L 2 U 306/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 23 U 118/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 306/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.04.2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.04.2005 wird zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1940 geborene Kläger stürzte am 07.08.1996 von einer Leiter.

Der Durchgangsarzt, der Chirurg Dr.W. vom Kreiskrankenhaus P. , diagnostizierte am gleichen Tag eine LWK1- Kompressionsfraktur sowie BWS- und Beckenkontusion. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.W. erklärte am 11.10.1996, Unfallfolgen auf neurologischem Gebiet seien nicht festzustellen, der Kläger klage aber über ernst zu nehmende sensible Beschwerden. Ein Kernspintomogramm der Lendenwirbelsäule vom 25.10.1996 zeigte einen keilförmig höhengeminderten LWK1 mit ausgeprägtem Spongiosaödem, keinen Hinweis auf eine intraspinale Blutung, keinen Nachweis eines Bandscheibenprolapses. Die Internistin Dr. K. berichtete am 12.11.1996, der Kläger gebe weiterhin Sensibilitätstörungen sowie Schmerzen an. Dr.W. erklärte am 13.11.1996, es handle sich um eine knöchern stabil konsolidierte LWK1-Kompressionsfraktur mit noch erheblichen Restbeschwerden, einer fixierten Fehlhaltung der Wirbelsäule und einem Beckenschiefstand sowie einem erheblichen funktionellen Defizit.

Die Beklagte lehnte zunächst mit Bescheid vom 07.08.1996 die Gewährung von Leistungen ab, da ein Arbeitsunfall nicht vorliege. Mit Abhilfebescheid vom 21.07.1999 erkannte die Beklagte das Vorliegen eines Arbeitsunfalles an. Für die Zeit der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit vom 07.08.1996 bis 29.9.1997 gewährte sie Verletztengeld.

Der Chirurg Dr. B. von der I.klinik erklärte am 19.08.1999, ein Arbeitsversuch sei nur für maximal vier Stunden möglich gewesen. Trotz Schmerzbehandlung sei keine Steigerung der Stundenzahl zu erreichen gewesen.

Im Gutachten vom 19.11.1999 bezeichneten die Chirurgen Prof. Dr. B. und Dr. H. als Unfallfolgen einen knöchern konsolidierten LWK1-Kompressionsbruch, endgradige Bewegungseinschränkungen im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule sowie glaubhafte subjektive Beschwerden. Die MdE sei ab 30.09.1997 mit 10 v.H. einzuschätzen.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 19.01.2000 die Gewährung einer Rente ab.

Auf den Widerspruch des Klägers vom 09.02.2000 und ein Attest der Internistin Dr. K. vom 14.10.1999 holte die Beklagte ein Gutachten des Orthopäden Dr. K. ein. Im Gutachten vom 31.10.2000 führte Dr. K. aus, die skoliotische Umkrümmung der Wirbelsäule beruhe auf einer schicksalhaften Fehlstatik des Beines, einer anlagebedingten Beinverkürzung von 1,5 cm,nicht auf dem Arbeitsunfall. Der Neurostatus der Beine sei in Ordnung. Die Beweglichkeit beider Hüfgelenke sei frei, Funktionsstörungen nach Beckenprellung seien somit nicht erkennbar. Dagegen sei ein Teil der Verspannungen der Wirbelsäule am dorsolumbalen Übergang als Unfallfolge zu sehen, jedoch nicht das gesamte Maß der dargebotenen Funktionsstörungen. Es bestünden hier nicht unerhebliche verfahrensbezogene Zutaten. Immerhin seien schon bei der Erstuntersuchung Abnützungserscheinungen der mittleren und unteren Brustwirbelsäule erkennbar gewesen, ebenso im Röntgenbefund aus dem Jahr 2000. Diese Abnützungserscheinungen seien nicht durch den Arbeitsunfall verursacht. Die MdE habe ab 30.09.1997 bis 07.08.1998 20 v.H. betragen, von da an bis auf weiteres 10 v.H. Die Beklagte gewährte mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2001 in Abänderung des Bescheides vom 19.01.2000 Verletztenrente vom 30.09.1997 bis 07.08.1998 nach einer MdE von 20 v.H. Im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück.

Zur Begründung der Klage übersandte der Kläger ein Attest von Dr.K.: seit dem Unfall bestünden Schmerzen im Bereich der LWS. Der Beckenschiefstand sei vor dem Unfall nicht nachweisbar gewesen. Eine unfallabhängige statische Veränderung sei wahrscheinlich.

Das SG zog ein Gutachten des Chirurgen Dr. L. , erstellt am 27.03.2002 in der Schwerbehindertenstreitsache des Klägers, bei. Darin führte Dr.L. aus, bisher sei es nicht eindeutig gelungen, die Ursache der vom Kläger als sehr stark empfundenen Beschwerden im BWS/LWS-Bereich zu ermitteln. Tatsächlich sei ein Beckenschiefstand festzustellen mit Iliosacralgelenksirritation und rezidivierenden Blockierungen. Motorische Ausfälle bestünden nicht. Sensibilitätstörungen würden immer wieder angegeben. Möglicherweise sei die Nervenwurzelirritation durch die Arthrosen im Abschnitt L4/5 und L5/S1 entstanden.

Der vom Sozialgericht zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Dr. F. hat im Gutachten vom 16.08.2002 ausgeführt, Unfallfolgen seien eine in Keilform verheilte Fraktur des ersten Lendenwirbelkörpers, Einbruch der Bandscheibe BWK 12 bis L 1 in den ersten Lendenwirbelkörper, geringe reaktive Randspornbildungen, ein statisch wirksamer Knickwinkel von 20°. Unfallunabhängig sei von einer stark ausgeprägten Somatisierungsstörung auszugehen. Die Höhe der MdE nach Wirbelfrakturen werde danach festgelegt, ob die Ausheilung stabil oder instabil erfolgte, ob ein statisch wirksamer Knickwinkel bestehe, ob die wirbelsäulenhaltende Muskulatur wiederertüchtigt sei und ob die Bandscheibenmasse aufgesprengt sei, wobei nur Zerreißungen im rückwärtigen Abschnitt mit Bedrängung der Nervenwurzel oder des Rückenmarks von funktioneller und klinischer Bedeutung seien. Im Fall des Klägers liege eine stabile Fraktur vor, allerdings ein erheblicher Knickwinkel. Die Verlagerung der Bandscheibenmasse in die Deckplatte des ersten Lendenwirbelkörpers sei funktionell nicht bedeutsam, eine Nervenwurzelirritation könne daraus nicht resultieren. Betroffen sei das Segment T12/L1, wofür ein Segmentwert von 3,6% anzusetzen sei, der bei statisch wirksamem Achsenknick zu verdoppeln sei, so dass eine MdE von 7,2% resultiere, aufgerundet also 10 v.H. Die von Dr. K. empfohlene zeitliche Abstufung sei nachzuvollziehen.

Der Kläger übersandte eine Stellungnahme des Chirurgen Dr. L. vom 18.10.2002: es erscheine wegen der seit dem Unfall bestehenden erheblichen Schmerzsymptomatik nicht gerechtfertigt, lediglich eine MdE von 10 v.H. für das unfallbedingte Leiden anzunehmen. Die von Dr. F. vorgenommene Berechnung sei nur eine Bewertungsmöglichkeit, viel zu schematisch und werde der individuellen Situation des Klägers nicht gerecht.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 07.12.2002 führte Dr. F. aus, die üblicherweise vorhandenen Schmerzen seien in den Richtwerten bereits berücksichtigt. Außerdem sei ein Teil der vom Kläger angegebenen Schmerzen unfallunabhängigen Gesundheitsstörungen, insbesondere den degenerativen Veränderungen an der Wirbelsäule, zuzuordnen. Somit lasse sich eine höhere MdE unfallbedingt nicht begründen. Die Wirbelbogenverletzung, die Dr. L. annehme, liege nicht vor. Im CT vom 08.08.1996 sei ein Einbruch im Wirbelbogengelenk beschrieben; dies entspreche jedoch keineswegs einem Wirbelbogengelenkbruch. Im Übrigen gehe auch Dr. L. ausdrücklich von stabilen Verhältnissen im Wirbelkörperaufbau aus. Selbst wenn also ein Wirbelbogeneinbruch abgelaufen sei, hätte er keine Instabilität verursachen können.

Der auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Unfallchirurg Prof. Dr. G. erklärte im Gutachten vom 22.09.2003, es sei zu einer schweren Schädigung der Bandscheibe mit nachfolgendem Deckplatteneinbruch gekommen. Die Beschwerden hätten sich seit dem Unfall ständig verschlechtert. Es sei nicht überraschend, dass nach fast 40 Jahren schwerster körperlicher Tätigkeit Abnutzungserscheinungen nachweisbar seien. Sie seien nicht als direkte Unfallfolge zu werten. Die MdE habe bis zum 07.08.1998 20 v.H. betragen, danach 30 v.H ... Der Kläger sei jetzt nicht mehr in der Lage, die schwere körperliche Tätigkeit als Maurer auszuüben.

Dr. B. berichtete am 12.12.2003, der Kläger sei seit Jahren auf eine Schmerzmedikation angewiesen. Eine signifikante Verschlechterung der Unfallfolgen sei nicht festzustellen. Prof. Dr. G. habe die Einschätzung nicht für den allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern für die spezielle berufliche Situation vorgenommen. Der Kläger fühle sich nach wie vor nicht richtig eingestuft. Er dränge auf ein weiteres Gutachten.

Der auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. führte im Gutachten vom 17.05.2004 aus, es bestehe ein schweres lumbales Schmerzsyndrom nach LWK1-Fraktur mit schmerztypischer Schonhaltung und schmerztypischem Krankheitsverlauf sowie ein chronifiziertes Schmerzsyndrom. Die Schmerzen seien nicht psychogen verursacht. Auch ohne gravierende Befunde könne es zu einem unerträglichen Dauerschmerz kommen, ohne dass von einer bewussten Schmerzaggravation gesprochen werden könne. Seit dem 07.08.1996 bestehe eine MdE von 100 v.H ...

Die Beklagte übersandte eine Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. vom 16.09.2004. Bereits bei der Untersuchung durch Dr. W. hätten verfahrensbezogene Momente, zum Beispiel Wechselinnervation der Fuß- und Zehenheber, vorgelegen. Fassbare neurologische Ausfälle seien nicht festzustellen gewesen. Ein krankhafter neurologischer Untersuchungsbefund werde auch von Dr. R. nicht mitgeteilt, ebensowenig ein krankhafter psychiatrischer Untersuchungsbefund. Dr. R. gründe seine Beurteilung ausschließlich auf die subjektiven Angaben des Klägers. Das Verhalten des Klägers während der Untersuchung könne aber mit den Folgen einer objektiv gesehen unkomplizierten LWK1-Fraktur nicht in Zusammenhang gebracht werden. Dr. R. erkläre die sehr hohe MdE mit einer chronischen Schmerzkrankheit. In diesem Fall müsse man aber die objektiven Befunde in Korrelation zu den subjektiven Beschwerden setzen. Hier ließen sich erhebliche Divergenzen erkennen, worauf Dr. R. nicht eingehe. Entschädigt werde in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht der Schmerz, sondern der durch den Schmerz bedingte Funktionsverlust. Einen derart ausgeprägten Funktionsverlust, wie ihn Dr. R. annehme, könne man aber nicht bestätigen.

Die vom Sozialgericht zur ärztlichen Sachverständigen ernannte Ärztin für Psychatrie Dr. M. führte im Gutachten vom 11.01.2005 aus, die objektivierbaren körperlichen Folgen des Unfalls bestünden in einer LWK1-Kompressionsfraktur, die relativ unkompliziert gewesen sei. In der Folgezeit habe sich ein Schmerzsyndrom im Bereich der Lendenwirbelsäule entwickelt. Unter Zugrundelegung der orthopädischen Gutachten sei das Ausmaß des Schmerzes durch objektivierbare Unfallfolgen nicht vollständig erklärbar, so dass von einer somatoformen Schmerzstörung auszugehen sei. Zweifellos lägen zusätzlich psychogene Mechanismen vor, mit denen der Kläger mehr oder weniger unbewusst auf die Schwere der subjektiv erlebten Schmerzen hinweise. Dies ergebe sich unter anderem aus einer deutlichen aggravatorischen Komponente bei der Darbietung der gesundheitlichen Beeinträchtigung. Zu berücksichtigen sei auch der sekundäre Krankheitsgewinn für den Kläger. Eindeutig feststellbar seien jetzt verarbeitete Hände mit älteren und frischeren Arbeitsspuren. Im Hinblick auf die Gutachten von Dr.K. und Dr. F. sei aufgrund der orthopädischen Gesundheitsstörungen ab 08.08.1998 eine MdE von 10 v.H. gegeben. Wegen der Zunahme der Schmerzen im Sinne einer somatoformen Schmerzstörung mit daraus resultierenden Funktionseinschränkungen sei ab 08.08.1998 von einer Gesamt-MdE von 20 v.H. auszugehen.

Hierzu erklärte Dr. K. in der Stellungnahme vom 24.02.2005, Dr. M. weise einerseits auf verarbeitete Hände mit Arbeitsspuren hin sowie auf eine erhebliche Aggravation. Andererseits erwähne sie eine schmerzbedingte Funktionsbeeinträchtigung ohne anzugeben, worin diese bestehe. Objektiv gesehen wiesen die Diskrepanzen zwischen den Unfallfolgen, den angegebenen Schmerzen und auch der Verarbeitungszustand der Hände darauf hin, dass keine nachvollziehbaren Funktionseinschränkungen bestünden. Die MdE betrage ab dem 08.08.1998 10 v.H.

Mit Urteil vom 20.04.2005 hat das Sozialgericht München die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.01.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2001 verpflichtet, dem Kläger über den 07.08.1998 hinaus Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Der körperliche Befund rechtfertige eine MdE von 20 v.H. Während Dr. K. und Dr. F. die MdE auf 10 v.H. einschätzten, sei Prof. Dr. G. von einer MdE von 30 v.H. ausgegangen. Dem Gericht erscheine eine MdE von 20 v.H. angemessen. Ein Wirbelkörperbruch mit Bandscheibenbeteiligung und statisch wirksamem Achsenknick von 20° sei mit einer MdE von 10 bis 20 v.H. zu bewerten. Im Hinblick auf die von Prof. Dr. G. diagnostizierte schwere Schädigung der Bandscheibe mit Deckenplatteneinbruch sehe das Gericht eine MdE von 20 v.H. als zutreffend an. Unbegründet sei die Klage, soweit die Anerkennung der somatoformen Schmerzstörung als Unfallfolge begehrt werde. Das Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung sei nicht nachgewiesen. Die Zweifel des Gerichts würden zum einen dadurch ausgelöst, dass Dr. M. bei der Frage, ob die Schmerzen körperlich begründbar seien, im wesentlichen nur auf die Folgen des Bruchs abstelle und zu wenig berücksichtige, dass unabhängig vom Unfall Abnützungserscheinungen sowie Bandscheibenschädigungen vorlägen. Auch ergäben sich Zweifel daraus, dass im Hinblick auf das gesamte Verhalten des Klägers eine verlässliche Feststellung des körperlichen und des psychischen Befundes nicht möglich gewesen sei. Sowohl bei der Untersuchung durch Dr. F. als auch durch Dr. M. sei ein ausgeprägter Verarbeitungszustand der Hände aufgefallen, obwohl der Kläger erhebliche Funktionsstörungen der Arme und Fingergelenke demonstriert habe.

Die Beklagte und der Kläger legten hiergegen Berufung ein.

Dr. L. erklärte in weiteren Stellungnahmen, eine maßgebliche psychische Überlagerung der Symptomatik liege nicht vor, außerdem habe keiner der Voruntersucher jemals eine Aggravation beschrieben. Ein traumatisch verursachter Knick von 20° sei hochgradig und führe zu einer starken Dehnung der hinteren Bandstrukturen mit daraus resultierender Schmerzhaftigkeit.

Dr. F. begründete auf Anfrage des Senats seine MdE-Bewertung: eine Fehlstatik an der Brustwirbelsäule sowie am Übergang von der Brust- zur Lendenwirbelsäule sei deutlich weniger bedeutsam als ein Achsenknick der Lendenwirbelsäule. Der Kläger sei weniger behindert, als wenn die Fraktur instabil wäre, wofür eine MdE von 20 v.H. angesetzt werden könnte. Nicht nur Frau Dr.M. , sondern auch Dr. K. habe ein aggravatorisches Verhalten des Klägers festgestellt. Eine Bandscheibenbeteiligung, die zu einer höheren MdE führe, habe Dr. L. nicht nachgewiesen. Von einer Bandscheibenbeteiligung könne nur gesprochen werden bei einer Aufsprengung der Bandscheibenmasse mit Zerreißungen. Von einer solchen schwerwiegenden Beteiligung der Bandscheibenmasse sei der Einbruch von Bandscheibengewebe in die Deckplatte zu trennen. Solche Einlagerungen seien klinisch und funktionell von untergeordneter Bedeutung und könnten niemals eine Nervenwurzelkompression verursachen. Schon gar nicht könne es hierdurch zu einer Instabilität kommen. Erhebliche Überdehnungen bzw. Verspannungen von Sehnen und Bändern, die Dr. L. annehme, seien im Rahmen des Segmentprinzips nicht zusätzlich zu bewerten. Entscheidend für die Bewertung der MdE seien ausschließlich die Lokalisation der Veränderung und der statisch wirksame Achsenknick.

Die Beklagte stellt den Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.04.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Bevollmächtigte des Klägers stellt den Antrag

aus dem Schriftsatz vom 10.11.2005

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und sachlich begründet. Die gleichfalls form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers (Anschlussberufung) ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Der Kläger hat unstreitig am 07.08.1996 einen Arbeitsunfall (§ 8 Abs.1 SGB VII) erlitten. Eine MdE von mindestens 20 v.H. der Vollrente, die Voraussetzung für einen Anspruch auf Verletztenrente wäre, liegt aber nach dem 07.08.1998 nicht vor.

Der ärztliche Sachverständige, der Orthopäde Dr. F. , hat im Gutachten vom 16.08.2002 sowie in den ergänzenden Stellungnahmen vom 07.12.2002, 28.11.2005, 07.02.2006, 24.03.2006 und 07.07.2006 überzeugend erläutert, dass auf orthopädischem Fachgebiet nur eine MdE von 10 v.H. vorliegt. Beim Kläger ist es zu keiner bleibenden Gesundheitsstörung, die eine MdE von wenigstens 20 v.H. der Vollrente bedingen würde, gekommen.

Wie auch sämtliche anderen Ärzte hat Dr. F. eine Fraktur des ersten Lendenwirbelkörpers sowie eine BWS- und Beckenprellung als Unfallfolgen festgestellt. Weiter sind als Unfallfolgen ein Einbruch der Bandscheibe BWK12 bis L1 in den ersten Lendenwirbelkörper, geringe reaktive Randspornbildungen sowie ein statisch wirksamer Knickwinkel von 20° zu berücksichtigen. Wie Dr. F. erläutert, wird die Höhe der MdE nach Wirbelfrakturen dadurch festgelegt, ob die Ausheilung stabil oder instabil erfolgte, ob ein statisch wirksamer Knickwinkel besteht, ob die Muskulatur wiederertüchtigt ist und ob die Bandscheibenmasse aufgesprengt ist, ob also Zerreißungen im rückwärtigen Abschnitt mit Trennung der Nervenwurzel oder des Rückenmarks eingetreten sind.

Wie auch Dr. K. hat Dr. F. eindeutig eine stabile Fraktur festgestellt. Der Knickwinkel von 20° ist, so Dr. F., als erheblich zu bezeichnen. Dagegen ist die Verlagerung der Bandscheibenmasse in die Deckplatte des ersten Lendenwirbelkörpers funktionell nicht bedeutsam, da es zu keiner Nervenwurzelirritation gekommen ist. Bei der Beurteilung der Höhe der MdE verweist Dr. F. auf die Ausführungen von Schönberger, Mehrtens, Valentin (Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 535 f.). Die Beurteilung richtet sich, wie auch in diesem Standardwerk ausgeführt wird, nach den unterschiedlichen Graden der Bandscheibenbeteiligung. Bei stabiler Ausheilung und weitgehend erhaltener Bandscheibenmasse ist von einer MdE unter 10 v.H. auszugehen. Kommt ein statisch wirksamer Achsenknick - wie hier - dazu, so ist die MdE mit 10 bis 20 v.H. zu bewerten. Mit Hilfe des Segmentprinzips können Verletzungen an der Wirbelsäule weiter differenziert werden. In Analogie zur Begutachtung peripherer Gelenkschäden werden Schäden am Bewegungssegment und segmentale Beweglichkeit berücksichtigt. Entsprechend seiner funktionellen Bedeutung hat jedes Bewegungssegment der Wirbelsäule einen Segmentwert. Bei stabil ausgeheilten Frakturen ohne Deformierung kommen die einfachen Segmentwerte als Prozentsätze zur Anwendung. Bei posttraumatischen Wirbelsäulendeformitäten sind die Werte der betroffenen Segmenten zu verdoppeln (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin a.a.O., S. 536). Das Segment T12/L1 hat den Segmentwert 3,6, der im Fall des Klägers wegen des statisch wirksamen Achsenknicks zu verdoppeln ist, woraus sich ein Wert von 7,2 v.H. ergibt, aufgerundet 10 v.H.

Nicht überzeugen können dagegen die Ausführungen von Prof. Dr. G. und Dr. L ... Prof. Dr. G. hat bei der Bewertung der MdE offensichtlich auf die Tätigkeit des Klägers als Maurer abgestellt, nicht dagegen, wie im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung vorgesehen, auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Auch die Ausführungen von Dr. L. können nicht überzeugen. Seine Kritik an dem von Dr. F. herangezogenen Segmentwertprinzip ist im Hinblick darauf, dass es sich hierbei um eine in der Fachliteratur anerkannte Berechnungsmethode handelt, nicht nachzuvollziehen. Auch berücksichtigt Dr. L. nicht hinreichend die unfallunabhängig beim Kläger bestehenden Krankheitserscheinungen an der Wirbelsäule. So liegt ein Beckentiefstand rechts vor, der schon deswegen keine Verletzungsfolge sein kann, da die Fraktur eines Lendenwirbelkörpers keine Beinverkürzung und infolgedessen auch keinen Beckenschiefstand verursachen kann. Weiter zeigen Röntgenaufnahmen an der Brustwirbelsäule mehrere Keilwirbel nach Wachstumsstörung, Bandscheibenschäden und Randspornbildungen. Es handelt sich hierbei, so Dr. F. , um unfallunabhängige Folgen einer Scheuermannschen Erkrankung. Unfallunabhängig ist die dritte Lendenbandscheibe stark, die vierte etwas weniger verschleißgeschädigt. Auch ergeben sich leichtere Gefügestörungen in den mittleren bis oberen Bewegungssegmenten, die ebenfalls keine Unfallfolgen sind.

Dr. L. bewertet auch das Problem der Bandscheibenbeteiligung nicht zutreffend. Zweifellos ist eine Bandscheibenbeteiligung als Unfallfolge gegeben. Es ist aber nicht zu einer Aufsprengung der Bandscheibenmasse gekommen. Der beim Kläger bestehende Einbruch von Bandscheibengewebe in die Deckplatte ist klinisch-funktionell von untergeordneter Bedeutung und kann keine Nervenwurzelkompression verursachen, auch keine Instabilität.

Zu berücksichtigen bei der Bewertung der MdE ist auch, dass, wie Dr. K. , Dr. M. und Dr. F. festgestellt haben, eine Diskrepanz zwischen dem gezeigten Funktionsverlust und dem ausgeprägten Verarbeitungszustand mehr der rechten als der linken Hand in Form stärkerer Schwielen besteht. Trotz der gezeigten Beschwerden im Hüft- und Kniegelenksbereich sind die Fußsohlen mittelgradig bis gut beschwielt, was darauf hinweist, dass die Beine ausreichend belastbar sind.

Bezüglich der psychischen Unfallfolgen wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen, da der Senat die Berufung des Klägers insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass alle rechtserheblichen Tatsachen des vollen Beweises bedürfen, d.h. sie müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorgelegen haben. Eine Gesundheitsstörung auf psychischem Fachgebiet ist aber, wie das Sozialgericht im Urteil vom 20.04.2005 zu Recht ausgeführt hat, nicht bewiesen.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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