L 12 AL 1019/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AL 3259/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 1019/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27.01.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für den Zeitraum vom 01.06.2016 bis 20.06.2016.

Der Kläger ist seit 1989 als Facharbeiter im Produktionsbereich bei der E. GmbH (E.) beschäftigt. Er bezog vom 07.07.2015 bis 12.10.2015 und vom 04.11.2015 bis 31.05.2016 Krankengeld, vom 13.10.2015 bis 03.11.2015 bezog er Übergangsgeld. Die Arbeitgeberin kündigte dem Kläger mit Schreiben vom 25.02.2016 fristgerecht zum 30.09.2016. Hierbei stellte sie ihn widerruflich von der Erfüllung seiner Arbeitspflicht frei. Am 30.05.2016 bot der Kläger der Arbeitgeberin seine Leistungen ab 01.06.2016 wieder an, führte aber unter Vorlage entsprechender medizinischer Befundberichte aus, dass er nur noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten, zeitweise im Stehen und Gehen aber überwiegend im Sitzen vollschichtig ausüben könne. Die Arbeitgeberin lehnte seine Arbeitsleistung ab, da kein leidensgerechter Arbeitsplatz zur Verfügung stehe.

Hierauf meldete sich der Kläger umgehend zum 01.06.2016 arbeitslos und beantragte am 15.06.2016 rückwirkend die Gewährung von Arbeitslosengeld bei der Beklagten. In einem Telefonat am 05.07.2016 teilte die Arbeitgeberin der Beklagten mit, dass für den Zeitraum vom 01.06.2016 bis 20.06.2016 ein ärztliche Attest vorgelegen habe, das schweres Heben und Tragen, Überkopfarbeiten und Ähnliches ausgeschlossen habe; eine Krankmeldung sei aber nicht vorgelegt worden. Dem Kläger sei gesagt worden, dass keine passende Arbeit für ihn zur Verfügung stehe. Am 21.06.2016 habe der Kläger ein neues Attest vorgelegt, wonach die Krankheit nun ausgeheilt sei. Seit diesem Tag arbeite er wieder. Der Kläger nahm am 21.06.2016 seine Arbeit bei der Firma E. an einem anderen Arbeitsplatz, der seiner gesundheitlichen Situation entsprach, wieder auf. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld mit Bescheid vom 05.07.2016 ab. Der Kläger sei nur widerruflich freigestellt worden und somit nicht beschäftigungslos im Sinne des Sozialversicherungsrechts.

Gegen den Bescheid erhob der Kläger am 03.08.2016 Widerspruch. Zwar sei er lediglich widerruflich freigestellt worden, tatsächlich habe er aber aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr im Betrieb eingesetzt werden können, sodass er beschäftigungslos gewesen sei. Der Kläger legte E-Mails der Arbeitgeberin vor, aus denen sich ergab, dass kein leidensgerechter Arbeitsplatz angeboten werden könne und eine Freistellung bei Fortzahlung der Bezüge außerhalb der Urlaubstage nicht in Betracht komme.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2016 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Bei einer widerruflichen Freistellung bestehe das Beschäftigungsverhältnis weiter, da der Arbeitgeber jederzeit auf die Arbeitskraft des Arbeitnehmers zugreifen könne. Der Arbeitnehmer sei somit gar nicht in der Lage, eine Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber zu suchen.

Der Kläger hat am 16.08.2016 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Die seitens der Arbeitgeberin ausgesprochene widerrufliche Freistellung sei für das vorliegende Verfahren ohne Belang. Es handle sich vielmehr um einen Fall des Annahmeverzuges der Arbeitsleistung nach längerer Erkrankung. Die Arbeitgeberin habe ihm, nachdem er austherapiert gewesen sei, mitgeteilt, dass er keinen Arbeitsplatz habe, auf dem er leidensgerecht eingesetzt werden könne. Letztlich hätte im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens geklärt werden müssen, ob er tatsächlich nicht ab dem 01.06.2016 von der Beklagten (gemeint wohl: der Arbeitgeberin) hätte beschäftigt werden können; dies sei nicht ausgeschlossen, da die Beklagte (gemeint wohl: die Arbeitgeberin) auch viele Frauen beschäftige, die nicht in Nachtschicht arbeiteten und keine schweren Lasten heben müssten. Es sei für die Beratungspraxis seines Bevollmächtigten von ganz erheblicher Bedeutung, ob einem Mandanten bei Vorliegen eines derartigen Sachverhaltes angeraten werden könne, seine Arbeitsleistung gegenüber dem Arbeitgeber im Rahmen seines beschränkten Leistungsvermögens anzubieten und ihm gleichfalls mitgeteilt werden könne, dass er Anspruch auf Arbeitslosengeld I habe, da die Anspruchsvoraussetzungen (insbesondere kein Beschäftigungsverhältnis) vorlägen.

In der mündlichen Verhandlung am 21.01.2017 hat das SG die Personalleiterin der Arbeitgeberin, Frau R., als Zeugin vernommen. Diese hat ausgesagt, dass sie zwar nicht wisse, warum die Kündigung widerruflich ausgesprochen worden sei, dass es jedoch hätte sein können, dass jederzeit eine Stelle hätte frei werden können, auf der der Kläger hätte eingesetzt werden können.

Mit Urteil vom 27.01.2017, zugestellt am 15.02.2017, hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei nicht beschäftigungslos i.S.d. SGB III gewesen. Beschäftigungslosigkeit setze zwingend voraus, dass der Arbeitgeber auf seine Verfügungsbefugnis verzichtet habe. Hierfür müsse er zum Zeitpunkt der Freistellung tatsächlich endgültig auf seine Verfügungsbefugnis gegenüber dem Arbeitnehmer verzichten und somit zu erkennen geben, dass er trotz Fortbestand des Arbeitsverhältnisses die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr verlange.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 15.03.2017 beim Landessozialgericht eingelegten Berufung. Die Arbeitgeberin habe das Arbeitsverhältnis am 25.02.2016 zum 30.09.2016 ordentlich gekündigt. Während des Kündigungsschutzprozesses habe die Arbeitgeberin den Standpunkt eingenommen, er könne die geforderten Leistungen auf Dauer nicht mehr erbringen, andere Beschäftigungsmöglichkeiten gebe es nicht. Auch sein Angebot, ab 01.06.2016 wieder mit der Arbeit zu beginnen, habe die Arbeitgeberin aus den genannten Gründen abgelehnt. Die Arbeitgeberin habe ab 01.06.2016 auch kein Arbeitsentgelt mehr zahlen wollen. Als er den Antrag bei der Beklagten gestellt habe, habe er nicht ahnen können, dass er von seiner Arbeitgeberin zum 21.06.2016 wieder aufgefordert werden würde, zur Arbeit zu erscheinen. Die Arbeitgeberin würde, dies sei seinem Bevollmächtigten aus vielen Streitigkeiten bekannt, formularmäßig immer nur widerrufliche Freistellungen erteilen. Er habe auch immer erklärt, kein Arbeitsentgelt zahlen zu wollen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei der leistungsrechtliche Beschäftigungsbegriff eng auszulegen, um dem Interesse des Arbeitslosen an der Sicherung seiner Existenzgrundlage gerecht zu werden, so dass auch bei Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses in aller Regel Beschäftigungslosigkeit gegeben sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27.01.2017 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 05.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.08.2016 zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 01.06.2016 bis 20.06.2016 Arbeitslosengeld zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, der Kläger sei nicht beschäftigungslos gewesen und habe deshalb keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Eine Beschäftigung im leistungsrechtlichen Sinn sei gekennzeichnet durch die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers und die Dienstbereitschaft des Arbeitnehmers. Aus den Schriftsätzen gegenüber dem Arbeitsgericht lasse sich entnehmen, dass der Kläger durchgängig dienstbereit gewesen sei. Die Arbeitgeberin des Klägers habe diesen nur widerruflich freigestellt und somit nicht auf ihr Weisungsrecht verzichtet.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat ausdrücklich auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die Leistungsakten der Beklagten Bezug.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig; Berufungsausschließungsgründe greifen nicht ein (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) wurden beachtet. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, der Bescheid der Beklagten vom 05.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger hat für die Zeit vom 01.06.2016 bis 20.06.2016 keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Nach § 137 Abs. 1 SGB III hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer arbeitslos ist (1.), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (2) und die Anwartschaftszeit erfüllt hat (3.).

Zwar hat der Kläger sich bei der Beklagten arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt, jedoch war er nicht arbeitslos i.S.d. § 137 Abs. 1 Nr. 1 SGB III. Die Arbeitslosigkeit bestimmt sich nach § 138 Abs. 1 SGB III. Danach ist Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (§ 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III).

Der Kläger war jedoch nicht beschäftigungslos. Die Beschäftigungslosigkeit im leistungsrechtlichen Sinn bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen, unabhängig von der Frage der arbeitsrechtlichen Gestaltung (BSG, Urteil vom 03.06.2004 – B 11 AL 70/03 R –, juris; Öndül, in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 1. Aufl. 2014, § 138 SGB III Rn. 28). Wie sich aus der andernfalls überflüssigen Ruhensvorschrift für Ansprüche auf Arbeitslosengeld während des Bezugs von Arbeitsentgelt nach § 157 Abs. 1 SGB III ergibt, ist Beschäftigungslosigkeit mit der tatsächlichen Nichtbeschäftigung des Versicherten unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des Arbeitsrechts zu definieren (BSG, Urteil vom 25.04.2002 – B 11 AL 65/01 R –, juris). Ein Beschäftigungsverhältnis ist somit schon dann zu verneinen, wenn das bisherige Beschäftigungsverhältnis – bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses – sein tatsächliches Ende gefunden hat (BSG, Urteil vom 03.06.2004, a.a.O.). Ob tatsächlich kein Beschäftigungsverhältnis mehr gegeben ist, hängt damit unabhängig von einem bestehenden Arbeitsverhältnis und der Dienstbereitschaft des Arbeitnehmers davon ab, ob die Arbeitsleistung nicht mehr erbracht wird, weil der Arbeitgeber auf seine Verfügungsbefugnis ausdrücklich verzichtet hat (vgl. BSG, Urteil vom 05.02.1998 – B 11 AL 55/97 R–, juris) oder das Arbeitsverhältnis auf Grund einer von ihm ausgesprochenen Kündigung als beendet ansieht und weitere Dienste des Arbeitnehmers nicht annimmt (BSG, Urteil vom 04.11.1999 – B 7 AL 72/98 R –, juris) und somit zumindest konkludent auf sein Direktionsrecht verzichtet.

Beschäftigungslosigkeit setzt damit, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, zwingend voraus, dass der Arbeitgeber auf seine Verfügungsbefugnis verzichtet hat. Hierfür muss er zum Zeitpunkt der Freistellung tatsächlich endgültig auf seine Verfügungsbefugnis gegenüber dem Arbeitnehmer verzichten und somit zu erkennen geben, dass er trotz des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr verlangt. Dies ist bei einer widerruflichen Freistellung ersichtlich nicht der Fall, weil sich der Arbeitgeber dann gerade (die Rechtsmacht) vorbehält, die Arbeitskraft des Arbeitnehmers und damit die ihm geschuldete Arbeitsleistung doch noch abzurufen (vgl. BSG, Beschluss vom 21.08.1997 – 12 BK 63/97 –; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.02.2010 – L 1 AL9/09 –, beide juris).

Eine solche widerrufliche Freistellung wurde in der Kündigung der Arbeitgeberin vom 25.02.2016 ausgesprochen. Ergänzend zu den Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil, auf die der Senat nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug nimmt und insofern von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absieht, weist der Senat darauf hin, dass die Arbeitgeberin hier nicht auf ihr Direktionsrecht gegenüber dem Kläger verzichtet hat. Die Zeugin R. (Personalleiterin der Arbeitgeberin) hat im erstinstanzlichen Verfahren ausgesagt, dass sie zwar nicht wisse, warum die Kündigung widerruflich ausgesprochen worden sei, dass es jedoch hätte sein können, dass jederzeit eine Stelle hätte frei werden können, auf der der Kläger hätte eingesetzt werden können. Dass bei der Arbeitgeberin grundsätzlich für den Kläger leidensgerechte Stellen vorhanden waren, die möglicherweise nur besetzt waren, hat der Kläger selbst im Klageverfahren angegeben. Somit ist nicht ersichtlich, warum die Arbeitgeberin, entgegen dem Wortlaut des Kündigungsschreibens auf ihr Direktionsrecht gegenüber dem Kläger verzichtet haben sollte. Letztlich hat die Arbeitgeberin sogar von ihrem Direktionsrecht Gebrauch gemacht und den Kläger ab 21.06.2016 nicht nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, sondern sogar noch darüber hinaus weiter leidensgerecht beschäftigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §193 Abs. 1 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen bestehen nicht (§ 161 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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