L 18 U 181/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 103/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 181/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine Berufskrankheit (BK) gem. BKV Anlage Nr 2101 liegt nicht vor, wenn für die Entstehung einer Epicondylitis bei einem Versicherten (hier Herrenfrisör) weder die generelle Geeignetheit der beruflichen Beanspruchung noch der konkret-individuelle
Kausalzusammenhang zwischen der Beanspruchung und der vorliegenden
Epicondylitis mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann.
2. Die epidemiologische Evidenz spricht derzeit gegen die generelle Geeignetheit der Frisörtätigkeit, eine BK gem. BKV Anlage Nr 2101 zu verursachen.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28.03.2001 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 03.02.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.03.1999 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob bei dem noch als Frisörmeister tätigen Kläger eine Epicondylitis als Berufskrankheit (BK) nach Nr 2101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) als Gesundheitsschaden gem. § 9 Abs 4 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) anzuerkennen ist.

Der 1953 geborene Kläger begann 1967 eine Lehre als Frisör und arbeitete bis 1986 im Frisörbetrieb seiner Eltern. Bis 1986 führte er täglich zehn bis zwölf Herrenschnitte durch, nach der Übernahme des elterlichen Geschäfts betreibt er als selbstständiger Frisörmeister einen Herrensalon (Einmannbetrieb). Seitdem schnitt er täglich 16 bis 20 Männern die Haare. Am 24.03.1988 erfolgte eine erste Behandlung wegen starker Schmerzen im rechten Ellenbogen lateralseitig bei Kreisbewegungen bei dem Arzt für Allgemeinmedizin M ... Mit Schreiben vom 07.07.1997 bat Prof. Dr.L. , Chefarzt der Klinik für Handchirurgie Bad N. , die Beklagte um Prüfung, ob es sich bei der Erkrankung des Klägers um eine berufsbedingte Erkrankung handele. Die Beklagte holte Befundberichte der behandelnden Ärzte ein. Der von der Beklagten gehörte Medizinaloberrat Dr.H. vom Gewerbeaufsichtsamt W. (Gutachten vom 08.01.1998) empfahl die Erkrankung des Klägers nicht als BK anzuerkennen, da eine BK nach Nr 2101 infolge von Überlastung in der Regel in den ersten sechs Monaten der Tätigkeit auftrete und es sich bei der Arbeit des Frisörs um eine abwechslungsreiche Tätigkeit handele. Daraufhin lehnte die Beklagte die Anerkennung der Sehnenscheidenentzündung als BK nach Nr 2101 mit Bescheid vom 03.02.1998 ab. Sie verneinte einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Sehnenscheidenentzündung und der beruflichen Tätigkeit.

Im Widerspruchsverfahren stellte der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten fest, dass der Kläger pro Tag durchschnittlich fünf bis sechs Stunden allein mit Haareschneiden - überwiegend mit der Schere - verbringe und bejahte wegen einer einseitigen, lang dauernden, mechanischen Beanspruchung und fehlender oder gestörter Anpassung die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK Nr 2101. Die Beklagte holte von Prof.Dr.L. ein Zusammenhangsgutachten vom 10.12.1998 ein. Dieser stellte beim Kläger eine Epicondylitis humeri radialis rechts fest und verneinte das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen mit der Begründung, beim Kläger liege eine langfristige Ausübung der gleichen Tätigkeit vor, an die rasche Gewöhnung erwartet werden könne. Eine wesentliche Zugbelastung sei durch die Arbeit mit der Schere nicht gegeben. Er schloss nicht aus, dass die beruflichen Einwirkungen des Frisörhandwerks das Krankheitsbild mit verursachten. Der Beklagte folgte den Ausführungen des Prof.Dr.L. und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.1999 zurück.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg hat der Kläger die Aufhebung des Bescheides vom 03.02.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.03.1999 und die Verpflichtung des Beklagten begehrt, eine chronisch-rezidivierende Epicondylitis als BK nach Nr 2101 vorzumerken. Die vom SG gehörte Ärztin für Orthopädie C. hat die Epicondylitis radialis mit Wahrscheinlichkeit wenigstens teilweise auf die berufliche Tätigkeit des Klägers zurückgeführt und die hierdurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 10 vH beziffert (Gutachten vom 25.11.1999/ 02.01.2001). Zur Begründung hat sie eine Studie an finnischen Frisören herangezogen, die eine um das 2,7-fache erhöhte Gefährdung des Auftretens von Epicondylitis im Frisörberuf annimmt. Die Beklagte hat eine handchirurgische Stellungnahme des Prof. Dr.L. vom 02.06.2000 vorgelegt. Dieser hat die Bewegungsabläufe beim Haarschneiden nicht für so belastend angesehen, dass es zu Mikroeinrissen der Strecksehnenplatte kommen könnte. Desweiteren hat er den zeitlichen Zusammenhang zwischen der Entstehung der Schmerzsymptomatik und dem Vorliegen einer BK Nr 2101 nicht für gegeben erachtet. Schließlich hat er das Fortbestehen der Beschwerden nach einer Operation 1998 auf ein zusätzliches neuroirritatives Geschehen zurückgeführt (rezidivierendes Cervikalsyndrom mit Verspannung der Schulter- und Nackenmuskulatur).

Das SG ist der Sachverständigen C. gefolgt und hat die Beklagte mit Urteil vom 28.03.2001 verpflichtet, den Bescheid vom 03.02.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.03.1999 aufzuheben und gem § 9 Abs 4 SGB VII beim Kläger eine "Epicondylitis humeri radialis rechts" als BK nach Nr 2101 der Anlage zur BKV vorzumerken.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Der Senat hat von Prof. Dr.N. (Ludwig-Maximilians-Universität M.) ein Gutachten vom 15.04.2003 eingeholt. Dieser hat nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft die beruflichen Beanspruchungen der oberen Extremität als Herrenfrisör ohne Ellenbo- genstreckung, ohne Drehbewegungen mit fraglich ausreichender Kraftanwendung nicht für generell geeignet gehalten, eine Epicondylitis zu verursachen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 28.03.2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung gegen das Urteil des SG Würzburg vom 28.03.2001 zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter des Senats einverstanden erklärt.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Akte der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vormerkung einer BK nach Nr 2101 der Anlage zur BKV.

Die Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§§ 124 Abs 2, 155 Abs 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach den Vorschriften des SGB VII. Der Kläger macht das Vorliegen einer BK geltend, bei der im Sinne eines sogenannten versicherungsrechtlichen Tatbestandselementes der Zwang zur Tätigkeitsaufgabe Voraussetzung für die Anerkennung als BK ist, der Versicherungsfall somit erst eintritt, wenn sämtliche Tatbestandsmerkmale einschließlich des versicherungsrechtlichen Elements vorliegen. Erst zu diesem Zeitpunkt würde ein Anspruch auf Anerkennung als BK "dem Grunde nach" bestehen (Lauterbach, Kommentar zur Unfallversicherung, SGB VII, 4.Aufl, § 9 RdNrn 307 und 308; Mehrtens/Perlebach, Kommentar zur BKV, E § 9 SGB VII RdNr 43; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Kommentar zur gesetzlichen Unfallversicherung § 9 SGB VII RdNr 7; BSG SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 1 und Hessisches LSG Urteil vom 18.03.2002 Az: L 11 U 83/01 in Juris Nr KSRE031900322).

Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (§ 9 Abs 1 Sätze 1 und 2 SGB VII).

Setzt die Anerkennung einer Krankheit als Berufskrankheit die Unterlassung aller Tätigkeiten voraus, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, haben die Unfallversicherungsträger vor Unterlassung einer noch verrichteten gefährdenden Tätigkeit darüber zu entscheiden, ob die übrigen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit erfüllt sind (§ 9 Abs 4 SGB VII).

Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten BKen gehören nach Nr 2101 der Anlage zur BKV "Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".

Der Kläger macht geltend, er habe sich die bei ihm bestehende Epicondylitis radialis durch die berufsbedingten Belastungen beim Haarescheiden mit der Schere zugezogen. Eine solche Erkrankung kann durch einseitige lang dauernde mechanische Beanspruchung und ungewohnte Arbeiten aller Art bei fehlender oder gestörter Anpassung entstehen (so Merkblatt I zu BK Nr 43 - jetzt Nr 2101 - der Anlage 1 zur 7. BKVO, abgedruckt bei Mehrtens/Perlebach aaO M 2101). Die vom Kläger angeschuldigten Belastungen und das Krankheitsbild der Epicondylitis können nach Wortlaut und Sinn der Vorschrift Nr 2101 die Annahme einer BK begründen. Durch die unbestimmte Bezeichnung der BK als "Erkrankungen der ..." will der Verordnungsgeber alle denkbaren Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Mulkelansätze zu BKen erklären, die nach den fortschreitenden Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft ursächlich auf die im og Merkblatt genannten Einwirkungen zurückzuführen sind, ohne dass weitere Einschränkungen gemacht werden (ebenso BSG, Urteil vom 27.06.2000 Az: B 2 U 29/99 R, juris KSRE027071522 zur Listenerkrankung Nr 1302 der Anlage zur BKV).

Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als BK ist in Fällen wie dem vorliegenden zum Einen, dass die schädigenden Einwirkungen g e n e r e l l geeignet sind, das betreffende Krankheitsbild zum Entstehen zu bringen oder zu verschlimmern. Zum Anderen muss die Vorliegende Erkrankung k o n k r e t individuell durch entsprechende Einwirkungen wesentlich verursacht bzw verschlimmert worden sein und diese Einwirkungen müssen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sein (vgl BSG aaO). Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (aaO mwN).

Bei BKen mit unbestimmter Bezeichnung - wie dem vorliegenden Listentatbestand Nr 2101 - genügt als Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen der gesicherten Einwirkung und der gesicherten Erkrankung in genereller wie in individueller Hinsicht als Grad der subjektiven Überzeugung vom Bestehen eines Kausalzusammenhangs die Wahrscheinlichkeit (Lauterbach aaO RdNr 105 a; Mehrtens/Perlebach aaO RdNr 14.1; offengelassen in BSG, Urteil vom 27.06.2000 aaO). Als Erkenntnisquelle für eine hinreichende Annäherung an die Wahrheit im Sinne der subjektiven Wahrscheinlichkeitsannahme bei der konkret-individuellen Kausalität gilt auch bei unbestimmter Fassung einer Listennummer jede methodisch ausgewertete ärztliche Erfahrung. Maßgebend sind nicht einschränkende formale Kriterien, sondern ausschließlich wissenschaftliche Standards im Sinne einer subjektiven Überzeugung der maßgeblichen Wissenschaft von der aus objektiven Daten abgeleiteten Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs (Lauterbach aaO RdNr 106).

Ausgehend von diesen Voraussetzungen liegt beim Kläger eine BK nach Nr 2101 der Anlage zur BKV nicht vor. Es ist nämlich nicht wahrscheinlich, dass die beim Haare schneiden auftretenden Belastungen der Sehnenansätze eine Epicondylitis verursachen. Es fehlt bereits an der g e n e r e l l e n Geeignetheit der Einwirkung. Als besondere beruflichen Einwirkungen werden generell Bewegungsabläufe verlangt, die als Belastungsparameter zu biomechanisch relevanten Beanspruchungen führen. Als solche werden angesehen kurzzyklische, repetive, feinmotorische Handtätigkeiten mit sehr hoher Bewegungsfrequenz (mindestens 10.000 Bewegungsabläufe/Stunde = 3/Sekunde). Gemeint sind dabei die Wiederholungen immer der gleichen Bewegungsabläufe mit stets einförmiger Belastung der entsprechenden Muskel- und Sehnengruppen, überwiegend der Streckseite (Beispiele: Maschinenschreiben, Klavier spielen), so Mehrtens/Perlebach M 2101 RdNr 4.1.

Der Kläger war derartigen Belastungen im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Frisör nicht ausgesetzt. Nach den arbeitstechnischen Feststellungen des Prof. Dr.N. spricht die epidemiologische Evidenz insgesamt eher gegen die generelle Geeignetheit der Frisörtätigkeit, eine BK nach Nr 2101 der Anlage zur BKV auszulösen. Der derzeitige Stand der Wissenschaft zu den biomechanischen Modellen zur Krankheitsentstehung der lateralen Epicondilytis erbringt noch keine ausreichend eindeutigen Kriterien hinsichtlich der notwendigen Krafteinwirkung an der Sehnenplatte, der die drei Handmuskeln im Bereich der Ellenbogenaußenseite entspringen. Die finnische Publikation von Leino T.et al. 1999, die eine 2,7-fachen Überhäufigkeit der (Haupt-)Diagnose "Tennis-Ellenbogen" oder "Überlastung des Handgelenks" bei früheren Frisören, die aus gesundheitlichen Gründen den Beruf gewechselt hatten, im Vergleich zu Rehabilitanden aus anderen Berufen annimmt, kann nach den Feststellungen des Prof. Dr.N. lediglich als Hinweis auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der genannten Erkrankung und den Belastungen im Frisörberuf gesehen werden. In der Studie wurde nämlich die Diagnose "Tennis-Ellenbogen" mit dem Überlastungssyndrom des Handgelenks zusammengefasst, so dass eine Aussage über die Häufigkeitsverteilung der Epicondylitis allein den Angaben in der Publikation nicht zu entnehmen ist. Die von Prof. Dr.N. durchgeführten weiteren Literaturrecherchen haben keine Ergebnisse zur Häufigkeit der Diagnose "Tennis-Ellenbogen" bzw Epicondylitis lateraris/Epicondylitis radialis bei Frisören ergeben. Die mit dieser Diagnose in Zusammenhang gebrachten Belastungen betreffen zum Einen die Bedienung von Kassen sowie Cumputertastaturen oder ähnlicher Tastaturen, Tätigkeiten in der Produktion und im Handwerk sowie Köche. Lewis M.et al. klassifizierten in ihrer Untersuchung Frisöre zusammen mit Barkeepern in die Kategorie mit "milder Beanspruchung der oberen Extremität" im Vergleich zu industriellen Tätigkeiten in der Keramikproduktion oder zu LKW-Fahrern. Die industriellen Tätigkeiten beinhalten als erhöhte Beanspruchung der oberen Extremität entweder hohe Wiederholungsfrequenzen von etwa 3/Sekunde wie beim Maschinenschreiben oder das Ausüben von Druck mit gleichzeitiger Drehbewegung wie beim Eindrehen von Schrauben. Bezogen auf die Tätigkeit des Frisörs hat Prof. Dr.N. geschätzt, dass die Wiederholungsfrequenz 3/Sekunde nicht erreicht wird und nur etwa bei der Hälfte der sonst geforderten Wiederholungszahl liegt. Drehbewegungen unter Druck werden beim Haare schneiden mit Sicherheit nicht ausgeführt. Der erforderliche Kraftaufwand des zweiten, dritten und fünften Fingers, die durch die Muskeln M.Extensor carpi ulnaris, M.Extensor carpi radialis longus und M.Extensor carpi radialis brevis gebeugt werden, hängt vom Widerstand der Haare beim Schneiden ab und scheint daher variabel zu sein.

Ein Kausalzusammenhang ist aber auch nicht bei k o n k r e t individueller Betrachtung wahrscheinlich zu machen. Zwar sprechen nach den Feststellungen des Prof. Dr.N. der Bewegungsablauf des Haarschneidens mit der Schere bei Betrachtung der funktionellen Anatomie im Bereich von Unterarm, Hand und Fingern für eine Beanspruchung im Bereich des Sehnenansatzes am lateralen Epicondylus und lag beim Kläger gegenüber den bei Frisören üblichen Beanspruchungen eine erhöhte Belastung der oberen Extremität wegen des gehäuften Schneidens der Haare mit der Schere vor (geschätzte 5000 Bewegungen pro Stunde). Auch konnte durch die Computertomographie der Halswirbelsäule im Juli 1996 sowie die im Rahmen der aktuellen Begutachtung durchgeführte Kernspintomographie eine Bandscheibenprotrusion bzw ein Prolaps im Bereich der Halswirbelsäule als möglich konkurrierende Ursache ausgeschlossen werden. Jedoch ist innerhalb der naturwissenschaftlichen Einzelfall-Kausalitätsprüfung die generelle Kausalität (generelle Geeignetheit) ein logisch einbezogener Teilaspekt insoweit, als denkgesetzlich jedes Wahrscheinlichkeitsurteil ein gewisses Maß an Generalisierung voraussetzt (Lauterbach aaO RdNr 105 mwN). In die Beweiswürdigung der entscheidungserheblichen konkret-individuellen Kausalität müssen neben den bestimmten Umständen des Einzelfalls sämtliche Erkenntnisquellen und Hypothesen einfließen, die den aktuellen Diskussionsstand kennzeichnen (aaO). Bei Anwendung dieser Grundsätze kann die fehlende generelle Geeignetheit der Frisörtätigkeit für das Entstehen einer Sehnenscheidenentzündung auch bei der gebotenen individuell-konkreten Betrachtungsweise nicht unberücksichtigt bleiben. Hinzu kommt, dass auch die Tätigkeit des Herrenfrisörs - wie der Beklagte zu Recht aufgezeigt hat - durchaus abwechslungsreich ist und nicht durch Wiederholung immer der gleichen Bewegungsabläufe mit stets einförmiger Belastung der entsprechenden Muskel- und Sehnengruppen einhergeht. Frisöre benutzen auch bei einem Haarschnitt mit der Schere nicht monoton die Hand mit der selben Haltung. Der Schnitt an den Seiten erfordert andere ständig wechselnde Bewegungen als der Schnitt am Oberkopf. Auch weisen die Kunden eine unterschiedliche Haardichte auf. Der Kläger hat als Herrenfrisör sowohl mit der Pflege von Haarkränzen als auch mit dem Schnitt dichten Haares zu tun. Im Rahmen der Tätigkeit wird - wie der Kläger selbst einräumt - auch die Haarschneidemaschine und der Fön benutzt. Der Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die 15 bis 20-minütige Bedienung eines Kunden bei einem einfachen Haarschnitt im Wesentlichen in folgende Arbeitsschritte gliedert: Vorbereitung: Platzieren des Kunden, Umhängen der Schürze, Anfeuchten oder Waschen der Haare; Haare schneiden: Benutzen von Schere, Haarschneidemaschine, Kamm, Wechseln der Haarschneidewerkzeuge, Verwenden verschiedener Scheren, Messer, Haarkosmetika; Nachbereitung: Haare fönen, Wegbürsten der geschnittenen Haare vom Gesicht, Haare wegbürsten von der Kleidung des Kunden, Halten des Spiegels, Fegen, Aufräumen; Kassieren. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass bei einem Herrenfrisörsalon auch Bartpflegetätigkeiten anfallen.

Diese Arbeitsschritte bedürfen keiner weiteren gerichtlichen Ermittlung, da diese Vorgänge beim Haareschneiden allgemein bekannt sind.

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte kann die Wahrscheinlichkeit der Verursachung der Erkrankung des Klägers durch die berufliche Tätigkeit als Frisör nicht bejaht werden. Wahrscheinlichkeit im Sinne der Beweisanforderung liegt vor, wenn bei Abwägung aller Umstände den für den Kausalzusammenhang sprechenden ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl BSGE 45, 285, 285 = SozR 2200 § 548, Nr 38). Ein solches Übergewicht der für einen Kausalzusammenhang sprechenden Gründe vermag der Senat hier nicht zu erkennen. Bei Unaufklärbarkeit eines Umstandes fallen die Folgen der objektiven Beweislosigkeit dem, der eine ihm günstige Rechtsfolge geltend macht zur Last, wobei es keinen Unterschied begründet, ob die Unmöglichkeit des Nachweises in den besonderen Umständen des Einzelfalles oder in der generellen Eigenart des Leidens wurzelt; in beiden Fällen muss der Beweisfällige eine Ablehnung seines Begehrens hinnehmen, obwohl nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass der geltend gemachte Anspruch in Wahrheit begründet ist (BSG Urteil vom 27.06.2000 aaO). Da der Kläger sich auf das Vorliegen des für den von ihm geltend gemachten Anspruch erforderlichen Kausalzusammenhangs zwischen versicherter Tätigkeit und Erkrankung beruft, muss er die Folgen der objektiven Beweislosigkeit tragen.

Dem Gutachten der Orthopädin C. sowie der Auffassung des TAD des Beklagten hinsichtlich der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann nicht gefolgt werden, da diese den durchaus abwechslungsreichen Bewegungsablauf bei der Durchführung von Herrenhaarschnitten sowie etwaige Unterbrechungen während der Haarschneidetätigkeit durch Warten auf Kunden, Wechseln der Haarschneidewerkzeuge, Aufräumen, Kassieren, Fegen usw außer Acht gelassen haben. Frau C. hat sich zudem nicht mit der generellen Geeignetheit der Verursachung in wissenschaftlich ausreichender Weise auseinander gesetzt.

Der Kläger hat auch keinen Ansspruch auf Vormerkung aus dem Gesichtspunkt der Entschädigung wie eine BK. Nach § 9 Abs 2 SGB VII ist im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKV bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK zu entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen der medzinischen Wissenschaft die übrigen Voraussetzungen des § 9 Abs 1 SGB VII erfüllt sind. Diese Vorschrift ist keine individuelle Härteklausel, sondern bezweckt, solche durch die versicherte Tätgikeit verursachten Krankheiten wie eine BK zu entschuldigen, die nur deshalb nicht in der Berufskrankheitenliste aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Berufsgruppen bei der letzten Neufassung der Anlage zur BKV noch nicht vorlagen oder nicht berücksichtigt wurden (BSGE 59, 295). Die Entschädigung wie eine BK setzt des Weiteren voraus, dass der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der gefährdenden Arbeit im konkreten Fall hinreichend wahrscheinlich ist (vgl LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.02.2003 Az: L 2 U 67/02, HVBG Rdschr VB 82/2003; juris KSREO34431322 mwN). Hieran fehlt es vorliegend. Es liegen keine neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse über den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Epicondylitis und der Arbeit eines Herrenfrisörs vor. Auch ist nach den Feststellungen des vom Senat gehörten Sachverständigen Prof. Dr.N. die Erkrankung des Klägers nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Belastung zurückzuführen.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Vormerkung der Erkrankung des Klägers als BK sind somit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt erfüllt. Auf die Berufung der Beklagten musste daher das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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