungsausgleichs wurden für die Ehezeit vom 1. März 1965 bis 31. August 1984 Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich DM 167,96 (dies entspricht 5,1071 Entgeltpunkten) zulasten des Versicherungskontos des Klägers auf die ausgleichsberechtigte HM übertragen. HM bezog vom 29. September 1993 bis 31. Mai 1995 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Nach ihrem Tod am 1995 bezog ihr zweiter Ehemann große Witwerrente vom 1. Juni 1995 bis 31. Dezember 2012.

Der Kläger bezieht seit dem 1. September 2005 Altersrente für langjährig Versicherte, die um den Abschlag von 5,1071 Entgeltpunkten wegen der im Versorgungsausgleich an HM übertragenen Anwartschaften gekürzt geleistet wurde (Rentenbescheid vom 7. Juli 2005).

Am 30. März 2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten die rückwirkende ungekürzte Auszahlung seiner Altersrente, da HM verstorben sei und keine Altersrente bezogen habe.

Mit Bescheid vom 14. April 2015 hob die Beklagte den bisherigen Bescheid hinsichtlich der Rentenhöhe auf und berechnete die Altersrente des Klägers ab dem 1. April 2015 neu. Der bisherige Abschlag der übertragenden Rentenanwartschaften von 5,1071 Entgeltpunkt entfiel. Der Zahlbetrag erhöhte sich zum 1. April 2015 um EUR 130,70 monatlich. Die Berechnung der Altersrente ohne Berücksichtigung des Abschlags in Höhe der übertragenen Entgeltpunkte für die Zeit vor dem 1. April 2015 lehnte die Beklagte sinngemäß ab. Nach § 37 Gesetz über den Versorgungsausgleich (VersAusglG) könne der Versorgungsausgleich erst ab dem Folgemonat des Antrages rückgängig gemacht werden. Für zurückliegende Zeiträume liege kein entsprechender Antrag vor, weshalb für Zeiten ab dem 1. September 2009 (Inkrafttreten des § 37 VersAusglG) keine Berechnung erfolge.

Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch begehrte der Kläger die Zahlung der ungekürzten Rente auch für die Zeit vom 1. September 2005 bis 31. März 2015. Zur Begründung führte er aus, da HM bereits vor Beginn des Altersrentenbezugs verstorben sei, hätte seine Rente nie gekürzt werden dürfen. Bei Rentenanstellung habe er das Sterbedatum der zuständigen Sachbearbeiterin der Beklagten angegeben. Eine gesonderte Antragstellung sei deshalb entbehrlich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. September 2015 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Altersrente sei zunächst unter Heranziehung des zum Zeitpunkt seines Rentenantrags vom 20. Mai 2005 geltenden Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) gekürzt worden. Wegen der HM bis 31. Mai 1995 gewährten Rente wegen Erwerbsminderung und der ihrem zweiten Ehemann ab 1. Juni 1995 gewährten Witwerrente habe bis zum Außerkrafttreten des VAHRG zum 1. September 2009 ein durchgängiger Rentenbezug vorgelegen, so dass die Voraussetzungen des § 4 VAHRG zu keinem Zeitpunkt erfüllt gewesen seien. Das VersAusglG sei erst zum 1. September 2009 in Kraft getreten. Die Anpassung wegen Todes erfolge nur auf Antrag und wirke ab dem ersten Tag des Monats, der auf den Monat der Antragstellung folge. Eine rückwirkende Aussetzung der Kürzung sei nicht möglich.

Hiergegen erhob der Kläger am 25. September 2015 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG), zu deren Begründung er ausführte, wegen ihres Vorversterbens habe HM nicht mehr zum ausgleichsberechtigten Personenkreis gehört. Bereits bei seiner Rentenantragstellung im Mai 2005 habe er deren Vorversterben dem zuständigen Sachbearbeiter der Beklagten mitgeteilt. Insoweit sei jedenfalls von einer Beratungspflichtverletzung auszugehen, so dass die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs vorlägen. In dem vor dem SG am 19. Mai 2016 durchgeführten Erörterungstermin beschränkte der Kläger sein Begehren auf höhere Rentengewährung auf die Zeit ab dem 1. September 2009.

Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid entgegen.

Mit Gerichtsbescheid vom 19. Dezember 2016 wies das SG die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Zahlung der Altersrente unter Einbeziehung der im Wege des Versorgungsausgleichs auf HM übertragenen Rentenanwartschaften bereits ab dem 1. September 2009. Die Anpassung wirke erst ab dem ersten Tag des Monats, der auf den Monat der Antragstellung (30. März 2015) folge. Die Voraussetzung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Der Anspruch könne mangels Pflichtverletzung der Beklagten auch nicht auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gestützt werden. Ein konkretes Beratungsbegehren habe der Kläger nicht geäußert. Zu einer Spontanberatung sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen, da im zeitlichen Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des VersAusglG kein konkreter Anlass im Rahmen eines Bearbeitungsvorgangs bestanden habe. Der Hinweis des Klägers auf das Vorversterbens der HM bei Rentenanstellung im Mai 2005 begründe mangels zeitlichen Zusammenhangs mit dem Inkrafttreten des VersAusglG keine Beratungspflicht. Eine solche ergebe sich schließlich nicht aus § 115 Abs. 6 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), da die für eine Beratung notwendigen Daten nicht allein dem Versicherungskonto des Klägers hätten entnommen werden können. Daher könne der Beklagten nicht vorgeworfen werden, dass sie im Zusammenhang mit der Einführung des VersAusglG eine Querverbindung zum Rentenkonto der verstorbenen Ausgleichsberechtigten nicht hergestellt habe.

Gegen diesen ihm am 2. Januar 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11. Januar 2017 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung auf seine bisherigen Ausführungen verwiesen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 19. Dezember 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2015 zu verurteilen, ihm unter teilweiser Aufhebung des Rentenbescheides vom 7. Juli 2005 für die Zeit vom 1. September 2009 bis 31. März 2015 höhere Altersrente für langjährig Versicherte ohne Abschlag für die im Versorgungsausgleich übertragenden Rentenanwartschaften zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakten des Senats und des SG sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie bedurfte gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG auch nicht der Zulassung, da laufende Leistungen für mehr als ein Jahr im Streit stehen.

2. Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren des Klägers auf höhere Altersrente ohne Abschlag für im Versorgungsausgleich an HM übertragene Rentenanwartschaften von 5,1071 Entgeltpunkten für die Zeit vom 1. September 2009 bis zum 31. März 2015. Für die Zeit ab dem 1. April 2015 war dem Begehren bereits im Bescheid vom 14. April 2015 entsprochen worden. Die Beschränkung auf den Zeitraum ab dem 1. September 2009 ergibt sich aus dem im Erörterungstermin vor dem SG ausdrücklich gestellten Antrag, der auch in der Berufungsbegründung wiederholt wurde. Streitbefangen ist damit der Bescheid vom 14. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2015, soweit die Beklagte das zuvor genannte Begehren des Klägers ablehnte.

3. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der Bescheid vom 14. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat im streitbefangenen Zeitraum keinen Anspruch auf Gewährung höherer Altersrente unter teilweiser Aufhebung der bestandskräftigen Rentenbewilligung.

a) Der Kläger kann sein Begehren nicht auf § 44 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) stützen.

Danach ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Bei Erlass des Bescheides vom 7. Juli 2005 über die Bewilligung der Altersrente ist die Beklagte weder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen noch hat sie das Recht unrichtig angewandt, indem sie die im Rahmen des Versorgungsausgleichs an HM übertragenen Rentenanwartschaften bei der Berechnung der Rentenhöhe des Klägers nicht berücksichtigte.

aa) Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich nach § 64 Nr. 1 SGB VI u.a. aus den Entgeltpunkten. Bei den Entgeltpunkten sind u.a. auch Zuschläge oder Abschläge aus einem durchgeführten Versorgungsausgleich zu berücksichtigen (§§ 66 Abs. 1 Nr. 3, 76 Abs. 1 SGB VI). Die Übertragung von Rentenanwartschaften zu Lasten von Versicherten führt zu einem Abschlag an Entgeltpunkten (§ 76 Abs. 3 SGB VI). Anlässlich der Ehescheidung war ein Versorgungsausgleich erfolgt mit der Übertragung von 5,1071 Entgeltpunkten vom Versicherungskonto des Klägers auf dasjenige der HM. Diesen Abschlag an Entgeltpunkten berücksichtigt die Beklagte bei der Bewilligung der Altersrente des Klägers.

bb) Ausnahmen von der Kürzung aufgrund des Versorgungsausgleichs waren zum Zeitpunkt der Rentenbewilligung in § 4 VAHRG (in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung des Art. 24 des Gesetzes zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 9. Dezember 2004, BGBl. I, S. 3242) geregelt. Danach wurde, wenn ein Versorgungsausgleich gemäß § 1587b Abs. 1 oder 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) durchgeführt worden war und der Berechtigte vor seinem Tod keine Leistungen aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht erhalten hatte, die Versorgung des Verpflichteten oder seiner Hinterbliebenen nicht auf Grund des Versorgungsausgleichs gekürzt (Abs. 1). War der Berechtigte gestorben und wurden aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht Leistungen gewährt, die insgesamt zwei Jahresbeträge einer auf das Ende des Leistungsbezugs ohne Berücksichtigung des Zugangsfaktors berechneten Vollrente wegen Alters aus der allgemeinen Rentenversicherung aus dem erworbenen Anrecht nicht überstiegen, galt Absatz 1 entsprechend, jedoch waren die gewährten Leistungen auf die sich aus Absatz 1 ergebende Erhöhung anzurechnen (Abs. 2).

Diese Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 VAHRG waren nicht erfüllt. Denn HM hatte vom 29. September 1993 bis 31. Mai 1995 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezogen, also Leistungen aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht erhalten. Darüber hinaus hatte ihr zweiter Ehemann nach ihrem Todesfall große Witwerrente vom 1. Juni 1995 bis 31. Dezember 2012 bezogen, so dass auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 VAHRG nicht vorlagen.

b) Eine teilweise Aufhebung des Rentenbewilligungsbescheides für die Zeit vom 1. September 2009 bis zum 31. März 2015 nach § 48 Abs. 1 SGB X scheidet ebenfalls aus.

Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (Satz 1). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (Satz 2 Nr. 1).

aa) Allein das Inkrafttreten des VersAusglG zum 1. September 2009 stellt noch keine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X dar. Wesentlich in diesem Sinne ist eine Änderung nur dann, wenn der Verwaltungsakt von der Behörde nach den nunmehr vorliegenden Verhältnissen so nicht mehr erlassen werden dürfte. Zwar trifft § 37 VersAusglG für Anrechte aus der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 32 Nr. 1 VersAusglG) eine gegenüber § 4 VAHRG abweichende Regelung. Danach wird ein Anrecht der ausgleichspflichtigen Person auf Antrag nicht länger aufgrund des Versorgungsausgleichs gekürzt, wenn die ausgleichsberechtigte Person gestorben ist (§ 37 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG). Die Anpassung nach Absatz 1 findet nur statt, wenn die ausgleichsberechtigte Person die Versorgung aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht nicht länger als 36 Monate bezogen hat (Abs. 2). Da HM als ausgleichsberechtigte Person die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit keine 36 Monate bezogen hatte, liegt eine Voraussetzung für eine ungekürzte Rentengewährung an den Kläger zwar vor. Diese bedarf jedoch ausdrücklich der Stellung eines entsprechenden Antrags durch die ausgleichspflichtige Person (§ 38 Abs. 1 Satz 2 VersAusglG). Die Anpassung wirkt erst ab dem ersten Tag des Monats, der auf den Monat der Antragstellung folgt (§ 38 Abs. 2 i.V.m. § 34 Abs. 3 VersAusglG). Eine wesentliche Änderung tritt daher nicht schon mit Inkrafttreten des VersAusglG oder dem Tode der ausgleichsberechtigten Person ein, sondern erst mit dem ersten Tag des auf die Antragstellung folgenden Monats. Eine rückwirkende Anpassung ist damit ausdrücklich ausgeschlossen. Da der Kläger den Antrag erst am 30. März 2015 bei der Beklagten stellte, wirkte die Anpassung erst ab dem 1. April 2015, wie von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden umgesetzt.

Dem Kläger ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Antragsfrist nach § 34 Abs. 3 VersAusglG zu gewähren. War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Dabei kann der Senat offenlassen, ob § 27 Abs. 1 SGB X für die Frist des § 34 Abs. 3 VersAusglG überhaupt gilt oder wegen der ausdrücklichen Regelung über die nur zukunftsgerichtete Anpassung nach § 27 Abs. 5 SGB X ausgeschlossen ist. Der Kläger war jedenfalls nicht im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X ohne Verschulden gehindert, diese Frist einzuhalten, d.h. den Antrag auf Anpassung rechtzeitig zu stellen. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen. Nach diesem Grundsatz gelten Gesetze mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann diese tatsächlich davon Kenntnis erhalten haben. Eine Unkenntnis des Rechts und der Befristung seiner Ausübung, die im Gesetz geregelt ist, vermag daher eine Wiedereinsetzung nicht zu rechtfertigen (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 6. Mai 2010 – B 13 R 44/09 R – juris, Rn. 24 m.w.N.)

bb) Der Kläger ist auch nicht aufgrund des sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte er die Anpassung rechtzeitig zum 1. September 2009 beantragt.

Dieser von der Rechtsprechung entwickelte Anspruch hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 Erstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB I]) verletzt hat, dass des Weiteren zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht und darüber hinaus der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann (vgl. zum Ganzen BSG, Urteile vom 1. April 2004 – B 7 AL 52/03 R – juris, Rn. 37 m.w.N.).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Es fehlt bereits an einem pflichtwidrige Verwaltungshandeln der Beklagten. Die Beklagte hat die ihr obliegenden Beratungspflichten nicht verletzt.

(1) Die Beratung hat grundsätzlich ein Begehren des ratsuchenden Versicherten zur Voraussetzung. Auch ein konkludentes Begehren reicht insoweit aus. Unter Umständen kann der Leistungsträger auch zur Spontanberatung, also einer Beratung von Amts wegen, verpflichtet sein. Voraussetzung hierfür ist zunächst ein nach objektiven Kriterien zu bewertender konkreter Anlass. Die spontane Beratungspflicht des Leistungsträgers besteht nur bei einem engen und konkreten Verhältnis zwischen Bürger und Verwaltung, beispielsweise im Zusammenhang mit einem laufenden oder zum Abschluss gekommenen Verwaltungsverfahren, das nicht auf Beratung zielt, z.B. bei Beitrags-, Leistungsfeststellungs-, Kontenklärungs- oder Rechtsmittelverfahren, wenn die nicht unwahrscheinliche Möglichkeit eines Rechtsverlustes droht. Ein konkreter Anlass für eine Spontanberatung kann sich im Verlauf weitgehend automatisierter Verwaltungsabläufe oder Verwaltungsverfahren in der Regel nicht ergeben. Auch die bloße Gesetzesänderung reicht ohne weitere Umstände nicht aus (zum Ganzen Knecht in Hauck/Noftz, SGB I, Stand Juni 2010, § 14 Rn. 14, 15 m.w.N.). Nötig ist, dass sich im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens ein konkreter Anlass ergibt, den Versicherten spontan auf klar zutage liegende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und die jeder verständige Versicherte mutmaßlich nutzen würde; die Annahme eines konkreten Anlasses für die Beratung setzt im Allgemeinen voraus, dass zumindest tatsächlich eine Sachbearbeitung durch einen Mitarbeiter der Beklagten stattgefunden hat (BSG, Urteil vom 9. Dezember 1997 – 8 RKn 1/97 – juris, Rn. 17).

Ein konkretes Beratungsbegehren des Klägers über die Auswirkungen des Vorversterbens der HM auf die Anpassung seiner Altersrente im zeitlichen Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des VersAusglG und danach bis zum Antrag vom 30. März 2015 ist weder aus den vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten noch dem eigenen Vortrag des Klägers ersichtlich. Die – vom Kläger behauptete – bloße Mitteilung des Vorversterbens anlässlich des Rentenantrags mehr als vier Jahre vor Inkrafttreten der maßgeblichen Regelung reicht hierfür nicht aus. Diese Gesetzesänderung allein begründete nach den genannten Maßstäben keine Pflicht zur individuellen Spontanberatung des Klägers. Ein konkretes Verwaltungsverfahren, in dessen Rahmen einem Sachbearbeiter ein Antrag auf Anpassung nach § 37 VersAusglG als klar zutage liegende Gestaltungsmöglichkeit erkennbar gewesen wäre, hatte in zeitlicher Nähe zum Inkrafttreten des VersAusglG und danach bis zum Antrag vom 30. März 2015 nicht stattgefunden. Solches wurde vom Kläger bis zuletzt im Berufungsverfahren nicht behauptet und ist aus den vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich. Nach den vorgelegten Verwaltungsakten über den Kläger bestand zwischen Oktober 2005 und dem Antrag vom 30. März 2015 kein Kontakt, der eine solche Sachbearbeitung ausgelöst hätte. Es erfolgten lediglich Rentenanpassungen sowie Anpassungen des Beitragssatzes der Kranken- und Pflegeversicherung.

(2) Die Beklagte hat auch die aus § 115 Abs. 6 SGB VI resultierende Hinweispflicht nicht verletzt.

Danach sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen. Die Rentenversicherungsträger können in gemeinsamen Richtlinien bestimmen, unter welchen Voraussetzungen solche Hinweise erfolgen sollen. Diese Hinweispflicht kommt grundsätzlich als eine dem Rentenversicherungsträger obliegende Pflicht in Betracht, deren Verletzung einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründen kann. § 115 Abs. 6 SGB VI regelt einen Sonderfall der Spontanberatung und begründet eine Hinweispflicht des Rentenversicherungsträgers nicht nur ohne ein konkretes Beratungsersuchen, sondern auch ohne den Anlass einer konkreten Sachbearbeitung. Für die Versicherungsträger besteht aufgrund des § 115 Abs. 6 SGB VI nur dann eine Pflicht, ihre Versicherten auf Leistungen hinzuweisen, wenn die maßgeblichen Daten wie Geburtsdaten, Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wie insbesondere der Wartezeiten in dem bei ihnen vorhandenen Datenbestand gespeichert sind (BSG, Urteil vom 14. November 2002 – B 13 RJ 39/01 R – juris, Rn. 32 ff m.w.N.).

Die Daten, die eine Antragstellung auf Anpassung nach § 37 VersAusglG als Gestaltungsmöglichkeit nahelegen könnten (insbesondere Inanspruchnahme einer Leistung aus den übertragenen Anwartschaften sowie deren Dauer), waren im Versicherungskonto des Klägers bei der Beklagten nicht gespeichert. Die Beklagte konnte ihrem den Kläger betreffenden Datenbestand nicht entnehmen, dass HM die Versorgung aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht nicht länger als 36 Monate bezogen hatte. Abweichendes hat auch der Kläger nicht geltend gemacht. Da zum Zeitpunkt des Beginns der Altersrente des Klägers HM als Ausgleichsberechtigte bereits verstorben war und sich nach dem damals geltenden Recht des § 4 VAHRG keine Auswirkungen hieraus auf die Rente des Klägers ergaben, war die Beklagte auch nicht verpflichtet, das Versicherungskonto der HM mit dem des Klägers zu verknüpfen (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7. Januar 2013 – L 3 R 274/12 – juris, Rn. 37). Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des VersAusglG und in der Folgezeit bis zum 30. März 2015 fehlten mithin – ohne fehlerhaftes Verwaltungshandeln der Beklagten – die eine Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 SGB VI auslösenden Daten im Versicherungskonto des Klägers.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

5. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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