L 8 SB 1704/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 7139/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1704/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.03.2017 abgeändert und der Beklagte verurteilt, bei der Klägerin den Grad der Behinderung mit 30 seit dem 25.11.2016 festzustellen. Im Übrigen wird die Klage der Klägerin abgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin ein Viertel ihrer außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens zu erstatten. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welcher Höhe bei der Klägerin der Grad der Behinderung (GdB) festzustellen ist.

Die 1964 geborene Klägerin beantragte am 08.03.2013 beim Landratsamt E. (LRA) erneut die Feststellung des GdB ab Antragstellung. Sie machte psychiatrische Störungen geltend.

Das LRA nahm medizinische Unterlagen zu den Akten (Ärztlicher Entlassungsbericht der M.-B.-Klinik K. vom 16.12.2010, Diagnosen: Mittelgradige depressive Episode und Migräne ohne Aura; Bericht Dr. N. vom 25.02.2012, Diagnosen: Benigne familiäre Hämaturie und Niereninsuffizienz Stadium 2; Berichte Dr. H. vom 27.09.2012 und 15.02.2013, Diagnosen: Lumboischialgien rechts bei statisch initial degenerativem Lendenwirbelsäulen-Syndrom, V.a. petechiale Blutungen des Unterschenkels rechts bei Varikosis, LWS: Rechtsskoliose, Hyperlordose und Spondylarthrosen L5/S1, Spreizfußmetatarsalgie II-IV rechtsbetont, Hallux rigidus rechts, Ausschluss schwergradiger Hüftgelenksschäden bds.; Zwischenbericht Dr. C. vom 04.12.2012; Bericht Dr. C. vom 26.02.2013, Diagnosen: Chronisch venöse Insuffizienz, Varikose bds., komplette Stammvarikose der Vena saphena magna bds. mit Seitenastvarikose). Außerdem holte das LRA den Befundbericht des Dr. C. vom 09.04.2013 ein. In der gutachtlichen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes des Beklagten vom 08.06.2013 schlug Dr. F. den Gesamt-GdB mit 20 vor.

Mit Bescheid vom 02.07.2013 stellte das LRA bei der Klägerin entsprechend der gutachtlichen Stellungnahme von Dr. F. den GdB mit 20 seit 08.03.2013 fest.

Gegen den Bescheid vom 02.07.2013 legte die Klägerin am 25.07.2013 Widerspruch ein. Sie machte zur Begründung geltend, bei ihr sei die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen. Für die Depression käme ein GdB von 40 und für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule ein GdB von 20 in Betracht. Für die chronisch-venöse Insuffizienz sowie die Varikose bds. und die komplette Stammvarikose der Vena saphena magna sei ein GdB von 20 bis 30 in Ansatz zu bringen.

In der weiteren gutachtlichen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes des Beklagten vom 18.10.2013 schlug Dr. S. wegen einer Depression (GdB 20) sowie einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und chronischem Schmerzsyndrom (GdB 10) den Gesamt-GdB weiterhin mit 20 vor. Die Niereninsuffizienz und die Varikosis bedingten einen GdB von unter 10.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2013 wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Auswertung der ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen keinen höheren GdB als 20 begründen könnten.

Hiergegen erhob die Klägerin am 18.12.2013 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Sie wiederholte zur Begründung im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und machte ergänzend geltend, auch die Niereninsuffizienz bedinge einen GdB. Die Klägerin legte im Verlauf des Klageverfahrens den ärztlichen Entlassungsbericht der M.-B.-Klinik vom 03.03.2015 vor.

Das SG hörte von der Klägerin benannte behandelnde Ärzte - unter Übersendung der gutachtlichen Stellungnahme des Dr. S. vom 18.10.2013 - schriftlich als sachverständige Zeugen an. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. C. teilte in seiner Aussage vom 16.05.2014 den Behandlungsverlauf, die Befunde und Diagnosen mit. Er erachtete einen GdB von 20 für angemessen. Die Ärztin L. teilte in ihrer Aussage vom 11.06.2014 den Behandlungsverlauf, die Befunde und Diagnosen mit. Im Vergleich zur Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten schätze sie die Einschränkungen als etwas schwerwiegender ein.

Der Beklagte unterbreitete der Klägerin daraufhin ein Vergleichsangebot dahin, den GdB mit 30 ab 09.09.2013 festzustellen (Schriftsatz vom 19.08.2014 unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. A. vom 18.08.2014). Dieses Vergleichsangebot nahm die Klägerin nicht an (Schriftsatz vom 17.09.2014).

Das SG hörte weitere von der Klägerin benannte behandelnde Ärzte - unter Übersendung der gutachtlichen Stellungnahme des Dr. S. vom 18.10.2013 - schriftlich als sachverständige Zeugen an. Der Phlebologe Dr. R. teilte in seiner Aussage vom 30.10.2014 - unter Vorlage medizinischer Befundunterlagen - den Behandlungsverlauf sowie die Diagnosen und Befunde mit. Er teilte die Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten auf seinem Fachgebiet (Varicosis). Der Orthopäde Dr. H. teilte in seiner Aussage vom 09.12.2014 - unter Vorlage medizinischer Befundunterlagen - den Behandlungsverlauf, die Befunde und Diagnosen mit. Er bewertete für ein Wirbelsäulenleiden der Klägerin den GdB mit 30.

Der Beklagte unterbreitete daraufhin der Klägerin ein Vergleichsangebot dahin, den GdB mit 40 ab 06.03.2013 festzustellen (Schriftsatz vom 6. 20.02.2015 unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K. vom 25.02.2015, der wegen einer Depression - GdB 30 -, einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und chronischem Schmerzsyndrom - GdB 20 - sowie einer chronisch-venösen Insuffizienz der Beine beidseitig - GdB 10 - den Gesamt-GdB mit 40 vorschlug). Auch dieses Vergleichsangebot des Beklagten nahm die Klägerin nicht an (Schriftsatz vom 17.03.2015). Es sei davon auszugehen, dass bei ihr ein GdB von 50 vorliege. Sie trug ergänzend vor, die chronische Nierenkrankheit sei bislang nicht berücksichtigt. Des Weiteren habe ihr HNO-Arzt eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit auf dem linken Ohr diagnostiziert.

Das SG hörte den von der Klägerin benannte HNO-Arzt PD Dr. S. schriftlich als sachverständigen Zeugen an. Dr. S. teilte in seiner Aussage vom 09.04.2015 den Behandlungsverlauf, die Diagnosen und Befunde mit. Auf der Grundlage tonaudiometrischer Untersuchungen (vom 05.03.2015 und 16.12.2013) bewertete er auf seinem Fachgebiet den GdB mit 35.

Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K. vom 26.06.2015, der als neue zu berücksichtigende Beeinträchtigung eine Schwerhörigkeit beidseits mit einem GdB von 20 ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB vorschlug, weiter entgegen (Schriftsatz vom 30.06.2015).

Die Klägerin machte unter Vorlage des Reha-Berichtes der M.-B.-Klinik vom 03.03.2015 geltend, es sei nicht nachvollziehbar, dass ihr nicht ein Gesamt-GdB von 50 zu gewähren sei. Sie berief sich ergänzend darauf, dass in einem von ihr beim SG parallel geführten Rentenverfahren (S 12 R 2248/14) ein Gutachten von Dr. H. eingeholt worden sei (Schriftsatz vom 10.07.2015).

Das SG nahm das im Rentenrechtsstreit eingeholte nervenärztliche Gutachten des Dr. H. vom 25.04.2015 zur Gerichtsakte, in dem Dr. H. die Klägerin für noch in der Lage ansah, in leichten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 6 Stunden und länger täglich erwerbstätig zu sein.

Der Beklagte reduzierte sein Vergleichsangebot dahin, den GdB mit 30 ab 01.01.2015 festzustellen (Schriftsatz vom 14.12.2015). Der Beklagte legte die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. R. vom 10.12.2015 vor, in der wegen einer seelischen Störung, chronischem Schmerzsyndrom und Migräne (Teil-GdB 20), degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (Teil-GdB 10), einer chronisch-venösen Insuffizienz bds. (Teil-GdB 10) sowie einer Schwerhörigkeit beidseitig (Teil-GdB 20) der Gesamt-GdB mit 30 ab 1/2015 vorgeschlagen wurde. Dieses Vergleichsangebot nahm die Klägerin wiederum nicht an (Schriftsätze vom 22.12.2015 und 19.05.2016).

Anschließend holte das SG (von Amts wegen) das orthopädische Gutachten des Dr. D. vom 20.12.2016 ein. Dr. D. diagnostizierte in seinem Gutachten endgradige Bewegungseinschränkungen der Hals-, Brust-und Lendenwirbelsäule (Gesamt-Bewegungseinschränkung jeweils knapp 10 %) bei fehlenden sensiblen oder motorischen Nervenwurzelreizerscheinungen (GdB 20) sowie eine endgradig eingeschränkte Seitwärtsbewegungen und Vorwärtsbewegung in den Schultereckgelenken aufgrund auftretender Schmerzen im Brustkorb (kein GdB). Eine endgradige Bewegungseinschränkung in den Hüft- und Kniegelenken sei im GdB von 20 eingeschlossen und bedinge selbst keinen zusätzlichen GdB. Unter Einbeziehung einer seelischen Störung, chronischem Schmerzsyndrom und Migräne (GdB 20), einer chronisch-venösen Insuffizienz beidseits (GdB 10) sowie einer Schwerhörigkeit beidseits (GdB 20) schätzte Dr. D. den Gesamt-GdB auf 40 seit März 2013 ein.

Der Beklagte hielt unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. vom 09.03.2017 an seiner Bewertung des GdB mit 30 ab 01.01.2015 fest (Schriftsatz vom 13.03.2017).

In der nichtöffentlichen Sitzung des SG vom 22.03.2017 wurde das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten erörtert und die Klägerin angehört. Auf die Niederschrift des SG vom 22.03.2017 wird Bezug genommen.

Mit Gerichtsbescheid vom 30.03.2017 verurteilte das SG den Beklagten, bei der Klägerin einen Grad der Behinderung von 50 seit 25.11.2016 festzustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Das SG führte zur Begründung gestützt auf das Gutachten des Dr. D. aus, die psychiatrisch-neurologische Erkrankung der Klägerin sei mit einem GdB von 30, die orthopädischen Gesundheitsbeeinträchtigungen hinsichtlich der Wirbelsäule einschließlich der Hüftgelenke, der Kniegelenke und der Schultergelenke seien mit einem GdB von 20, die Schwerhörigkeit beidseits mit einem GdB von 20 sowie die chronische-venöse Insuffizienz mit einem GdB von 10 zu bewerten. Sonstige versorgungsmedizinisch erhebliche Funktionsbeeinträchtigungen, die bei der Bildung des Gesamt-GdB zu berücksichtigen seien, seien nicht ersichtlich. Hiervon ausgehend sei ein Gesamt-GdB von 50 ab dem Zeitpunkt der Untersuchung der Klägerin bei Dr. D. anzusetzen.

Gegen den dem Beklagten am 03.04.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 28.04.2017 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 12.04.2017 vorgetragen, entsprechend dem Gutachten von Dr. D. könne zwar der GdB für das Wirbelsäulenleiden von 10 auf 20 erhöht werden. Eine Erhöhung des bereits vorgeschlagenen Gesamt-GdB von 30 ergäbe sich hieraus jedoch nicht. Soweit das SG für das psychiatrische Leiden einen GdB von 30 angenommen habe, müsse die Einschätzung des Gesamt-GdB von 50 als zu hoch angesehen werden. Es bestünden gegenseitige Überschneidungen. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass der GdB von 20 für das Wirbelsäulenleiden nicht voll ausgeschöpft sei.

Der Beklagte beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.03.2017 insoweit aufzuheben, als der Grad der Behinderung mit über 30 seit dem 25.11.2016 festgestellt wurde und im Übrigen die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hat zur Begründung vorgetragen, das SG habe zu Recht entschieden, dass bei ihr seit dem 25.11.2016 ein GdB von 50 vorliege. Das SG habe im Gerichtsbescheid äußerst detailliert und nachvollziehbar geschildert, weshalb der Gesamt-GdB 50 betrage. Sie schließe sich diesen Ausführungen voll umfänglich an. Die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. sei nicht nachvollziehbar.

Der Rechtsstreit ist durch den Berichterstatter in der nichtöffentlichen Sitzung am 10.11.2017 mit den Beteiligten erörtert worden. Hierzu wird auf die Niederschrift vom 10.11.2017 Bezug genommen.

Anschließend hat der Senat (von Amts wegen) das neurologisch-psychiatrische Hauptgutachten von Dr. S. vom 22.06.2018 sowie das HNO-ärztliche Zusatzgutachten von Dr. Z. vom 08.12.2017 eingeholt. Dr. Z. gelangte in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, bei der Klägerin sei eine Hörverminderung aufgrund der Vorbefunde und der objektiven Messergebnisse nachvollziehbar, insbesondere im Tieftonbereich. Die objektiven Hörmessungen des Gutachtens korellierten eng mit einem von PD Dr. S. am 16.12.2013 erhobenen audiometrischen Befund. Nach der Tabelle nach Feldmann ergäbe sich ein Hörverlust von 24 % rechts und 21 % links. Weiter bestehe eine Funktionsbeeinträchtigung beider Kiefergelenke links mehr als rechts im Sinne einer behandelbaren craniomandibulären Dysfunktion. Die Hörverminderung könne maximal mit einem GdB von 20 geschätzt werden, eher geringer. Bei der Kiefergelenkarthropathie, die zahnärztlich bzw. physiotherapeutisch gut behandelbar sei, müsse es sich nicht um ein dauerhaftes Geschehen handeln. Dr. Z. hat den Gesamt-GdB auf 30 geschätzt. Dr. S. diagnostizierte in seinem Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet Hinweise auf ein Migräneleiden, nicht näher spezifizierbar (GdB 10), eine seelische Minderbelastbarkeit/Dysthymia (GdB 20), eine Beschwerdeaggravation bei Rentenbegehren sowie eine histrionische Persönlichkeitsakzentuierung, sonst eine medikamentös behandelte Schilddrüsenfunktionsstörung, Beschwerden des Stütz- und Bewegungsapparates ohne relevante objektivierbare neurologische Ausfälle und auf HNO-ärztlichem Gebiet gemäß dem Gutachten von Dr. Z. eine Funktionsbeeinträchtigung beider Kiefergelenke sowie eine Hörminderung beidseits. Unter zusätzlicher Berücksichtigung eine Hörminderung beidseits (GdB 20), degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (GdB 20) und eine chronisch-venöse Insuffizienz beidseits (GdB 10) schätze Dr. S. den Gesamt-GdB auf 30 seit dem 25.11.2016 ein.

Die Klägerin hat gegen die Gutachten von Dr. S. und Dr. Z. Einwendungen erhoben (Schriftsatz vom 16.07.2018).

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt (Klägerin Schriftsatz vom 16.07.2018, Beklagte Schriftsatz vom 24.07.2018).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat den Berufungsantrag abweichend von dem in der nichtöffentlichen Sitzung am 10.11.2017 protokollierten Antrag ("seit dem 15.11.2016") entsprechend dem schriftsätzlichen Berufungsantrag des Beklagten (Schriftsatz vom 24.05.2017) gefasst, da der schriftsätzliche Berufungsantrag des Beklagten seinem tatsächlichen Berufungsbegehren entspricht. Da nur der Beklagte gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 30.03.2017 Berufung eingelegt hat, hat der Senat im vorliegenden Berufungsverfahren darüber zu befinden, ob das SG zutreffend entschieden hat, dass bei der Klägerin der GdB mit 50 seit 25.11.2016 festzustellen ist. Ob der Klägerin vor dem 25.11.2016 ein Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 20 zusteht, wie im streitgegenständlichen Bescheid vom 02.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2013 vom Beklagten festgestellt wurde, ist nicht Streitgegenstand des Berufungsverfahrens, da die insoweit im angefochtenen Gerichtsbescheid erfolgte Klageabweisung mangels Berufung der Klägerin rechtskräftig geworden ist. Die Klägerin ist deshalb auch durch den vom Senat - abweichend des in der nichtöffentlichen Sitzung am 10.11.2017 protokollierten Antrags des Beklagten - sinngemäß gefassten Berufungsantrags des Beklagten nicht beschwert.

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig und begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 30 seit 25.11.2016. Dem angefochtenen Gerichtsbescheid des SG vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Abweichend vom Gerichtsbescheid des SG ist daher bei der Klägerin entsprechend dem Berufungsantrag des Beklagten der GdB mit 30 seit dem 25.11.2016 festzustellen, weshalb der angefochtene Gerichtsbescheid entsprechend abzuändern war.

Die GdB-Bewertung richtet sich nach den Vorschriften des SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 (BGBl. I 2016, 3234), da maßgeblicher Zeitpunkt bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ist, wobei es für laufende Leistungen auf die Sach- und Rechtslage in dem jeweiligen Zeitraum ankommt, für den die Leistungen begehrt werden; das anzuwendende Recht richtete sich nach der materiellen Rechtslage (Keller in: Meyer- Ladewig, SGG, 12. Auflage, § 54 Rdn. 34). Nachdem § 241 Absatz 2 SGB IX lediglich eine (Übergangs-) Vorschrift im Hinblick auf Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz enthält, ist materiell-rechtlich das SGB IX in seiner derzeitigen Fassung anzuwenden.

Nach § 152 Absatz 1 SGB IX (§ 69 Abs. 1 und 3 SGB IX a.F.) stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB. Nach § 2 Absatz 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Geisteszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, § 2 Absatz 1 Satz 2 SGB IX. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt; eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt (§ 152 Absatz 1 Satz 6 SGB XI). Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 -9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 70 Abs. 2 SGB IX in der ab 15.01.2015 gültigen Fassung). Bis zum 14.01.2015 galten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der Fassung vom 20.06.2011) die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Hiervon hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die VersMedV erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "VG" zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden AHP getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 152 SGB IX (§ 69 a.F.)- zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 m.w.N.). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 152 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, a.a.O., RdNr 30).

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e).

Hiervon ausgehend ist sowohl unter Anwendung des SGB IX n.F. wie auch unter der Geltung des SGB IX a.F. bei der Klägerin die Feststellung des GdB von über 30 seit dem 25.11.2016 nicht gerechtfertigt.

Bei der Klägerin sind Wirbelsäulenschäden mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Nach den VG Teil B 18.9 ist bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ein Teil-GdB von 30 bis 40 gerechtfertigt. Maßgebend ist dabei, dass die Bewertungsstufe GdB 30 bis 40 erst erreicht wird, wenn mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorliegen. Die Obergrenze des GdB 40 ist danach erreicht bei schweren Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (Urteil des erkennenden Senats vom 24.01.2014 - L 8 SB 2497/11 -, veröffentlicht in juris und im Internet sozialgerichtsbarkeit.de).

Mindestens mittelgradige funktionelle Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden in einem Wirbelsäulenabschnitt, die einen Einzel-GdB von 20 rechtfertigen, sind bei der Klägerin nicht festzustellen. Nach den von Dr. D. in seinem Gutachten vom 20.12.2016 beschriebenen Wirbelsäulenbefunden ist die Halswirbelsäule der Klägerin beim Kopfvorwärtsneigen (50°) sowie beim Kopfrückwärtsneigen (45°) nicht eingeschränkt. Das Seitwärtsdrehen des Kopfes nach links ist geringradig eingeschränkt (50°), nach rechts frei (60°). Die Seitneigung des Kopfes nach rechts ist um ein Viertel (30°) sowie nach links endgradig (35°) eingeschränkt. Die Beweglichkeit der Brustwirbelsäule (Oberkörperrotation im Sitzen) liegt im unteren Normbereich (jeweils 30°), das Neigen des Oberkörpers nach rechts und links ist jeweils endgradig eingeschränkt (25°). Beim Vorwärtsneigen entfaltet sich die Brustwirbelsäule vollständig (Ott 30/32 cm). Die Lendenwirbelsäule entfaltet sich beim Vorwärtsneigen zu 75 % (Schober 10/13,5 cm) und der Brustwirbelsäulen-/Lendenwirbelsäulen-Übergang zu 50 %. Der Finger-Boden-Abstand beträgt 36 cm. Die maximale Vor- bzw. Rückneigung der Wirbelsäule ergibt eine leicht unterhalb des Normbereichs (120-150°) liegende Gesamtbeweglichkeit im Stehen von 105°. Ein Ischias-Dehnungsschmerz besteht nicht. Die paravertebrale Rückenmuskulatur ist in allen Wirbelsäulenabschnitten ordnungsgemäß ausgeprägt und zeigt einen regelrechten Muskeltonus (keinen Muskel-Hartspann). Die Kraftprüfung der Kennmuskulatur C5 bis C8 ergibt eine regelrechte Kraftentfaltung (5/5). Bei der neurologischen Untersuchung der unteren Extremitäten zeigte sich kein Hinweis für ein motorisches oder sensibles Nervenwurzelreizsyndrom seitens globaler Spinalnerven. Danach sind bei der Klägerin lediglich leichte funktionelle Auswirkungen in drei Wirbelsäulenabschnitten festzustellen, die einen Einzel-GdB von insgesamt 10 rechtfertigen. Soweit Dr. D. in seinem Gutachten vom 20.12.2016 die funktionell (leichten) Auswirkungen der Wirbelsäulenschäden in der Gesamtschau pauschal mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitts gleichsetzt, und deswegen einen Einzel-GdB von 20 für gerechtfertigt erachtet, wobei er die Funktion der Wirbelsäule nicht betreffende endgradige Bewegungseinschränkungen der Hüft- und Kniegelenke mit in seine Bewertung des GdB mit 20 einbezieht, entspricht dies nicht den GdB-Bewertungsvorgaben der VG. Eine nachvollziehbare Begründung, weshalb bei der Klägerin in der Gesamtschau die Bewegungseinschränkungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule mit mittelgradigen Auswirkungen eines Wirbelsäulenabschnitts gleichgesetzt werden können, lässt sich dem Gutachten von Dr. D. nicht entnehmen, weshalb sich der Senat der Bewertung des GdB durch Dr. D. nicht anzuschließen vermag. Auch der Beklagte hat (im Berufungsverfahren) den Einzel GdB von 20 für das Wirbelsäulenleiden der Klägerin als nicht voll ausgefüllt angesehen, wie er zur Berufungsbegründung vorgetragen hat.

Sonstige auf orthopädischem Gebiet bestehende Funktionsbeeinträchtigungen der oberen sowie unteren Extremitäten der Klägerin, die einen Einzel-GdB von mindestens 10 rechtfertigen, sind nicht festzustellen. Nach dem Gutachten von Dr. D. bestehen bei der Klägerin hinsichtlich der oberen Extremitäten keine GdB-relevante Beeinträchtigungen. Nach den Befundbeschreibungen von Dr. D. ist die Beweglichkeit beider Schultergelenke lediglich endgradig eingeschränkt (Arm seitwärts/körperwärts rechts 150-0-20°, links 155-0-20°; Arm rückwärts/vorwärts 30-0-130° beidseits). Eine nach den VG GdB-relevante Bewegungseinschränkung der Schultergelenke der Klägerin ist danach nicht festzustellen. Eine Bewegungseinschränkung in den Ellenbogen-, Hand- und Fingergelenken besteht beidseits nicht. Die Muskulatur im Bereich beider Schultergürtel, Ober- und Unterarme sowie im Bereich beider Hände ist regelrecht kräftig ausgeprägt mit nur diskreter Muskelmehrbemantelung der rechten Extremität. Sonst nach den VG Teil B 18.13 zu berücksichtigende Schäden (zum Beispiel Instabilität, Pseudarthrose, Nervenausfälle) sind bei der Klägerin nach den Befundbeschreibungen im Gutachten von Dr. D. nicht festzustellen. Entsprechendes ist nach dem Gutachten von Dr. D. auch hinsichtlich der unteren Extremitäten festzustellen. Danach zeigt sich lediglich eine nach den VG Teil B 18.14 noch nicht GdB-relevant eingeschränkte Beweglichkeit der Hüftgelenke (Streckung/Beugung 5-0-90° beidseits) sowie eine nicht GdB-relevante endgradig Beugeeinschränkung beider Kniegelenke (Streckungen/Beugung 0-0-110° beidseits). Die Beweglichkeit in den Sprung- und Zehengelenken ist seitengleich nicht eingeschränkt. Zehengang, Fersenstand, sowie Einbeinstand kann die Klägerin regelrecht vorführen. Der Barfußgang auf ebenem Boden ist zwar etwas verlangsamt, jedoch kleinschrittig und sicher. Beim Versuch des vollständigen (tiefen) Hocksitz werden die Kniegelenke wegen Schmerzen in der Lendenwirbelsäule nur bis 60° gebeugt. Die klinische Untersuchung beider Kniegelenke hat regelrechte Untersuchungsergebnisse erbracht (insbesondere kein Anhalt für Ergussbildung, stabiler Kapselbandapparat, keine Meniskuszeichen und kein Hinweis für Kreuzbandlockerungen jeweils beidseits). Auch Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 22.06.2018 alle Gelenke der oberen und unteren Extremitäten der Klägerin als aktiv beweglich beschrieben. Zwar nennt Dr. S. eine deutliche Einschränkung der Schulterbeweglichkeit beidseits, wobei der Schürzen- und Nackengriff als endgradig nicht möglich beschrieben wird. Später beim Beklopfen der Wirbelsäule war die Klägerin jedoch in der Lage, mit den Fingern der linken Hand auf Stellen der Wirbelsäule zu zeigen, wo diese klopfschmerzhaft sei und hat Areale an der Halswirbelsäule, der Brustwirbelsäule und der Lendenwirbelsäule umfahren, wie Dr. S. in seinem Gutachten beschrieben hat. Dr. S. beschreibt die Kooperation der Klägerin bei ihrer körperlichen Untersuchung als im Wesentlichen nicht gegeben. Nach den Ausführungen von Dr. S. ergaben sich deutliche Hinweise auf eine Aggravation bzw. Simulation, insbesondere bei der Prüfung der Motorik und der Koordination. Für den Senat bestehen deshalb erhebliche Zweifel daran, dass die Schulterbeweglichkeit der Klägerin dauerhaft tatsächlich deutlich im GdB-relevanten Ausmaß eingeschränkt ist. Eine Beeinträchtigung der Klägerin hinsichtlich der oberen und unteren Extremitäten, die einen Einzel-GdB von mindestens 10 rechtfertigt, ist danach nicht festzustellen. Hiervon gehen auch Dr. D. sowie Dr. S. in ihren Gutachten aus.

Die Hörstörung der Klägerin ist allenfalls mit einem Einzel-GdB von 15 zu bewerten. Nach dem Gutachten von Dr. Z. vom 08.12.2017 ist bei der Klägerin eine Schwerhörigkeit (Hörverlust), die nach den VG Teil B 5.2 einen Teil-GdB von 20 (oder höher) rechtfertigt, nicht festzustellen. Nach den Beschreibungen von Dr. Z. in seinem Gutachten war die Befunderhebung zur Feststellung eines Hörverlustes (durch das Verhalten der Klägerin) trotz Unterstützung durch eine medizinische Fachangestellte türkischer Staatsangehörigkeit, die die deutsche und die türkische Sprache fließend spricht, erschwert. So hat die Klägerin hinsichtlich der audiologischen Befunderhebung beim Stimmgabelversuch nach Weber überraschende Angaben gemacht, wie Dr. Z. in seinem Gutachten beschrieben hat. Laut den - trotz der in die türkische Sprache übersetzten Aufforderung der maximalen Konzentration durch die hinzugezogene Fachangestellte - subjektiven Angaben der Klägerin bestünde nach den Ausführungen von Dr. Z. laut gemitteltem Tonaudiogrammen ein Hörverlust rechts von 63 % und links von 95 %. Ein Sprachaudiogramm konnte nach den Ausführungen von Dr. Z. aufgrund vermeintlicher Sprachschwierigkeiten nicht vollumfänglich angewandt werden, obwohl bei der Untersuchung der Klägerin während der Anamnese der Eindruck entstanden ist, dass die Klägerin die deutsche Sprache recht gut versteht und auch sprechen kann. Objektive Hörmessungen wie auch das von der Klägerin bei ihrer Untersuchung gezeigte Hörvermögen lassen den Schluss zu, dass eine Hörverminderung, wie sie von der Klägerin (im Tonaudiogramm) angegeben wird, nicht vorliegen kann, wie Dr. Z. in seinem Gutachten ausführlich dargestellt hat. Nach der Hirnstammaudiometrie kann im Frequenzbereich 2-4 kHz die Hörschwelle rechts nicht schlechter als 30 dB betragen. Dies gilt auch für eine Hörminderung links. Nach den otoakustischen Emissionen beträgt das Hörvermögen der Klägerin im Tieftonbereich schlechter als 30 dB beidseits, dagegen im Frequenzbereich von 1,25-4,5 kHz ist die Hörverminderung nicht schlechter als 30 dB beidseits. Auch die Impedanzmessungen lassen den Schluss zu, dass keine Hörverminderung vorliegen kann, wie sie von der Klägerin subjektiv demonstriert worden ist. Dagegen spricht auch das von Dr. Z. in seinem Gutachten beschriebene und von der Klägerin während der Untersuchung gezeigte Hörvermögen. Danach hat die Klägerin insbesondere bei der Untersuchung mit der Frenzelbrille in Ablenkung durch Dr. Z. Flüstersprache verstehen können. Auch sonst ist die Klägerin, trotz entgegenstehender Behauptung bei der Untersuchung, nach den Feststellungen von Dr. Z. in der Lage, Sprache in der Lautstärke der Umgangssprache auf 2 Meter Entfernung zu verstehen, ohne von den Lippen ablesen zu müssen. Auch das Sprachverhalten der Klägerin bei der Untersuchung spricht gegen den subjektiv angegebenen Hörverlust (keine erhöhte Stimmlautstärke), wie Dr. Z. in seinem Gutachten nachvollziehbar ausgeführt hat. Auch nach den Beschreibungen von Dr. S. im Gutachten vom 22.06.2018 versteht die Klägerin ohne Hörgeräte Umgangssprache in Zimmerlautstärke im Wesentlichen gut bis zeitweilig sehr gut. Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen von Dr. Z. in seinem Gutachten kann bei der Klägerin damit (zu ihren Gunsten) allenfalls ein Hörverlust von 24 % rechts und 21 % links festgestellt werden, wovon Dr. Z. ausgeht. Dieser Hörverlust rechtfertigt nach den VG Teil B 5.2.4 Tabelle D einen GdB von 15. Ein GdB von 20 würde erst bei einem beidseitigen Hörverlust von 40 % erreicht. Der abweichenden Bewertung des GdB durch Dr. S. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 09.04.2015 (GdB 35) kann nicht gefolgt werden. Objektive Hörmessungen, die die beim Tonaudiogramm gemachten Angeben der Klägerin bestätigen, hat Dr. S. nicht durchgeführt, weshalb seiner Bewertung nicht der Vorzug gegeben werden kann.

Die von Dr. Z. festgestellte und in seinem Gutachten beschriebene Funktionsbeeinträchtigung beider Kiefergelenke rechtfertigt keinen GdB. Pathologisch zeigte sich nach den Ausführungen von Dr. Z. im Gutachten glaubhaft lediglich eine Druckschmerzhaftigkeit besonders des linken Kiefergelenkes, insbesondere beim Abtasten des aufsteigenden Unterkieferastes enoral. Die von Dr. Z. festgestellte craniomandibuläre Dysfunktion kann nach Dr. Z. durchaus Schmerzen bereiten und nach ventral in die Gesichtshälfte nach oben Richtung Schläfenbein, zum Teil auch in den Nacken ausstrahlen. Dass bei der Klägerin eine solche Schmerzsituation besteht, hat Dr. Z. jedoch nicht feststellen können, wie er in seinem Gutachten beschrieben hat. Zwar berichtete die Klägerin über starke Ohrenschmerzen links und demonstrierte dies mehrfach durch eine Schmerzmimik und das Greifen an das linke Ohr. Dies jedoch meist nur dann, wenn der Gutachter die Klägerin direkt ansah. Das Schmerzverhalten der Klägerin wurde von ihr dann unterlassen, wenn sie Fragen in das Türkische übersetzt bekommen und sich dabei der herangezogenen Hilfskraft zugewandt hat. Ebenso unterblieb ein Schmerzverhalten der Klägerin, wenn sie sich vom Gutachter unbeobachtet glaubte. Außerdem kam es auch zu keiner Schmerzreaktion bei der unmittelbaren Untersuchung des Ohrs, weder beim Einführen des Ohrtrichters, der Palpation des äußeren Ohres oder beim Ziehen an der Ohrmuschel. Dass bei der Klägerin wegen der craniomandibuläre Dysfunktion eine GdB-relevante Beeinträchtigung vorliegt, kann danach nicht festgestellt werden, zumal die Dysfunktion der Kiefergelenke nach den Ausführungen von Dr. Z. im Gutachten gut behandelbar ist. Eine solche Beeinträchtigung hat die Klägerin im Übrigen als zu berücksichtigende Funktionsbehinderung auch nicht geltend gemacht.

Die von der Klägerin gegen das Gutachten von Dr. Z. erhobenen Einwendungen rechtfertigen nicht, Zweifel an der Verwertbarkeit des Gutachtens zu hegen. Insbesondere für das subjektive Gefühl der Klägerin, dass der Gutachter ihr die Unwahrheit unterstelle, findet sich objektiv kein Anhaltspunkt. Vielmehr hat Dr. Z. an Hand der Ergebnisse objektiver Untersuchungsmethoden in seinem Gutachten nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass das von der Klägerin bei ihrer angeleiteten Untersuchung subjektiv demonstrierte Hörvermögen nicht zutreffen kann, wie bereits oben ausgeführt worden ist. Entsprechendes gilt auch für die pauschale Behauptung der Klägerin, ein entsprechender Umgang hätte mit ihr praktiziert werden müssen, was nicht der Fall gewesen sei, wofür es keine Anhaltspunkte gibt.

Die chronisch-venöse Insuffizienz der Klägerin rechtfertigt keinen höheren GdB als 10, wie vom Beklagten berücksichtigt. Nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. R. vom 30.10.2014 wurde die Crosseninsuffizienz der Vena saphena magna beidseits rechts am 09.04.2013 und links am 03.05.2013 erfolgreich operativ therapiert. Eine am 02.10.2014 durchgeführte Duplexsonografie zeigte intakte Crossen im Bereich beider Leisten bei Zustand nach Stripping der Vena saphana magna links und Verschweißen der Vena saphena magna rechts. Nach der Aussage von Dr. R. besteht nach der Magna-Operation beidseits eine leichtgradige chronisch-venöse Insuffizienz, die nach den VG Teil B 9.2.3 (allenfalls) einen GdB von 10 rechtfertigt. Dass bei der Klägerin eine erhebliche Ödembildung oder häufig (mehrmals im Jahr) rezidivierende Entzündungen bestehen, lässt sich der Aussage von Dr. R. nicht entnehmen und ist auch sonst nicht festzustellen. Vielmehr hat der Facharzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Physiotherapie Dr. S. in seinem Gutachten vom 22.06.2018 eine manifeste Varikosis bei gering vermehrter Venenzeichnung der Unterschenkel verneint. Auch Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 22.06.2018 für die chronisch-venöse Insuffizienz beidseits einen GdB von 10 für angemessen erachtet. Dr. R. hat in seiner schriftlichen Zeugenaussage sogar dem ursprünglichen Ansatz des Beklagten (gutachtliche Stellungnahme Dr. S. vom 18.10.2013) zugestimmt, dass die Varikosis keinen GdB von wenigstens 10 rechtfertigt.

Auf nervenärztlichem Gebiet ist bei der Klägerin ein Einzel-GdB von (allenfalls) 20 festzustellen. Nach den VG Teil B 3.7 ist bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB mit 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB mit 30 bis 40 und bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 80 bis 100 zu bewerten.

Nach dem Gutachten von Dr. S. vom 22.06.2018 zeigte die Klägerin im psychopathologischen Befund keine signifikante Antriebsminderung oder gar psychomotorische Hemmung. Die Klägerin wirkte eher agitiert. Ihre Angaben waren oftmals vage und unspezifisch sowie spärlich. In der Grundstimmung wirkte sie eher subdepressiv bzw. missmutig. Es zeigte sich eine vermehrte Weinerlichkeit. Das formale Denken war folgerichtig. Es kam immer wieder zu auffallend, nicht authentisch langen Antwortlatenzen. Ein Anhalt für eine psychotische, dissoziative oder somatische Symptomatik hat Dr. S. nicht sicher erheben können. Es ergaben sich deutliche Hinweise auf eine histrionische Persönlichkeitsakzentuierung. Die Klägerin vermittelte ein sowohl somatisches als auch seelisches Krankheitsgefühl. Ein Morgentief der Stimmungslage wurde nicht angegeben. Die akustisch evozierten Potenziale ergaben mit Ausnahme von Hinweisen auf eine Hörminderung beidseits keine Auffälligkeit. Nach der Bewertung von Dr. S. ist zwar das seelische Befinden der Klägerin beeinträchtigt. Es bestehen Einschränkungen der psychischen Belastbarkeit sowie negative Kognitionen. Bedingt durch das psychische Befinden ist die Wahrnehmung und Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen beeinträchtigt. Eine relevante Einbuße der Vitalität besteht nicht. Die Mobilität ist ausreichend gegeben. Auch die Kommunikationsfähigkeit ist nicht eingeschränkt. Das häusliche Leben ist nicht relevant beeinträchtigt. Eine Hirnerkrankung der Klägerin besteht nicht. Ebenso bestehen keine wesentlichen Einschränkungen im Hinblick auf das Planungsvermögen und das Wirtschaftsleben. Objektivierbare Anhaltspunkte für eine durchgehende Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit finden sich nach der überzeugenden gutachterlichen Bewertung von Dr. S. bei der Klägerin nicht. Eine definitive psychiatrische Diagnosestellung war Dr. S. nicht möglich, da sich bei der Klägerin sowohl bei der Anamneseerhebung wie auch der körperlichen Untersuchung ein ausgeprägtes Aggravations- bzw. Simulationsverhalten zeigte, so dass eine regelrechte Beurteilungsgrundlage nicht gegeben ist. Es ergaben sich mehrfach Hinweise auf so genannte "Ganser-Antworten" durch Vorbeiantworten bei einfachen Fragen, was als Zeichen einer bewussten Antwortverzerrung gilt. Weiter ergaben sich auch Hinweise auf so genannte "give away signs", d.h. Diskrepanzen zwischen Symptomschilderungen z.B. kognitiver Beeinträchtigungen und plötzlich, in anderen Momenten völlig intakter Funktion, die in starkem Maße hinweisend auf nicht authentische Störungen im Rahmen einer Simulation oder Aggravation bzw. einer artifiellen Störung oder einer somatoformen Störung sind. Nach der gutachterlichen Bewertung von Dr. S. liegt am ehesten eine (aktenkundige) chronisch depressive Verstimmung in Form einer Dysthymia vor, deren Schweregradbeurteilung nach den Ausführungen von Dr. S. im Gutachten nicht sicher möglich ist, wobei eine durchgehend mittel- oder gar schwerergradige seelische Störung nach der nachvollziehbaren und überzeugenden Ansicht von Dr. S. nicht belegt ist. Für einen eher geringgradigen Leidensdruck spricht auch, dass, wie Dr. S. dargelegt hat, die Klägerin die verordneten Antidepressiva und Schmerzmittel nicht kontinuierlich bzw. nicht einnimmt. Auch dass sie 2018 Urlaub in der Türkei machen und dort gerichtlich Erbangelegenheiten klären konnte, spricht nicht für eine wesentlich eingeschränkte Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Weiter besteht eine histrionische Persönlichkeitsakzentuierung. Die Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung hat Dr. S. verneint. Danach sind bei der Klägerin nach den objektivierbaren Untersuchungsbefunden stärker behinderte Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die einen GdB von 30 (bis 40) rechtfertigen, zur Überzeugung des Senates nicht belegt. Vielmehr sind bei der Klägerin (allenfalls) leichtere psychovegetative oder psychische Störungen festzustellen, die nach den dargestellten Bewertungsvorgaben der VG einen GdB von 0 bis 20 rechtfertigen, wobei der Senat zu Gunsten der Klägerin den vorgegebenen GdB-Rahmen auf 20 ausschöpft. Hiervon geht auch Dr. S. in seinem Gutachten aus, der wegen einer seelischen Minderbelastbarkeit der Klägerin einen GdB von 20 für gerechtfertigt erachtet.

Eine Migräne der Klägerin rechtfertigt keinen höheren Einzel-GdB als 10. Nach der für den Senat plausiblen und überzeugenden Ausführungen und Bewertung von Dr. S. in seinem Gutachten ist bei der Klägerin allenfalls eine leichte Verlaufsform der Migräne festzustellen, die nach den VG Teil B 2.3 mit einem GdB von höchstens 10 zu bewerten ist. Nach den Ausführungen von Dr. S. kann bei der Klägerin lediglich anamnestisch ein Migräneleiden mit leichter Verlaufsform angenommen werden. Eine Kopfschmerzprophylaxe bzw. Migräneprophylaxe ist nicht erfolgt. Auch bei Bedarf nimmt die Klägerin wohl kein spezifisches Migränemedikament ein. Ein Kopfschmerzkalender ist nicht aktenkundig. Eine weitere Graduierung ist nach den Ausführungen von Dr. S. in seinem Gutachten nicht möglich. Damit kann eine mittelgradige Verlaufsform einer Migräne, welche nach den VG einen GdB von 20 bis 40 rechtfertigen würde, bei der Klägerin nicht festgestellt werden. Hiervon geht auch Dr. S. in seinem Gutachten für den Senat überzeugend aus.

Die Einwendungen der Klägerin gegen das Gutachten von Dr. S. rechtfertigen keine Zweifel an der Verwertbarkeit des Gutachtens. Die Rüge der Klägerin, ihr Verhalten bei der Untersuchung belege, dass erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen vorlägen, die über eine depressive Verstimmung hinausgingen, gibt ihre eigene subjektive Wertung wieder, die durch die nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen von Dr. S. im Gutachten gerade nicht bestätigt festgestellt werden können.

Sonstige Gesundheitsstörungen, die mit einem Einzel-GdB von wenigstens 10 zu bewerten sind, sind bei der Klägerin nicht festzustellen. Dies gilt insbesondere für eine von der Klägerin im Verlauf des Rechtsstreites geltend gemachte Niereninsuffizienz. Das Vorliegen einer dauerhaften Nierenschädigung, die nach den VG Teil B 12.1 einen Einzel-GdB von wenigstens 10 rechtfertigt, lässt sich nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere dem Bericht von Dr. N. vom 25.05.2012, bzw. Gutachten bei der Klägerin nicht feststellen. Entsprechendes gilt für eine Schilddrüsenfunktionsstörung.

Die Bemessung des Gesamt-GdB erfolgt nach § 152 Absatz 3 SGB IX (§ 69 Abs. 3 SGB IX a.F.). Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. Insoweit scheiden dahingehende Rechtsgrundsätze, dass ein Einzel-GdB nie mehr als die Hälfte seines Wertes den Gesamt-GdB erhöhen kann, aus. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft - gleiches gilt für alle Feststellungsstufen des GdB - nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 50 - oder ein anderer Wert - fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris). Damit entscheidet nicht allein die Anzahl einzelner Einzel-GdB oder deren Höhe die Höhe des festzustellenden Gesamt-GdB. Vielmehr ist der Gesamt-GdB durch einen wertenden Vergleich dadurch zu bilden, dass die in dem zu beurteilenden Einzelfall bestehenden Funktionsbehinderungen mit den vom Verordnungsgeber in den VG für die Erreichung einer bestimmten Feststellungsstufe des GdB bestimmten Funktionsbehinderungen in Beziehung zu setzen sind - z.B. ist bei Feststellung der Schwerbehinderung der Vergleich mit den für einen GdB von 50 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen, bei Feststellung eines GdB von 60 ist der Vergleich mit den für einen GdB von 60 in den VG vorgesehenen Funktions-behinderungen usw. vorzunehmen. Maßgeblich sind damit grundsätzlich weder Erkrankungen oder deren Schlüsselung in Diagnosemanualen an sich noch ob eine Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit aufgetreten ist, sondern ob und wie stark die funktionellen Auswirkungen der tatsächlich vorhandenen bzw. ärztlich objektivierten Erkrankungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) anhand eines abstrakten Bemessungsrahmens (Senatsurteil 26.09.2014 - L 8 SB 5215/13 - juris RdNr. 31) beeinträchtigen. Dies ist - wie dargestellt - anhand eines Vergleichs mit den in den VG gelisteten Fällen z.B. eines GdB von 50 festzustellen. Letztlich handelt es sich bei der GdB-Bewertung nicht um eine soziale Bewertung von Krankheit und Leid, sondern um eine anhand rechtlicher Rahmenbedingungen vorzunehmende, funktionell ausgerichtete Feststellung.

Hiervon ausgehend ist bei der Klägerin der Gesamt-GdB nicht höher als 30 seit dem 25.11.2016 zu bilden. Dabei berücksichtigt der Senat für die seelische Störung der Klägerin einen Einzel-GdB von 20. Die mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertenden Gesundheitsstörungen der Klägerin erhöhen den Gesamt-GdB nicht. Damit wird ein Gesamt-GdB von 30 seit 25.11.2016, der eher als wohlwollend anzusehen ist, nur erreicht, wenn mit Dr. Z. zu Gunsten der Klägerin davon ausgegangen wird, dass die Hörstörung der Klägerin mit einem Einzel-GdB von (maximal) 20 zu bewerten ist. Ein höherer Gesamt-GdB als 30 seit dem 25.11.2016 ist jedoch nicht gerechtfertigt. Dem entspricht auch die Bewertung des Gesamt-GdB durch Dr. S ...

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der Sachverhalt ist durch die im Verlauf des Rechtsstreites durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen vollständig aufgeklärt und vermitteln dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Der medizinische festgestellte Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des GdB unter Einschluss der Bewertung der sich zwischen den einzelnen Erkrankungen und Funktionsbehinderungen ergebenden Überschneidungen und Wechselwirkungen. Gesichtspunkte, durch die sich der Senat zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müsste, hat die Klägerin im Berufungsverfahren nicht aufgezeigt

Auf die Berufung des Beklagten war der angefochtene Gerichtsbescheid des SG deshalb abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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