L 3 U 22/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 1 U 5061/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 22/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 26.10.2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger gegen die Beklagte aufgrund eines Arbeitsunfalls einen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente hat.

Der 1928 geborene Kläger erlitt am 08.10.1964 bei seiner Tätigkeit als Landwirt einen Arbeitsunfall, als beim Abernten eines Apfelbaums ein Ast brach, er zu Boden stürzte und dabei Stauchungsbrüche der linken und rechten unteren Speichenenden mit Abriss der Griffelfortsätze der Ellen und einen Bruch des 12. Brustwirbelkörpers (BWK) erlitt. Mit Bescheid vom 14.09.1965 zahlte die Beklagte Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. bis 31.10.1965. Zugrunde lag das Gutachten des Dr. B. vom 24.06.1965. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht München (SG) erklärte sich die Beklagte vergleichsweise bereit, dem Kläger die Verletztenrente bis zum 30.09.1966 zu zahlen (S 359/LU/1965). Zugrunde lag das Gutachten des Dr.S. vom 25.07.1966. Mit Bescheid vom 27.03.1992 lehnte die Beklagte den am 05.02.1991 gestellten Antrag des Klägers auf Neufeststellung ab. Als Unfallfolgen bestünden noch eine Verformung des 12. BWK ohne Funktionseinschränkung und ein Teil der Arthrose sowie der belastungsabhängigen Schmerzen in beiden Handgelenken. Diese bewirkten eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 v.H. Die Beklagte stützte sich auf das Gutachten des Dr.G. vom 21.12.1991. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.1992 wurde der Widerspruch zurückgewiesen und mit Urteil vom 05.11.1993 die dagegen erhobene Klage abgewiesen, nachdem der gehörte Sachverständige Dr.H. die MdE mit unter 10 v.H. eingeschätzt hatte. Die Berufung wurde mit Urteil vom 22.02.1995 zurückgewiesen.

Am 17.10.2001 stellte der Kläger einen weiteren Neufeststellungsantrag mit der Begründung, der Zustand beider Handgelenke und der Wirbelsäule habe sich erheblich verschlechtert. Zur Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte den Befundbericht des Dr. F. vom 29.04.2002 bei und holte Gutachten des Chirurgen Prof.Dr.D. vom 28.06.2002 und des Neurologen Prof. Dr.O. vom 21.08.2002 ein. Prof.Dr.D. führte aus, auf seinem Fachgebiet sei die MdE mit 20 v.H. zu bewerten, eine Änderung in den maßgebenden Verhältnissen gegenüber dem früheren Befund sei jedoch nicht eingetreten. Prof.Dr.O. wies darauf hin, dass aus neurologischer Sicht keine MdE bestehe.

Mit Bescheid vom 03.12.2002 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Rentenleistungen ab. Als Unfallfolgen anerkannte sie einen Zustand nach BWK-12-Fraktur bei geringfügiger Kompressionsstellung ohne Hinterkantenbeteiligung, einen Zustand nach körperfernem Speichenbruch rechts ohne Fehlstellung knöchern verheilt mit nicht verheilten Abriss des Griffelfortsatzes der Elle, einen Zustand nach köperfernem Speichenbruch links knöchern durchbaut und in Fehlstellung verheilt bei um 10 Grad nach vorne verkippter Speiche, leicht nach vorne verlagert und eingestaucht mit nicht verheiltem Abriss des Griffelfortsatzes der Elle, einen Teil der Handgelenksarthrose beidseits, eine leicht eingeschränkte Beweglichkeit der Handgelenke, eine eingeschränkte Beugefähigkeit des vierten und fünften Fingers, einen endgradigen Bewegungsschmerz an den Handgelenken sowie eine Verdickung und verstrichene Kontur des rechten Handgelenks. Die Beschwerden an der Wirbelsäule seien alters- und abnutzungsbedingt. Die Verletzungsfolgen seien bereits im Jahre 1966 vollständig abgeheilt gewesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.06.2003 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Beklagte stützte sich auf die Bewertung des Dr.S. vom 08.10.2002. Dieser habe den von Prof.Dr.D. erhobenen Befund der Unfallfolgen mit einer MdE von unter 20 v.H. bewertet.

Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum SG erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen wesentlicher Verschlimmerung der Folgen des Arbeitsunfalls vom 08.10.1964 Verletztenrente zu gewähren. Das SG hat den Chirurgen Dr.L. beauftragt, das Gutachten vom 05.05.2004 zu erstatten, der ausgeführt hat, die unfallbedingte MdE sei vor allem aufgrund der Funktionseinschränkung am linken Handgelenk mit einer MdE von 10 v.H. angemessen bewertet. Eine wesentliche Verschlimmerung im Vergleich zu den für den Bescheid vom 14.09.1965 maßgebenden Verhältnissen sei nicht zu objektivieren. Die beidseitigen handgelenksnahen Frakturen der Speichen mit Abrissfrakturen der Griffelfortsätze der Ellen sowie die Kompressionsfraktur des 12. BWK nach konservativer Behandlung in der Folgezeit hätten keine weiteren ärztlichen Maßnahmen erfordert. Ein Karpaltunnel-Syndrom an beiden Handgelenken stehe nicht im Zusammenhang mit den Frakturen. Im Bereich der Wirbelsäule bestünden eine altersbedingte Verschlechterung der Gesamtsituation. Mit Urteil vom 26.10.2004 hat das SG die Klage abgewiesen und sich dabei auf das Gutachten des Dr.L. gestützt.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und aus- geführt, die Beklagte habe im Auftragsschreiben zur Erstellung des Gutachtens an Prof.Dr.D. angegeben, dass sie eine Rente von 20 v.H. bezahle. Es seien nicht nur beide Hände gebrochen gewesen, sondern er habe sich auch die Halswirbelsäule verletzt.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 26.10.2004 und des Bescheids vom 03.12.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24.06.2003 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 08.10.1964 Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Er- gänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten, der Akten des Sozialgerichts München S 359/LU/1965 und S 19 U 5069/92 sowie des Bayer. Landessozialgerichts L 2 U 52/94, auf die Akten des Sozialgerichts München und des Bayer. Landessozialgerichts zu diesem Verfahren und auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Urteil des SG vom 26.10.2004 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, weil der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente hat.

Der Unfall hat sich vor dem 01.01.1997 ereignet, so dass die Vorschriften der RVO anzuwenden sind (§ 212 SGB VII). Danach wird Verletztenrente gewährt, solange infolge eines Arbeitsun- falls die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens 20 v.H. gemindert ist (§ 581 Abs.1 Nr.2 RVO). Voraussetzung für einen Rentenanspruch ist somit, dass die zu beurteilenden Gesundheitsstörungen Folgen eines Arbeitsunfalls sind. Eine als Folge eines Arbeitsunfalls anzuerkennende Gesundheitsstörung bedarf hierbei des vollen Beweises. Dagegen gilt die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie zwischen dem Unfall und der maßgebenden Erkrankung. Nach dem in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Prinzip der wesentlichen Mitverursachung ist nur diejenige Bedingung als ursächlich für einen Unfall anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Umständen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg und dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Ein Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheitsstörung ist dann wahrscheinlich, wenn die für den Zusammenhang sprechenden Umstände so stark überwiegen, dass hierauf die Überzeugung des Gerichts gestützt werden kann.

Zunächst ist festzuhalten, dass im vorliegenden Fall die An- wendung des § 48 SGB X ausscheidet, der nur bei laufenden Ren- ten anzuwenden ist. Dies gilt auch, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente nach einer Rentenablehnung (wieder) eintreten, weil der Ablehnungsbescheid eine verbindliche Feststellung einer MdE von unter 20 v.H. nicht enthalten kann. Dementsprechend besteht ein Anspruch auf eine verbindliche Feststellung einer MdE nur in Verbindung mit einer Rentengewäh- rung (Kasskomm-Ricke § 56 Rdnrn.35, 38a SGB VII). Maßgebend ist somit, ob bei dem Kläger ab dem am 17.10.2001 bei der Beklagten eingegangenen Neufeststellungsantrag die bestehenden Unfallfolgen zu einer rentenberechtigten MdE von wenigstens 20 v.H. führen. Eine entsprechende MdE ist bei dem Kläger jedoch insbesondere unter Berücksichtigung des vom SG eingeholten Gutachtens von Dr.L. nicht zu begründen. Die als Unfallfolgen anerkannte BWK-12-Fraktur mit geringfügiger Kompressionsstellung ohne Hinterkantenbeteiligung und die Verletzungen im Bereich der Handgelenke führen zu keiner MdE von wenigstens 20 v.H.

Dr.L. wies darauf hin, dass aus den aktuell angefertigten Röntgenaufnahmen die erlittene Wirbelkörperfraktur nicht mehr zu erkennen sei. Eine messbare MdE ist insoweit aufgrund der Wirbelkörperfraktur nicht mehr zu begründen. Sämtliche Brustwirbelkörper weisen nur mäßige, vor allem alterstypische Verformungen auf. Wesentliche Abweichungen im Ausprägungsgrad der Verformung von den übrigen BWK sind nicht feststellbar. Die subjektiven Beschwerden des Klägers erklären sich aus den unfallunabhängigen Verschleißerscheinungen im untersten Lendenwirbelsäulensegment mit Wirbelgleiten. Zum Unfallzeitpunkt konnte eine wesentliche Verletzung der Lendenwirbelsäule nicht festgestellt werden. Die Beschwerden des Klägers im Bereich der Lendenwirbelsäule beruhen auf altersvorauseilenden Veränderungen. Dies gilt auch für den Bereich der Halswirbelsäule. Sofern durch den Unfall eine strukurelle Verletzung der Hals- oder Lendenwirbelsäule eingetreten wäre, wäre dies bei der Begutachtung durch Dr.B. am 24.06.1965 deutlich geworden. Hier äußerte der Kläger aber lediglich einen leichten Druckschmerz über der unteren Brustwirbelsäule im Bereich der Dornfortsätze. Ein Stauchungsschmerz der Wirbelsäule bestand nicht und die Wirbelsäule war insgesamt frei beweglich. Ein Kausalzusammenhang zwischen den vom Kläger geäußerten Beschwerden im Bereich Wirbelsäule mit dem Arbeitsunfall ist somit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu begründen. Allein die Fraktur des 12. BWK führt nach der segmentbezogenen Beurteilung von Wirbelsäulenschäden zu keiner messbaren MdE (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit 7. Aufl., S.537).

Auch die Verletzungen der Handgelenke begründen keine MdE von 20 v.H. Aufgrund der Frakturen sind nur noch geringfügige Veränderungen festzustellen. Dr.L. weist darauf hin, dass der Zustand der Handgelenke nicht wesentlich von dem der übrigen großen Gelenke abweicht und allenfalls im Bereich des linken Handgelenks ein geringfügiger vorauseilender Verschleiß festzustellen ist. Die Röntgenaufnahmen der Handgelenke zeigen keine erheblichen strukturellen Veränderungen. Im Bereich des rechten Handgelenks besteht eine geringfügige Abflachung des physiologischen Gelenkflächenwinkels mit Aufhebung der Volarkippung. Die Abrissfraktur des Griffelfortsatzes der Elle ist bindegewebig verheilt. Im Übrigen bestehen unspezifische Veränderungen im Sinne einer Arthrosis deformans. Im Bereich des linken Handgelenks zeigt sich eine etwas stärkere Verformung der distalen Radiusepiphyse und ein Längenverlust im Vergleich zum Ellenköpfchen. Es besteht eine leichte Verwerfung der distalen Radiusgelenkfläche und eine leichte radialwärts gerichtete Fehlstellung der Handwurzel. Auch hier ist die Abrissfraktur des Griffelfortsatzes der Elle verheilt. Die unspezifischen Arthroseveränderungen bestehen im Bereich des linkenetwas ausgeprägter als im Bereich des rechten Handgelenks.

Diese Befunderhebung erklärt die vom Gutachter Dr.L. gemessenen Funktionswerte. Während die Beweglichkeit des rechten Handgelenks sich weitgehend unauffällig bzw. alterstypisch darstellte, besteht im Bereich des linken Handgelenks eine Einschränkung der Beweglichkeit handrückenwärts um ca. 20 Grad. Eine entsprechende Funktionseinschränkung führt jedoch nicht zu einer MdE von 20 v.H. Allenfalls kann entsprechend der Einschätzung des Dr.L. eine MdE von 10 v.H. angenommen werden. Damit bewertet Dr.L. die Unfallfolgen des Klägers entsprechend einem Speichenbruch mit Achsenabknickung und einer Einschränkung der Handgelenksbewegungen um insgesamt 40 Grad (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O. S.622). Hieraus erhellt, dass die MdE-Einschätzung durch Dr.L. jedenfalls nicht zu niedrig eingeschätzt ist.

Im Übrigen können Unfallfolgen nicht festgestellt werden. Ins- besondere ist das Karpaltunnel-Syndrom nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf die Frakturen im Bereich der Handgelenke zurückzuführen. Ein Karpaltunnel-Syndrom kann nur dann als unfallbedingt angesehen werden, wenn es in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis auftritt und ein direkter Fragment- oder Hämatomdruck eine Druckschädigung des Nervus medianus bewirken würde. Der Senat verweist diesbezüglich auf das von der Beklagten eingeholte neurologische Gutachten des Prof. Dr.O. , das im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden kann. Dieser schloss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Zusammenhang des Karpaltunnel-Syndroms mit dem Unfall von 1964 aus, weil die ersten Symptome erst 22 Jahre nach dem Unfall aufgetreten sind.

Dem Gutachten des Prof.Dr.D. kann insofern nicht gefolgt werden, als er die Unfallfolgen mit einer MdE von 20 v.H. bewertete. Der Senat geht im Übrigen davon aus, dass diese Angabe des Gutachters aufgrund der fehlerhaften Fragestellung der Beklagten erfolgte, die ihm vor Erstellung des Gutachtens irrtümlich mitgeteilt hatte, der Kläger beziehe gegenwärtig eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. Auf die Frage, ob in den Unfallfolgen eine Änderung gegenüber dem früheren Befund um mehr als 5 v.H. eingetreten sei, führte Prof.Dr.D. aus, dass dies nicht feststellbar sei. Dies könnte erklären, dass der Gutachter eine MdE von 20 angab, obwohl eine solche Bewertung den von ihm erhobenen Befunden nicht zu entnehmen ist. Aus dem Hinweis der Beklagten an Prof.Dr.D. , der Kläger erhalte eine Rente nach einer MdE von 20 v.H., auf den der Kläger in seiner Berufungsbegründung aufmerksam macht, können keine Rechte ableitet werden, denn es handelt sich hier um einen internen Verwaltungsvorgang ohne Außenwirkung.

Der Senat weist im Übrigen den Kläger darauf hin, dass nach neuerer Literatur unter sonst günstigen Umständen eine rentenberechtigende MdE von 20 v.H. vergeben werden kann, wenn ein Handgelenk versteift ist (Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Auflage, S.164). Eine vergleichsweise Beeinträchtigung des Klägers ist auch unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nicht zu begründen.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 26.10.2004 war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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