L 2 U 140/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 89/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 140/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 15. März 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1954 geborene Kläger, ein Maurer, verletzte sich am 26.08.2004 (Samstag) an der rechten Hand.

Er verrichtete an diesem Tag Maurerarbeiten beim Bau des Einfamilienhauses seines Sohnes. Beim Durchschneiden von Styropor mit einer Tischkreissäge rutschte er ab, so dass es zu einer Teilamputation eines Fingers und Strecksehnenverletzung kam. Auf Anfrage der Beklagten gab der Sohn des Klägers an, die Maurerarbeiten seien der Firma B. GmbH übertragen; ein Teil der Arbeiten werde aber in Eigenregie übernommen. Seit dem 29.07.2004 würden Familienmitglieder Eigenbauarbeiten im Wert von ca. 130.000,00 Euro bei Baukosten im Wert von ca. 306.000,00 Euro leisten. Der Kläger habe bis jetzt 50 bzw. 95 Arbeitsstunden als Maurer verrichtet. Es handle sich um familiäre Gefälligkeit. Der Kläger sei 10 bis 14 Tage auf der Baustelle tätig gewesen und hätte für den weiteren Rohbau und zum Teil auch für den Innenausbau eingesetzt werden sollen. Ohne den Unfall hätte er noch ca. 200 bis 300 Stunden Arbeit geleistet. Der Kläger habe sein Maurerwerkzeug (Kelle, Hammer und Wasserwaage) mitgebracht. Er habe frei entscheiden können, wann und wo er Arbeiten verrichtet habe. Weisungen habe der Sohn ihm, dem Fachmann, nicht erteilt. Schon bei der Vorplanung sei der Kläger beratend tätig gewesen. Das benötigte Material habe er aber nicht selbst berechnet und bestellt, dies sei zum Teil durch den Bauherrn und die beteiligten Firmen erfolgt. Da der Sohn des Klägers noch zuhause wohne, habe er in Haus und Garten nach Bedarf geholfen. Es sei üblich, dass sich der Kläger und sein Sohn gegenseitig helfen würden; der Kläger habe seinen Sohn beim Hausbau unterstützen wollen. Nach dem Unfall habe die Firma B. mit einem Mann auf der Baustelle weitergearbeitet.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 02.11.2004 die Gewährung von Leistungen ab, da der Kläger unternehmerähnlich tätig geworden sei und mit eigenem Werkzeug weisungsfrei die Tätigkeiten ausgeübt habe.

Mit Widerspruch vom 23.11.2004 wandte der Kläger ein, bei dem mitgebrachten Werkzeug habe es sich um typisches Maurerwerkzeug gehandelt. Die Verletzung habe er beim Bedienen einer Kreissäge, die nicht ihm gehört habe, erlitten.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.2005 zurück. Der Kläger habe Arbeiten durchgeführt, für die er die erforderlichen Kenntnisse als gelernter Maurer besessen habe. Für eine unternehmerähnliche Tätigkeit spreche auch, dass er über seine Arbeitszeit selbst habe verfügen können und im Wesentlichen eigene Werkzeuge eingesetzt habe. Die Tätigkeit sei am ehesten der eines selbstständigen Unternehmers gleichzustellen. Da der Kläger nicht freiwillig oder kraft Satzung bei der Bau-BG Bayern und Sachsen versichert gewesen sei, bestehe kein Versicherungsschutz.

Die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht Regensburg mit Gerichtsbescheid vom 15.03.2006 abgewiesen. Der Kläger habe über seine Arbeitszeit selbst verfügen können, Tätigkeiten in eigener Regie und Verantwortung übernommen, seine einzelnen Arbeitsschritte geplant und die Arbeiten eigenverantwortlich durchgeführt. Daher sei er nicht unter Arbeitnehmerumständen tätig geworden und habe somit nicht unter Versicherungsschutz gestanden.

Der Kläger führte im Berufungsverfahren aus, der Firma B. GmbH sei die Ausführung der Beton- und Maurerarbeiten übertragen worden. Bei ihr habe die oberste Weisungsbefugnis gelegen, auch wenn er hin und wieder die anderen mitarbeitenden Familienmitglieder aufgrund seiner Fachkenntnisse angeleitet habe. Auch seien die größeren Gerätschaften, wie etwa Kran, Kreissäge und Betonmischer von der beauftragten Baufirma gestellt worden. Die Feststellung des Materialbedarfs sei nicht vom Kläger vorgenommen worden. Bei der Arbeit des Klägers habe es sich um eine freiwillige familiäre Gefälligkeit gehandelt. Er sei in den von der Baufirma vorgegebenen Arbeitsablauf eingegliedert gewesen. Ein Unternehmerrisiko oder eine Haftung für grob fahrlässige Schlechtarbeit habe er nicht getragen. Zum Beweis wurde die Einvernahme der Zeugen A. S. (Sohn) und R. B. von der Firma B. GmbH beantragt.

Die Beklagte entgegnete hierzu, der Kläger habe sein Fachwissen eingebracht, habe selbst bestimmen können, wann und wie lange er arbeite und habe bezüglich der in eigener Regie vorbehaltenen Arbeiten den anderen mithelfenden Familienmitgliedern als Fachmann Weisungen erteilt. Er sei auch bei der Vorplanung des Bauvorhabens tätig gewesen.

Der Kläger stellt den Antrag,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 15.03.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 02.11.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2005 aufzuheben und festzustellen, dass er am 26.08.2004 einen Arbeitsunfall erlitten hat, und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, insbesondere eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Der Kläger war bei der zum Unfall führenden Tätigkeit vom 26.08.2004 nicht unfallversichert. Ein Arbeitsunfall setzt gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII einen Unfall voraus, den ein Versicherter bei einer der den Versicherungsschutz gemäß §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Voraussetzung ist, dass die zum Unfall führende Verrichtung mit der versicherten Tätigkeit sachlich verknüpft ist, der Unfall ursächlich auf der versicherten Tätigkeit beruht und im Sinne der haftungsausfüllenden Kausalität einen Gesundheitsschaden bewirkt hat.

Der Kläger war unstreitig nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses tätig. Dies würde als wesentliche Merkmale eine unselbstständige Arbeit voraussetzen, wie sie insbesondere in einem Arbeitsverhältnis geleistet wird und eine persönliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber, dessen Direktionsrecht der Beschäftigte unterliegt, sei es durch Weisungsgebundenheit oder Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers (vgl. BSG, SozR 2200 § 539 RVO Nr. 101). Dies ist im vorliegenden Fall nicht gegeben, da der Kläger nicht bei seiner Berufstätigkeit als Maurer verunglückte, sondern in seiner Freizeit aus freiem Willen seinem Sohn als Maurer half.

Gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII sind Personen gegen Arbeitsunfall versichert, die wie ein nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherter tätig werden. Diese Vorschrift erfordert keine persönliche Abhängigkeit von einem Unternehmer. Vielmehr ist es ausreichend, dass eine ernstliche, dem fremden Unternehmen dienende Tätigkeit verrichtet wird, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und die ihrer Art nach auch von Personen verrichtet werden könnte, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen und die ungeachtet des Beweggrundes für den Entschluss, tätig zu werden, unter solchen Umständen geleistet wird, dass sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist (vgl. BSG, SozR 3-2200 § 548 Nr. 20 m.w.N.). Allerdings wird nicht jede Tätigkeit, die einem Unternehmen objektiv nützlich und ihrer Art nach sonst üblicherweise dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugänglich ist, beschäftigtenähnlich verrichtet. Vielmehr kommt der mit dem objektiv arbeitnehmerähnlichen Verhalten verbundenen Handlungstentenz, die vom bloßen Motiv für das Tätigwerden zu unterscheiden ist, ausschlaggebende Bedeutung zu.

Für die Beurteilung der Arbeitnehmerähnlichkeit im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB VII ist von herausragender Bedeutung, wer sich an der Hilfeleistung beteiligt. Wenn der Verletzte nicht allein tätig wird, sondern zusammen mit demjenigen, dem die Hilfe geleistet wird oder mit anderen Personen, ist zumeist von einer arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit auszugehen, weil bei entgeltlicher Betätigung mit Rechtsbindungswillen ein Dienstvertrag vorliegen würde. Dies gilt auch, wenn der Tätigwerdende über größere fachspezifische Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt als derjenige, dem die Hilfeleistung zugute kommt. Bei Zusammenarbeit mit anderen kann eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit zu verneinen sein, wenn der Tätigwerdende die Leitung inne hat und federführend mitarbeitet und deshalb bei Gesamtwürdigung aller Umstände des Sachverhaltes wie ein Werkunternehmer oder eine Person, die einen Auftrag mit Werkvertragscharakter ausführt, tätig wird (vgl. Keller, NZS 2001, 188 f. m.w.N.).

Der Kläger hat eine ernstliche Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert, die dem Unternehmen seines Sohnes, dem Hausbau, diente und dem Willen des Unternehmers - des Bauherrn - entsprach, mit eindeutig fremdnütziger Handlungstentenz in erheblichem zeitlichen Umfang verrichtet. Diese Gesichtspunkte sprechen für eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit. Dagegen ist die Tätigkeit nicht eindeutig unter Umständen, die einem Beschäftigungsverhältnis entsprechen, verrichtet worden. Denn ein Abhängigkeitsverhältnis zum Unternehmer lag ebensowenig vor wie eine Eingliederung in dessen Betrieb bzw. Unternehmen. Auch bestand keine Weisungsgebundenheit, sondern der Kläger war nicht nur frei in der Entscheidung wann, wo und wie er tätig werden wollte, sondern erteilte den anderen mitarbeitenden Familienangehörigen, auch seinem Sohn, dem Bauherrn, als Fachmann fachliche Weisungen. Auch war er an der Vorplanung beteiligt. Hinzu kommt, dass er die Arbeitsmittel, nämlich sein Werkzeug, mitbrachte.

Für eine unternehmerähnliche Tätigkeit spricht die freie Verfügung, die der Kläger über die eigene Arbeitskraft, den Arbeitsort und die Arbeitszeit hatte. Dagegen fehlt es an dem Merkmal der gewissen Planmäßigkeit und Regelmäßigkeit der Betätigung, da der Kläger lediglich in einem Einzelfall, nämlich beim Hausbau des Sohnes als "Unternehmer" tätig wurde. Auch war kein Unternehmerrisiko gegeben. Zwar können bezüglich des unternehmerischen Risikos an eine unternehmerähnliche Tätigkeit nicht dieselben Anforderungen wie an eine Tätigkeit als Unternehmer gestellt werden. Es kommt hinsichtlich dieses Risikos vor allem auf die Haftung des Tätigwerdenden an, der wenigstens bei grob fahrlässiger Schlechtarbeit haftet. Eine derartige Haftung dürfte im vorliegenden Fall ausgeschlossen sein.

Der Kläger ist dagegen als Verwandter tätig geworden, da die zum Unfall führende Verrichtung nach Art und Umfang durch das verwandtschaftliche Verhältnis geprägt war. Bei Gefälligkeitshandlungen, die unter Verwandten vorgenommen werden und von familiären Beziehungen zwischen Angehörigen geprägt sind, besteht kein Versicherungsschutz, wenn sie ihr gesamtes Gepräge von den familiären Bindungen zwischen Angehörigen erhalten. Um eine derartige Tätigkeit handelte es sich hier. Zwar ist nicht zu bestreiten, dass der Sohn des Klägers einen Fremden wie einen abhängig Beschäftigten entlohnt haben würde und nach dem Unfall wohl auch entlohnt hat. Bestimmend für die Mithilfe des Klägers war aber die zwischen Vater und Sohn übliche Hilfsbereitschaft. Insofern war die Tätigkeit von den verwandtschaftlichen Beziehungen geprägt. Eine Mithilfe, wie sie der Kläger seinem Sohn leistete, ist im Hinblick auf die engen verwandtschaftlichen Beziehungen typisch und üblich und deshalb auch als selbstverständlich zu erwarten. Bei dem Bauvorhaben des Sohnes arbeiteten außer dem Vater auch eine Reihe anderer Verwandter, Bruder, Onkel und Vetter des Bauherrn, in erheblichem Umfang mit. Je enger die familiäre Gemeinschaft ist, um so größer ist regelmäßig der Rahmen, innerhalb dessen bestimmte Tätigkeiten ihr Gepräge daraus erhalten. Eine derart enge Familiengemeinschaft, wie zwischen Vater und Sohn, spannt den Rahmen der normalerweise zu erwartenden Hilfeleistungen weit (vgl. BSG, SozR 3-2200 § 539 RVO Nr. 25). Denn für das Eltern-Kind-Verhältnis gelten besondere Pflichten, die eine erhöhte Erwartung an die Hilfsbereitschaft rechtfertigen (vgl. BSG, SozR 3-2200 § 139 Nr. 6). Wie der Sohn des Klägers angegeben hat, betrachtete er selbst die Mithilfe seiner Verwandten beim Bauvorhaben als familiäre Gefälligkeit. Der Sohn wohnte noch im Haus der Eltern und Vater und Sohn leisteten sich gegenseitig die übliche familiäre Unterstützung.

Bemerkenswert ist allerdings der erhebliche Zeitumfang der geleisteten und noch beabsichtigten Tätigkeit. Der Zeitdauer ist innerhalb des Gesamtbildes des Vorhabens, vor allem bei Hilfeleistungen unter Verwandten, die ihr zukommende, aber nicht eine selbstständige Bedeutung beizumessen (vgl. BSG, SozR 3-2200 § 139 Nr. 8). Im Rahmen des Verwandtschaftsverhältnisses zwischen Vater und Sohn, als dem engsten überhaupt, war die Hilfeleistung so stark verwandtschaftlich geprägt, dass sie deshalb nicht die jedenfalls im Eltern-Kind-Verhältnis zu erwartende und insoweit übliche Hilfeleistung überschritt (vgl. BSG, SozR 2000 § 139 Nr. 134). Im Eltern-Kind-Verhältnis kann unmittelbar auf die Vorschriften des Familienrechts, insbesondere § 1618 a BGB zurückgegriffen werden. Diese Vorschrift hat Leitbildfunktion. Sie bestimmt, dass Eltern und Kinder einander zu Beistand und Rücksicht verpflichtet sind. Sie entfaltet eine ähnliche Rechtswirkung wie § 1353 BGB für die Ehe, indem sie einen Teil der im Rahmen einer Familie bestehenden sittlichen Pflichten zu Rechtspflichten erhebt. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass bei Mithilfe im Rahmen der Familie vor allem der Grad der Verwandtschaft und der tatsächliche Umgang innerhalb der Gemeinschaft maßgebend sind (vgl. Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 2, Unfallversicherungsrecht, § 14 Rndnr. 68), ist der Senat der Überzeugung, dass der Kläger im Rahmen einer erheblichen, aber auch zu erwartenden Hilfeleistung tätig wurde. Im Hinblick auf die guten Beziehungen zwischen Eltern und Sohn, insbesondere auf die häusliche Gemeinschaft, ist das Gesamtbild der Tätigkeit von den engen familiären Beziehungen so geprägt, dass die Tätigkeit des Klägers der eines Arbeitnehmers nicht vergleichbar ist und Versicherungsschutz ausscheidet.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 60 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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