L 7 AS 91/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AS 27/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 91/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11b AS 55/06 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 05.04.2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin ein höherer Anspruch auf Kosten für Unterkunft und Heizung zusteht, weil ihre Tochter Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erhält.

Die 1955 geborene Klägerin bewohnte bis zum 31.03.2006 mit ihrer 1985 geborenen Tochter eine Dreizimmerwohnung mit 98 qm (Warmmiete 847,22 EUR). Mit Bescheid vom 20.05.2005, geändert durch Bescheid vom 07.10.2005, war der Klägerin für die Zeit vom 01.07. bis 31.12.2005 Arbeitslosengeld II (Alg II) bewilligt worden. Bis September 2005 erhielten sie und ihre Tochter das Alg II jeweils als eigene Bedarfsgemeinschaften. Die Beklagte hat die Kosten der Unterkunft jeweils zur Hälfte (416,26 EUR) der Klägerin und ihrer Tochter zugeordnet. Im Oktober 2005 nahm die Tochter ein Studium auf und erhält seither Leistungen nach dem BAföG in Höhe von 377,00 EUR monatlich.

Am 29.11.2005 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf einen Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 21.03.2005 (S 55 AS 124/05), ihr ab Oktober 2005 höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung zu bewilligen. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 07.12.2005 ab. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 05.01.2006 zurückgewiesen. Dagegen legte die Klägerin am 17.01.2006 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) ein.

Mit Weiterbewilligungsbescheid vom 23.11.2005 wurden für die Zeit vom 01.01. bis 30.06.2006 die Leistungen für Unterkunft und Heizung nur in Höhe der Hälfte der tatsächlichen Kosten bewilligt. Dieser Bescheid wurde mit Bescheid vom 10.01.2006 abgeändert, indem die Leistungen für Unterkunft ab 01.02.2006 auf die Hälfte der von der Beklagten als angemessen angesehenen Kosten (447,50 EUR) abgesenkt wurde. Auch gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltend, die Beklagte habe die vollen Unterkunftskosten zu übernehmen. Die Beklagte half dem Widerspruch mit Bescheid vom 14.02.2006 teilweise ab, indem sie die tatsächlichen Kosten der Unterkunft, abzüglich des Anteils der Tochter bis zum 30.06.2006, als Bedarf anerkannte. Im Übrigen wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2006 zurück. Gegen diesen legte die Klägerin am 16.03.2006 ebenfalls Klage zum SG ein.

Das SG hat die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Klage mit Urteil vom 05.04.2006 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Tochter sei nach § 7 Abs. 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) seit Oktober 2005 nicht mehr leistungsberechtigt. Es seien der Klägerin ab diesem Zeitpunkt aber keine höheren Leistungen zuzuerkennen, weil die von der Beklagten zuerkannten Kosten dem "Kopfanteil" entsprechen würden. Es könne auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur gleichgelagerten Regelung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) zurückgegriffen werden. Im Regelfall sei die Aufteilung der Unterkunftskosten nach der Zahl der Bewohner rechtens. Das Bewohnen einer Wohnung durch eine Familie, die aus Erwachsenen, insbesondere den Eltern und Kindern bestehe, sei eine typische einheitliche Lebenssituation, die (für den Regelfall) eine an der Intensität der Nutzung der Wohnung durch die einzelnen Familienmitglieder im Einzelfall ausgerichtete Betrachtung und in deren Gefolge eine unterschiedliche Aufteilung der Kosten für diese Wohnung nicht zulasse. Etwas anderes könne nur gelten, wenn z.B. wegen Behinderung oder Pflegebedürftigkeit ein spezifischer höherer Unterkunftsbedarf einem bestimmten Bewohner zugeordnet werden könne. Beim Bewohnen einer Wohnung durch Mutter und Tochter liege ein solcher vom Regelfall abweichender spezifischer Unterkunftsbedarf nicht vor. Eine andere Zuordnung der Unterkunftskosten nur aufgrund der Tatsache, dass ein Wohnungsmitglied Leistungen nach dem BAföG beziehe, würde auf eine Umgehung der eindeutigen Regelung des § 7 Abs. 5 SGB II hinauslaufen.

Die Klägerin hat gegen das am 11.04.2006 zugestellte Urteil am 02.05.2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht sie geltend, es müsse die besondere Fallkonstellation berücksichtigt werden. Der Grundsatz der Quotelung der Unterkunftskosten führe zwar zu angemessenen Ergebnissen, dieser Grundsatz sei aber im Gesetz selbst nicht verankert. Im SGB II sei lediglich geregelt, dass die tatsächlichen Unterkunftskosten zu ersetzen seien, soweit diese angemessen seien. Es sei zu berücksichtigen, dass sie zunächst gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter in der Wohnung gewohnt hätten. Der Mietvertrag sei von den Eheleuten abgeschlossen worden. Lediglich sie und ihr Ehemann seien daher verpflichtet, im Außenverhältnis die Miete zu zahlen. Gegen die Aufteilung pro Kopf spreche auch, dass weder der Ehemann, noch die Tochter über die erforderlichen Mittel verfügten, den jeweiligen Anteil der Unterkunftskosten aufzubringen. In den BAföG-Leistungen seien lediglich Unterkunftskosten in Höhe von 44,00 EUR monatlich enthalten. Diese seien naturgemäß anzurechnen. Darüber hinaus sei diese jedoch nicht in der Lage, sie bei den Unterkunftskosten zu unterstützen. Es sei daher davon auszugehen, dass bei der vorliegenden Fallkonstellation besondere Gründe gegen die anteilige Umlegung der Unterkunftskosten sprechen. Auch der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung widerspreche einer darüber hinausgehenden Beteiligung der Tochter an den Unterkunftskosten. Die Unterkunftskosten von Studierenden, die noch im Haushalt der Eltern wohnten, seien im Vergleich zu solchen Studierenden erheblich reduziert, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnten (§ 13 BAföG). Diese Differenzierung nach dem BAföG sei insbesondere deshalb gerechtfertigt, weil im Normalfall die Studierenden zu den Gesamtkosten lediglich einen geringeren Anteil zu tragen hätten. Die Argumentation der Beklagten würde dazu führen, dass die Tochter zum Auszug gezwungen werde. Der Auszug der Tochter komme jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Betracht. Sie (die Klägerin) leide seit 1991 an Krebs. Aufgrund dieses Gesundheitszustandes sei die Tochter psychisch sehr labil. Dazu sei am 29.12.2003 eine schwere Krankheit des Vaters gekommen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 5. April 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 23. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2006 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 01.10.2005 bis 31. März 2006 monatlich 788,52 EUR für Unterkunft und Heizung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten und die Akten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig; denn streitig ist eine Geldleistung von mehr als 500 EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Das Rechtsmittel ist sachlich aber nicht begründet, weil die Klägerin keinen höheren Anspruch auf Kosten der Unterkunft und Heizung hat.

Als Anspruchgrundlagen kämen die §§ 44 oder 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III in Betracht, die gemäß § 40 Abs. 1 SGB II auf das SGB II entsprechend anwendbar sind. Ein Anspruch der Klägerin nach den §§ 44 und 48 SGB X würde voraussetzen, dass die Beklagte das Recht unrichtig angewandt hat. Dies ist jedoch nicht der Fall, weil dadurch, dass die Tochter der Klägerin ihr Studium aufgenommen hat, für die Klägerin kein höherer Anspruch auf Kosten der Unterkunft entstanden ist. Die Klägerin bildete nämlich im streitigen Zeitraum mit ihrer Tochter eine Haushaltsgemeinschaft, so dass sie nur Anspruch auf die Hälfte der Kosten für Unterkunft und Heizung hat.

Leben Hilfebedürftige mit anderen Personen, die nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehören, in Haushaltsgemeinschaft, so sind die Kosten für Unterkunft und Heizung der Bedarfsgemeinschaft anteilig (pro Kopf) zu ermitteln (BayLSG, Urteil vom 04.04.2006 - L 11 AS 81/05; LSG NSB, Urteil vom 23.03.2006 - L 8 AS 307/05; LSG NRW, Beschluss vom 14.07.2006 - L 1 B 23/06; Lang in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 RdNr 38 mwN aus der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur Rechtslage nach dem BSHG).

Hinreichende Gründe, von der danach gebotenen Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfteilen abzusehen, liegen nicht vor. Wie das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in seiner Entscheidung vom 21.01.1988 (5 C 68/85) zur Sozialhilfe ausgeführt hat, ist die Aufteilung der Unterkunftskosten nach der Zahl der Angehörigen der Haushaltsgemeinschaft für den Regelfall rechtens. Das Bewohnen einer Wohnung durch eine Familie, die aus Erwachsenen, insbesondere den Eltern und Kindern besteht, ist eine typische einheitliche Lebenssituation, die (für den Regelfall) eine an der Intensität der Nutzung der Wohnung durch die einzelnen Familienmitglieder im Einzelfall ausgerichtete Betrachtung und in deren Gefolge eine unterschiedliche Aufteilung der Aufwendungen für diese Wohnung nicht zulässt.

Die auch der Verwaltungspraktikabilität gerecht werdende Aufteilung der Unterkunftskosten nach Köpfen bedarf nur dann der Korrektur, wenn und soweit der Hilfefall durch bedeutsame Umstände gekennzeichnet ist. In Betracht kommen z.B. Fälle der Behinderung oder Pflegebedürftigkeit. Besonderheiten in diesem Sinne, z.B. größerer Wohnbedarf aufgrund ihrer Krankheit, hat die Klägerin zu keiner Zeit geltend gemacht. Diese sind bei ihrer Erkrankung (Brustkrebs) auch nicht wahrscheinlich.

Auch die Tochter der Klägerin hat keine Besonderheit in diesem Sinne geltend gemacht. Allein die Tatsache, dass sie gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II wegen des Bezugs von Leistungen nach dem BAföG vom Bezug des Alg II ausgeschlossen ist, kann keine derartige Besonderheit begründen. Denn dann würde auf diesem Weg das Subsidiaritätsprinzip des SGB II umgangen (so auch LSG NSB, Urteil vom 23.03.2006 - L 8 AS 307/05). Zudem würde auf diese Weise der Leistungsträger nach dem SGB II mittelbar Kosten für den Lebensunterhalt einer nach dem BAföG förderungsfähigen Person übernehmen. Damit würde von dem Grundsatz abgewichen, dass die zur Deckung des eigenen Lebensunterhalts bestimmten existenzsichernden Leistungen der Grundsicherung grundsätzlich nicht dazu bestimmt sind, den Empfänger, die Klägerin, in die Lage zu versetzen, Unterhalts- oder Unterstützungspflichten gegenüber Dritten, der Tochter, nachzukommen (so auch Berlit, Wohnung und Hartz IV, NDV 2006, 5, 28).

Für die Ermittlung der Kostenverteilung ist auch weiterhin die "Pro-Kopf-Methode" anzuwenden und nicht nach dem sog. "Mehrbedarf"(vgl. dazu Bundesverfassungsgericht - BVerfG - vom 10.11. 1998 - 2 BvL 42/93 = BVerfGE 99, 246 ff.) zu ermitteln (so auch LSG NSB, Urteil vom 23.03.2006 - L 8 AS 307/05). Das BVerfG hatte in seiner Entscheidung, die das steuerfrei zu belassende Existenzminimum von Familien betraf, ausgeführt, dass der für die Ermittlung des steuerfrei zu belassenen Existenzminimums maßgebende Wohnbedarf nicht nach der Pro-Kopf-Methode sondern nach dem Mehrbedarf (dh proportionale Erweiterung des Wohnbedarfs für jede weitere Person) zu ermitteln sei. Diese Entscheidung war Grundlage für die Neuregelung in § 6a Abs. 4 Satz 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG), in dem festgelegt ist, dass die Kosten für Unterkunft und Heizung in dem Verhältnis aufzuteilen sind, die sich aus den im jeweils letzten Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern festgestellten entsprechenden Kosten für Alleinstehende, Ehepaare und Kinder ergibt.

Die in § 6a Abs. 4 Satz 2 BKGG enthaltene Regelung über die Aufteilung der Kosten für Unterkunft und Heizung kann jedoch nicht auf das Leistungsrecht nach dem SGB II übertragen werden (so auch LSG NSB, Urteil vom 23.03.2006 - L 8 AS 307/05). Der Gesetzgeber hat eine entsprechende Regelung nicht in das SGB II aufgenommen, obwohl die Regelung des § 6a Abs. 4 Satz 2 BKGG zum selben Zeitpunkt in Kraft getreten ist wie das SGB II. Zu-dem wollte der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung bei der Regelung des § 22 SGB II grundsätzlich an die Rechtslage nach dem BSHG anknüpfen (BT-Drs. 15/1516, S. 57). Die während der Geltung des BSHG geübte Rechtsprechung zur Aufteilung der Kosten für Unterkunft und Heizung war bereits seit langem ständige Rechtsprechung und dem Gesetzgeber daher auch bekannt. Auch § 7 Abs. 3 Wohngeldgesetz (WoGG) enthält weiterhin eine "Kopfteilregelung". Dies verdeutlicht, dass § 6a Abs. 4 Satz 2 BKGG eine Spezialregelung ist, die nicht auf andere Bereiche übertragen werden kann.

Zudem lassen sich die Überlegungen des BVerfG (BVerfGE aaO) zur Ermittlung des steuerfrei zu belassenen Existenzminimums sämtlicher Familienmitglieder nicht auf die hier vorliegende Fallkonstellation einer Haushaltsgemeinschaft von Mutter und volljähriger Tochter übertragen. Denn die Aussagen des BVerfG gehen von Familien mit minderjährigen Kindern aus (der aktuelle Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2005, BT-Drs. 15/2462, enthält Berechnungswerte für eine Familie mit zwei minderjährigen Kindern).

Zudem ist durch das Gesetz vom 20.07.2006 (BGBl I 1706) dem § 22 SGB II ein Abs. 7 angefügt worden, wonach ab 01.01.2007 den Kindern ein eigener Anspruch auf einen Zuschuss für die Kosten der Unterkunft zusteht. In der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drs. 16/1410, S. 24) heißt es dazu, dass die neue Regelung u.a. dazu dienen soll, Auszubildende zu fördern, die bei den Eltern wohnen und Kosten für die Unterkunft beisteuern müssen, weil die Eltern den auf das Kind entfallenden Wohnkostenanteil nicht tragen können, insbesondere, wenn sie selbst hilfebedürftig sind und daher einen Teil der Wohnkosten nicht erstattet bekommen. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber das Problem gesehen hat, aber nur für die Zukunft eine Abhilfe für die Auszubildenden und ihre Eltern schaffen wollte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung des Rechtsstreits zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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