L 4 KR 107/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 KR 188/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 107/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 18. April 2002 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der zweite Satz des Tenors II. entfällt.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten der Berufung zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist häusliche Krankenpflege als Behandlungssicherungspflege ab 01.10.2000.

Bei dem 1957 geborenen Kläger, der bei der Beklagten versichert ist, bestehen eine Querschnittslähmung, sensibel inkomplett unterhalb C 0, motorisch und sensibel komplett unterhalb C 2, komplette Blasen- und Mastdarmlähmung, komplette Atemlähmung, operative Entfernung eines Rezidiv-Meningeoms C 1 bis C 2, Implantation eines N.-Phrenicus-Schrittmachers 1997 sowie eine dauerhafte Abhängigkeit von künstlicher Beatmung. Er erhält Pflegeleistungen nach der Pflegestufe III und sein GdB beträgt 100.

Er war von Januar 1996 bis Januar 1998 in einer stationären Wohngruppe der "Pfennigparade" untergebracht. Anschließend zog er in sein Wohnhaus in P. um, wo er rund um die Uhr vom Bayerischen Roten Kreuz (Sozialzentrum A.) betreut wird. Der Kläger lebt allein in seiner Wohnung, die hauswirtschaftliche Versorgung wird zum Teil von seiner Nichte übernommen. Tagsüber ist er für etwa vier Stunden in einer Werkstatt für Behinderte der Caritas tätig. Er ist u.a. mit folgenden Hilfsmitteln versorgt: Rollstühle, Dreh- und Stehbrett, faltbare Duschliege, mobiles und stationäres Atemgerät und Absauggerät, Lesegerät und Sprach-Schreib-Computer. Er beantragte am 04.11.1999 bei der Beklagten durch die damalige Bevollmächtigte häusliche Krankenpflege; mit Bescheid vom 25.11.1999 lehnte die Beklagte wegen der berufsfördernden Leistung für den Kläger zu Lasten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in der Werkstatt für Behinderte in München häusliche Krankenpflege ab; der Bescheid wurde bindend.

Der Kläger hatte sich in den Jahren 1997, 1999 und 2000 in stationärer Behandlung der W.-Klinik (Bad W.) in stationärer Behandlung befunden. Im Abschlussbericht der Klinik vom 27.01.2000 wird u.a. festgestellt, dass er rund um die Uhr Behandlungspflege, insbesondere zur Sicherstellung der Beatmung, durch ein Pflegeteam benötigt, wobei teilweise eine zweite Pflegperson zur Verfügung stehen muss; außerdem wurde am 04.01.2000 durch diese Klinik ein Pflegeplan entworfen.

Er beantragte am 23.03.2000 bei der Beklagten durch seine Prozessbevollmächtigte die Kostenübernahme für die 24-stündige Behandlungspflege, nachdem das Landratsamt A. am 08.03.2000 der Beklagten mitgeteilt hatte, dass es im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 28.01.1999 B 3 KR 4/98 R) Leistungen der Behandlungspflege ab Dezember 1999 nicht mehr übernehmen werde.

Am 10.03.2000 hatte er mit dem Sozialzentrum A. des Bayerischen Roten Kreuzes einen Versorgungsvertrag geschlossen. Das Sozialzentrum informierte am 27.03.2000 das Landratsamt A. über den Umfang der Pflegeleistungen getrennt nach Behandlungspflege, Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung in einem 3-Schicht-System mit Überlappungszeiten; diese Überlappungszeiten seien notwendig, da eine Grundpflege-Körperpflege von einer Pflegekraft allein nicht durchgeführt werden könne.

Die Prozessbevollmächtigte erinnerte die Beklagte mehrmals an die dringende Bearbeitung der Angelegenheit. Das Landratsamt A. hatte in dem Anhörungsschreiben vom 04.05. 2000 wegen der Leistungspflicht der Beklagten eine Einstellung der Pflegesachleistungen ab Dezember 1999 angekündigt. Die Leis-tungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung, die gleichfalls vom Bayerischen Roten Kreuz erbracht würden (durchschnittlicher monatlicher Pflegeaufwand 3.709,38 DM), könnten durch die Leistungen der Pflegekasse abgedeckt werden (3.750,00 DM).

Mit Bescheid vom 09.05.2000 teilte die Beklagte der Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, es seien noch offene Fragen abzuklären, bis dahin würden die Kosten der Behandlungspflege in der häuslichen Umgebung des Klägers vom 01.12.1999 bis 30.06. 2000 in Höhe von 14.628,41 DM monatlich übernommen. Am 27.06. 2000 verordnete der Vertragsarzt Dr.R. eine 24-stündige Betreuung und Überwachung des Atemgerätes. Das Bayerische Rote Kreuz Sozialzentrum A. erstellte am 25.07. 2000 einen Kostenvoranschlag für eine 24-stündige tägliche Behandlungspflege unter Einsatz von fünf Mitarbeitern, die insbesondere in der permanenten, fachgerechten Überwachung der Beatmung bestand. Die monatlichen Kosten wurden mit 29.520,00 DM angegeben. Es kündigte den Versorgungsvertrag mit dem Kläger zum 30.09.2000 wegen einer fehlenden Kostenzusage.

Das sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK, Gutachterin Dr.H.) nach Aktenlage vom 24.08.2000 kam zu dem Ergebnis, dass während ca. sieben Stunden am Tag die Grundpflege im Vordergrund stehe, in den übrigen 17 Stunden die Behandlungspflege. Das weitere Gutachten des MDK zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit vom 28.08.2000 (Gutachterin E.) nahm einen außergewöhnlich hohen Hilfebedarf an, es bestehe ein Zeitbedarf für die Grundpflege von 468 Minuten und für die hauswirtschaftliche Versorgung von 70 Minuten pro Tag.

Mit Bescheid vom 26.09.2000 übernahm die Beklagte unter Bezugnahme auf die Gutachten des MDK die Kosten der Behandlungspflege in Höhe von 21.930,00 DM monatlich (17 Stunden täglich, multipliziert mit 43,00 DM Stundenlohn, multipliziert mit 30 Tagen); die DAK Pflegekasse übernehme Pflegesachleistungen in Höhe von 3.750,00 DM. Der Kläger bedürfe einer Behandlungspflege von 24 Stunden täglich, die Grundpflege sei derart aufwendig, dass sie überwiegend von zwei Pflegepersonen durchgeführt werden müsse, wobei während dieser Zeit die Behandlungspflege nicht im Vordergrund stehe. Nach Abzug der Leistungen der Krankenkasse und Pflegekasse von den Gesamtkosten in Höhe von 33.750,00 DM verbleibe eine zu finanzierende Eigenbeteiligung von monatlich 8.070,00 DM, die eventuell durch die Sozialhilfe übernommen werden müsse.

Am 02.10.2000 schloss die Beklagte mit dem Bayerischen Roten Kreuz Sozialzentrum A. einen Versorgungsvertrag und gab eine Kostenzusage für die Behandlungspflege in Höhe von 21.930,00 DM und die Pflegesachleistung der Pflegekasse in Höhe von 3.750,00 DM ab, die auch für die Zeit vom 01.12.1999 bis 30.09.2000 galt.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers legte am 02.10.2000 gegen den Bescheid Widerspruch ein; die Gesamtpflegezeit mit Überlappungszeiten betrage nach dem Gutachten des MDK 27 und nicht 24 Stunden. Sie machte außerdem geltend, drei Stunden täglich seien zwei Pflegepersonen anwesend, wobei eine Person die ordnungsgemäße Beatmung des Klägers überwache, während die andere Pflegeperson die für die Beatmung des Patienten riskanten Tätigkeiten der Grundpflege vornehme. Zum Beispiel müsse beim Duschen die Schrittmachermanschette abgenommen werden und die für die Behandlungspflege zuständige Pflegeperson müsse die Sauerstoffzufuhr sicherstellen, während die andere Pflegeperson die Grundpflege vornehme. Darüber hinaus werde Grundpflege an zwei weiteren Stunden täglich geleistet, wobei diese zusammen mit der Behandlungspflege von einer Pflegeperson ausgeführt werden könne. Damit ergebe sich ein Bedarf von 22 Stunden Behandlungspflege, während die Beklagte im Bescheid vom 16.09. 2000 lediglich 17 Stunden Behandlungspflege annehme.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger benötige täglich 24 Stunden Behandlungspflege, wobei diese für 17 Stunden und in den übrigen sieben Stunden die Grundpflege im Vordergrund stehe. Häusliche Krankenpflege werde im Übrigen nur im Haushalt bzw. der Familie des Versicherten erbracht. Außerhalb des häuslichen Milieus (z.B. bei Gottesdienstbesuchen, am Arbeitsplatz, bei Spaziergängen) könne häusliche Krankenpflege zu Lasten der Krankenkasse nicht durchgeführt werden. Sollten während der getroffenen maximalen 17-Stunden-Regelung Aktivitäten außerhalb des häuslichen Milieus durchgeführt werden, könnten diese Zeiten bei der Kostenerstattung nicht berücksichtigt werden. Insofern sei der monatlichen Abrechnung eine Aufzeichnung über die Zeitdauer solcher außerhäuslichen Maßnahmen beizufügen und ein entsprechender Zeitabzug vorzunehmen.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat am 31.07.2001 Klage beim Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben und geltend gemacht, dem Kläger stehe ab 01.10.2000 häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungspflege rund um die Uhr von 24 Stunden täglich als Sachleistung zu. Es sei außerdem festzustellen, dass häusliche Krankenpflege auch außerhalb des häuslichen Milieus durch die Beklagte gewährt werden müsse, solange der Lebensmittelpunkt im Haushalt des Klägers liege. Entgegen der Ansicht der Beklagten und des MDK seien bei Anwesenheit der beiden Pflegepersonen nicht beide mit grundpflegerischen Tätigkeiten befasst. Vielmehr führe eine Pflegeperson grundpflegerische Tätigkeiten durch, während die zweite Pflegekraft mit der Sicherstellung der Beatmung beschäftigt sei. Damit stehe während dieser Zeit nicht die Grundpflege im Vordergrund, sondern die Behandlungspflege. Nur an zwei Stunden täglich könnten Leistungen der Grundpflege auch von der mit der Behandlungspflege befassten Person erbracht werden. Unzutreffend sei auch die Auffassung der Beklagten, dass sie bei einem Aufenthalt des Klägers außerhalb des Hauses nicht mehr zu leisten habe. Er sei derzeit vier Stunden täglich in einem Heim für Schwerbehinderte der Caritas als Schreibkraft tätig und erhalte hierfür einen Stundenlohn von 1,00 DM. Außerdem unternehme er entsprechend seinem Gesundheitszustand Ausflüge und mache Besuche. Wenn der Auffassung der Beklagten zu folgen sei, dürfe er sein Haus nicht mehr verlassen.

Das vom SG eingeholte Sachverständigengutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr.A. auf Grund eines Hausbesuchs beim Kläger vom 11.01.2002 kommt zusammengefasst zu dem Ergebnis, es sei von einem Grundpflegebedarf von sechs Stunden täglich auszugehen, hiervon entfielen auf den reinen Grundpflegebedarf 4,5 Stunden täglich und auf die Behandlungspflege 19,5 Stunden.

Das SG hat mit Urteil vom 18.04.2002 die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 01.10.2000 Behandlungspflege für 22,5 Stunden zu bewilligen. Zeiten der Tätigkeit in der Behindertenwerkstatt in A. einschließlich der hierfür erforderlichen Wegezeiten seien nicht in Abzug zu bringen. Es hat im Übrigen die Klage abgewiesen. Der Kläger benötige Behandlungspflege rund um die Uhr, da er zur Sicherstellung seiner Atmung 24 Stunden lang ununterbrochen beobachtet werden müsse und in regelmäßigen Abständen, auch nachts, Sekretabsonderungen abgesaugt werden müssen. Im Anschluss an das Sachverständigengutachten bestehe ein Grundpflegebedarf von 4,5 Stunden täglich, so dass für die Behandlungspflege die restlichen 19,5 Stunden pro Tag verbleiben. Da unstreitig für insgesamt drei Stunden zwei Pflegepersonen gleichzeitig anwesend sein müssten, ergebe sich eine Behandlungspflege von insgesamt 22,5 Stunden täglich, die die Beklagte zu bewilligen habe. Das geringe Restleistungsvermögen, das der Kläger in der Behindertenwerkstatt noch erbringe, könne mit einer Berufstätigkeit nicht gleichgesetzt werden. Nach der Sachverständigen handle es sich bei dieser Tätigkeit vielmehr um eine pflegeerleichternde Maßnahme, da der Kläger hierdurch seine Betreuungssituation verbessere. Während dieser Tätigkeit sei auch weiterhin die Beatmungshilfe notwendig.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten vom 14.06. 2002. Der Kläger habe Anspruch auf häusliche Krankenpflege von höchstens 17 Stunden täglich, wobei die Tätigkeiten in der Werkstatt für Behinderte abzusetzen seien. Die Behandlungspflege sei auf die Grundpflege anzurechnen, da sie mit der Grundpflege erbracht werden könne. Sollte die zweite Pflegeperson eine bzw. eineinhalb Stunden auf grundpflegerische Verrichtungen verwenden, müsse diese Zeit den sechs Stunden Grundpflege hinzugerechnet werden, so dass sich ein Zeitaufwand von etwa siebeneinhalb Stunden für die Grundpflege ergebe. Unzutreffend sei, dass bei dem Kläger bis zu zehnmal am Tag das Absaugen der Lunge erforderlich sei. Der MDK habe festgestellt, dass lediglich drei- bis fünfmal täglich die Sauerstoffabgabe bzw. das Absaugen von Schleims aus der Lunge zu erfolgen habe.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 18.04.2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerbevollmächtigte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Entgegen der Ansicht der Beklagten sei nach einer neueren Auskunft des Pflegedienstes ein tägliches Absaugen der Lunge zwischen zwei- und zwanzigmal erforderlich. Das Gutachten des MDK setze den Bedarf an Grundpflege zu hoch an, so z.B. bei dem täglichen Waschen und Duschen mit 91 Minuten, weitere Diskrepanzen in den Grundpflegezeiten ergäben sich bei der Nahrungsaufnahme, dem Aufstehen/Zubettgehen, An- und Auskleiden und Stehen. Die Sachverständige habe zutreffend festgestellt, dass während der Anwesenheit von zwei Pflegepersonen Behandlungs- und Grundpflege parallel laufen und jeweils einer Pflegeperson zugeordnet werden könnten. Für die Zeiten, in denen Grund- und Behandlungspflege von ein und derselben Person geleistet werde, trete die Behandlungspflege nicht in den Hintergrund, da die Überwachung der Vitalfunktionen bei einem beatmungspflichtigen Menschen immer Priorität vor grundpflegerischen Maßnahmen habe. Somit gehe das SG zu Recht davon aus, dass täglich 22,5 Stunden Behandlungspflege erbracht werden. Die Beklagte verkenne auch den Begriff des Haushalts, wenn sie die Zeiten der Berufstätigkeit in der Werkstatt für Behinderte abziehe. Durch diese Abwesenheit ändere sich nichts daran, dass der Kläger schon auf Grund seiner schweren Behinderung seine menschlichen Grundbedürfnisse regelmäßig in seiner Wohnung erfülle.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten (§§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist unbegründet.

Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Es hat zu Recht die Beklagte zur Leistung häuslicher Krankenpflege als Behandlungspflege von täglich 22,5 Stunden ab 01.10.2000 verurteilt.

Anspruchsgrundlage ist § 37 Abs.2 Sozialgesetzbuch V (SGB V), wonach Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege erhalten, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (Behandlungssicherungspflege). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt und der Anspruch ist auch nicht durch die Pflegebedürftigkeit des Klägers entfallen. Der Anspruch auf Gewährung häuslicher Krankenpflege ist grundsätzlich nicht schon dann ausgeschlossen, wenn der Betroffene im Sinne der §§ 14, 15 Sozialgesetzbuch XI (SGB XI) pflegebedürftig ist und zugleich Leistungen bei häuslicher Pflege aus der sozialen Pflegeversicherung erhält. In einem derartigen Fall ruht allenfalls der Anspruch aus der sozialen Pflegeversicherung, soweit im Rahmen des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege auch Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung besteht (Bundessozialgericht vom 30.03.2000 SozR 3-2500 § 37 Nr.2, BSG vom 30.10.2001 SozR 3-2500 § 37 Nr.3 = NZS 2002, 484). Die Behandlungspflege wird durch die gleichzeitige Gewährung von Grundpflege als Leistung der sozialen Pflegeversicherung nicht ausgeschlossen.

Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht der Ausschlusstatbestand des § 37 Abs.3 SGB V entgegen, da er auch nach den Feststellungen des MDK in seiner Wohnung allein lebt.

Entgegen der Ansicht der Beklagten führt die etwa vier Stunden tägliche Abwesenheit des Klägers auf Grund einer Tätigkeit in einer Behindertenwerkstatt nicht zu einem Entfall bzw. einer Verringerung der streitigen Leistung. Denn auch durch diese nur vorübergehende Abwesenheit des Klägers ist der Begriff Haushalt als Leistungsort nach wie vor erfüllt. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 21.11.2002 SozR 3-2500 § 37 Nr.5 = BSGE 90, 143) wird der Anspruch auf Gewährung häuslicher Krankenpflege zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Leistung außerhalb der Wohnung des Versicherten erbracht werden muss. Denn § 37 Abs.2 Satz 1 SGB V begrenzt die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht räumlich auf den Haushalt des Versicherten oder seiner Familie als Leis-tungsort und schließt medizinisch erforderliche Maßnahmen, die bei vorübergehenden Aufenthalten außerhalb der Familienwohnung anfallen, dann nicht aus, wenn sich der Versicherte ansonsten ständig in seinem Haushalt bzw. in dem Haushalt seiner Familie aufhält und dort seinen Lebensmittelpunkt hat. Dem Gesetzgeber ging es bei der Umschreibung des Aufenthaltsortes des Versicherten im Rahmen der Behandlungspflege vor allem um eine Abgrenzung zur Leistungserbringung im stationären Bereich. Der Regelung liegt zu Grunde, dass Behandlungspflege dort zu erbringen ist, wo die Versorgung des Versicherten mit Grundpflege und hauswirtschaftlicher Hilfe, vergleichbar der Versorgung bei stationärer Behandlung im Krankenhaus, sichergestellt ist. Das BSG nimmt zur weiteren Begründung Bezug auf die Vorgängervorschrift des § 185 Reichsversicherungsverordnung, bei der es mit der Verwendung des Begriffs "in ihrem Haushalt oder ihrer Familie" lediglich um eine Unterscheidung von der Krankenhausversorgung gegangen ist. Ebenso wie in der Pflegeversicherung hängt auch bei der Behandlungspflege der Anspruch des Versicherten nicht davon ab, dass er sich ständig zu Hause aufhält. Im Hinblick auf den vorrangigen Zweck der Behandlungspflege, das Ziel der ärztlichen Behandlung, also die Heilung, Besserung oder Verhütung einer Verschlimmerung einer Krankheit zu sichern, ist der Aufenthaltsort des Versicherten, sofern nicht Krankenhausbehandlung oder vollstationäre Pflege vorliegt, ohne Belang. Im vorliegenden Fall kann die Sicherung des Erfolgs der ärztlichen Behandlung des Klägers auch während seines kurzzeitigen Aufenthalts in der Behindertenwerkstatt oder durch andere kurzzeitige Abwesenheit von zu Hause (z.B. Gottesdienstbesuche, Teilnahme an Veranstaltungen) in gleicher Weise erreicht werden wie zu Hause.

Es bestehen auch keine Zweifel an dem medizinisch erforderlichen Umfang der Behandlungspflege (§ 12 Abs.1 Sozialgesetzbuch V), wie er vom SG ermittelt worden ist. Nach dieser gesetzlichen Regelung müssen die Leistungen der Krankenversicherung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Als Behandlungspflege sind diejenigen Pflegemaßnahmen anzusehen, die nur durch eine bestimmte Erkrankung verursacht werden, speziell auf den Gesundheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen sollen, die Behandlungsziele des § 27 Abs.1 Satz 1 SGB V zu erreichen. Es müssen krankheitsspezifische Maßnahmen sein. Teilweise wird Behandlungspflege auch allgemein als "nichtärztliche medizinische Fachpflege" bezeichnet, die aber nicht notwendig von Fachkräften erbracht werden muss. Es handelt sich also um medizinisch indizierte und geprägte Hilfe- leistungen. Damit das ärztliche Behandlungsziel eingehalten wird, müssen die Maßnahmen der Behandlungspflege ein Teil des ärztlichen Behandlungsplans sein. Sie werden in der Regel nicht von selbständigen Heilberufen eigenverantwortlich erbracht, sondern sind vom Vertragsarzt anzuordnen und zu verantworten.

Allgemein hat das BSG mit Urteil vom 20.05.2003 (SozR 4-2500 § 32 Nr.1 = KrV 2003, 256) als zur Behandlungspflege gehörig die Pflegemaßnahmen definiert, die durch eine bestimmte Erkrankung verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern. Demgegenüber gehören zur Leistungspflicht der Pflegeversicherung Leistungen der Behandlungspflege nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung dann, wenn es sich um eine Maßnahme handelt, die untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung aus dem Katalog des § 14 Abs.4 SGB XI ist oder jedenfalls mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang steht. Liegt eine der genannten Voraussetzungen vor, ist der zeitliche Aufwand für diese Maßnahme der Behandlungspflege im Rahmen des Gesamtaufwands für die betroffene Verrichtung der Grundpflege als Pflegebedarf zu erfassen (BSG vom 30.10.2001, a.a.O.; BSG vom 20.05.2003, a.a.O.; jeweils mit weiteren Hinweisen auf die ständige Rechtsprechung des BSG). Werden die benötigten Maßnahmen der Behandlungspflege bereits bei den Leistungen der Pflegeversicherung berücksichtigt, scheidet ein dieselbe Maßnahme betreffender Anspruch auf häusliche Krankenpflege als Sachleistung der Krankenversicherung aus, weil es an der Notwendigkeit einer gesonderten Leistung der Krankenversicherung im Sinne des § 12 Abs.1 SGB V fehlt.

Ein Verzeichnis der verordnungsfähigen Einzelmaßnahmen der Behandlungspflege enthalten die "Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung häuslicher Krankenpflege" nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr.6 und Abs.7 Sozialgesetzbuch V vom 16.02.2000 (Bundesanzeiger Nr.91 S.8878). In dem Abschnitt Leistungen der Behandlungspflege wird zwar die allgemeine Krankenbeobachtung als Bestandteil jeder dort aufgeführten einzelnen Leistung der häuslichen Krankenpflege zugeordnet und von daher nicht als gesondert verordnungsfähig bezeichnet. Es geht im vorliegenden Fall aber um die Bedienung und Überwachung des Beatmungsgeräts (Verzeichnis, Nr.8), deren Leis-tungsinhalt die Anpassung und Überprüfung der Einstellungen des Beatmungsgerätes an Vitalparameter (z.B. Atemgase, Herzfrequenz, Blutdruck) auf Anordnung des Arztes bei beatmungspflichtigen Erkrankungen ist, z.B. bei hoher Querschnittslähmung, Zustand nach Schädel-Hirntrauma. Weitere Leistungsinhalte sind die Überprüfung der Funktionen des Beatmungsgerätes bzw. die Funktionsüberprüfung und Austausch bestimmter Teile des Gerätes (z.B. Beatmungsschläuche, Kaskaden, Sauerstoff-Zellen).

Im vorliegenden Fall ist die oben genannte Maßnahme der Behandlungspflege weder im Leistungskatalog des § 14 Abs.4 SGB XI ausdrücklich genannt, noch ist diese Maßnahme untrennbarer Bestandteil einer dieser Verrichtungen. Sie steht auch nicht mit einer dieser Verrichtungen objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang.

Dem Anspruch steht auch nicht entgegen, dass die häusliche Krankenpflege durch den gleichen Pflegedienst erbracht wird, der auch für die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung des Klägers zuständig ist.

Entgegen der Auffassung der Beklagten erfordern die Art und das Ausmaß der Erkrankungen des Klägers eine tägliche Behandlungspflege von 22,5 Stunden, wobei sog. Überlappungszeiten durch den gleichzeitigen Einsatz von zwei Pflegekräften eintreten. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem ärztlichen Sachverständigengutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr.A. vom 11.01.2002 und dem Bericht der W.Klinik vom 27.01.2000 sowie dem dort erstellten Pflegeplan vom 04.01.2000. Auf Grund der gesundheitlichen Störungen des Klägers (komplette Querschnittslähmung unterhalb des zweiten Halswirbelkörpers, Lähmung sämtlicher Extremitäten, Atemlähmung und komplette Blasen- und Mastdarmlähmung) muss er 24 Stunden täglich überwacht werden. Dies bezieht sich vor allem auf die Atemfunktion. Durch die Stimulation des Zwerchfells über einen sog. N.-Phrenicus-Schrittmacher ist der Kläger in der Lage, stundenweise auch ohne Beatmungsgerät zu atmen. Der korrekte Sitz und die Funktionsfähigkeit des N.-Phrenicus-Stimulators müssen regelmäßig kontrolliert und überwacht werden. Eine Unterversorgung des Körpers mit Sauerstoff muss rechtzeitig erkannt und der Kläger muss bedarfsgerecht an das Atemgerät angeschlossen werden können. Daraus wird deutlich, dass diese Tätigkeiten - einschließlich dem bloßen Überwachen - der Behandlungspflege zuzurechnen sind. Unterliegt nämlich der Leistungspflicht der Beklagten die Versorgung mit einer derart komplizierten Apparatur, für deren reibungsloses Funktionieren am Patienten dauernde Überwachung erforderlich ist, ist der damit verbundene Personaleinsatz Teil der Behandlungspflege. Weitere damit verbundene Leistungen der Behandlungspflege sind das regelmäßige Absaugen des Lungensekrets, die regelmäßige Pflege der Tracheostoma, die Blasenentleerung mittels eines suprapubischen Katheters, Steh- und Bewegungsübungen, Dekubitus-Prophylaxe und sämtliches passives Durchbewegen zur Vorbeugung von Kontrakturen sowie die Sorge für eine regelmäßige Darmentleerung. Ebenso wie durch die Sachverständige wurde bereits in der fachärztlichen Stellungnahme der W.Klinik vom 27.01.2000 eine Behandlungspflege rund um die Uhr durch ein Pflegeteam für erforderlich gehalten, dessen Tätigkeit in der Erhebung und Überwachung der Vitalparameter, Überwachung der Beatmungsmaschine und Erkennen von Störungen, Überwachung des Zwerchfellschrittmachers und Erkennen von Störungen, Beatmung von Hand bei Ausfall der Beatmungsmaschine bzw. des Zwerchfellschrittmachers, Pflege des Tracheostoma, Absaugen von Lungensekret und Gewinnen von Trachealsekret zur bakteriologischen Kontrolle, Pflege und Wechsel der Trachealkanüle, Vorbeugen von Atelektasen, Lagerungsbehandlung, Prophylaxe und Therapie von Hautschäden, Kontrakturprophylaxe, Einleitung der Darmentleerung und Entleerung der Blase (Pflege des suprapubischen Katheters) besteht. Zusätzlich zur Behandlungspflege muss die grundpflegerische Versorgung des Klägers sichergestellt werden. Dazu muss eine zweite Person zur Verfügung stehen, insbesondere beim Transfer in das Bett bzw. in den Rollstuhl sowie auch bei der großen Körperpflege, da die im Vordergrund stehende Behandlungspflege auch bei der Verrichtung dieser Tätigkeiten gesichert sein muss. In jedem Fall hat auch nach der Stellungnahme der Klinik während der Grundpflegeausführung die Behandlungspflege Vorrang.

Der Senat folgt hier dem Sachverständigengutachten, der fachärztlichen Stellungnahme der W.Klinik und dem Pflegeplan, der gleichfalls eine kontinuierliche Überwachung der Schrittmacherbeatmung sowie den parallelen Einsatz von zwei Pflegekräften bei der gleichzeitigen Verrichtung grundpflegerischer und behandlungspflegerischer Tätigkeiten für erforderlich gehalten hat. Er kann sich der Auffassung des MDK im sozialmedizinischen Gutachten vom 24.08.2000, wonach die erforderliche Grundpflege täglich unter Einsatz von zwei Pflegekräften siebeneinhalb bzw. sieben Stunden und die Behandlungspflege 17 Stunden beträgt, nicht anschließen. Denn das Sachverständigengutachten ist im Anschluss an einen Hausbesuch und eine persönliche Untersuchung des Klägers ergangen, die fachärztliche Stellungnahme der Klinik und der Pflegeplan beruhen auf einem längeren stationären Aufenthalt, während das Gutachten des MDK nur nach Aktenlage erstellt worden ist.

Im Anschluss an die Ausführungen der Sachverständigen und der fachärztlichen Stellungnahme der W.Klinik sowie der Prozessbevollmächtigten des Klägers geht der Senat davon aus, dass der gesamte Umfang der Behandlungspflege 24 Stunden beträgt, wobei die sog. Überlappungszeit, d.h. die gleichzeitige Durchführung von Behandlungs- und Grundpflege durch zwei Pflegepersonen, bereits berücksichtigt ist. Der Senat gelangt zu diesem Wert, indem den 24 Stunden Behandlungspflege die Zeit des zusätzlichen Einsatzes einer zweiten Pflegeperson (= drei Stunden sog. Überlappungszeit) hinzuzurechnen ist. Da in dieser Zeit auch Grundpflege erbracht wird, wird sie von der Gesamtzeit von 27 Stunden abgesetzt. Von diesem Zwischenergebnis (24 Stunden) kann lediglich die Zeit noch abgesetzt werden, in der außerhalb dieser Überlappungszeit, d.h. bei Anwesenheit von nur einer Pflegeperson diese Pflegeperson gleichzeitig in geringem Umfang einfache Leistungen der Grundpflege miterledigt. Die Angaben der Klägerbevollmächtigten hierzu finden ihre Stütze in dem Sachverständigengutachten, das von einem Grundpflegebedarf von 4,5 Stunden täglich ausgeht. Werden hiervon drei Stunden abgesetzt, in denen die zweite Pflegekraft ausschließlich Grundpflege verrichtet, verbleiben 1,5 Stunden für die Zeiten, in denen die allein anwesende Pflegekraft zwar vorrangig mit der Behandlungspflege befasst ist, aber daneben für 1,5 Stunden leichtere Verrichtungen der Grundpflege ausführt. Daraus ergibt sich der Umfang der Behandlungspflege von 22,5 Stunden.

Soweit das SG im Tenor der Entscheidung unter II. noch festgestellt hat, dass "Zeiten der Tätigkeit in der Behindertenwerkstatt ... nicht in Abzug zu bringen" sind, fehlt es hierfür an einem gesonderten Feststellungsinteresse (§ 55 Abs.1 SGG), da neben einer Leistungsklage die zusätzliche Feststellung eines Elements der Leistung entbehrlich ist.

Der Kläger hat also ab Oktober 2000 einen Anspruch gegen die Beklagte auf Übernahme der Behandlungspflege von täglich 22,5 Stunden bzw., soweit die Sozialhilfe die Kosten getragen hat, einen entsprechenden Freistellungsanspruch (§ 13 Abs.3 SGB V).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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