L 4 KR 2763/18 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 4461/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 2763/18 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Juni 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Freiburg (SG) vom 28. Juni 2018, mit dem das SG die Klage auf Bewilligung von Krankengeld für die Zeit vom 24. bis 31. Juli 2017 abwies.

Arzt für Innere Medizin U. bescheinigte Arbeitsunfähigkeit des Klägers unter anderem mit der Folgebescheinigung vom 6. Juli 2017 bis voraussichtlich 23. Juli 2017 sowie mit der Folgebescheinigung vom 20. Juli 2017 bis voraussichtlich 31. Juli 2017. Die zuletzt genannte Folgebescheinigung ging bei der Beklagten am 3. August 2017 ein, nachdem die Beklagte zuvor am 1. August 2017 telefonisch über die weitere Arbeitsunfähigkeit informiert worden war. Mit Bescheid vom 11. August 2017 verfügte die Beklagte das Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld vom 24. bis 31. Juli 2017. Den Widerspruch des Klägers wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten zurück (Widerspruchsbescheid vom 14. November 2017), da die Meldefrist von einer Woche überschritten worden sei und der Anspruch auf Krankengeld deshalb wegen der verspäteten Meldung ruhe.

Der Kläger erhob am 24. November 2014 Klage beim SG mit dem Begehren, Krankengeld für die Zeit vom 24. bis 31. Juli 2017 zu erhalten. Er habe alles in seiner Macht stehende und ihm zumutbare getan, um die weitere Arbeitsunfähigkeit zu melden. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 20. Juli 2017 habe er am 26. Juli 2017 zur Post gegeben wie die zuvor ergangenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit der ihm bekannten Anschrift der Geschäftsstelle der Beklagten in O ... Das Schreiben sei mit dem Vermerk "Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln" zurückgekommen, worauf sich seine Ehefrau am 1. August 2017 telefonisch an die Beklagte gewandt habe. Er habe davon ausgehen können, dass die Meldung – wie die zuvor ergangenen Meldungen – der Beklagten ordnungsgemäß zugeleitet würden (Bezugnahme auf Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. März 2012 – L 16 KR 146/11 – nicht veröffentlicht). Eine Information der Beklagten über die Zusammenlegung mit einer anderen Geschäftsstelle habe er nicht erhalten, so dass die Beklagte ein Organisationsverschulden treffe.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die Geschäftsstelle, unter deren Adresse der Kläger die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 20. Juli 2017 versandt habe, sei bereits im Jahre 2010 mit einer anderen Geschäftsstelle in Offenburg zusammengelegt worden, worüber sie den Kläger auch mit Schreiben vom 3. Dezember 2010 informiert habe.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 28. Juni 2018 ab und ließ die Berufung nicht zu. Der Anspruch auf Krankengeld ruhe, weil die Arbeitsunfähigkeit der Beklagten erst am 1. August 2017 gemeldet worden sei. Ein Organisationsverschulden der Beklagten, welches ausnahmsweise ein Ruhen trotz nicht rechtzeitiger Meldung ausschließen würde, könne nicht festgestellt werden. Die Schließung der Geschäftsstelle unter der vom Kläger gewählten Anschrift habe bereits im Jahre 2010 stattgefunden. Die Beklagte habe den Kläger, wie sich aus dem von ihr in Fotokopie vorgelegten Schreiben vom 3. Dezember 2010 ergebe, auch über die neue Anschrift unterrichtet. Sie habe damit, auch wenn dieses Schreiben – wie vom Kläger behauptet – diesen nicht erreicht haben sollte, ihren Verpflichtungen zur Unterrichtung Versicherten genügt.

Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 13. Juli 2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. August 2018 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt. Die Rechtssache habe wegen eines (damals) beim Bundessozialgericht (BSG) anhängigen Revisionsverfahren (B 3 KR 23/17 R) grundsätzliche Bedeutung. Des Weiteren weiche das Urteil des SG von den Urteilen des LSG Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 2003 (L 16 KR 159/02 – juris) und vom 26. August 2004 (L 16 KR 324/03 – juris) ab. Dieses vertrete die Auffassung, dass die Obliegenheit zur rechtzeitigen Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Krankenkasse aufgrund § 5 Abs. 1 Satz 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) suspendiert sei. Das LSG Baden-Württemberg sei zwar diese Auffassung entgegengetreten (Urteil vom 22. November 2017 – L 5 KR 2067/17 – juris). Hiergegen sei das genannte Revisionsverfahren anhängig. Nach Hinweis des Senats, das BSG habe im Revisionsverfahren B 3 KR 23/17 R mit Urteil vom 25. Oktober 2018 entschieden, hat der Kläger vorgetragen, bei Vorliegen sogenannter Ausnahmefälle, zu denen das BSG auch Organisationsmängel der Krankenkasse rechne, könne eine ihm günstigere Rechtsposition eingeräumt werden. Wie erstinstanzlich vorgetragen liege ein solcher Organisationsmangel vor. Diesen Ausnahmefall habe des SG nicht geprüft.

Der Kläger beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Juni 2018 zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Das Urteil weiche nicht von einer Entscheidung des LSG Baden-Württemberg ab. Soweit es von einer Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen abweichen, sei dies unbeachtlich. Eine grundsätzliche Bedeutung sei ausgeschlossen. Die mit der Beschwerde vorgetragene Begründung habe der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren nicht in den Prozess eingeführt. Das Urteil des SG beschäftige sich daher auch nicht mit der geltend gemachten umstrittenen Suspensiveffekt der Vorschrift des EntgFG. Den Betrag des kalendertäglichen Krankengelds im streitigen Zeitraum hat sie mit EUR 66,12 angegeben.

Wegen weiterer Einschreiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des SG vom 28. Juni 2018 ist nach § 145 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, EUR 750,00 nicht übersteigt. Diese Regelung findet nur dann keine Anwendung, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Dieser Beschwerdewert wird vorliegend mit dem Betrag des vom Kläger begehrten Krankengelds in Höhe von EUR 528,96 (acht Tage × kalendertäglich EUR 66,12) nicht erreicht. Der Ausnahmetatbestand des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG liegt nicht vor, weil der Kläger Krankengeld nur für acht Tage begehrt.

2. Die Beschwerde ist nicht begründet.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, (2.) das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn ihre Entscheidung über den Einzelfall hinaus dadurch an Bedeutung gewinnt, dass die Einheit und Entwicklung des Rechts gefördert wird oder dass für eine Anzahl ähnlich liegender Fälle eine Klärung erfolgt (ständige Rechtsprechung des BSG seit dem Urteil vom 20. Dezember 1955 – 10 RV 225/54 – juris, Rn. 18, zur entsprechenden früheren Vorschrift des § 150 Nr. 1 SGG). Die Streitsache muss mit anderen Worten eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwerfen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern; die entscheidungserhebliche Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 144 Rn. 28; vgl. dort auch § 160 Rn. 6 ff. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung zur Frage der Revisionszulassung).

Eine grundsätzliche Bedeutung ist nicht gegeben.

aa) Die vom Kläger (erstmalig) mit der Begründung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung (sinngemäß) aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Obliegenheit zur rechtzeitigen Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Krankenkasse aufgrund § 5 Abs. 1 Satz 5 EntgFG suspendiert ist, hat das BSG (zwischenzeitlich) durch Urteil vom 25. Oktober 2018 (B 3 KR 23/17 R) beantwortet (Nr. 2 des Terminberichts Nr. 46/18; die schriftliche Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor).

bb) Unabhängig davon wäre eine grundsätzliche Bedeutung auch zu verneinen gewesen, weil die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage im Berufungsverfahren nicht klärungsfähig gewesen wäre. Denn auf sie wäre es nicht angekommen. Der Kläger wollte die ihn treffende Obliegenheit, der Beklagten die weitere Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen, erfüllen, indem er die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 20. Juli 2017 der Beklagten übersenden wollte. Der rechtzeitige Zugang diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Beklagten scheiterte daran, dass der Kläger diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an die nicht mehr aktuelle Anschrift einer Geschäftsstelle der Beklagten adressierte. Entscheidungserheblich wäre in dem Berufungsverfahren deshalb, welche rechtlichen Folgerungen sich aus der Angabe der falschen Anschrift durch den Kläger ergäben und ob einer der vom BSG bereits entschiedenen Ausnahmefälle (hierzu z.B. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 1 KR 37/14 R – juris, Rn. 26) gegeben wäre, weil der Beklagten ein Organisationsverschulden anzulasten sei. Eine grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf Ausnahmefälle, in denen eine verspätete Meldung der Arbeitsunfähigkeit unschädlich ist, besteht im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG nicht. Ob die Voraussetzungen eines solchen Ausnahmefalles im vorliegenden Fall gegeben sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Dies verneinte das SG, weil es ein Organisationsverschulden der Beklagten nicht feststellen konnte. Damit geht auch die Behauptung des Klägers, das SG habe die Fallkonstellation nicht geprüft, fehl.

b) Eine Divergenz liegt nicht vor.

Eine Divergenz ist anzunehmen, wenn tragfähige abstrakte Rechtssätze, die einer Entscheidung des SG zugrunde liegen, mit denjenigen eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte nicht übereinstimmen. Das SG muss seiner Entscheidung also einen Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit der Rechtsprechung jener Gerichte nicht übereinstimmt (vgl. hierzu Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 160 Rn. 13 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung zur Frage der Revisionszulassung).

aa) Die vom Kläger gerügte Abweichung des Urteils des SG von Urteilen des LSG Nordrhein-Westfalen kann nicht zur Zulassung der Berufung wegen Divergenz führen. Denn eine Divergenz von einem Urteil des Landessozialgerichts liegt nur dann vor, wenn das Urteil des Sozialgerichts von dem ihm übergeordneten Landessozialgericht abweicht (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 144 Rn. 30; Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 144 SGG, Rn. 34).

bb) Dass das SG von einem Urteil des LSG Baden-Württemberg abwich, behauptet der Kläger selbst nicht, sondern weist selbst darauf hin, dass das LSG Baden-Württemberg zu der Frage der Auswirkungen des § 5 Abs. 1 Satz 5 EntgFG dem Urteil vom 22. November 2017 (L 5 KR 2067/17 – juris, Rn. 29 ff.) die gegenteilige Auffassung vertrat. Unabhängig davon stellte das SG in seinem Urteil keinen Rechtssatz auf, ob die Obliegenheit des Versicherten, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Krankenkasse innerhalb der Wochenfrist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vorzulegen, durch § 5 Abs. 1 Satz 5 EntgFG suspendiert ist oder nicht. Hiermit befasste es sich nicht. Das SG stellte allein darauf ab, dass ein Organisationsverschulden der Beklagten nicht feststellbar sei.

c) Ein Verfahrensmangel im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG ist weder ersichtlich noch vom Kläger dargelegt. Ein solcher lässt sich nicht aus der Behauptung des Klägers, das SG habe nicht geprüft, ob ein Ausnahmefall, in dem eine verspätete Meldung der Arbeitsunfähigkeit unschädlich ist, besteht. Denn dies ist unzutreffend (siehe oben unter a) bb) am Ende).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG wird hiermit rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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