L 7 AS 81/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 AS 339/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 81/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14/7b AS 52/06 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 13. März 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zustehen.

Mit Bescheid vom 27.04.2005 lehnte die Beklagte den am 16.12.2004 gestellten Antrag des 1951 geborenen Klägers auf Leistungen nach dem SGB II mit der Begründung ab, dieser sei nicht hilfebedürftig, weil er über eine Lebensversicherung bei der A. Lebensversicherungs AG mit einem Rückkaufswert von 23.041,00 EUR (im Mai 2004) verfüge (der Rückkaufswert der Lebensversicherung betrug im August 2005 26.043,40 EUR bei einer Einzahlung von 24.497,66 EUR). Das zu berücksichtigende Vermögen übersteige daher die Grundfreibeträge in Höhe von 11.350,00 EUR. Eine vorzeitige Kündigung der Lebensversicherung und damit deren Verwertung sei möglich.

Mit seinem Widerspruch vom 04.05.2004 machte der Kläger geltend, der Freibetrag liege nicht bei 11.350,00 EUR, sondern bei 27.560,00 EUR. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Arbeitslosenhilfe betrage der Freibetrag 520,00 EUR je Lebensjahr und nicht nur 200,00 EUR, was auch im SGB II Geltung haben müsse. Im Übrigen habe er 10.000,00 EUR Schulden bei seiner Mutter. Damit sei das Vermögen aufgebraucht. Mit Widerspruchsbescheid vom 26.09.2005 wies die Beklagte den Wider-spruch zurück.

Mit seiner am 20.10.2005 zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhobenen Klage machte der Kläger geltend, er verfüge über keinerlei eigene Einkünfte, sein Geldvermögen sei aufgebraucht. Er verfüge lediglich über eine Lebensversicherung, deren Rückkaufswert aktuell 26.043,40 EUR betrage. In einem Verfahren vor dem SG (S 12 AL 236/04), in dem es um die Zahlung von Arbeitslosenhilfe gegangen sei, sei entschieden worden, dass es ihm nicht zumutbar sei, seine Lebensversicherung zu kündigen und diese zur Sicherung seines Unterhalts einzusetzen. Bei dem zu erwartenden geringen Rentenanspruch wäre er bei einer Verwertung der Lebensversicherung auf weitere Leistungen der Sozialhilfe bzw. der Beklagten angewiesen. Mit den Leistungen aus der Lebensversicherung könne eine weitere Inanspruchnahme der Sozialhilfebehörden vermieden werden.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13.03.2006 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne seinen Lebensunterhalt aus dem zu berücksichtigenden Vermögen sichern. Nach § 12 Abs. 1 SGB II seien als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Verwertbar sei das Vermögen, dessen Gegenstände verbraucht, übertragen oder belastet oder unmittelbar für die Bedarfsdeckung eingesetzt werden könnten. Für einen Einsatz komme aber nur dasjenige Vermögen in Betracht, durch dessen Verwertung der Notlage oder dem Bedarf abgeholfen werden könne und das dafür rechtzeitig zur Verfügung stehe. Vom Vermögen seien nur die in § 12 Abs. 2 SGB II abschießend aufgezählten Tatbestände abzu-setzen. Der Kläger verfüge mit seiner Lebensversicherung über ein Vermögen, das die Hilfebedürftigkeit ausschließe. Eine Verwertung dieser Lebensversicherung sei nicht ausgeschlossen, insbesondere liege mit dieser kein sonstiges Altersvorsorgevermögen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II vor, da die Versi-cherung vor Eintritt in den Ruhestand verwertet werden könne.

Das verwertbare Vermögen des Klägers könne auch nicht als Schonvermögen im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II unberücksichtigt bleiben. Diese Vorschrift schütze mit ihrem Auffangtatbestand Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich sei oder eine besondere Härte bedeute. Wann eine besondere Härte vorliege, sei im Gesetz nicht geregelt, könne aber sowohl aus den besonderen Lebensumständen des Vermögensinhabers resultieren. Offensichtlich unwirtschaftlich sei eine Verwertung des Vermögens aber nur dann, wenn der dadurch erlangte bzw. zu erzielende Gegenwert in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des verwerteten bzw. zu verwertenden Vermögensgegenstandes stehe oder stehen würde. Gewisse Verluste seien hinzunehmen; lediglich die Verschleuderung von Vermögenswerten dürfe nicht zugemutet werden. Umgekehrt sei eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Vermögensverwertung nicht gegeben, wenn das Ergebnis der Verwertung vom wirklichen Wert nur geringfügig abweiche. Der Rückkaufswert der Lebensversicherung habe im August 2005 26.043,40 EUR betragen bei bisher eingezahlten Beträgen in Höhe von 24.407,66 EUR. Von einer offensichtlichen unwirtschaftlichen Verwertung könne des-halb nicht ausgegangen werden.

Auch wenn mit der Verwertung der Lebensversicherung das Ziel des Klägers, eine angemessene Altersvorsorge zu sichern, nicht erreicht werden sollte, könne die Prognose, damit möglicherweise künftig auf umfassende staatliche Leistungen zur Bestreitung des Lebensunterhalts angewiesen zu sein, einen Verwertungsausschluss allein nicht rechtfertigen. Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz erfordere auch keine Gleichbehandlung der Lebensversicherung mit der gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 2 geschützten sog. Riesterrente. Der Gesetzgeber habe die Lebensversicherungen grundsätzlich als verwertbares Vermögen behandelt. Ihm sei dabei auf dem Gebiet des Sozialrechts ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06.10.1987 in BVerfGE 77, 84). Es liege in der Entscheidungbefugnis des Gesetzgebers, in welchem Umfang soziale Hilfe unter Berücksichtigung der vorhandenen Mittel und anderer gleichrangiger Staatsaufgaben gewährt werden könne und solle (BVerfGE 82, 60, 80). Ein Vertrauensschutz des Klägers im Hinblick auf die bereits 1980 abgeschlossene Lebensversicherung sei nicht ersichtlich.

Der Kläger hat gegen den Gerichtsbescheid am 18.04.2006 Berufung eingelegt (Zustellung eines Berichtigungsbeschlusses des SG am 05.04.2006). Zur Begründung macht er geltend, die Verwertung der Lebensversicherung sei ihm nicht zumutbar, ihm sei Vertrauensschutz zu gewähren, weil er diese bereits 1981 abge-schlossen habe. Die Verwertung sei unwirtschaftlich, weil er nur geringfügig mehr erhalte, als er eingezahlt habe. Über die Lebensversicherung habe er einen Berufsunfähigkeitsschutz mitversichert, den er verlieren würde, wenn er diese auflöse. Das Missverhältnis zwischen der jetzt zu erzielenden Summe und der bei regulärem Ablauf zu erzielenden stelle eine besondere Härte dar. Er dürfe nicht schlechter gestellt werden als jemand, der eine Riester-Rente abgeschlossen habe.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Regensburg vom 13.03.2006 sowie des Bescheides der Beklagten vom 27.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2005 zu verurteilen, ihm ab dem 01.01.2005 Arbeitslosengeld II zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, weil eine Geldleistung von mehr als 500,00 EUR streitig ist (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Das Rechtsmittel ist sachlich nicht begründet, weil dem Kläger für den streitigen Zeitraum kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zusteht; denn der Kläger ist nicht hilfebedürftig.

Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 SGB II nur Personen, die u.a. hilfebedürftig sind. Hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II ist nach § 9 Abs. 1 SGB II derjenige, der seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eige-nen Kräften oder Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Zutreffend hat das SG entschieden, dass der Kläger nicht hilfebedürftig ist. Insoweit wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug genommen.

Zutreffend hat bereits das SG ausgeführt, dass eine Gleichstellung einer Lebensversicherung mit der sog. Riester-Rente nicht aus Art. 3 GG abgeleitet werden kann; denn dem Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung der Voraussetzungen für die Bewilligung von Sozialleistungen, die aus Steuergeldern finanziert werden, ein weiter Spielraum eingeräumt.

Dabei hat der Gesetzgeber nicht danach unterschieden, ob es sich um eine Lebensversicherung handelt, die einen Berufsunfähigkeitsschutz mitversichert. Auch wenn der Kläger diesen Schutz verliert, kann dies eine besondere Härte nicht begründen. Was unter dem Begriff "besondere Härte" zu verstehen ist, ist im Gesetz nicht geregelt, kann aber sowohl aus den besonde-ren Lebensumständen des Vermögensinhabers als auch seiner Angehörigen als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft resultieren. Eine besondere Härte soll nach der Begründung des Gesetzes (BT-Drucks. 15/1749, S. 32) z.B. vorliegen können, wenn ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger kurz vor dem Rentenalter seine Ersparnisse für die Altersvorsorge einsetzen müsste, obwohl seine Rentenversicherung Lücken wegen selbständiger Tätigkeit aufweist. Auch wenn mit der Verwertung der Lebensversicherung das Ziel des Klägers hinsichtlich der erstrebten Altersvorsorge nicht erreicht werden sollte, können die Umstände des Einzelfalls einen Verwertungsausschluss nicht rechtfertigen. Der Kläger steht nicht kurz vor dem Rentenalter und kann sich grundsätzlich als Erwerbsfähiger noch eine höhere Altersversorgung aufbauen. Zwar bedeutet es für den Betroffenen immer eine Härte, wenn angespartes Vermögen, das für die Altersvorsorge bestimmt war, vorzeitig zur Sicherung des Lebensunterhaltes eingesetzt werden muss. Der Gesetzgeber hat aber den Einsatz einer Lebensversicherung - von Ausnahmen abgesehen - nicht als besondere Härte angesehen.

Auch eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Verwertung der Lebensversicherung ist nicht gegeben, weil eine solche erst vorliegt, wenn der durch eine Verwertung des Vermögens erlangte bzw. zu erzielende Gegenwert in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des verwerteten bzw. zu verwertenden Vermögensgegenstandes steht oder stehen würde. Insoweit ist lediglich die Verschleuderung von Vermögenswerten unzumutbar, wobei gewisse Verluste hinzunehmen sind. Im Umkehrschluss ist eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Vermögensverwertung nicht gegeben, wenn das Ergebnis der Verwertung vom wirklichen Wert nur geringfügig abweicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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